Der Kampf gegen COVID-19 lässt Ärzte, Kliniken und Industrie eng zusammenarbeiten. Compliance-Vorgaben setzen eigentlich Grenzen. Was gilt in der Krise?
COVID-19 stellt unser Gesundheitssystem vor immense Herausforderungen. In diesen Zeiten erscheint es wichtiger denn je, dass alle Akteure an einem Strang ziehen. Dazu gehört auch eine enge Kooperation zwischen medizinischen Einrichtungen und Unternehmen der Medizin- sowie Pharmaindustrie. Das soll eine ausreichende Versorgung mit lebenswichtigen Geräten, Schutzausrüstungen und Medikamenten sicherstellen.
Doch wie weit darf das gehen? Gibt untes hier nicht eigentlich strenge Grenzen, gezogen durch Antikorruptionsrecht und Industriekodizes?
Zuwendungen zum Zwecke einer unlauterer Bevorzugung sowie die Annahme solcher Zuwendungen können strafbar sein
Die Kooperation zwischen Leistungserbringern und Unternehmen der Medizinprodukte- und Pharmaindustrie unterliegt strengen Vorschriften. Der Grat zwischen noch zulässiger Kooperation und schon unzulässiger Korruption ist häufig schmal. Besondere Obacht ist geboten, wenn auf Leistungserbringerseite Amtsträger beteiligt sind – wie etwa bei Universitätskliniken oder Kliniken in öffentlicher Hand. Dann kann ohne entsprechende Vorkehrungen und Dokumentation die Grenze zum rechtswidrigen – sogar strafbaren – Verhalten schnell überschritten sein.
Kern der Regelungen zur Healthcare Compliance ist es zu verhindern, dass ein Arzt oder ein Klinikum einen bestimmten Hersteller von Medizinprodukten oder Arzneimitteln deshalb bevorzugt – etwa beim Kauf von Geräten oder bei der Verordnung von Medikamenten – weil er von eben diesem Unternehmen einen Vorteil in Form einer eine Zuwendung erhält.
Das Anbieten oder Gewähren solcher Vorteile zwecks unlauterer Bevorzugung sowie, spiegelbildlich, das Fordern oder Annehmen entsprechender Vorteile sind verboten. Strafbar können solche Handlungen nach §§ 299, 299a und 299b des Strafgesetzbuches sein (StGB), wenn Amtsträger beteiligt sind nach §§ 331 ff. StGB. § 128 des fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) enthält eine ähnliche Regelung. Auch nach dem ärztlichen Berufsrecht ist die Annahme entsprechender Vorteile untersagt. Noch weiter geht das Heilmittelwerbegesetz (HWG). Nach dessen § 7 HWG ist Gewähren von Zuwendungen unter anderem an Fachkreisangehörige im Grundsatz verboten.
Die gesetzlichen Regelungen werden ergänzt von Selbstverpflichtungen der Mitglieder von Branchenverbänden. Diese sind häufig konkreter und kleinteiliger als die gesetzlichen Vorgaben. Beispiele für den Arzneimittelbereich sind der EFPIA Code of Practice auf der europäischen Ebene, der FSA-Kodex auf deutscher Ebene. Für den Bereich der Medizinprodukteindustrie sind zu nennen der Code of Ethical Business Practice des MedTech Europe, in Deutschland der Kodex Medizinprodukte des BVMed.
Unter dem Eindruck der COVID-19 Pandemie werden im Alltag nun häufig Handlungen angefragt, die normaler Weise in Konflikt mit den vorgenannten Vorschriften treten würden. Was tun, um einerseits einem dringenden Bedarf gerecht zu werden, andererseits aber nicht gegen geltendes Recht oder Industriekodices zu verstoßen?
Kooperationsmodelle unter COVID-19 mit Risiken verbunden
Auch eine Krisensituation wie die Corona-Pandemie bewirkt nicht automatisch eine Ausnahme von vertraglichen oder gesetzlichen Verpflichtungen. Daher können Handlungen, die in normalen Zeiten gegen Gesetze und Vorschriften verstoßen würden, weiterhin gegen genau diese verstoßen – selbst wenn die Handlung während einer Ausnahmesituation erfolgt. Außergewöhnliche Umstände dürfen grundsätzlich nicht als Entschuldigung für die Nichteinhaltung von Gesetzen und Vorschriften dienen.
Bei alledem ist auch zu bedenken, dass sich der gesetzliche Rahmen in diesen Zeiten schnell ändern kann – daher ist auch für den Bereich der Healthcare Compliance angezeigt, die rechtliche Situation tagesaktuell zu verfolgen.
Unter dem Eindruck der COVID-19 Pandemie sind derzeit Kooperationsmodelle gefragt, die unter Healthcare Compliance-Gesichtspunkten durchaus risikobehaftet sind.
Dazu gehören:
- Kostenlose vorübergehende Zurverfügungstellung von medizinischen Geräten;
- Kostenlose vorübergehende Software-Lizenzen/Cloud-Service-Abonnements;
- Kostenlose Zurverfügungstellung von Verbrauchsprodukten für den einmaligen/mehrmaligen Gebrauch;
- Kostenlose vorübergehende Zurverfügungstellung von Personal oder Dienstleistungen;
- Zahlungsverzicht oder -aufschub.
Im Normalfall bergen solche Handlungen das Risiko eines Verstoßes gegen Industriekodices – etwa den Kodex Medizinprodukte –, gegen das Zivilrecht – insbesondere § 7 HWG – und sogar gegen das Strafrecht, §§ 299 ff. StGB. Beispiel kostenlose Zurverfügungstellung von medizinischen Geräten: Hier ist mittlerweile allgemein anerkannt, dass Medizinprodukte, wie Beatmungsgeräte, einem Klinikum vom Hersteller grundsätzlich nicht kostenfrei zur Verfügung gestellt werden dürfen, wenn dieser gleichzeitig mit Verbrauchsgütern, etwa Schläuchen oder Mundstücken, Umsatz generiert.
Risiko verringern und Gründe für Unterstützungsleistungen während der Corona-Pandemie dokumentieren
Bei Anlegung eines pragmatischen Ansatzes erscheint es unter Berücksichtigung der gegenwärtigen besonderen Lage notwendig zu sein, bei angedachten Kooperationen mit Unterstützungsleistungen eine lückenlose Dokumentation anzufertigen. Darin enthalten sollte eine entsprechende Begründung mit Blick auf einen dringenden, durch COVID-19 ausgelösten Bedarf und entsprechender klarer zeitlicher Begrenzung sowie eine klare Regelung der Beendigung – etwa der Rücknahme von Geräten.
Um das Risiko zu verringern, nach der COVID-19 Pandemie unangenehme Fragen beantworten zu müssen, sollten Unternehmen der Medizinprodukte- und Arzneimittelindustrie sowie Kliniken ganz besonders die maßgeblichen Grundsätze der Dokumentation, Transparenz, Äquivalenz und Trennung beachten. Das bedeutet vor allem:
- Es sollte auf eine gründliche und vollständige Dokumentation geachtet werden. Dies, um zu zeigen, dass beispielsweise eine kostenlose Zurverfügungstellung von Medizinprodukten nur aufgrund der durch COVID-19 entstandenen Situation zur Deckung eines dringenden Bedarfs erfolgt. Dabei sollte auch dokumentiert werden, dass keinerlei Erwartung besteht, dass die Zurverfügungstellung zu einem bevorzugten Bezug von Waren oder Dienstleistungen führt. Auf die Einholung erforderlicher Genehmigungen, etwa des Dienstherren, sollte bestanden werden.
- Das Transparenzprinzip sollte streng beachtet werden. Es empfiehlt sich also ein offener Umgang mit Anfragen, die im Normalfall Compliance-Bedenken wecken würden.
- In Bezug auf das Äquivalenzprinzip stellt sich das Thema, dass unter Umständen gerade in diesen Notzeiten weniger gezahlt werden soll oder gar eine kostenlose Zurverfügungstellung gefordert wird. Hier greift der Gesichtspunkt der notfallmäßigen Unterstützung wegen des dringenden, in der COVID-19 Situation ausgelösten Bedarfs. Insoweit erscheint eine Abweichung vom Äquivalenzprinzip unter diesen engen Rahmenbedingungen bei entsprechender Dokumentation vertretbar.
- Das Trennungsprinzip ist von entscheidender Bedeutung: Es sollte stets deutlich gemacht werden, dass die Zurverfügungstellung von Materialien oder Dienstleistungen ausschließlich zur Deckung eines notwendigen Bedarfs in der gegenwärtigen COVID-19 bedingten Ausnahmesituation erfolgt und ohne jede Erwartung erfolgt, entweder während der Pandemie noch danach in unsachlicher Weise bevorzugt zu werden.
Fazit: Regeln der Healthcare Compliance sind nicht durch Corona-Pandemie außer Kraft gesetzt
Auch in besonderen Zeiten sind die Vorschriften der Healthcare Compliance zu beachten – sowohl auf Seiten der Industrie als auch auf Seiten der Leistungserbringer. Andererseits sollte und darf Compliance kein Grund sein, in der besonderen, durch COVID-19 verursachten Situation wirklich benötigte Unterstützung und unkomplizierte, zeitlich begrenzte pragmatische Lösungen zu verhindern.
Zur Vermeidung von Missverständnissen und Reduzierung von Compliance-Risiken ist es wichtig, durch unternehmensinterne Prozesse sicherzustellen, dass die oben genannten Kriterien erfüllt werden und insbesondere eine angemessene Dokumentation sichergestellt ist. Das gilt auch für sehr eilige Anfragen oder Aufträge. Auf diese Weise lässt sich zumindest das Risiko von Verstößen reduzieren.
Wie praxisnah diese Erwägungen sind, zeigt eine kürzlich vom MedTech Europe an die Mitglieder gerichtete Guidance, wie in diesen besonderen Zeiten mit den im Kodex enthaltenen Vorgaben umzugehen sei. Der Leitfaden zielt darauf ab, die Rechts- und Compliance-Abteilungen von MedTech-Unternehmen dabei zu unterstützen, dringende Anfragen im Zusammenhang mit der COVID-19-Krise zum Nutzen der Gesellschaft zu beschleunigen. Das und gleichzeitig zu versuchen, die inhärenten Compliance-Risiken zu begrenzen. Mit Augenmaß und zugleich im Bewusstsein, dass die Regeln der Healthcare Compliance durch COVID-19 nicht einfach außer Kraft gesetzt sind.
In unserer Blogserie zu „Coronavirus: Handlungsempfehlungen für Unternehmen″ zeigen wir anhand der aktuellen Situation unternehmensbezogene Stolpersteine auf, die in Krisenzeiten zu beachten sind. Bereits erschienen sind Beiträge zu Verhandlungen, Verjährungen und Verfristungen sowie Haftungsfragen bei Absagen von Messen und Veranstaltungen, zum Datenschutz trotz Corona und zu Möglichkeiten von Aktiengesellschaften zur Cash-Ersparnis sowie Vermögensübertragungen zu steuergünstigen Konditionen. In weiteren Beiträgen gehen wir ein auf die Erstellung eines Notfallplans, auf Vertriebsverträge und Tipps für Lieferanten in Krisenzeiten und auf Auswirkungen auf Lebensmittel- und Hygieneverordnungen. Im Anschluss haben wir uns mit der streitigen (gerichtlichen) Auseinandersetzung befasst, sind auf kartellrechtliche Auswirkungen sowie die Bedeutung für den Kapitalmarkt eingegangen. Näher befasst haben wir uns auch mit „infizierten″ Vertragsverhandlungen, den Änderungen in Mittel- und Osteuropa sowie mit klinischen Studien und dem neuen EU-Leitfaden für Sponsoren uns Prüfärzte. Weiter geht es mit Pflichten zur Abgabe der Steuererklärung und eventuell steuerstrafrechtlichen Haftungsrisiken, dem Moratorium für Zahlungsverpflichtungen von Verbrauchern und Kleinstunternehmern, Unterstützungsmaßnahmen für Start-ups, das Kurzarbeitergeld, sowie den Erleichterungen für Stiftungen und Vereine und GmbH-Gesellschafterbeschlüssen. Es folgten weitere Beiträge zu Kooperationen im Gesundheitswesen und zu Sachspenden an Krankenhäuser, zum Marktzugang für persönliche Schutzausrüstung und Medizinprodukte, zur Beschlagnahmemöglichkeit von Schutzausrüstung durch den Staat und zu Auswirkungen auf laufende IT-Projekte. Zuletzt haben wir auf die Haftung bei betrieblichen Corona-Schutzimpfungsprogrammen hingewiesen.
Aktuelle Informationen zu COVID-19 finden Sie in unserem Corona Center auf unserer Website. Wenn Sie Fragen zum Umgang mit der aktuellen Lage und zu den Auswirkungen für Ihr Unternehmen haben, sprechen Sie unser CMS Response Team jederzeit gerne an.