27. Oktober 2022
Inflation Lieferkette Störung der Gechäftsgrundlage
Commercial

Inflation in der Lieferkette – Möglichkeiten und Grenzen einer Preisanpassung in bestehenden Rahmenvereinbarungen

Können Lieferanten aufgrund krisenbedingter Verwerfungen eine Anpassung laufender Verträge verlangen? Welche Handlungsoptionen gibt es für Lieferanten und Abnehmer?

Hersteller und Lieferanten können aufgrund der Geschwindigkeit, in der die Produktions- bzw. Einkaufskosten ansteigen, nicht immer das Ende des Vertrags bzw. der Preisbindung abwarten, sondern sehen sich gezwungen, noch innerhalb der Vertragslaufzeit auf eine Anpassung der vereinbarten Preise hinzuwirken. Häufig geschieht das unter Berufung auf das Rechtsinstitut der „Störung der Geschäftsgrundlage“.  

Berufen auf „Störung der Geschäftsgrundlage“ meist nicht erfolgversprechend

Dieser Weg dürfte – auf Grundlage der bislang hierzu ergangenen Rechtsprechung – in aller Regel nicht zum Erfolg führen. Eine auf § 313 BGB gestützte Anpassung kommt nämlich nur dann in Betracht, wenn der Partei, die sich auf eine Störung der Geschäftsgrundlage beruft, unter Berücksichtigung der vertraglichen und gesetzlichen Risikoverteilung, ein Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. 

Da die aufgrund der Inflation in der Lieferkette entstandenen Leistungserschwernisse typischerweise in das Risiko des Lieferanten fallen, bleibt eine Anpassung nach bisheriger Rechtsprechung wohl nur auf seltene Ausnahmefälle beschränkt. Dabei ist es weder hinreichende (noch nötige) Bedingung, dass dem Hersteller bei Festhalten am Vertrag die Insolvenz droht. Erst recht ist es einem Lieferanten zuzumuten, zeitweise unter Verlust zu liefern, da er als Kaufmann derartige Risiken ohnehin grundsätzlich hinnehmen muss. 

Zu beachten ist jedoch, dass der Bundesgerichtshof (BGH) Anfang 2022 bei einer coronabedingten Schließung eines Einzelhandelsgeschäfts eine Störung der sog. „großen Geschäftsgrundlage“ bejaht hat. Darunter versteht er die Erwartung der vertragsschließenden Parteien, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen eines Vertrages nicht etwa durch Revolution, Krieg, Vertreibung, Hyperinflation oder eine (Natur-)Katastrophe ändern und die Sozialexistenz nicht erschüttert wird. Nach Auffassung des BGH soll einem gewerblichen Mieter bei einer massiven Änderung der Rahmenbedingungen nicht einseitig das Verwendungsrisiko aufgebürdet werden. Es bleibt abzuwarten, ob die Rechtsprechung diese Entscheidung auf die Fälle übertragen wird, die nicht das Verwendungs-, sondern – wie in Rahmenlieferverträgen – das Beschaffungsrisiko des Sachleistungsschuldners betreffen.

Substantiierung der Unzumutbarkeit würde zur Offenlegung der Kalkulation führen

Unabhängig von der zukünftigen Positionierung des BGH bei Leistungserschwernissen steht der Lieferant jedoch vor dem Problem, dass die Rechtsprechung hohe Anforderungen an die Substantiierung der Unzumutbarkeit stellt, was letztlich auf eine vollständige Offenlegung seiner Kostenkalkulation hinauslaufen würde. Eine solche Offenlegung würde sich aber zumindest für einen Hersteller spätestens bei der nächsten Verhandlungsrunde rächen und ist jedenfalls in den in der Konsumgüterbranche nicht seltenen Fällen, in denen der Händler zugleich aufgrund der von ihm vertriebenen Eigenmarken Wettbewerber des Markenherstellers ist, aufgrund der Offenlegung sensibler Daten kartellrechtlich bedenklich.

Feststellung einer Kontrahierungsverpflichtung 

Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich als Lieferant (aber auch als Einkäufer), in einem ersten Schritt zunächst zu prüfen, inwieweit überhaupt eine Verpflichtung besteht, zu den vereinbarten Preisen zu liefern. Besteht eine solche Pflicht nicht oder nur in eingeschränktem Umfang, könnte der Hersteller die Belieferung – ggf. unter Einhaltung einer angemessenen Ankündigungsfrist – einstellen oder von der letztlich gewollten Einigung auf höhere Preise abhängig machen. Die Frage der Anpassung nach § 313 BGB stellt sich in solchen Fällen dann nicht mehr.

Bei Rahmenlieferverträgen folgt eine entsprechende Verpflichtung zur Zahlung der vereinbarten Preise unmittelbar erst aus den unter dem Dach des Rahmenvertrags geschlossenen Ausführungsgeschäften (Auftrag, Purchase Order etc.). Entscheidend ist daher, inwiefern der Hersteller oder Lieferant verpflichtet ist, das jeweilige Ausführungsgeschäft zu den vereinbarten Konditionen abzuschließen, also ein sog. Kontrahierungszwang besteht. Das hängt wiederum in erster Linie von den zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarungen unter Berücksichtigung der branchentypischen Besonderheiten und Erwartungen ab. Während in der Automobilzulieferindustrie zumeist klare Regelungen zur Lieferverpflichtung und zur Preisanpassung getroffen werden, sind die Ausgestaltungen in der Konsumgüterbranche bisweilen deutlich reduzierter. Nicht selten übersenden Lebensmitteleinzelhändler den Herstellern nach Abschluss der Jahresgespräche mehr oder weniger „nackte“ Konditionenvereinbarungen oder verwenden Klauseln, die einer AGB-Kontrolle vermutlich nicht standhalten dürften.

Grundsätzlich wird man aber auch in Fällen, in denen die Parteien sich nur auf die bloßen wirtschaftlichen Konditionen berufen, ohne eine Kontrahierungsverpflichtung ausdrücklich zu regeln, von einer konkludent vereinbarten Kontrahierungsverpflichtung ausgehen müssen. Dafür spricht schon der Umstand, dass solche Konditionenvereinbarungen eine feste Laufzeit oder bestimmte Kündigungsfristen vorsehen. Denn der Abnehmer würde sich wohl kaum in zähen Verhandlungen auf Preise für einen bestimmten Zeitraum einigen, wenn der Lieferant jederzeit die weitere Belieferung ohne besonderen Anlass von einer weiteren Preisanpassung abhängig machen könnte.

Grenzen der Kontrahierungsverpflichtung

Eine solche Lieferverpflichtung dürfte jedoch nicht schrankenlos gelten, sondern nur im Rahmen der verfügbaren Produktionskapazität des Lieferanten bzw. der Verfügbarkeit benötigter Vorprodukte sowie unter dem Vorbehalt, dass es während der Laufzeit des Vertrags nicht zu unvorhersehbaren massiven Preiserhöhungen auf der Beschaffungsseite kommt. Denn auch wenn der Hersteller die üblicherweise zu erwartenden Preissteigerungen in der Produktion in der Preisvereinbarung eingepreist haben wird, wird man ihm im Rahmen der Auslegung der konkludenten Vereinbarung nicht unterstellen dürfen, dass er sich dazu verpflichten wollte, seine Kunden bei einer länger anhaltenden defizitären Entwicklung der Beschaffungskosten zu beliefern.

Dabei dürfte es im Gegensatz den strengen Substantiierungsanforderungen des § 313 BGB genügen, wenn der Hersteller/Lieferant substantiiert vorträgt und unter Bezugnahme auf allgemein bekannte Preisentwicklungen oder Indizes darlegt, dass und um wie viel die relevanten Kostenfaktoren gestiegen sind, damit der stillschweigend erklärte Leistungsvorbehalt greift.

Zuvor haben wir uns mit der Frage beschäftigt, wie Hersteller und Lieferanten bei neu abzuschließenden Verträgen das Risiko einer einseitigen Belastung mit den steigenden Kosten auf dem Beschaffungsmarkt reduzieren können.

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