Aufatmen bei Banken und Sparkassen: Dass ein Sparbuch unauffindbar ist, ist ein Indiz dafür, dass das Guthaben ausgezahlt und das Konto aufgelöst wurde.
Vor einem Jahr haben wir von einem Urteil des OLG Dresden berichtet. Der Bundesgerichtshof hat über die Revision der Sparkasse entschieden.
Kreditinstitute müssen bereits erfolgte Auszahlung des Sparguthabens beweisen
Im Dezember 1998, beim Tod des Kontoinhabers, waren auf einem Sparbuch DM 100.000. Zwei Jahrzehnte später verlangte eine der Töchter, die Erbinnen geworden waren, von der Sparkasse die Auszahlung des Guthabens. Die Sparkasse wandte ein, das Guthaben bereits vor vielen Jahren ausgezahlt und das Konto danach aufgelöst zu haben. Wer das Geld erhalten habe, könne sie nicht sagen, weil sie zu jedem Konto alle Unterlagen zehn Jahre nach der Auflösung vernichte. Nach ständiger Rechtsprechung muss das Kreditinstitut beweisen, dass es den Auszahlungsanspruch erfüllt hat. Dies beruht auf dem Gedanken, dass sich Kreditinstitute gegen eine doppelte Auszahlung schützen können, indem sie nur gegen Vorlage des Sparbuchs leisten und nach der Auszahlung das Sparbuch entwerten.
Im vorliegenden Fall wurde das Sparbuch für kraftlos erklärt
Der vorliegende Fall weist eine Besonderheit auf: Die Klägerin, die von der Sparkasse die DM 100.000 verlangt, kann das Sparbuch nicht vorlegen, weil es unauffindbar ist. Sie hat aber ein Dokument, das dem Sparbuch „ebenbürtig“ ist. Gemeinsam mit ihren Schwestern, den Miterbinnen, hatte sie vor einigen Jahren das Sparbuch vom Amtsgericht für kraftlos erklären lassen. Der Ausschließungsbeschluss hat im Rechtsverkehr dieselbe Wirkung wie das Sparbuch (§ 479 Abs. 1 FamFG). Wer der Sparkasse den Ausschließungsbeschluss vorlegt, hat dieselben Rechte wie der Vorleger des Sparbuchs.
Kreditinstitut wurde im vorliegenden Fall am Aufgebotsverfahren nicht beteiligt
Besonders misslich für die Sparkasse: Das Amtsgericht hatte sie im Aufgebotsverfahren als Antragsgegnerin erfasst, aber vergessen, ihr den Antrag zuzustellen. Wäre die Sparkasse benachrichtigt worden, hätte sie schon im Aufgebotsverfahren einwenden können, dass sie das Sparguthaben vor vielen Jahren ausgezahlt habe. Der Ausschließungsbeschluss wäre dann vielleicht nicht ergangen (§ 440 FamFG). Jedenfalls hätte die Sparkasse damals womöglich noch Unterlagen gehabt, die die Auszahlung des Guthabens bewiesen hätten.
OLG Dresden hatte Verlust des Sparbuchs keine Bedeutung beigemessen
Das OLG Dresden (Urteil v. 30. Juli 2020 – 8 U 1827/19) hatte dem Umstand, dass das Sparbuch unauffindbar war, keine Bedeutung beigemessen und gemeint, auch in diesem Fall müsse die Sparkasse die schon erfolgte Auszahlung des Guthabens beweisen. Zwar sei es möglich, dass das Guthaben ausgezahlt und das Sparbuch anschließend vernichtet worden sei. Gegen das Risiko, das Guthaben zweimal auszuzahlen, könnten sich Banken und Sparkassen aber dadurch schützen, dass sie bereits im Aufgebotsverfahren vortrügen, das Konto sei längst aufgelöst. Dass im vorliegenden Fall das Amtsgericht vergessen habe, der Sparkasse den Antrag auf Kraftloserklärung zuzuleiten, ändere hieran nichts. Das Aufgebot sei ordnungsgemäß öffentlich bekannt gemacht worden, nämlich durch Veröffentlichung im Bundesanzeiger. Hätte sie den Bundesanzeiger gelesen, hätte die Sparkasse von der beabsichtigten Kraftloserklärung erfahren.
BGH hat der Unauffindbarkeit des Sparbuchs Bedeutung beigemessen
Der BGH (Urteil v. 18. Januar 2022 – XI ZR 380/20) war anderer Ansicht: Zwar sei das OLG zu Recht davon ausgegangen, dass das Kreditinstitut die volle Beweislast für die schon erfolgte Auszahlung des Guthabens trage und dies auch in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem das Sparbuch für kraftlos erklärt worden sei, gelte. Die Kraftloserklärung sei aber im Rahmen der Gesamtwürdigung aller Umstände des Falls (§ 286 ZPO) zu berücksichtigen. Denn die Kraftloserklärung beweise, dass das Sparbuch unauffindbar sei, und die Unauffindbarkeit sei ein starkes Indiz dafür, dass das Guthaben ausgezahlt und die Sparurkunde danach entwertet oder vernichtet worden sei. Dies gelte unabhängig davon, ob das Kreditinstitut am Aufgebotsverfahren beteiligt worden sei.
Auch im Übrigen habe das OLG zu Unrecht wichtigen Indizien keine oder eine falsche Bedeutung beigemessen. Außer Acht gelassen habe es, dass die Klägerin in dem 1999 von ihr erstellten Nachlassverzeichnis das Sparguthaben mit etwa DM 100.000 angegeben habe, sie also schon damals Kenntnis von dem Konto gehabt habe. Hieraus folge, dass ihre im Aufgebotsverfahren abgegebene eidesstattliche Versicherung, sie habe erst 2014 von dem Sparkonto erfahren, unwahr sein müsse. Auch im Übrigen habe sich die Klägerin widersprüchlich verhalten. Sie habe 1999, kurz nach dem Tod des Erblassers, mit Nachdruck dafür gekämpft, dass die Sparkasse dem Girokonto des Erblassers DM 3.000 wieder gutschrieb. Den Betrag hatte die Sparkasse unbefugt dem Neffen der Klägerin (der nicht Erbe geworden war) ausgezahlt, weil er einer Sparkassenmitarbeiterin vorgegaukelt hatte, das Geld stehe ihm zu. Wenn die Klägerin 1999 bei einem so geringen Betrag ihr Recht durchgesetzt habe, sei nicht nachvollziehbar, warum sie nicht schon damals die Auszahlung der DM 100.000 von der Sparkasse verlangt habe. Denn immerhin beweise das von ihr erstellte Nachlassverzeichnis, dass sie schon damals Kenntnis von dem hohen Sparguthaben gehabt habe.
BGH verwies die Sache an das OLG Dresden zurück
All diese Indizien, so der BGH, könnten in der Gesamtschau den Schluss zulassen, dass die Sparkasse schon 1999 die DM 100.000 entweder an die Klägerin ausgezahlt habe oder dass sie sie an eine der Miterbinnen ausgezahlt habe und die Klägerin hiervon wisse, also im Prozess bewusst die Unwahrheit vorgetragen habe. Hierfür könnte auch sprechen, dass zwei Miterbinnen in früheren Prozessen Angaben machten, im vorliegenden Verfahren aber von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machten. Fest steht, dass eine Miterbin kurz nach dem Tod des Erblassers ein Schließfach bei der Sparkasse eröffnete. Darüber, was sie dort aufbewahrte, wollte sie nie Auskunft erteilen.
Damit eine fehlerfreie Beweiswürdigung unter Berücksichtigung aller Indizien erfolgen kann, verwies der BGH die Sache an das OLG Dresden zurück, übrigens an einen anderen Zivilsenat. Dies ist üblich, wenn nach Ansicht des BGH so schwere Rechtsfehler begangen wurden, dass das Gericht in völlig neuer Besetzung über den Fall entscheiden soll. Im zweiten Durchgang muss das OLG Dresden nun erneut über die Frage entscheiden, ob das Sparguthaben ausgezahlt wurde oder nicht.
Banken und Sparkassen können aufatmen
Für Kreditinstitute ist mit dem Urteil viel gewonnen. Sie sollten weiterhin Sparguthaben nur gegen Vorlage der Sparurkunde auszahlen, die Auszahlung im Sparbuch vermerken und bei Auflösung des Kontos das Sparbuch entwerten oder vernichten. Dabei können sie nun darauf vertrauen, dass in einem Prozess die Unauffindbarkeit des Sparbuchs ein Indiz dafür ist, dass das Guthaben ausgezahlt wurde. Kommt es zum Prozess, sollten Banken und Sparkassen den Sachverhalt gründlich aufklären. Im vorliegenden Fall kam es der Sparkasse zugute, dass so viele Indizien ans Tageslicht kamen, die gegen die Glaubwürdigkeit der Klägerin sprachen, etwa der Umstand, dass sie über den Zeitpunkt, in dem sie erstmals von dem Sparkonto erfuhr, nachweislich falsche Angaben gemacht hatte.