Paukenschlag aus Luxemburg: Das viel diskutierte deutsche Monopol auf Sportwetten und Glücksspiel verstößt in seiner derzeit praktizierten Form gegen Europäisches Gemeinschaftsrecht. Das hat der Europäische Gerichtshof am 8. September 2010 in einer Grundsatzentscheidung festgestellt.
Die Entscheidung erging in einem Vorabentscheidungsverfahren, das mehrere parallel gelagerte Fälle bündelte. Eine Reihe von deutschen Gerichten hatten den Europäischen Gerichtshof ersucht, sich zur Vereinbarkeit der Glücksspielregelung in Deutschland mit den Vorgaben des Europäischen Gemeinschaftsrechts zu äußern.
In seinem Urteil – genauer: in seinen Urteilen Stoß u.a. (C-410/07), Winner Wetten (C-409/06) und Carmen Media (C-46/08) – knüpft der EuGH an seine mittlerweile gefestigte Rechtsprechung im Glücksspielrecht an und stellt zunächst fest, dass die deutsche Regelung über Sportwetten eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs und der Niederlassungsfreiheit darstelle. Wie schon in früheren Entscheidungen weist er anschließend darauf hin, dass eine solche Beschränkung aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein kann – dazu gehören die Vermeidung von Anreizen zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen und die Bekämpfung der Spielsucht. Er betont aber – und dies ist der Knackpunkt der Entscheidung – , dass die nationalen Maßnahmen, mit denen diese Ziele erreicht werden sollen, zu ihrer Verwirklichung geeignet sein müssen und nur solche Beschränkungen vorsehen dürfen, die dafür erforderlich sind.
In diesem Zusammenhang weist der EuGH zwar – wie schon in früheren Entscheidungen – darauf hin, dass den Mitgliedstaaten im Grundsatz ein weiter Beurteilungsraum zustehe. Insoweit könne auch ein staatliches Monopol geeignet und erforderlich sein, um das Glücksspiel in kontrollierte Bahnen zu lenken. Allerdings müsse die Verfolgung der legitimen Ziele in kohärenter und systematischer Weise erfolgen. Dies sei – so muss man das Urteil lesen – in Deutschland gegenwärtig nicht der Fall. Etwas verklausuliert formuliert der EuGH insoweit:
„Nach alledem können die vorlegenden Gerichte auf der Grundlage der von ihnen getroffenen und in Randnr. 100 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Feststellungen berechtigten Anlass zu der Schlussfolgerung haben, dass der Umstand, dass die zuständigen Behörden in Bezug auf andere Glücksspiele als die, die dem in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden staatlichen Monopol unterliegen, eine Politik betreiben oder dulden, die eher darauf abzielt, zur Teilnahme an diesen anderen Spielen zu ermuntern, als darauf, die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern und die Tätigkeiten in diesem Bereich in kohärenter und systematischer Weise zu begrenzen, zur Folge hat, dass das der Errichtung dieses Monopols zugrunde liegende Ziel, Anreize zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen zu vermeiden und die Spielsucht zu bekämpfen, mit ihm nicht mehr wirksam verfolgt werden kann, so dass es im Hinblick auf die Art. 43 EG und 49 EG auch nicht mehr gerechtfertigt werden kann.″ (Ziff. 106, Rs. C-410/07)
„Stellt ein nationales Gericht sowohl fest,
dass die Werbemaßnahmen des Inhabers eines solchen Monopols für andere, ebenfalls von ihm angebotene Arten von Glücksspielen nicht auf das begrenzt bleiben, was erforderlich ist, um die Verbraucher zum Angebot des Monopolinhabers hinzulenken und sie damit von anderen, nicht genehmigten Zugangskanälen zu Spielen wegzuführen, sondern darauf abzielen, den Spieltrieb der Verbraucher zu fördern und sie zwecks Maximierung der aus den entsprechenden Tätigkeiten erwarteten Einnahmen zu aktiver Teilnahme am Spiel zu stimulieren, als auch, dass andere Arten von Glücksspielen von privaten Veranstaltern, die über eine Erlaubnis verfügen, betrieben werden dürfen, als auch, dass in Bezug auf andere Arten von Glücksspielen, die nicht unter das Monopol fallen und zudem ein höheres Suchtpotenzial als die dem Monopol unterliegenden Spiele aufweisen, die zuständigen Behörden eine zur Entwicklung und Stimulation der Spieltätigkeiten geeignete Politik der Angebotserweiterung betreiben oder dulden, um insbesondere die aus diesen Tätigkeiten fließenden Einnahmen zu maximieren,so kann es berechtigten Anlass zu der Schlussfolgerung haben, dass ein solches Monopol nicht geeignet ist, die Erreichung des mit seiner Errichtung verfolgten Ziels, Anreize zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen zu vermeiden und die Spielsucht zu bekämpfen, dadurch zu gewährleisten, dass es dazu beiträgt, die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern und die Tätigkeiten in diesem Bereich in kohärenter und systematischer Weise zu begrenzen.″ (Ziff. 107 Rs. C-410/07).
Im Klartext heißt das:
Nach Ansicht des EuGH begrenzt die deutsche Regelung Glücksspiele nicht in systematischer und kohärenter Weise, weil die Inhaber des Monopols aufwendige Werbekampagnen durchführten, um Gewinne zu maximieren, und für Kasino- sowie Automatenspiele staatliches Monopol bestehe, obwohl sie ein höheres Suchtpotential aufwiesen.
Was bedeutet das nun für die Praxis?
Eine Antwort liefert der EuGH selbst: Er weist ausdrücklich darauf hin, dass eine das nationale Monopol betreffende Regelung, die gegen die Grundfreiheiten verstößt, auch während der Zeit, die erforderlich ist, um sie mit dem Unionsrecht in Einklang zu bringen, nicht weiter angewandt werden darf. Mit anderen Worten: Gelangt ein deutsches Gericht aufgrund der Vorgaben des EuGH zu der – nun sehr naheliegenden – Schlussfolgerung, dass das deutsche Glücksspielmonopol europarechtswidrig ist, darf es diese Regelung wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts nicht anwenden.
Damit entsteht ein rechtliches Vakuum. Die ohnehin schon verworrene Rechtslage wird weiter verkompliziert. Nicht zuletzt aus diesem Grund werden die zuständigen Bundesländer schon bald über eine Reform des deutschen Glücksspielrechts entscheiden müssen – Presseberichten zufolge sollen sich die Chefs der Staatskanzleien der Länder bereits am 18. September 2010 zu Diskussionen über das weitere Vorgehen treffen. Man darf gespannt sein, in welche Richtung es gehen wird. Strengeres Monopol oder Lizenzsystem? Ihre Einsätze bitte…