25. März 2020
Corona Kapitalmarkt
Coronavirus - Handlungsempfehlungen für Unternehmen Banking & Finance

Coronavirus und Kapitalmarkt – Was börsennotierte Unternehmen jetzt beachten sollten

Der Beitrag erläutert, wann und in welchen Situationen in Zeiten der Corona-Krise börsennotierte Unternehmen Ad-hoc-Meldungen veröffentlichen müssen.

Nicht nur das Coronavirus selbst, sondern auch die Maßnahmen der Regierungen und Behörden in der letzten Woche haben gravierende Auswirkungen auf Unternehmen am Kapitalmarkt. An den Börsen kam und kommt es weiter zu erheblichen Kursverlusten. Unternehmern, die am Kapitalmarkt aktiv sind, müssen daher adäquat mit den Auswirkungen der Krise umgehen und sich vorbereiten.

Hierzu gehört zuallererst die Organisation eines guten Krisenmanagements. Doch börsennotierte Unternehmen müssen auch ihre kapitalmarktrechtlichen Folgepflichten im Hinblick auf die Auswirkungen der Corona-Krise beachten. In der momentanen Phase kann dies zu erheblichen Unsicherheiten führen, insbesondere, wenn es um die Einhaltung der sogenannten Ad-hoc-Mitteilungspflichten nach der Marktmissbrauchsverordnung (VO (EU) 596/2014 „MAR“) geht.

Am 11. März 2020 hat die europäische Wertpapieraufsichtsbehörde (European Securities and Markets Authority – ESMA) einige Guidelines zum Verhalten für Unternehmen veröffentlicht. Auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat dazu vor kurzem einen Frage-Antworten-Katalog (sog. Q&As) herausgegeben.

Regulatorische Verpflichtungen einer Börsennotierung auch in Zeiten der Corona-Pandemie erfüllen

Die ESMA empfiehlt Unternehmen, sich nicht nur durch die Aktivierung bestehender Notfallpläne für die Aufrechterhaltung der Geschäftskontinuität vorzubereiten, sondern auch sicherzustellen, dass die regulatorischen Verpflichtungen, die mit einer Börsennotierung einhergehen, weiterhin erfüllt werden können. Hierzu gehören insbesondere die Erfüllung von Publizitätspflichten und die Finanzberichterstattung.

Welche Publizitätspflichten bestehen im Zusammenhang mit dem Coronavirus?

Emittenten von Wertpapieren sind grundsätzlich angehalten, sämtliche wichtige Informationen in Bezug auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie schnellstmöglich offenzulegen. Dies betrifft vor allem Informationen über die Geschäftsgrundlagen und die finanzielle Situation des Unternehmens.

Auch bei der Erstellung eines Wertpapierprospekts sind die Auswirkungen des Coronavirus an geeigneter Stelle (Risikofaktoren, jüngste Entwicklungen und Ausblick, Angaben zur Geschäfts- und Finanzlage (sog. MD&A)) aufzuführen.

Hat ein Unternehmen vor kurzem einen Wertpapierprospekt veröffentlicht, bei dem das öffentliche Angebot noch läuft und die Corona-Krise wahrscheinlich Auswirkungen auf das Unternehmen oder das Angebot hat, die bislang im Prospekt noch nicht berücksichtigt worden sind, sollte sorgfältig geprüft werden, ob ein Nachtrag nach Art. 23 der EU-Prospektverordnung (VO 2017/1129) veröffentlicht werden muss.

Finanzberichte: Auswirkungen der Corona-Pandemie dokumentieren

Ist der Finanzbericht für das Jahr 2019 noch nicht fertigstellt, sollen Unternehmen die tatsächlichen und potenziellen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Grundlage einer qualitativen und quantitativen Bewertung ihrer Geschäftsaktivitäten, ihrer finanziellen Situation und ihrer wirtschaftlichen Leistung aufnehmen. Ist der Finanzbericht bereits abgeschlossen, so ist die Bewertung in den nächsten Zwischenbericht aufzunehmen.

Welche Maßstäbe gelten für die Ad-hoc-Pflichten?

Ein Emittent ist verpflichtet, Insiderinformationen, die das Unternehmen oder ein von ihm emittiertes Finanzinstrument (z.B. Aktien oder Anleihen) unmittelbar betreffen, unverzüglich zu veröffentlichen, wenn sie geeignet sind, im Falle ihres Bekanntwerdens den Kurs der betreffenden Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen.

Aufgrund der weitreichenden Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Unternehmen und den Kapitalmarkt können sich daraus spezifische Ad-hoc-Mitteilungspflichten für Unternehmen ergeben. In der letzten Woche haben bereits ca. 20 Unternehmen Ad-hoc-Mitteilungen zu den Auswirkungen der Corona-Krise veröffentlicht (u.a. Daimler, BASF, Deutsche Telekom, Lufthansa, RWE, Vapiano) und es ist davon auszugehen, dass diese Zahl in den kommenden Wochen weiter zunehmen wird.

Auswirkungen der Corona-Krise bei jedem Unternehmen unterschiedlich

Unternehmen, die von der Krise betroffen sind, können nicht davon ausgehen, dass der unternehmensintern festgestellte, spezifische Umfang der Corona-Auswirkungen aufgrund der öffentlich bekannten Informationen über die Krise bereits öffentlich bekannt und damit eingepreist ist. Es ist immer die konkrete Auswirkung auf das jeweilige Unternehmen zu prüfen, unabhängig davon, dass dem Markt eine bestimmte generelle Entwicklung bekannt ist.

In welchen Situationen können Ad-hoc Mitteilungen erforderlich sein?

Bei einem wahrscheinlichen Eintritt der folgenden Ereignisse sollten Unternehmen eine Ad-hoc-Mitteilung sorgfältig prüfen:

  • Wesentliche Veränderung der Prognose für das laufende Geschäftsjahr
    Prognosen, die aufgrund konkreter Anhaltspunkte für den weiteren Geschäftsverlauf erstellt worden sind, sind – auch nach Auffassung der BaFin – regelmäßig Insiderinformationen.
    Hat das Unternehmen Prognosen veröffentlicht oder eine Guidance für die nächsten Jahre herausgegeben, die aufgrund der Corona-Krise wahrscheinlich verfehlt werden wird, muss dies regelmäßig mittels einer Ad-hoc-Mitteilung veröffentlicht werden. Falls das Unternehmen keine Prognose veröffentlicht hat, kann auch eine Abweichung der mittleren Markterwartung (basierend auf der Einschätzung von Analysten) oder ansonsten auch eine deutliche Abweichung von den zurückliegenden Geschäftsergebnissen Kursbeeinflussungspotential haben. Auch diese Abweichungen sind dann regelmäßig mitteilungspflichtig. Die BaFin erkennt zwar an, dass die Prüfung des Kursbeeinflussungspotenzials aufgrund der aktuell starken Kursschwankungen an den Börsen durch die fortlaufenden Informationen rund um die Pandemie und die dadurch bedingte erhöhte Volatilität der Aktie in vielen Fällen erschwert ist. Daraus kann sich ein gewisser Beurteilungsspielraum der Unternehmen ergeben, der allerdings nicht zu weit ausgelegt werden sollte.
    Durch die sich ständig ändernde Situation sollte die neue Prognose (wenn möglich) zumindest für die wichtigsten Kennzahlen des Unternehmens (z.B. Umsatz, EBIT) angepasst werden. Sofern dies in der momentanen Situation nicht möglich sein sollte, kann auch nach der jüngst veröffentlichen Auffassung der BaFin alte Prognose mittels einer Ad-hoc-Mitteilung „aus dem Markt genommen″ wird, ohne dass darin bereits eine konkrete neue Prognose angegeben wird. Sobald später eine konkrete Prognose vorliegt, kann das Unternehmen diese dann unverzüglich per Ad-hoc-Mitteilung veröffentlichen.
  • Geschäftsentwicklung und Geschäftszahlen
    Corona beeinträchtigt schon jetzt in erheblichem Maße das Konsumentenverhalten und die Auftragsvergabe. Nicht zuletzt ein zu erwartender Rückgang des Umsatzes kann Auswirkungen auf die prognostizierten Geschäftszahlen und die Geschäftsentwicklung des Unternehmens haben. Treten einzelne wesentliche Ereignisse im Geschäft auf, die zu einem erheblichen Gewinn oder Verlust führen können oder kann eine negative Geschäftsentwicklung bereits in einer Gesamtschau prognostiziert bzw. eine bestehende Guidance nicht mehr aufrechterhalten werden, kann eine Ad-hoc-Mitteilung erforderlich sein.
  • Konkrete Maßnahmen
    Konkrete Maßnahmen von Unternehmen, die die Auswirkungen der Krise begrenzen sollen oder eine Folge behördlicher Anordnungen sind, können ebenfalls erhebliche Auswirkungen auf den Betrieb und die Umsatzentwicklung der Emittentin haben. Hierzu gehören zum Beispiel:
    • die Anordnung von Kurzarbeit (siehe Mitteilung von Hella).
    • die Aussetzung des Filialhandels (siehe Mitteilung von Douglas/Kirk Beauty One).
    • die (teilweise) Einstellung der Produktion oder des Betriebs bzw. der Geschäftstätigkeit (vgl. Mitteilung von Airbus, Daimler, NORMA Group, TUI).
    • der dauerhafte Ausfall von Vorstandsmitgliedern und Führungskräften (die Erkrankung an COVID 19 alleine dürfte nicht ausreichend sein).
    Auch hier kann es erforderlich sein, eine Ad-hoc-Mitteilung zu veröffentlichen.
    • bei Auswirkungen auf die Hauptversammlung ist zu unterscheiden: Nach den aktuellen Q&A’s der BaFin ist allein die zeitliche Verschiebung des Dividendenzahlungsbeschlusses infolge der Verlegung der Hauptversammlung mangels erheblichen Kursbeeinflussungspotenzials keine ad-hoc-pflichtige Insiderinformation, es sei denn, es sollten auf der Hauptversammlung auch weitere Beschlüsse gefasst werden (z.B. Beschlussfassungen über dringend benötigtes Kapital), deren zeitlicher Aufschub wesentliche Auswirkungen auf die Finanz- und Ertragslage hat (vgl. dazu z.B. die Mitteilungen der BASF, Daimler, Deutsche Telekom, RWE und NORMA Group).
  • Änderung der Dividendenpolitik
    Die Corona-Krise kann bei Unternehmen dazu führen, dass sie ihre Dividendenpolitik anpassen müssen, indem Dividendenausschüttungen aus- oder herabgesetzt werden. Derartige Maßnahmen sind ad hoc zu veröffentlichen, wenn sie von der kommunizierten Dividendenpolitik oder der durchschnittlichen Markterwartung abweichen (siehe z.B. die Mitteilung der NORMA Group; MTU und Sixt).
  • Verschiebung von Finanzierungsmaßnahmen oder zusätzlicher Finanzierungsbedarf
    Die Verschiebung oder Absage geplanter Kapitalerhöhungen, Kreditaufnahmen oder sonstiger Finanzierungsaufnahmen in wesentlichem Umfang können Auswirkungen auf die Geschäftsentwicklung der Emittentin haben und eine Ad-hoc-Mitteilung erforderlich machen. Besteht für die Emittentin aufgrund der Krisenentwicklung das Erfordernis, zusätzliche Finanzierungsmaßnahmen in wesentlichem Umfang zu ergreifen, sollte ebenfalls die Veröffentlichung einer Ad-hoc-Mitteilung geprüft werden (siehe z.B. die Mitteilung der Lufthansa, TUI und Vapiano).
  • Erhebliche außerordentliche Erträge oder Aufwendungen
    Konkretisieren sich für die Emittentin außerordentliche Erträge oder Aufwendungen, z.B. durch außerplanmäßige Abschreibungen, durch die Stilllegung von Betrieben, Entschädigungen bei Massenentlassungen oder auch Sanierungsgewinnen, können diese Insiderinformationen darstellen, die eine Ad-hoc-Mitteilung erforderlich machen.
  • Störungen der Lieferkette oder Ausfall von Personal
    Muss die Emittentin mit Störungen in ihrer Lieferkette rechnen, sind solche bereits eingetreten oder fällt aufgrund von Infektionen ein wesentlicher Teil des Personals aus und ist dadurch der reibungslose Betriebsablauf über einen erheblichen Zeitraum gefährdet, können diese Tatsachen mitteilungspflichtig sein.
  • Kündigung bedeutender Vertragsverhältnisse oder erheblicher Auftragsausfall
    Durch die Corona-Krise kann es sein, dass Vertragsverpflichtungen nicht mehr eingehalten werden können, Vertragspartner Insolvenz anmelden müssen oder Großaufträge abgesagt werden. Solche Ereignisse können ebenfalls veröffentlichungspflichtige Insiderinformationen darstellen.

Bei Vorliegen einer Insiderinformation ist diese nach Art. 17 Abs. 1 MAR unverzüglich europaweit durch ein sog. Medienbündel (z.B. DGAP) bekanntzugeben.

Aufschub der Ad-hoc Mitteilung möglich?

Unter bestimmten Voraussetzungen kann der Emittent die Veröffentlichung der Insiderinformation vorübergehend aufschieben. Dazu bedarf es eines sog. Selbstbefreiungsbeschlusses, an dem auch der Vorstand bzw. die Geschäftsführung beteiligt ist. Ein Aufschub ist beispielsweise möglich, wenn die finanzielle Überlebensfähigkeit stark und unmittelbar gefährdet ist (wobei die Insolvenz noch nicht eingetreten sein muss) und zusätzlich der Emittent Verhandlungen führt, die durch eine unverzügliche Veröffentlichung gefährdet werden.

Bei Änderungen von Finanzprognosen ist ein Aufschub nach Auffassung der BaFin aber grundsätzlich nicht möglich. Die Unternehmensleitung hat aber immer die Möglichkeit, die Sachlage vor einer möglichen Ad-hoc-Mitteilung sorgfältig, aber schnellstmöglich zu prüfen, und sich z.B. von Anwälten beraten zu lassen.

Empfehlung für die Praxis: Funktionsfähiges Krisenmanagement als ersten Schritt

Auch in Zeiten der Krise müssen Emittenten ihre kapitalmarktrechtlichen Pflichten im Blick behalten. Dabei ist im Zweifel eher Vorsicht walten zu lassen. Unternehmen sollten sich für die Herausforderungen der Corona-Krise sensibilisieren, ein funktionsfähiges Krisenmanagement installieren und bereits veröffentlichte Unternehmensinformationen bei erheblichen kursrelevanten Veränderungen durch eine Ad-hoc-Mitteilung anzupassen.

Dasselbe gilt für neue Informationen, die sich als Folge der Corona-Krise ergeben. Im Zweifel ist Unternehmen in der gegenwärtigen Krise zu empfehlen, bei Unsicherheit über die aktuelle Rechtslage, eher vom Vorliegen einer Insiderinformation auszugehen und durch eine Ad-hoc-Mitteilung zu veröffentlichen als Sanktionen durch die BaFin zu riskieren.

In unserer Blogserie zu „Coronavirus: Handlungsempfehlungen für Unternehmen″ zeigen wir anhand der aktuellen Situation unternehmensbezogene Stolpersteine auf, die in Krisenzeiten zu beachten sind. Bereits erschienen sind Beiträge zu Verhandlungen, Verjährungen und Verfristungen sowie Haftungsfragen bei Absagen von Messen und Veranstaltungen, zum Datenschutz trotz Corona und zu Möglichkeiten von Aktiengesellschaften zur Cash-Ersparnis sowie Vermögensübertragungen zu steuergünstigen Konditionen. In weiteren Beiträgen gehen wir ein auf die Erstellung eines Notfallplans, auf Vertriebsverträge und Tipps für Lieferanten in Krisenzeiten und auf Auswirkungen auf Lebensmittel- und Hygieneverordnungen. Im Anschluss haben wir uns mit der streitigen (gerichtlichen) Auseinandersetzung befasst, sind auf kartellrechtliche Auswirkungen sowie die Bedeutung für den Kapitalmarkt eingegangen. Näher befasst haben wir uns auch mit „infizierten″ Vertragsverhandlungen, den Änderungen in Mittel- und Osteuropa sowie mit klinischen Studien und dem neuen EU-Leitfaden für Sponsoren uns Prüfärzte. Weiter geht es mit Pflichten zur Abgabe der Steuererklärung und eventuell steuerstrafrechtlichen Haftungsrisiken, dem Moratorium für Zahlungsverpflichtungen von Verbrauchern und KleinstunternehmernUnterstützungsmaßnahmen für Start-ups, das Kurzarbeitergeld, sowie den Erleichterungen für Stiftungen und Vereine und GmbH-Gesellschafterbeschlüssen. Es folgten weitere Beiträge zu Kooperationen im Gesundheitswesen und zu Sachspenden an Krankenhäuser, zum Marktzugang für persönliche Schutzausrüstung und Medizinprodukte, zur Beschlagnahmemöglichkeit von Schutzausrüstung durch den Staat und zu Auswirkungen auf laufende IT-Projekte. Zuletzt haben wir auf die Haftung bei betrieblichen Corona-Schutzimpfungsprogrammen hingewiesen.


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