11. Dezember 2023
AGB unwirksam geltungserhaltende Reduktion
Commercial

Unwirksame AGB – Wer den Bogen überspannt, geht leer aus!

Wer in Verträgen mit Verbrauchern missbräuchliche Klauseln verwendet, kann nach einem Urteil des EuGH auch seine gesetzlichen Ansprüche verlieren.

Viele Unternehmen überschreiten – bewusst oder unbewusst – in ihren AGB oftmals die Grenze des rechtlich Zulässigen. In der Regel wird dies von der Vorstellung getragen, dass im Fall der Fälle zumindest das Gesetzesrecht zur Anwendung käme. Doch das ist unzutreffend! Wer im Geschäftsverkehr mit Verbrauchern missbräuchliche Klauseln benutzt, der kann nach der Entscheidung des EuGH in Sachen Gupfinger (EuGH, Urteil v. 8. Dezember 2022 – C‑625/21) auch seine gesetzlichen Ansprüche verlieren.

Die trügerische Sicherheit im deutschen Recht: Lückenschließung durch Gesetzesrecht

Die einleitenden Sätze kommen überraschend, da sie in einem recht schroffen Gegensatz zu der gesetzlichen Regelung im deutschen Recht stehen. Hier bestimmt § 306 Abs. 1 BGB, dass auch bei der Nutzung einer missbräuchlichen und damit unwirksamen Klausel der Vertrag im Übrigen bestehen bleibt. Für die dadurch entstehende Lücke ordnet § 306 Abs. 2 BGB an, dass sie durch die anwendbare gesetzliche Regelung zu füllen ist. 

Dadurch kann sich eine trügerische Sicherheit beim Verwender der AGB entwickeln. Denn selbst wenn man bei der ein oder anderen Klausel „über die Stränge schlägt“, so fällt man schlimmstenfalls auf die gesetzlichen Regelungen zurück, die ja – wenn auch keine einseitige – so doch zumindest eine ausgewogene Regelung bereitstellen. Wird also etwa versucht, in den AGB ein Schadensersatz unabhängig vom Verschulden zu begründen, so wird die Unwirksamkeit insbesondere mit Blick darauf in Kauf genommen, dass man dann eben „den normalen gesetzlichen Anspruch geltend macht“.

EuGH: Keine risikolose Nutzung missbräuchlicher Klauseln – Abschreckungseffekt berücksichtigen

Die Verwendung unwirksamer Klauseln wirkte auf Grundlage des gerade beschriebenen Verständnisses somit – blendet man das in diesem Fall immer bestehende Risiko einer wettbewerbsrechtlichen Abmahnung durch Wettbewerber oder Verbraucherschutzverbände aus – relativ risikoarm. Dies passt nicht zu dem bekanntermaßen strengen Ansatz, den der EuGH bezüglich der Verwendung missbräuchlicher Klauseln gegenüber Verbrauchern (hier gilt grundsätzlich die europäische „Klausel-Richtlinie“ 93/13/EWG) an den Tag legt. Es ist deswegen wenig verwunderlich, dass ihm diese Art der Lückenschließung jedenfalls gegenüber Verbrauchern schon länger ein Dorn im Auge ist. 

Wegen des Effektivitätsgrundsatz des Unionsrechts und auch mit Blick auf den gewünschten Abschreckungseffekt plädiert der EuGH deswegen schon länger dafür, unwirksame Klauseln komplett zu streichen und nur im Notfall (d.h. vor allem zum Schutz des Verbrauchers) durch Gesetzesrecht zu ersetzen. Wenn der Vertrag auch ohne Lücke bestehen bleiben könne und der Verbraucher dadurch keinen Nachteil habe, dann solle die Lücke auch nicht gefüllt werden.

Diese Rechtsprechung bezog sich bisher allerdings vornehmlich auf den etwas speziellen Bereich des Verbraucherkreditrechts. In der Entscheidung Gupfinger bot sich dem EuGH nun erstmals die Gelegenheit, diese Grundsätze auch bei einem „verbraucherrechtlichen Standardfall“ anzuwenden. Was also war passiert?

„Wenn Sie die Küche nicht abnehmen, zahlen Sie mindestens 20% Schadensersatz“

Das österreichische Einrichtungsstudio Gupfinger hatte an einen Kunden eine Einbauküche zum Preis von mehr als EUR 10.000,00 verkauft, wobei die Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Gupfinger Anwendung fanden. Diese sahen unter anderem vor, dass Gupfinger bei einem unberechtigten Rücktritt des Kunden nach seiner Wahl Schadenersatz in Höhe von pauschal 20 % des Verkaufspreises oder (so wie auch vom österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch, ABGB, vorgesehen) in Höhe des tatsächlich entstandenen Schadens verlangen kann. Die Klausel sollte Gupfinger also die Wahl lassen, auf „einfachem Wege“ 20% oder mit etwas mehr Mühe einen ggf. höheren Schaden geltend zu machen. 

Im vorliegenden Fall entschied sich Gupfinger dazu, den tatsächlichen Schaden (entgangenen Gewinn) in Höhe von gut EUR 5.000,00 – also fast die Hälfte des Kaufpreises – geltend zu machen. Gupfinger machte folglich einen Anspruch geltend, der ihm ohne AGB auf Grundlage des Gesetzes ohnehin zugestanden hätte. Denn nach § 921 ABGB hat die Partei, die durch die verschuldete Nichterfüllung des Vertrags einen Schaden erleidet, Anspruch auf vollen Ersatz des daraus entstehenden Schadens. Welche Rolle spielt also die zitierte Klausel, wenn sie für den Anspruch gar nicht benötigt wird? 

Erste Instanz: „Die Klausel ist missbräuchlich – der Kunde zahlt nur 20%!“

Das erstinstanzliche Gericht ging wie folgt vor: Der pauschalierte Schadensersatz in Höhe von 20% sei missbräuchlich, wodurch die gesamte Klausel unwirksam sei. Die dadurch entstehende Lücke sei aber nicht durch das Gesetzesrecht zu schließen, da Gupfinger dann ja wiederum seinen vollen (gesetzlichen) Anspruch geltend machen könne. Als Lösung dieses Problems schlug das erstinstanzliche Gericht im Wege „freier Rechts-Akrobatik“ vor, die Klausel einfach trotzdem anzuwenden, den Anspruch aber – wie in der unwirksamen Klausel vorgesehen – auf 20% des Kaufpreises zu begrenzen.

Zweite Instanz: „Die Klausel ist missbräuchlich – der Kunde zahlt trotzdem voll!“

Wenig überraschend hat das Berufungsgericht diesen Ansatz nicht geteilt. Es befand die Klausel zwar ebenfalls für missbräuchlich und damit unwirksam, es wendete zur Lückenfüllung dann aber – entsprechend der Regelung in § 306 BGB des deutschen Rechts – das Gesetzesrecht an. Für den Kunden galt somit „wie gewonnen, so zerronnen“. Der vertragliche Anspruch wurde für unwirksam erklärt und durch den identischen Anspruch des Gesetzesrechts ersetzt. 

EuGH: „Die Klausel ist missbräuchlich – der Kunde zahlt gar nichts!“

Wer die bisherige Rechtsprechung des EuGH zu diesem Thema auf dem Schirm hatte, konnte erahnen, dass er dies so nicht stehen lassen würde. Im Gegenteil: Der EuGH hat erstmals in aller Deutlichkeit entschieden, dass die Lücke nicht zu füllen ist und Gupfinger gar keinen Anspruch geltend machen kann. 

Klausel von Gupfinger unwirksam; keine geltungserhaltende Reduktion

Zunächst betont der EuGH, dass die beschriebene Klausel von Gupfinger missbräuchlich sei. Das in der Klausel vorgesehene Wahlrecht zwischen pauschalem Schadensersatz und „echtem Schadensersatz“ begründe ein erhebliches Ungleichgewicht zwischen den Rechten und Pflichten der Parteien zum Nachteil des Verbrauchers. Insbesondere eröffne dieser Mechanismus dem Unternehmer die Möglichkeit, eine Entschädigung zu verlangen, die den ihm tatsächlich entstandenen Schaden übersteigen kann. Die Klausel sei zudem unteilbar und müsse als Ganzes für nichtig erklärt werden (keine sog. „geltungserhaltende Reduktion“). Dafür sei es unerheblich, dass eine der Alternativen der gesetzlichen Regelung entspreche.

Lückenfüllung durch Gesetzesrecht nur im Ausnahmefall!

Eine Lückenfüllung durch Gesetzesrecht komme nur ganz ausnahmsweise in Betracht. Dies sei auf Fälle beschränkt, in denen die Streichung der missbräuchlichen Klausel den Richter zwingen würde, den Vertrag in seiner Gesamtheit für unwirksam zu erklären und dies für den Verbraucher besonders nachteilige Folgen hätte. Diese Voraussetzungen seien hier aber nicht erfüllt. Die vertraglichen Regelungen müssten deswegen bestehen bleiben und Gupfinger habe schlicht keinen Schadenersatzanspruch.

Es spiele dafür im Ergebnis auch keine Rolle, dass die Nichtigerklärung der missbräuchlichen Schadenersatzklausel zur Folge habe, dass der Verbraucher von jeglicher Schadenersatzpflicht befreit ist. Das Ziel der Klausel-Richtlinie bestehe gerade darin, der Verwendung missbräuchlicher Klauseln ein Ende zu setzen, indem der Abschreckungseffekt durch die Nichtanwendbarkeit der Klausel aufrechterhalten wird. Es bestehe ein öffentliches Interesse daran, zum Schutz des Verbrauchers angemessene und wirksame Mittel vorzusehen, um die Verwendung missbräuchlicher Klauseln zukünftig zu verhindern. 

Kurzum: Wer versucht, das vertragliche Gleichgewicht durch eine missbräuchliche Klausel zu stören, der muss „als Strafe“ mit dem Ungleichgewicht leben, das sich aus der fehlenden Lückenfüllung ergibt. 

Folge für die Praxis: Gerade bei Verträgen mit Verbrauchern ist große Vorsicht geboten!

Auf Grundlage der vorliegenden Entscheidung ist insbesondere bei der Verwendung von AGB gegenüber Verbrauchern größte Vorsicht geboten. Der Unternehmer kann sich nicht darauf verlassen, dass er bei der Verwendung einer missbräuchlichen Klausel zumindest auf das „weiche Bett“ des Gesetzesrecht zurückfällt. Bei der Formulierung entsprechender AGB sollte deswegen besonders sorgfältig vorgegangen werden . Dabei darf zudem nicht vergessen werden, dass die Verwendung bestimmter missbräuchlicher Klauseln zwischenzeitlich nach Art. 246e § 1 Nr. 2, § 2 EGBGB auch bußgeldbewährt ist.

In der Praxis kann dies insbesondere bei Anspruchserleichterungen für Schadensersatzansprüche gegen den Kunden oder (überzogenen) pauschalierten Schadensersatzansprüchen oder Vertragsstrafen relevant werden. Es ist davon auszugehen, dass derartige Klauseln zukünftig zu einem kompletten Anspruchsausschluss führen. Gleichwohl dürft das letzte Wort hier noch nicht gesprochen worden sein. Denn was passiert etwa im Falle einer unwirksamen Verkürzung der Verjährungsfrist? Wird der Anspruch des Kunden dann unverjährbar? Der EuGH dürfte sich nicht das letzte Mal mit diesem Themenkomplex befasst haben.

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