18. April 2011
Kanzleialltag

Von Soßenbrötchen, dem Detailteufel und der Kunst, ein gutes Gesetz zu machen

Um das Verhältnis zwischen Gesetzgebern und Rechtsanwendern steht es nicht zum Besten. Nur allzu selten würdigen Letztere die Mühen der Ersteren, und Kritik am Gesetzgeber ist eher Regel als Ausnahme. Wir nehmen uns als hauptberufliche Rechtsanwender da nicht aus.

In höchst unerwartetem Umfeld fiel uns jüngst eine gesetzgeberische Preziose in die Hände, die uns (wir können es nicht anders sagen) jedenfalls auf den ersten kritischen Blick ein gewisses Maß an Respekt abnötigt: Die Rede ist von den Regeln der Kölner Verkehrsbetriebe zum Ess- und Trinkverbot.

Klingt simpel? Ist es aber nicht – der Teufel steckt wie so oft im Detail.

Die historische Entwicklung

Irgendwann im Jahre 2008 hatte der städtische Nahverkehrsbetreiber den Konsum flüssiger und fester Nahrung in seinen Bussen und Bahnen mit einem Bann belegt. Seinerzeit haperte es ein wenig mit der transparenten Kommunikation, die ein wesentlicher Bestandteil der „besseren Rechtsetzung″ ist. Denn die plakativ plakatierte Mitteilung „Bitte beachten Sie das Verzehrverbot auf Kölner Stadtgebiet″  ließ wesentliche Fragen unbeantwortet: Unbescholtene Bürger sahen auch ihren hitzebedingten Wasserkonsum sanktioniert (quod non!), und unregelmäßige Pendler aus den Nachbargemeinden vergewisserten sich zur Gewährleistung ihrer Rechtstreue über den aktuellen Verlauf der Stadtgrenzen.

Die geltenden Regelungen des VzVFl

Jedenfalls die Kommunikation hat man seither verbessert und beschreibt die Reichweite verbotenen Handelns im aktuellen Verzehrverbots-Flyer („VzVFl″) wie folgt:

(Quelle: KVB AG)

Die kritische Würdigung

Das sieht schon besser aus als der unkommentierte und darob undifferenzierte Begriff „Verzehrverbot″, und jedenfalls die Totaluntersagung alkoholischer Getränke klingt eindeutig. Aber schon bei den „offenen Getränken″ beginnen die Subsumtionsprobleme: Was ist mit der Latte Macchiato im Thermobecher? Der ist zwar wiederverschließbar – aber noch lange nicht dicht. Nach dem Wortlaut des Verbots also erlaubt; der Normzweck „Pfützenvermeidung beim Umfallen″ wird aber wohl eine restriktive Auslegung gebieten. Demgegenüber dürfte der weit verbreitete Coffee-to-go-Pappbecher dem Bann unterfallen, weil das obligatorische Trinkloch im Plastikdeckel nicht wieder verschließbar ist.  Eindeutig auch die Fallgestaltung „Bügelflasche mit Bier″: Durch die Gummidichtung am Zapfen ist zwar die Pfützengefahr gebannt, ungeachtet der Dichtigkeit zieht aber hier das totale Alkoholverbot. Geht also nicht.

Als wäre dies noch nicht genug, wird die Auslegung des VzVFl-Regelwerks durch die nachfolgende (unverbindliche?) Empfehlung der KVB-Reinlichkeitsberatung zusätzlich erschwert:

(Quelle: KVB AG)

Durch die Gleichsetzung der „wieder verschließbaren Flasche″ mit „Babyfläschchen″ wird die Dichtigkeit der letzteren unterstellt. Zu Unrecht, wie wir aus eigener Erfahrung wissen: Zwar werden Trinkgefäße für den Nachwuchs in aller Regel mit mehr oder weniger dichten Verschlusskappen vertrieben, deren Einsatz scheitert im alltäglichen Gebrauch indes allzu oft an elterlicher Vergesslichkeit oder kindlichem „Fallengelassen!″.

Die eigentliche Herausforderung bei der Anwendung des VzVFl sehen wir allerdings im Bereich der festen Nahrung: Bedauerlicherweise wurde im vorstehend eingeblendeten VzVFl-Auszug davon abgesehen, eine wesentliche Formulierung aus der online verfügbaren Version zu übernehmen:

(Quelle: KVB AG)

Durch die gesetzestechnisch einfache Hinzufügung einer Generalklausel („alles was kleckert und krümelt″) werden die nachfolgenden Einzelpunkte zu Regelbeispielen und die Rechtsanwendung erheblich erleichtert. Allein: Die uns vorliegende VzVFl-Fassung enthält diesen Zusatz nicht. Möglicherweise wird man auch auf Grundlage des Normzwecks der Sauberkeitskampagne zu vergleichbaren Ergebnissen kommen. So nehmen wir zur Kenntnis, dass warme Speisen grundsätzlich unter Krümel- und Kleckerverdacht stehen, wohingegen dies aus dem Kreise der kalten Speisen lediglich auf Eis, Salat und belegte Brotwaren mit Sauce zutreffen soll.

Die Abgrenzungsschwierigkeiten liegen auch hier auf der Hand:

  • Wo ist der Bereich der verbotsbegründenden Soße erreicht? Schon bei der Nuss-Nougat-Creme auf einer Brotware oder der erheblich kleckergefährdenden Füllung eines Berliners (a.k.a. Krapfen, Pfannkuchen – ist das eigentlich noch „Brotware″?)?
  • Kommt es für die Einordnung in die Kategorien „kalte Speise″ oder „warme Speise″ auf die übliche Verzehrtemperatur an, so dass das nur zufällig noch ofenwarm erstandene Brötchen zulässig ist?
  • Wie werden kalte Brötchen mit warmem Belag (Leberkäse, Backfisch) beurteilt?
  • Und wäre es möglich, dass eine ursprünglich warme Speise - entsprechende Genußwilligkeit des Verzehrenden vorausgesetzt – aufgrund ihrer natürlichen Abkühlung plötzlich zur erlaubten Kaltspeise wird?

Etwas Unbehagen bereiten uns auch die ergänzenden Empfehlungen – jedenfalls soweit Müsliriegel als unbedenklich hervorgehoben werden. Abgesehen von der eher zurückhaltenden ernährungswissenschaftlichen Einschätzung (wie hier) nehmen vor allem ältere Exemplare in ihrer Verpackung gerne eine Konsistenz an, die sich in puncto Krümeligkeit hinter einer Handvoll trockener Cornflakes nicht zu verstecken braucht. Viel wichtiger aber: Verstehen wir den Hinweis auf die mögliche Umhüllung eines Brötchens mit einer Tüte dahingehend, dass hierdurch die Krümel- und Kleckergefahr insgesamt beseitigt wird und ergo auch eigentlich unzulässige Warmspeisen ÖPNV-fähig sind (so wie erst eine Papiertüte in anderen Teilen der Welt den Alkohol gesellschaftsfähig macht)?

Aber:

Wir geben zu, dass die vorstehenden Anwürfe etwas unfair sind.

Denn eigentlich ist der VzVFl ein Beispiel für den pragmatischen Versuch einer Handreichung an all diejenigen, die – juristisch gesprochen – ihren Verkehrssicherungspflichten im Hinblick auf in öffentliche Verkehrsmittel eingebrachte Speisen und Getränke nicht nachkommen.  Bei allem Pragmatismus illustriert dieser Versuch aber auch die Schwierigkeiten einer verlässlichen Definition von adäquaten Ge- und Verboten: Ganz so einfach ist es nicht, einen (vielleicht gar nicht existierenden?) gesellschaftlichen Konsens in Regelungsform zu gießen – jedenfalls dann, wenn diese noch auf einen Flyer passen soll. Vielleicht ist genau dies der Grund für die gelegentlich aufflackernde Kritik am Verzehrverbots-Vollzugsdefizit. Wenn eine Regelung in sich unklar ist, sinken Möglichkeit und Neigung zum Vollzug.

Anderenorts scheint man gerade wegen der erheblichen Herausforderungen an Rechtsetzung und Vollzug auf ausdifferenzierte Verzehrverbote verzichtet zu haben – überraschenderweise auch in der Heimat der opulenten k.u.k. Verwaltungstradition. Die ″Wiener Linien″ haben sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, aber ihr Geschäftsführer lässt sich im Ergebnis wie folgt zitieren

„Die Wiener Linien sind ein Dienstleistungsunternehmen und kein Unternehmen, das gesellschaftliche Normen diktiert oder bestimmtes Sozialverhalten ‚verbietet’.″

und verweist darauf, dass man u.a. Fahrgäste repräsentativ befragt und auch internationales Benchmarking betrieben habe.

Vielleicht sind ja Ess- und Verzehrverbote insgesamt ein grundlegender Fall für Gesetzgebungsexperten?

Tags: Essen und Trinken Gesetzgebung Köln und Bonn Kölner Verkehrsbetriebe Recht und Sprache Rechtsetzung U- und S-Bahn Verzehrverbot