18. November 2022
Interview Bohdana Kutsenko
Kanzleialltag

Interview Bohdana Kutsenko – „Es gibt mir das Gefühl, Mensch zu sein“

Die CMS-Mitarbeiterin Bohdana Kutsenko erzählt von ihrer Flucht aus der Ukraine und wie sie jetzt durch Unterstützung von CMS ihren Landsleuten hilft.

Die neue Blog-Serie „Engagement leben, Zukunft gestalten“ erzählt von engagierten Mitarbeitenden von CMS und aus der Gesellschaft. Anhand von persönlichen Geschichten und lebendigen Beispielen zeigt die Serie, wie Engagement bei CMS gelebt wird und welche Nachhaltigkeitsziele (SDGs) dabei besonders im Fokus stehen. Im folgenden Interview steht das SDG 16 im Mittelpunkt: Frieden und Gerechtigkeit.

Wenige Wochen nach dem Ausbruch des russischen Angriffskriegs musste die Ukrainerin Bohdana Kutsenko gemeinsam mit ihrer Mutter Kiew verlassen. Dank eines Jobangebots von CMS engagiert sie sich nun von Köln aus bei Immigration4ukraine.eu, einer nach Kriegsausbruch initiierten Legal Aid -Plattform, die inzwischen als Projekt von UPJ in einem starken Netzwerk von Anwaltskanzleien und Organisationen weitergeführt und -entwickelt wird – auch durch die Unterstützung von CMS und der CMS Stiftung. Dort finden Menschen, die aus der Ukraine flüchten wollen oder schon geflüchtet sind, eine erste rechtliche Orientierung. 

Frau Kutsenko, Sie stammen aus Kiew und leben seit einem halben Jahr in Köln. Wie geht es Ihnen?

Ich mache mir große Sorgen. Um meine Mutter, die mit mir hier ist – und um meine Leute in Kiew. Viele meiner Freundinnen sind schon wieder nach Hause zurückgekehrt. Es war ja einige Wochen ruhig dort. Doch vor einigen Tagen ging es wieder los mit den Bombenangriffen. Ich habe keine Worte für die Situation. Menschen sterben umsonst. 

Wie sind Sie nach Köln gekommen?

Ich kenne die Stadt gut, ich habe dort bis 2021 fast vier Jahre lang gewohnt. Nach einer gescheiterten Beziehung hatte ich Köln verlassen und wollte eigentlich auch nicht zurückkehren – sondern in der Ukraine bleiben und meinen Landsleuten helfen. In den ersten Wochen habe ich für die Soldaten Essen gekocht. Aber meine Mutter hatte so große Angst, dass ich mit ihr am 7. März 2022 nach Köln floh. Dass ich mich hier auskenne und Deutsch spreche, hat jetzt zumindest etwas Gutes. 

Ihr gutes Deutsch setzen Sie nun dafür ein, um aus der Ukraine Geflohenen das Ankommen in Deutschland zu erleichtern. Wie sind Sie auf das Projekt gestoßen?

Vor meiner ersten Zeit in Köln habe ich als Büroassistentin bei CMS Kiew gearbeitet – und bin danach in Kontakt mit meiner damaligen Chefin Maria Orlyk geblieben. Als ich nun nach Köln zurückkehrte, fragte sie mich, ob ich arbeiten wollte. Natürlich wollte ich das! Sie hat daraufhin Hendrik Schindler, den Managing Partner von CMS in Köln, kontaktiert, der mir direkt eine Stelle angeboten hat. Er hat mich wiederum mit Stefanie Wismeth von der CMS-Stiftung bekannt gemacht. Gemeinsam mit weiteren Non-Profit- und Kanzlei-Partnern hat die Stiftung die frisch initiierte Plattform Immigration4ukraine.eu auf stabile Füße gestellt. Dort werden unglaublich viele Rechtsinformationen für Geflüchtete aus der Ukraine zusammengestellt. Außerdem können Geflüchtete über die Plattform Kontakt zu Anwältinnen und Anwälten aufnehmen und sich juristisch beraten lassen. 

Können Sie Ihre eigenen Erfahrungen einbringen?

Ja. Da ich Deutsch, Englisch, Russisch und natürlich Ukrainisch spreche, konnte ich nicht nur meine Erfahrung teilen, sondern auch Gespräche übersetzen. Das ist so wichtig für die Menschen, die hier ankommen! Stellen Sie sich vor, Sie verstehen die Sprache nicht, kennen Ihre Rechte und Pflichten nicht und müssen sich deshalb immer auf andere verlassen. Das kostet viel Zeit und viele Nerven. Es ist wirklich toll, dass hier so viele Anwälte zur Verfügung stehen, um den Menschen pro bono zu helfen. So kann ich meinem Heimatland zumindest von hier aus helfen. Das gibt mir ein gutes Gefühl. Das Gefühl, Mensch zu sein. Wir müssen immer versuchen, Mensch zu bleiben – wir alle werden irgendwann einmal Hilfe brauchen.

Sie sind kurz nach Ihrer Flucht noch einmal in die Ukraine zurückgekehrt – mögen Sie davon erzählen?

Als ich gerade das erste Mal für Immigration4ukraine.eu übersetzen wollte, bekam ich eine schreckliche Nachricht. Der Mann einer sehr guten Freundin rief mich verzweifelt an und sagte mir, dass seine Frau tot sei. Sie lebten in Butscha. An diesem Tag war sie mit ihrem Kind auf einem Spielplatz – und ist einfach erschossen worden. Ihr Mann wusste nicht mehr weiter. Er durfte das Land nicht verlassen, sollte sein Land verteidigen und wusste nicht, wem er sein kleines Kind anvertrauen sollte. Er bat mich um Hilfe. Ich bin sofort in die Ukraine gefahren, um das Kind abzuholen und zu seinen Großeltern nach Warschau zu bringen. Was aus dem Mann meiner Freundin geworden ist? Ich weiß es im Moment nicht. Aber zumindest ist ihr Kind in Sicherheit. 

Wie verkraften Sie das? 

Ich arbeite noch daran.

Wie geht es nun weiter für Sie und Ihre Familie? 

Ich betrachte es als meine zweite Chance in Deutschland, dass ich nun wieder in Köln bin. Dass ich mir hier eine Zukunft aufbauen kann. CMS hat mir hier jetzt die Möglichkeit gegeben, als Teamassistentin zu arbeiten und mich für meine Landsleute einzusetzen.

Vielleicht ist es also Schicksal, vielleicht soll es so sein, dass ich hierbleibe und vorerst nicht nach Kiew zurückkehre. Ich werde auf jeden Fall mein Bestes geben.

Der Beitrag wurde in Zusammenarbeit mit Bastian Henrichs erstellt.

Tags: Bohdana Kutsenko CMS Stiftung Interview Kanzleialltag Ukraine
Avatar-Foto

Marie von der Brüggen