31. März 2020
Corona Schutzausrüstung
Coronavirus - Handlungsempfehlungen für Unternehmen Healthcare

Marktzugang für persönliche Schutzausrüstung und Medizinprodukte unter COVID-19: EU lockert Regelungen

Im Kampf gegen COVID-19 fehlt es an Schutzausrüstung. Das Inverkehrbringen von PSA und Medizinprodukten ist jedoch streng reguliert. Was gilt in der Krise?

Die COVID-19-Pandemie hat dramatische Auswirkungen auf die europäischen Gesundheitssysteme. Eine große Herausforderung ist der zunehmende Mangel an persönlicher Schutzausrüstung (PSA), etwa von Atemschutzmasken (FFP-Masken), Schutzanzügen, Handschuhen oder Schutzbrillen. Auch der Bedarf an Medizinprodukten steigt. So werden Beatmungsgeräte, Operationsmasken, Untersuchungshandschuhe und bestimmte Arten von OP-Kleidung verstärkt nachgefragt.

Nun reagiert die Politik und senkt bürokratische Hürden – auch und gerade für Unternehmen aus anderen Branchen (wie etwa aus der Textilindustrie), die ihre Produktion kurzfristig umstellen wollen, um die steigende Nachfrage zu decken. Die EU-Kommission hat verschiedene Maßnahmen in die Wege geleitet, damit dringend benötigte Schutzausrüstung und Geräte für medizinisches Personal schneller auf dem europäischen Markt bereitgestellt werden können. Von diesem Maßnahmenpaket umfasst sind

  • Erleichterungen und Beschleunigungen im Konformitätsbewertungsverfahren für PSA und Medizinprodukte;
  • Marktüberwachung mit Augenmaß: PSA und Medizinprodukte unter bestimmten Voraussetzungen vorübergehend auch ohne CE-Kennzeichnung verkehrsfähig;
  • Beschlüsse über neue harmonisierte Normen;
  • Kostenfreier Zugang zu harmonisierten Normen;
  • Geplante Verschiebung des Geltungsbeginns der MDR um ein Jahr.

Regulatorischer Rahmen: Konformitätsbewertung und Marktüberwachung

Schutzausrüstungen und medizinische Geräte unterliegen – je nach Einordnung des Produkts als PSA oder als Medizinprodukt – der Verordnung (EU) Nr. 2016/425 (PSA-Verordnung) oder aber unionsrechtlich harmonisierten nationalen Vorgaben für Medizinprodukte und – nach deren Geltungsbeginn –  der neuen Verordnung für Medizinprodukte, der Verordnung (EU) Nr. 2017/745 (MDR).

Vor dem Inverkehrbringen von Medizinprodukten und PSA müssen Hersteller – je nach Produkt entweder selbst oder durch Mitwirkung einer Benannten Stelle – ein Konformitätsbewertungsverfahren durchführen. Wird darin die Einhaltung der grundlegenden Anforderungen an das jeweilige Produkt – Sicherheits- und Leistungsanforderungen für Medizinprodukte und Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen für PSA – nachgewiesen, darf die CE-Kennzeichnung angebracht werden. Sofern Hersteller auf technische Lösungen zurückgreifen, die in sog. harmonisierten Normen aufgeführt sind, wird vermutet, dass ihre Produkte den grundlegenden Anforderungen entsprechen. Eine umfangreiche Überprüfung des Produkts selbst kann in diesem Fall also entfallen.

Medizinprodukte und PSA unterliegen der Marktüberwachung durch die in den Mitgliedsstaaten jeweils zuständigen Behörden. Entsprechen die Produkte nicht den grundlegenden Anforderungen der jeweils einschlägigen gesetzlichen Vorgaben, können Hersteller und andere Akteure in der Kette aufgefordert werden, Korrekturmaßnahmen zu ergreifen, um die Konformität herzustellen.

Empfehlungen der EU-Kommission für das Konformitätsbewertungsverfahren und die Marktüberwachung unter COVID-19

Am 13. März 2020 hat die EU-Kommission Empfehlungen zu den Konformitäts- und Marktüberwachungsverfahren im Kontext der COVID-19-Pandemie verabschiedet.

Schnellere und effizientere Konformitätsbewertungsverfahren

  • Die Benannten Stellen sollen die Konformitätsbewertungsverfahren für PSA, die für den Schutz im Zusammenhang mit dem Ausbruch von COVID-19 notwendig sind, vorrangig und zügig durchführen.
  • Richtlinien und Empfehlungen der WHO sollen für PSA als Referenz für technische Lösungen herangezogen werden können, soweit ein angemessenes Schutzniveau garantiert werden kann. Akzeptieren Benannte Stellen andere technische Lösungen als harmonisierte Normen, sollen andere Stellen und Behörden unverzüglich unterrichtet werden.
  • Auf Antrag des Herstellers soll ausnahmsweise das (befristete) Inverkehrbringen eines Medizinprodukts genehmigt werden können, bei dem ein Konformitätsbewertungsverfahren nicht durchgeführt worden ist, soweit die Verwendung des Medizinprodukts im Interesse des Gesundheitsschutzes liegt. Entsprechende Rechtsgrundlagen im nationalen Recht (vgl. § 11 MPG oder Art. 59 MDR) sollen in Erwägung gezogen werden. Dies ermöglicht für Medizinprodukte im Einzelfall ein Inverkehrbringen auch ohne CE-Kennzeichnung.

Marktüberwachung mit Augenmaß: PSA und Medizinprodukte nach Auffassung der EU-Kommission ausnahmsweise auch ohne CE-Kennzeichnung verkehrsfähig

  • PSA oder Medizinprodukte, die ein angemessenes Gesundheits- und Schutzniveau gewährleisten, obwohl das Konformitätsbewertungsverfahren einschließlich der Anbringung der CE-Kennzeichnung nicht vollständig im Einklang mit den harmonisierten Normen erfolgt ist, dürfen in der EU für einen begrenzten Zeitraum und während der Durchführung der notwendigen Konformitätsbewertungsverfahren ausnahmsweise bereitgestellt werden.
  • Auch ohne Einleitung eines Konformitätsbewertungsverfahrens und ohne CE-Kennzeichnungkönnen PSA oder Medizinprodukte in der EU in den Verkehr gebracht werden, wenn die folgenden fünf Voraussetzungen kumulativ vorliegen:
    • Die Produkte müssen in einen von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten organisierten Beschaffungsvorgang einbezogen werden.
    • Die Produkte müssen ein angemessenes Sicherheitsniveau gewährleisten. 
    • Es muss sichergestellt sein, dass die Produkte nur medizinischen Fachkräften zur Verfügung stehen.
    • Die Produkte dürfen nur für die Dauer der derzeitigen Gesundheitsbedrohung zur Verfügung stehen.
    • Die Produkte dürfen nicht in die normalen Vertriebskanäle gelangen (und anderen Anwendern zugänglich gemacht werden).
  • Im Übrigen soll sich die Marktüberwachung vorrangig auf nicht-konforme PSA oder Medizinprodukte konzentrieren, von denen eine schwerwiegende Gefahr für die Gesundheit und Sicherheit des Anwenders ausgeht.

Die Empfehlungen der EU-Kommission sind zwar nicht rechtsverbindlich; gleichwohl kommt ihnen in der Praxis großes Gewicht zu. Es ist daher zu erwarten, dass diese Empfehlungen von den zuständigen Behörden der Mitgliedstatten als Leitlinien verstanden und befolgt werden.

EU-Kommission gibt praktischen Leitfaden für Hersteller von PSA heraus

Die EU-Kommission will Hersteller von PSA auch praktisch dabei unterstützen, die geltenden und – wie vorstehend skizziert – in Teilen gelockerten rechtlichen und technischen Anforderungen zu prüfen, bevor sie neue Produkte in die EU einführen oder ihre Produktion umstellen. Am 30. März 2020 hat die EU-Kommission einen praktischen Leitfaden veröffentlicht. Darin wird insbesondere für Atemschutzmasken (FFP-Masken) erläutert, was Hersteller, die neu in den Markt kommen, regulatorisch zu beachten haben.

Ein entsprechender Leitfaden für Hersteller von Medizinprodukten wird in Kürze erwartet.

EU-Kommission nimmt Beschlüsse über harmonisierte Normen für Medizinprodukte zur Deckung des akuten Bedarfs an

Am 24. März 2020 hat die EU-Kommission Beschlüsse über harmonisierte Normen angenommen, die es den Herstellern ermöglichen sollen, leistungsstarke Medizinprodukte in den Verkehr zu bringen. Sie sollen das Konformitätsbewertungsverfahren beschleunigen und so eine schnellere Bereitstellung der dringend benötigten Produkte auf dem Markt gewährleisten.

Erfasst werden solche Produkte, die in Zeiten der Covid-19-Pandemie besonders stark nachgefragt werden, wie etwa medizinische Gesichtsmasken, Operationsabdecktücher und Operationsmäntel, Reinigungs-Desinfektionsgeräte, aber auch Anforderungen an die Sterilisation von Medizinprodukten.

Die Normen wurden im Auftrag der EU-Kommission vom den europäischen Normungsorganisationen CEN und CENELEC entwickelt und sind über die nationalen Normungsorganisationen – in Deutschland über das DIN – erhältlich. Mit der Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union wird bei Anwendung dieser Normen die Konformität der auf diese Weise hergestellten Produkte mit den grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen vermutet.

CEN UND CENELEC stellen harmonisierte Normen für Medizinprodukte und PSA kostenfrei zur Verfügung

Auf die dringende Bitte der Europäischen Kommission haben inzwischen auch die europäischen Normungsorganisationen, das Europäische Komitee für Normung (CEN) und das Europäische Komitee für elektrotechnische Normung (CENELEC) reagiert: In Zusammenarbeit mit ihren Mitgliedern – darunter das Deutsche Institut für Normung (DIN) – stellen sie eine Reihe harmonisierter Normen für bestimmte Medizinprodukte und für wichtige Schutzausrüstungen kostenfrei zur Verfügung. Zur Verfügung gestellten werden beispielsweise harmonisierte Normen für

  • Schutzmasken, darunter Atemschutzmasken, die in drei FFP Klassen unterteilt werden (DIN EN 149:2009-08), und medizinische Gesichtsmasken (DIN EN 14683:2019-10);
  • Augenschutz;
  • Schutzkleidung;
  • Medizinische Handschuhe zum einmaligen Gebrauch und Schutzhandschuhe.

Die Normen stehen auf den Websites der nationalen CEN-Mitglieder zum kostenlosen Download zur Verfügung.

Normalerweise müssen Unternehmen die Normen käuflich erwerben. So wird sichergestellt, dass die unabhängige, privatwirtschaftliche und effiziente Organisation der Normungsarbeit erhalten bleibt.  Die vorübergehende Abweichung von diesem Modell ist im Interesse der Gesundheitssysteme zu begrüßen. Der freie Zugang zu diesen Normen wird sowohl Unternehmen in der EU als auch in Drittstaaten dabei unterstützen, ihre Produktion kurzfristig umzustellen, um Liefer- und Versorgungsengpässen zu begegnen. Die Normen werden Herstellern bei der Produktion eine wertvolle praktische Hilfestellung geben.

Geltungsbeginn der MDR soll um ein Jahr verschoben werden

Gleichzeitig hat die EU-Kommission am 25. März 2020 angekündigt, den unmittelbar bevorstehenden Geltungsbeginn der MDR am 26. Mai 2020 um ein Jahr verschieben zu wollen. Ein entsprechender Vorschlag soll dem Rat und dem Europäischen Parlament in Kürze unterbreitet werden.

Dies sorgt in der Branche für große Erleichterung. Durch die MDR drohten schon vor der COVID-19-Pandemie Engpässe. Benannte Stellen, die – abhängig von der jeweiligen Produktklasse – vom Hersteller an den vorgeschriebenen Konformitätsbewertungsverfahren beteiligt werden müssen, müssen unter der MDR neu zertifiziert werden. Dies führt dazu, dass es noch zu wenige Benannte Stellen gibt, die diese Aufgabe auch unter der MDR übernehmen können. Dieser Engpass würde durch die COVID-19-Pandemie noch verstärkt. Gleichzeitig regelt und verschärft die MDR das Verfahren zur Genehmigung klinischer Prüfungen von Medizinprodukten.

Vor diesem Hintergrund lässt der Vorstoß der EU-Kommission hoffen, dass zusätzliche Versorgungsengpässe in der derzeit ohnehin schon angespannten Lage vermieden werden können.

Fazit: Die EU-Kommission sendet wichtige Signale

Die von der EU-Kommission eingeleiteten Maßnahmen sollen den kurzfristigen Marktzugang für medizinische Geräte und PSA erleichtern. So sollen Liefer- und Versorgungsengpässen vorgebeugt werden. Dies sind wichtige Signale für einen Markt, in dem wegen einer steigenden Nachfrage Produktionskapazitäten kurzfristig hochgefahren werden sollen. Gleichwohl handelt es sich auch unter COVID-19 um streng regulierte Märkte. Für neu in den Markt eintretende Unternehmen ist daher – trotz des vorübergehenden Abbaus bürokratischer Hürden – Vorsicht geboten.

In unserer Blogserie zu „Coronavirus: Handlungsempfehlungen für Unternehmen″ zeigen wir anhand der aktuellen Situation unternehmensbezogene Stolpersteine auf, die in Krisenzeiten zu beachten sind. Bereits erschienen sind Beiträge zu Verhandlungen, Verjährungen und Verfristungen sowie Haftungsfragen bei Absagen von Messen und Veranstaltungen, zum Datenschutz trotz Corona und zu Möglichkeiten von Aktiengesellschaften zur Cash-Ersparnis sowie Vermögensübertragungen zu steuergünstigen Konditionen. In weiteren Beiträgen gehen wir ein auf die Erstellung eines Notfallplans, auf Vertriebsverträge und Tipps für Lieferanten in Krisenzeiten und auf Auswirkungen auf Lebensmittel- und Hygieneverordnungen. Im Anschluss haben wir uns mit der streitigen (gerichtlichen) Auseinandersetzung befasst, sind auf kartellrechtliche Auswirkungen sowie die Bedeutung für den Kapitalmarkt eingegangen. Näher befasst haben wir uns auch mit „infizierten″ Vertragsverhandlungen, den Änderungen in Mittel- und Osteuropa sowie mit klinischen Studien und dem neuen EU-Leitfaden für Sponsoren uns Prüfärzte. Weiter geht es mit Pflichten zur Abgabe der Steuererklärung und eventuell steuerstrafrechtlichen Haftungsrisiken, dem Moratorium für Zahlungsverpflichtungen von Verbrauchern und KleinstunternehmernUnterstützungsmaßnahmen für Start-ups, das Kurzarbeitergeld, sowie den Erleichterungen für Stiftungen und Vereine und GmbH-Gesellschafterbeschlüssen. Es folgten weitere Beiträge zu Kooperationen im Gesundheitswesen und zu Sachspenden an Krankenhäuser, zum Marktzugang für persönliche Schutzausrüstung und Medizinprodukte, zur Beschlagnahmemöglichkeit von Schutzausrüstung durch den Staat und zu Auswirkungen auf laufende IT-Projekte. Zuletzt haben wir auf die Haftung bei betrieblichen Corona-Schutzimpfungsprogrammen hingewiesen.


Aktuelle Informationen zu COVID-19 finden Sie in unserem Corona Center auf unserer Website. Wenn Sie Fragen zum Umgang mit der aktuellen Lage und zu den Auswirkungen für Ihr Unternehmen haben, sprechen Sie unser CMS Response Team jederzeit gerne an.

Tags: Coronavirus Marktzugang Medizinprodukt PSA Schutzausrüstung