25. März 2020
Lebensmittel Corona
Coronavirus - Handlungsempfehlungen für Unternehmen Gewerblicher Rechtsschutz

Lebensmittel und Hygiene in der Corona-Krise

Wir zeigen auf, welche Maßnahmen Produktion und Handel treffen sollten und weshalb eine Äußerung des BfR vorsichtig aufatmen lässt.

Lebensmittelproduktion und -handel stehen derzeit vor nie dagewesenen Herausforderungen. Zwar sieht das Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) nach einer aktuellen Äußerung für Verbraucher keinen Handlungsbedarf, der über die allgemeinen Hygienevorkehrungen beim Umgang mit Lebensmitteln hinausgeht.

Gleichwohl enthält die Äußerung Informationen, die für das Hygienemanagement von Lebensmittelunternehmen von Bedeutung sein können. Neben der Sicherung von Versorgungs- und Lieferketten und dem Ausbau von Produktionskapazitäten können im Einzelfall Anpassungen der Hygienemaßnahmen erforderlich werden.

BfR sieht (vorerst) keine Anhaltspunkte für eine Übertragbarkeit des Coronavirus über Lebensmittel

Ein vorsichtiges Aufatmen ist mit Blick auf den zuletzt am 23. März 2020 aktualisierten Fragen- und Antwortenkatalog des BfR erlaubt: Hiernach hält das BfR – gestützt auf aktuelle Untersuchungen der Universitäten Greifswald und Bochum – eine Übertragbarkeit des neuartigen Coronavirus (SARS-CoV-2) über Lebensmittel für unwahrscheinlich.

Im Wesentlichen kommt das BfR zu folgenden Feststellungen:

  • Die Erkenntnisse zu den genauen Übertragungswegen dieses Coronavirus sind noch begrenzt, jedoch liegen Erkenntnisse zu eng verwandten Coronaviren vor.
  • Der wichtigste Übertragungsweg ist die sog. Tröpfchen-Infektion, d.h. eine Übertragung über die Luft.
  • Verschiedene Atemwegserreger können auch per Schmierinfektion, d.h. über die Hände an die Schleimhäute der Nase oder des Auges, übertragen werden.
  • Es gibt derzeit keine nachgewiesenen Fälle, dass sich ein Mensch über den Verzehr von kontaminierten Lebensmitteln infiziert hat.
  • Eine Übertragung über kontaminierte Oberflächen per Schmierinfektion ist aber denkbar, auch wenn dies nur für einen kurzen Zeitraum nach der Kontamination wahrscheinlich ist.
  • Nach ersten Laboruntersuchungen kann nach starker Kontamination bspw. Edelstahl und Plastik länger infektiös bleiben als Karton.
  • Durch Erhitzen von Lebensmitteln kann das Infektionsrisiko zusätzlich weiter verringert werden.
  • Nach derzeitigem Wissensstand, u.a. der Veröffentlichung zur Überlebensfähigkeit der bekannten Coronaviren durch Wissenschaftler der Universitäten Greifswald und Bochum, ist es unwahrscheinlich, dass importierte Lebensmittel Quelle einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus sein könnten.
  • Trotzdem sollten beim Umgang mit Lebensmitteln die allgemeinen Hygieneregeln, wie regelmäßiges Händewaschen, beachtet werden.

Zwar entfalten die Äußerungen des BfR keine rechtliche Bindungswirkung. Trotzdem kommt den Empfehlungen des BfR in der Praxis regelmäßig eine große Bedeutung zu. Stellungnahmen des BfR können Behörden als wichtige Entscheidungshilfe für Maßnahmen und Gerichten mitunter als Orientierungspunkt für Qualitätsstandards dienen (vgl. Teufer, in: Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand 174. EL Juli 2019, 600. Vorbemerkungen Bedarfsgegenstände Rn. 20).

In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass das BfR auf die bisher noch begrenzten Erkenntnisse hinweist und die Informationen damit nur vorläufigen Charakter aufweisen. Gleichwohl dürften die Feststellungen des BfR zumindest einstweilen eine tatsächliche Orientierungshilfe bieten, zumal auch die European Food Safety Authority (EFSA) die Einschätzung des BfR teilt. Da das BfR die Antworten regelmäßig aktualisiert, sollten sie ständig im Auge behalten werden, um im Falle einer Änderung der Einschätzung entsprechend reagieren zu können

Hygienerecht verlangt vom Unternehmer „dynamische“ Anpassungen

Mit Blick auf die rechtlichen Anforderungen ist zu beachten, dass das Lebensmittelhygienerecht nicht nur starre Hygienestandards definiert. Vielmehr können Lebensmittelunternehmer (Produktion, Vertrieb und Handel) im Einzelfall auch zur Anpassung ihrer Hygienemaßnahmen an aktuelle Gefahrenquellen oder -situationen verpflichtet sein.

Deutlich wird das mit Blick auf den im Anhang zur EU-Lebensmittelhygiene-Verordnung (VO (EG) Nr. 852/2004) definierten Pflichtmaßnahmen-Katalog. Hiernach müssen beispielsweise Betriebsstätten, in denen mit Lebensmitteln umgegangen wird, so angelegt sein, dass aerogene Kontaminationen, also die Übertragung von Erregern über die Luft, vermieden werden (Anhang II Kap. I Ziff. 2 lit. c, Kap II der EU-Lebensmittelhygiene-VO). Die hiernach erforderlichen Maßnahmen zur Vermeidung einer Kontamination sind mit der Corona-Krise gestiegen, sodass im Einzelfall Anpassungsbedarf bestehen kann.

Darüber hinaus enthält das Hygienerecht zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe. So werden vom Lebensmittelunternehmer z.B. Hygienemaßnahmen verlangt, „die zur Erreichung der Ziele dieser Verordnung gesetzt worden sind“ (Art. 4 Abs. 3 lit. b EU-Lebensmittelhygiene-VO). Nicht weniger unbestimmt sind die in den Anhängen der Verordnung mehrfach auftauchenden Begriffe „Gute Hygienepraxis“ und „Gute Lebensmittelhygiene“.

Die Unbestimmtheit bzw. Auslegungsfähigkeit dieser Regelungen und Begriffe erlauben es den Behörden und Gerichten, an die aktuellen Gegebenheiten angepasste Maßnahmen zu ergreifen. Gleichzeitig verlangen sie von Lebensmittelunternehmern eine entsprechende Kontrolle und ggf. Anpassung ihrer Hygienevorkehrungen.

Für die Bestimmung dieser hygienerechtlichen Anforderungen sind insbesondere auch die aktuellen Erkenntnisse der Wissenschaft maßgebend (vgl. Rathke/Sosnitza, in Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Werkstand: 174. EL Juli 2019, Art. 4 EU-Lebensmittelhygiene-VO Rn. 7). Insofern ergibt sich angesichts der vorgenannten Erkenntnisse von BfR und EFSA ein einzelfallabhängiger Handlungsbedarf im Bereich des Lebensmittelschutzes, in jedem Fall aber im Bereich des Mitarbeiter- und Kundenschutzes.

Handlungsempfehlungen für die Lebensmittelproduktion in Zeiten der Corona-Pandemie

Das BfR-Papier lässt keine grundsätzlich gesteigerten Anforderungen an die Hygiene in der Lebensmittelproduktion erkennen – vielmehr wird auf die Einhaltung der ohnehin auch im Normalbetrieb sinnvollen und erforderlichen Hygienemaßnahmen verwiesen.

Kommt es zu einem Kontakt mit einem COVID-19-Patienten, der beispielsweise Teil der Belegschaft ist, so gelten für das Risiko der Infizierung anderer Mitarbeiter die allgemeinen Vorgaben des RKI und der Gesundheitsämter. Für die Frage aber, ob auch die bearbeiteten Lebensmittel tauglicher Übertragungsweg des Virus wären und damit ihrerseits als unsicher und damit nicht verkehrsfähig zu bewerten wären, gibt das BfR nun Anhaltspunkte: Während generell die Wahrscheinlichkeit eines solchen Übertragungsweges als allenfalls für einen „kurzen Zeitraum“ im Wege einer Schmierinfektion als möglich bewertet wird, sind im konkreten Einzelfall die Produkt- und Verpackungsbesonderheiten zu berücksichtigen – gekühlte Lebensmittel können eher Risiken aufweisen als erhitzte Lebensmittel, Kartonverpackungen sind weniger lang infektiös als Plastik.

Wie immer kommt es daher auch hier auf den Einzelfall an.

Handlungsempfehlungen für den Lebensmittelhandel in Zeiten der Corona-Pandemie

Der Lebensmitteleinzelhandel hat insbesondere zum Schutz seiner Mitarbeiter schon vor Tagen zu erweiterten Schutzmaßnahmen wie Abdeckungen im Kassenbereich gegriffen, die insbesondere der Vermeidung der Übertragung des Virus von Mensch zu Mensch dienen.

Weitere Maßnahmen wie Abstandsmarkierungen an Bedientheken und der Verzicht auf kundenseitig mitgebrachte Verpackungsmaterialien dienen dem Schutz der Mitarbeiter und der angebotenen Lebensmittel gleichermaßen. Kommt es zu Infektionen der Mitarbeiter mit Lebensmittelkontakt, so muss darüber hinaus unter Anwendung der o.g. Kriterien im Einzelfall geprüft werden, ob diese Infektion Auswirkungen auf die Sicherheit der Lebensmittel haben kann.

In unserer Blogserie zu „Coronavirus: Handlungsempfehlungen für Unternehmen″ zeigen wir anhand der aktuellen Situation unternehmensbezogene Stolpersteine auf, die in Krisenzeiten zu beachten sind. Bereits erschienen sind Beiträge zu Verhandlungen, Verjährungen und Verfristungen sowie Haftungsfragen bei Absagen von Messen und Veranstaltungen, zum Datenschutz trotz Corona und zu Möglichkeiten von Aktiengesellschaften zur Cash-Ersparnis sowie Vermögensübertragungen zu steuergünstigen Konditionen. In weiteren Beiträgen gehen wir ein auf die Erstellung eines Notfallplans, auf Vertriebsverträge und Tipps für Lieferanten in Krisenzeiten und auf Auswirkungen auf Lebensmittel- und Hygieneverordnungen. Im Anschluss haben wir uns mit der streitigen (gerichtlichen) Auseinandersetzung befasst, sind auf kartellrechtliche Auswirkungen sowie die Bedeutung für den Kapitalmarkt eingegangen. Näher befasst haben wir uns auch mit „infizierten″ Vertragsverhandlungen, den Änderungen in Mittel- und Osteuropa sowie mit klinischen Studien und dem neuen EU-Leitfaden für Sponsoren uns Prüfärzte. Weiter geht es mit Pflichten zur Abgabe der Steuererklärung und eventuell steuerstrafrechtlichen Haftungsrisiken, dem Moratorium für Zahlungsverpflichtungen von Verbrauchern und KleinstunternehmernUnterstützungsmaßnahmen für Start-ups, das Kurzarbeitergeld, sowie den Erleichterungen für Stiftungen und Vereine und GmbH-Gesellschafterbeschlüssen. Es folgten weitere Beiträge zu Kooperationen im Gesundheitswesen und zu Sachspenden an Krankenhäuser, zum Marktzugang für persönliche Schutzausrüstung und Medizinprodukte, zur Beschlagnahmemöglichkeit von Schutzausrüstung durch den Staat und zu Auswirkungen auf laufende IT-Projekte. Zuletzt haben wir auf die Haftung bei betrieblichen Corona-Schutzimpfungsprogrammen hingewiesen.


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