Der CMS Umwelt- und Planungsrechtstag am 28. März 2019 stand im Zeichen aktueller Fragen bei komplexen Zulassungsverfahren für industrielle und Infrastrukturvorhaben.
Der Vormittag des CMS Umwelt- und Planungsrechtstags war den materiell-rechtlichen Entwicklungen im Wasserrecht und im Natur- und Artenschutzrecht gewidmet. Der Nachmittag legte den Schwerpunkt auf die Verfahrenspraxis.
Praxisfragen des wasserrechtlichen Fachbeitrags in der Vorhabenzulassung
(Vortrag von Dr. Insa Nutzhorn)
Den Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie entsprechend dient der wasserrechtliche Fachbeitrag allein der Untersuchung, ob das geplante Vorhaben den wasserrechtlichen Bewirtschaftungszielen, also dem Verschlechterungsverbot und dem Verbesserungsgebot, entgegensteht. Es geht also nicht um eine umfängliche Prüfung des Schutzgutes Wasser.
Zur Bewertung des maßgeblichen Ist-Zustands kann grundsätzlich auf den Bewirtschaftungsplan zurückgegriffen werden. Ausgehend vom Ist-Zustand muss der vorhabenbedingte Prognosezustand für jeden in Rede stehenden Wasserkörper und alle in Rede stehenden Qualitätskomponenten sowie Umweltqualitätsnormen ermittelt werden. Dabei ergibt sich in der Praxis häufig das Problem fehlender anerkannter Fachkonventionen und teilweise fehlender, falscher oder veralteter Daten in den Bewirtschaftungsplänen.
Unklarheiten und Mängel gehen zu Lasten der Vorhabenträger, die die notwendigen Untersuchungen und Bewertungen in der Praxis selbst vornehmen müssen. Es empfiehlt sich daher, die angewandte Methodik im Vorfeld mit der Behörde abzustimmen und auf eine nachvollziehbare Darstellung und Begründung der Methodik im Fachbeitrag zu achten. Auch in Bezug auf das Verbesserungsgebot sollte man bei der Prüfung von den Festsetzungen in Bewirtschaftungsplänen und Maßnahmenprogrammen ausgehen. Das Primat der Bewirtschaftungsplanung führt ferner dazu, dass keine Summationsbetrachtungen erforderlich sind.
Es lohnt auch, einen pragmatischen Umgang mit Ausnahmen von den Bewirtschaftungszielen zu entwickeln. Im Zweifel sollten Vorhabenträger die Voraussetzungen einer vorhabenbezogenen Ausnahme im wasserrechtlichen Fachbeitrag darlegen. Ein Ausnahmeantrag muss nicht explizit gestellt werden. Auch eine Ausnahme entbindet jedoch nicht von der fehlerfreien Erfassung und Bewertung der Vorhabenauswirkungen.
Änderungen nach Zulassung: Natur- und Artenschutz vs. Bestandsschutz?
(Vortrag von Dr. Neele Ann Christiansen und Dr. Ursula Steinkemper)
Ob und unter welchen Voraussetzungen sich eine Vorhabenzulassung auch nach Erteilung der Genehmigung gegenüber dem Natur- und Artenschutzrecht durchsetzen kann, hängt maßgeblich von der Reichweite der konkreten Genehmigung ab.
Die Genehmigung bezieht sich auf das in den Antragsunterlagen konkret beschriebene und damit verbindlich definierte Vorhaben. Zudem stellt die Vorhabenzulassung dessen Vereinbarkeit mit den von der Behörde zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorgaben fest. Sofern Natur- und Artenschutz also Teil des Prüfprogramms der Vorhabenzulassung waren, vermittelt die Genehmigung Bestandsschutz und kann daher auf gesetzlicher Grundlage und unter engen Voraussetzungen eingeschränkt oder aufgehoben werden.
Sofern der Artenschutz im Genehmigungsverfahren zu prüfen war, sind übersehene Arten von der Genehmigungswirkung umfasst. Die Genehmigung ist bei einer unzureichenden Prüfung der sich stellenden Fragen zwar – allerdings nur innerhalb der Anfechtungsfristen – anfechtbar, aber wirksam. Auch nachträglich eingewanderte oder nachträglich unter Schutz gestellte Arten lassen die Genehmigung an sich unangetastet. Der nachträglich aufgetretene artenschutzrechtliche Konflikt muss aber gelöst werden. Sofern das Vorhaben tatsächlich die etwaige Verletzung eines artenschutzrechtlichen Verbotstatbestandes bzw. einen Umweltschaden im Sinne des Umweltschadensgesetzes (USchadG) verursacht hat, steht eine entsprechende Verantwortlichkeit und Haftung des Vorhabenträgers im Raum. Im Einzelfall kann eine Ausnahmegenehmigung weiterhelfen.
Aufgrund des noch strengeren Schutzregimes besteht bei einer nachträglichen Unterschutzstellung eines Flora-Fauna-Habitat (FFH)-Gebietes – prominentes Beispiel ist hier die Dresdener Waldschlösschenbrücke – nach der Rechtsprechung des EuGH zwar keine Pflicht zu einer nachträglichen FFH-Verträglichkeitsprüfung. Allerdings folgt aus Art. 6 Abs. 2 FFH-Richtlinie, § 33 BNatSchG letztlich eine Durchbrechung des Vertrauensschutzes. Denn nach der Rechtsprechung des EuGH folgt aus der so geregelten staatlichen Schutzpflicht letztlich die Pflicht zur Überprüfung, ob wegen Veränderungen, also z.B. durch Bau oder Inbetriebnahme eines bereits vor Geltung des FFH-Regimes zugelassenen Vorhabens, geeignete Schutzmaßnahmen ergriffen werden müssen, um eine Verschlechterung sowie Störungen des FFH-Gebietes zu vermeiden.
Für eine Einschränkung oder Aufhebung der Vorhabenzulassung ist jedoch eine entsprechende gesetzliche oder bereits in der Genehmigung vorbehaltene Ermächtigungsgrundlage erforderlich. Ein in der Praxis häufig vorkommender allgemeiner Auflagen- oder Anordnungsvorbehalt reicht hierfür regelmäßig nicht aus, da solche Vorbehalte die Voraussetzungen des behördlichen Einschreitens meist nicht hinreichend klar benennen.
Im Ergebnis können daher nachträgliche Vermeidungs- oder Schutzauflagen oder auch betriebsbeschränkende Anordnungen grundsätzlich nur auf die Vorschriften zu (Teil-)Rücknahme und -Widerruf gestützt werden. Die Referentinnen wiesen auf die jüngere Rechtsprechung hin, die auch § 10 USchadG als Ermächtigungsgrundlage erwogen und auf dessen Basis entsprechende Umweltverbandsklagen zugelassen hat.
Der Vortrag schloss mit der Diskussion von Gestaltungs- und Vorsorgemöglichkeiten, mit denen der Vorhabenträger etwaige natur- und artenschutzrechtliche Konflikte vermeiden oder Risiken bei seinem Projekt abwenden kann.
Werkstattbericht von Lüneburg bis Leipzig – effektive Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung
(Vortrag von Rolf Rockitt, Leiter der Stabstelle Planfeststellung der Niedersächsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr, und von Dr. Christiane Kappes)
Die Erfahrung mit der Verteidigung von Planfeststellungsbeschlüssen vor Gericht zeigt, dass Oberverwaltungsgerichte und insbesondere das Bundesverwaltungsgericht stets sehr gut auf die mündliche Verhandlung vorbereitet sind. Für Vorhabenträger und Zulassungsbehörden ist daher eine mindestens ebenso intensive Vorbereitung unerlässlich, um die bestehenden Möglichkeiten, die Vorhabenzulassung im gerichtlichen Verfahren zu verteidigen, nutzen und die Grenzen der Verteidigungsmöglichkeiten erkennen zu können.
Eine Fehlerheilung, etwa durch einen nachträglichen Sachvortrag oder eine Änderung der beklagten Zulassung, ist zwar grundsätzlich noch im Gerichtsverfahren möglich. Einschränkungen ergeben sich aber aus den Vorschriften der Öffentlichkeitsbeteiligung und aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur FFH-Verträglichkeitsprüfung sowie nun auch zur Prüfung des wasserrechtlichen Verschlechterungsverbots im behördlichen Zulassungsverfahren.
Es empfiehlt sich z.B. die Vorbereitung der Verhandlungssituation durch Rollenspiele, die lückenlose inhaltliche Vorbereitung auf alle bekannten und antizipierbaren rechtlichen und tatsächlichen Fragen, die Klärung der Schnittstellen der verschiedenen Fachgutachter sowie die Abstimmung mit den weiteren Prozessbeteiligten. Protokollerklärungen oder Reaktionen auf zu erwartende Anträge der Klägerseite sollten schon im Vorfeld so umfangreich wie möglich vorbereitet werden. Neben einer gründlichen Vorbereitung ist die intensive Abstimmung innerhalb des jeweiligen Teams, aber auch zwischen Vorhabenträger und Behörde ein zentraler Faktor für eine erfolgreiche mündliche Verhandlung. Auch die Simulation einer Verhandlung mit allen Beteiligten kann eine sinnvolle Ergänzung der Vorbereitung sein.
Beschleunigung und Gestaltung von Zulassungsverfahren
Den Abschluss des Programms bildete eine Podiumsdiskussion zum Thema „Beschleunigung und Gestaltung von Zulassungsverfahren″. Unter Moderation von Dr. Fritz von Hammerstein, diskutierten hierzu Rolf Rockitt als Vertreter der niedersächsischen Planfeststellungsbehörde, Dr. Reinhard Ruge, Stellvertretender Leiter Recht bei der 50Hertz Transmission GmbH, der die Sichtweise der Vorhabenträger vertrat, und aus der Perspektive der Rechtsberatung Dr. Christian Scherer-Leydecker.
Eingangs informierte Dr. Christian Scherer-Leydecker über die Vorgeschichte und die maßgeblichen Regelungen des kürzlich in Kraft getretenen Planungsbeschleunigungsgesetzes für den Verkehrsbereich. Er äußerte anhand mehrerer Beispiele die Befürchtung, dass die Regelungen nicht nur kaum zu einer Beschleunigung beitragen dürften, sondern sogar zu neuen Rechtsunsicherheiten führen werden, wie etwa hinsichtlich der Frage der Anwendbarkeit des Vergaberechts bei der Beauftragung eines Projektmanagers. Zudem wies er darauf hin, dass die maßgeblichen Treiber, die Planungs- und Genehmigungsverfahren in die Länge ziehen, die strengen Anforderungen des materiellen Natur- und Gewässerschutzrechts und die gesteigerten Klagemöglichkeiten sind, die Veränderungen auf EU-Ebene erforderten.
Dr. Reinhard Ruge schilderte in seinem Eingangsstatement die gesetzgeberischen Bemühungen um eine Beschleunigung von Planungsverfahren für den Stromnetzausbau. Er skizzierte insbesondere die Novelle des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes (NABEG 2.0), die sich zurzeit im Gesetzgebungsverfahren befindet. Diese sieht vor, dass etwa durch vorausschauende Planung (z.B. Verlegen von Leerrohren), durch Verzicht auf eine Umweltverträglichkeitsprüfung in bestimmten Fällen des Anzeigeverfahrens oder durch den ausgeweiteten Einsatz von Projektmanagern Beschleunigungseffekte erzielt werden sollen. Dr. Reinhard Ruge sah ein Beschleunigungspotential auch darin, umweltfachliche Methoden allgemeinverbindlich abzustimmen und zu standardisieren. Hieran sollten Vorhabenträger beteiligt werden, damit auch die praktischen Wirkungen solch umweltfachlicher Methoden auf die Vorhabenplanung frühzeitig berücksichtigt werden. Er berichtete über die erfolgreiche Initiative, auf einer von 50Hertz organisierten Fachtagung mit verschiedenen Beteiligten neue methodische Standards beim Vogelschutz kontrovers zu diskutieren. Einen guten Beitrag zur Beschleunigung könnten die im Abschlussbericht zum Innovationsforum Planungsbeschleunigung 2017 des BMVI erarbeiteten materiell-rechtlichen Anpassungsvorschläge leisten.
Rolf Rockitt stellte seine Erfahrungen mit dem Einsatz von Projektmanagern in energiewirtschaftlichen Planfeststellungsverfahren dar und hob deren Bedeutung für die zügige Verfahrensdurchführung angesichts knapper personeller Kapazitäten positiv heraus.
An die Impulsbeiträge schloss sich eine lebhafte Diskussion mit den Teilnehmern der Veranstaltung an. Im Zentrum der Diskussion stand die Frage, worin die entscheidenden Hemmnisse für eine zügige Durchführung von Planfeststellungsverfahren bestehen und wie diese ausgeräumt werden können. Als Kernproblem wurde die immer weiter zunehmende materiell-rechtliche Prüfungstiefe der Gerichte identifiziert. Sie löse bei Vorhabenträgern und Behörden die Tendenz aus, bereits vorsorglich strenge Prüfungsmaßstäbe anzulegen und extrem ausdifferenzierte Antragsunterlagen und Gutachten zu fordern. Der praktische Nutzen dieses zeitaufwendigen Vorgehens sei häufig gering. Deutschland gehe damit in der EU einen Sonderweg. Die anwesenden Behördenvertreter empfahlen, die Antragsunterlagen sorgfältig vorzubereiten, weil sich durch Fehler und Korrekturbedarf unnötige Verzögerungen ergeben. Kontrovers wurde diskutiert, ob die im Ausland mitunter praktizierte Planung per Gesetz einen gegenüber dem deutschen Planfeststellungsverfahren vorzugswürdigen Weg bietet.
Zwar konnte zu diesen grundlegenden Fragen nicht in jeder Hinsicht ein einheitlicher Standpunkt gefunden werden. Einigkeit bestand aber darin, dass die Verfahrensdauer und die Chance, die Vorhabenzulassung auch im Gerichtsverfahren erfolgreich verteidigen zu können, auch von regionalen Unterschieden in der Behördenpraxis geprägt werden. Dabei kamen die teilweise unzureichende personelle Ausstattung, die Anforderungen an einzureichende Unterlagen und behördliche Beschleunigungsbemühungen (z.B. durch frühe Abstimmungstermine, die frühzeitige Durchsicht der zur Einreichung vorgesehenen Unterlagen sowie die Einbindung professioneller Projektsteuerer) zur Sprache. Die Teilnehmer stimmten überein, dass eine frühzeitige eingehende Analyse aller betroffenen Interessen, das offene Gespräch mit Betroffenen sowie eine möglichst frühzeitige Abstimmung zwischen Behörde und Vorhabenträger sinnvoll sind, um ein Infrastrukturprojekt in einem überschaubaren Zeitraum umzusetzen.