Bundesverfassungsgericht stoppt die Beschlussfassung des Deutschen Bundestages über die Novelle des Gebäudeenergiegesetzes in der Juli-Sitzungswoche.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 5. Juli 2023 (Az. 2 BvE 4/23) angeordnet, dass der Deutsche Bundestag über die 2. Novelle des Gebäudeenergiegesetzes (Gesetzentwurf der Bundesregierung zur „Änderung des Gebäudeenergiegesetzes, zur Änderung der Heizkostenverordnung und zur Änderung der Kehr- und Überprüfungsordnung“ [BT-Drs. 20/6875]) nicht in der bis zum 7. Juli 2023 laufenden Sitzungswoche abschließend beraten und beschließen durfte. Der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ging ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung des Abgeordneten Thomas Heilmann im Rahmen eines Organstreitverfahrens voraus.
Die Novellierung des Gebäudeenergiegesetzes – in der medialen Berichterstattung häufig auch als Heizungsgesetz bezeichnet – ist in der öffentlichen Debatte im Frühjahr 2023 inhaltlich kontrovers diskutiert worden. Das unmittelbare Eingreifen des Bundesverfassungsgerichts in ein laufendes Gesetzgebungsverfahren ist ein weitreichender und eher seltener Vorgang. Die Entscheidung fand ein breites Medienecho und hat zu einer zeitlichen Verzögerung des Gesetzgebungsvorhabens der Bundesregierung geführt.
Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens zur 2. Novelle des Gebäudeenergiegesetzes
Das Gesetzgebungsverfahren zur 2. Novelle des Gebäudeenergiegesetzes lief in zeitlicher Hinsicht wie folgt ab:
- 19. April 2023: Beschluss des Bundeskabinetts zur Einbringung des Gesetzentwurfs zur Änderung des Gebäudeenergiegesetzes;
- 20. April 2023: Übersendung des Gesetzentwurfs an den Bundesrat (BR-Drs. 170/23);
- 12. Mai 2023: Stellungnahme des Bundesrates;
- 17. Mai 2023: Einbringung des Gesetzentwurfs in den Deutschen Bundestag (BT-Drs. 20/6875);
- 13. Juni 2023: Veröffentlichung eines zweiseitigen Papieres der Koalitionsfraktionen mit dem Titel „Leitplanken […] zur weiteren Beratung des Gebäudeenergiegesetzes“;
- 15. Juni 2023: Erste Lesung im Deutschen Bundestag und Überweisung an den Ausschuss für Klimaschutz und Energie;
- 21. Juni 2023: Erste Sachverständigenanhörung im Ausschuss für Klimaschutz und Energie;
- 27. Juni 2023: Sondersitzung des Ausschusses für Klimaschutz und Energie und Festlegung einer zweiten Sachverständigenanhörung auf den 3. Juli 2023;
- 30. Juni 2023: Die Koalitionsfraktionen legen dem Ausschuss für Klimaschutz und Energie eine „Formulierungshilfe des BMWK für einen Änderungsantrag“ vor (94 Seiten Synopse und 14 Seiten Begründung);
- 3. Juli 2023: Zweite Sachverständigenanhörung im Ausschuss für Klimaschutz und Energie;
- 4. Juli 2023: Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen im Ausschuss für Klimaschutz und Energie;
- 5. Juli 2023: Ausschusssitzung des Ausschusses für Klimaschutz und Energie;
- 7. Juli 2023: Ursprünglich beabsichtigt: Zweite und dritte Lesung zur 2. Novelle des Gebäudeenergiegesetzes im Deutschen Bundestag.
Durch die einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Juli 2023 wurde die zweite und dritte Lesung in der Sitzungswoche bis zum 7. Juli 2023 untersagt und das Gesetzesvorhaben einstweilen gestoppt. Der Antragsteller hatte ursprünglich beantragt, den Abgeordneten des Deutschen Bundestages eine Vorbereitungszeit von 14 Tagen einzuräumen. Eine konkrete Zeitspanne für die Vorbereitungszeit sprach das Bundesverfassungsgericht den Abgeordneten des Deutschen Bundestages jedoch nicht zu.
Wesentliche Aussagen des Bundesverfassungsgerichts
Im Rahmen seines Beschlusses vom 5. Juli 2023 hat das Bundesverfassungsgericht über die Untersagung der Beschlussfassung in der laufenden Sitzungswoche hinaus noch keine abschließenden rechtlichen Beurteilungen getroffen. Dies bleibt der Hauptsache im Organstreitverfahren vorbehalten.
Dieser beschränkte Prüfungsumfang ist der Natur des Eilverfahrens geschuldet. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Juli 2023 ist eine einstweilige Anordnung nach § 32 BVerfGG. Bei diesem Verfahren handelt es sich um ein Nebenverfahren des Verfassungsprozessrechts, in dem das Bundesverfassungsgericht eine vorläufige Regelung treffen kann. Hierbei findet allein eine Folgenabwägung und keine abschließende verfassungsrechtliche Prüfung statt. Ob der zeitliche Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens daher tatsächlich gegen das Grundgesetz verstoßen hätte, ist mit dem Beschluss vom 5. Juli 2023 noch nicht entschieden.
Die vom Bundesverfassungsgericht vorgenommene Folgenabwägung beruht auf einem vom Gericht angestellten hypothetischen Vergleich. Wie stark wären die jeweils in Rede stehenden verfassungsrechtlichen Rechte betroffen, wenn eine Anordnung ergehen würde oder wenn sie nicht ergehen würde? Das Bundesverfassungsgericht war hier bei dem beabsichtigten Gesetzgebungsverfahren der 2. Novelle zum Gebäudeenergiegesetz der Ansicht, dass die Folgen für die Rechte der Abgeordneten bei der Durchführung des beabsichtigen Zeitplans gravierender wären als die Folgen für die Verfahrensautonomie des Deutschen Bundestages, wenn das Gesetzgebungsverfahren durch die einstweilige Anordnung verzögert wird.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss bisher allein festgehalten, dass durch den Ablauf und den beabsichtigten Zeitplan des Gesetzgebungsverfahrens eine Verletzung des Rechts der Abgeordneten auf gleichberechtigte Teilhabe am Willensbildungsprozess im Parlament aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Eine abschließende Prüfung bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Das Bundesverfassungsgericht hat sich nicht dazu geäußert, ob eine Verletzung des Beratungsrechts der Abgeordneten (Art. 42 GG) oder der Vorschriften des Grundgesetzes zum Gesetzgebungsverfahren (Art. 76 ff. GG) überhaupt in Betracht kommen. Diese Prüfung bleibt ebenfalls dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.
Verfassungsrechtliche Vorgaben für das Gesetzgebungsverfahren
Im Grundgesetz ist das Gesetzgebungsverfahren nur in groben Zügen geregelt. Regelungen finden sich hier in den Art. 76 bis 78 GG und in Art. 82 GG. Darüber hinaus ist das Gesetzgebungsverfahren in den Geschäftsordnungen des Bundestages, der Bundesregierung, des Bundesrates und des Vermittlungsausschusses weiter ausgestaltet. Hierbei ist im Blick zu behalten, dass Verstöße gegen diese Geschäftsordnungen, bei denen es sich um organschaftliches Innenrecht handelt, nur dann zur Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes führen, wenn in dem Verstoß gegen eine Vorschrift einer Geschäftsordnung zugleich ein Verstoß gegen das Grundgesetz liegt.
Art. 76 Abs. 1 GG sieht als Ausgangspunkt des Gesetzgebungsverfahrens ein Initiativrecht für die Bundesregierung, die Mitte des Deutschen Bundestages und den Bundesrat vor. Art. 76 Abs. 2 Satz 1 GG regelt, dass Initiativen der Bundesregierung zunächst dem Bundesrat zuzuleiten sind, der hierzu Stellung nehmen darf. Gesetzesinitiativen des Bundesrates werden, nachdem sie vom Bundesrat mit absoluter Mehrheit beschlossen worden sind, durch die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag zugeleitet (vgl. Art. 76 Abs. 3 Satz 1 GG). Die Bundesregierung soll hierbei ihre Auffassung zu dem Gesetzentwurf darlegen (Art. 76 Abs. 3 Satz 2 GG). In der Praxis kommen Gesetzesinitiativen des Bundesrates eher selten vor.
Initiativen aus der Mitte des Bundestages hingegen können unmittelbar im Deutschen Bundestag beraten werden. Dieser direkte Weg zur Beratung im Deutschen Bundestag wird aus Zeitgründen häufiger gewählt. Mit sog. Formulierungshilfen stellt hierbei häufig die Bundesregierung den Regierungsfraktionen einen Gesetzentwurf zur Verfügung. Dieser Gesetzentwurf wird daraufhin von den Regierungsfraktionen eingebracht. Die Initiative erfolgt hier auf der Grundlage einer formalen Betrachtungsweise durch die Mitte des Deutschen Bundestages und nicht durch die Bundesregierung. Diese formale Zuordnung ist gelebte parlamentarische Praxis und bislang vom Bundesverfassungsgericht nicht beanstandet worden. Der Begriff der Formulierungshilfe wird in § 52 Abs. 2 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesregierung ausdrücklich erwähnt.
Darüber hinaus enthält das Grundgesetz nur wenige detaillierte Vorgaben zum weiteren Gesetzgebungsverfahren im Deutschen Bundestag. In Art. 76 Abs. 3 Satz 6 GG ist geregelt, dass der Deutsche Bundestag über eine Gesetzesvorlage in angemessener Frist zu beraten hat. Die Aufteilung der Beschlussfassung in einzelne Lesungen und die Überweisung an einen Fachausschuss ist vom Grundgesetz nicht vorgegeben und findet sich nur in den §§ 78 ff. der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. Hiernach findet zunächst eine erste Lesung (allgemeine Aussprache) im Deutschen Bundestag statt, bevor der Gesetzentwurf in den jeweiligen Fachausschuss überwiesen und schließlich in zweiter und dritter Lesung in ggf. durch den Ausschuss geänderter Fassung im Deutschen Bundestag beraten wird. Die zweite und dritte Lesung finden häufig in derselben Sitzung statt.
In diesem Zusammenhang ist in der parlamentarischen Praxis auch das sog. Omnibusverfahren anzutreffen, in dem durch die Regierungsfraktionen noch Änderungsvorschläge in ein bereits laufendes Gesetzgebungsvorhaben im Rahmen der Ausschussberatungen eingebracht werden. Das bereits laufende Gesetzgebungsverfahren hat dabei in der Regel die erste Lesung im Deutschen Bundestag bereits durchlaufen, so dass dieses Vorgehen mit einer Zeitersparnis verbunden ist. Kritik erfährt das sog. Omnibusverfahren insbesondere, sofern die nachträgliche Änderung zu einem Regelungsbereich erfolgt, der mit dem ursprünglichen Gesetzesvorhaben inhaltlich nichts zu tun hat. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Anwendung des Omnibusverfahrens im Einzelfall beispielsweise im Hinblick auf Art. 76 Abs. 3 Satz 6 GG verfassungsrechtlich nicht zulässig wäre, gibt es bislang nicht.
Nach der Beschlussfassung des Deutschen Bundestages folgt nach den Art. 77 Abs. 2 bis 4 GG und Art. 78 GG die Beteiligung des Bundesrates. Abhängig davon, ob es sich um ein Einspruchsgesetz oder ein Zustimmungsgesetz (nur bei ausdrücklicher Anordnung durch das Grundgesetz) handelt, kommt das Gesetz durch die Nichterhebung eines Einspruchs oder durch die Zustimmung des Bundesrates zustande. Abschließend erfolgt gemäß Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG die Ausfertigung des Gesetzes durch den Bundespräsidenten und die Verkündung im Bundesgesetzblatt. Das Inkrafttreten des Gesetzes wird durch das Gesetz selbst bestimmt (vgl. Art. 82 Abs. 2 Satz 1 GG).
Auswirkungen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Im Hinblick auf die 2. Novelle des Gebäudeenergiegesetzes hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu einer zeitlichen Verzögerung geführt. Anders als vom Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss als theoretische Möglichkeit angedeutet, wurde für die parlamentarische Sommerpause keine Sondersitzung des Deutschen Bundestages für die weitere Beschlussfassung anberaumt. Es ist daher damit zu rechnen, dass der Deutsche Bundestag in der ersten Sitzungswoche nach der Sommerpause (5.9. bis 8.9.2023) weiter über das Gesetzvorhaben beraten wird.
Über die Bedeutung für das konkrete Gesetzgebungsverfahren hinaus ist bereits der Erlass der einstweiligen Anordnung ein Fingerzeig des Bundesverfassungsgerichts in Richtung des Deutschen Bundestages. Der Beschluss macht deutlich, dass die Verfassungsrichter in Karlsruhe den konkreten Ablauf eines Gesetzgebungsverfahrens in den Blick nehmen und in bestimmten Einzelfällen auch bereit sind, in ein laufendes Gesetzgebungsverfahren einzugreifen. Bereits diese Anordnung könnte sich daher auf die zeitliche Ausgestaltung zukünftiger Gesetzgebungsverfahren auswirken.
Von noch größerer Bedeutung wird voraussichtlich die noch ausstehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Hauptsache sein. Das Bundesverfassungsgericht könnte dieses Verfahren zum Anlass nehmen, eine Grundsatzentscheidung zum Gesetzgebungsverfahren zu treffen. Sofern das Bundesverfassungsgericht eine Verletzung der Rechte der Abgeordneten nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG feststellen würde, würden die Rechte der einzelnen Abgeordneten des Deutschen Bundestages gestärkt.
Sofern das Bundesverfassungsgericht in der Hauptsache zusätzlich eine Verletzung der Art. 76 ff. GG feststellen würde, würde sich theoretisch sogar die Frage stellen, ob andere bereits erlassene und in Kraft getretene Gesetze, die in einem zeitlich sehr eng getakteten Gesetzgebungsverfahren erlassen worden sind, beispielsweise im Rahmen einer abstrakten Normenkontrolle nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG angegriffen werden könnten. Die daraus resultierenden Folgen wären allerdings kaum übersehbar, so dass wohl viel dafürspricht, dass das Bundesverfassungsgericht Gesetze, die formal das Gesetzgebungsverfahren durchlaufen haben, verkündet und in Kraft getreten sind, unangetastet lassen wird.