Der BGH hat eine wichtige Frage zu den Grundlagen der Berechnung des Ausgleichsanspruchs des Vertriebspartners geklärt.
Unternehmen, die ihre Produkte über Handelsvertreter oder Vertragshändler vertreiben, profitieren in der Regel auch dann noch weiter von den von diesen geschaffenen Kundenbeziehungen, wenn die Zusammenarbeit mit dem Vertriebspartner endet. Aus diesem Grund haben Handelsvertreter (und unter gewissen Voraussetzungen auch Vertragshändler) bei Beendigung der Vertragsbeziehung mit dem Unternehmer grundsätzlich einen gesetzlichen Anspruch auf Zahlung eines Ausgleichs (Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB).
Berechnung des Ausgleichsanspruchs als Streitthema
Die Frage, wie dieser Ausgleich zu berechnen ist, gehört zu den umstrittensten Themen im Bereich des Vertriebsrechts.
Zwar legt § 89b Abs. 2 HGB für die Ausgleichszahlung eine Obergrenze von einer durchschnittlichen Jahresprovision des Handelsvertreters fest (weshalb Unternehmer stets diese Größenordnung als Worst Case-Szenario einplanen sollten). Unterhalb dieses Maximalbetrags ist die Berechnung jedoch oft schwierig.
Das Gesetz sieht in § 89b Abs. 1 HGB lediglich die Zahlung eines „angemessen Ausgleichs″ für die dem Unternehmer aus den vom Vertriebspartner akquirierten Kundenbeziehungen verbleibenden Vorteile vor, macht aber keine konkreten Angaben zu dessen Berechnung.
Aufgrund einer im Jahr 2009 in Folge einer Entscheidung des EuGH erfolgten Gesetzesänderung sind für die Bewertung der Unternehmervorteile nicht mehr allein die dem Vertriebspartner durch die Vertragsbeendigung entgehenden Provisionen / Rabatte maßgeblich, sondern der Unternehmervorteil kann auch über diese Provisionen / Rabatte hinausgehen. Entsprechend beschränken die Verluste von Provisionen / Rabatten nicht den Anspruch, sondern gelten seitdem quasi nur noch als „Mindest-Unternehmervorteil″.
Auskunftsanspruch als vorgelagerter Kriegsschauplatz
Da der Vertriebspartner den tatsächlichen Unternehmervorteil oftmals nicht kennt, wird spätestens seit 2009 über mögliche Auskunftsansprüche neben dem gesetzlich geregelten Anspruch auf Buchauszug, der lediglich Anspruch auf Informationen zu abgeschlossenen Geschäften, nicht aber den wirtschaftlichen Ergebnissen gewährt, diskutiert und – allerdings nur vereinzelt – vor Gericht gestritten. Im konkreten Fall hatte ein Vertragshändler Auskunft über den im letzten Vertragsjahr vom Unternehmer mit den Vertragsprodukten erzielten Deckungsbeitrag I verlangt.
Deckungsbeitrag I für Ermittlung des Unternehmervorteils nicht relevant
Der BGH entschied in diesem Zusammenhang, dass Handelsvertreter oder Vertragshändler, denen ein Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB (ggf. in analoger Anwendung) zusteht, zur Vorbereitung dieses Anspruchs nicht grundsätzlich Auskunft über den vom Unternehmer mit dem Produkt insgesamt erzielten Deckungsbeitrag I verlangen können, da dieser keine taugliche Basis für die Bewertung der für die Berechnung des Ausgleichsanspruchs maßgeblichen Unternehmervorteile darstellt (BGH, Urteil v. 24. September 2020 – VII ZR 69/19).
Damit hob er ein Urteil des OLG Frankfurt auf, das in der Vorinstanz die Unternehmervorteile noch mit dem vom Unternehmer mit dem Vertrieb der Produkte erzielten Deckungsbeitrag I gleichgesetzt, und deshalb einen entsprechenden Auskunftsanspruch gegen den Unternehmer bejaht hatte (OLG Frankfurt, Urteil v. 13. März 2019 – 12 U 37/18). Das OLG hatte dies damit begründet, dass für die Berechnung der Unternehmervorteile nach der 2009 erfolgten Änderung von § 89b HGB nicht mehr nur auf die Provisionsverluste abgestellt werden könne, weil anderenfalls die seit 2009 geltende europarechtskonforme Neufassung der Vorschrift ausgehöhlt würde.
Wert des Kundenstamms („goodwill″) entscheidend
Der BGH führt für seine Entscheidung unter anderem an, dass der Europäische Gerichtshof und der europäische Gesetzgeber davon ausgegangen seien, dass die Unternehmervorteile, die durch den Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters kompensiert werden sollen, dem „goodwill″, also der durch die vom Handelsvertreter geworbenen Neukunden geschaffenen oder durch die Erweiterung der Geschäftsbeziehung zu bestehenden Kunden herbeigeführten Steigerung des Geschäfts- oder Firmenwerts des Geschäftsbetriebs des Unternehmers entsprächen. Es gehe damit bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs um
eine Bewertung dieses vom Handelsvertreter oder Vertragshändler geschaffenen Kundenstamms (‚goodwill‘).
Rohertrag keine taugliche Grundlage
Der vom Unternehmer mit dem Produkt erzielte Deckungsbeitrag I, d.h. die vom Unternehmer insgesamt mit dem Vertrieb erzielbare Gewinnmarge, sei mit diesem maßgeblichen „goodwill″ aber nicht identisch. Es sei auch
kein Erfahrungssatz dahingehend ersichtlich, dass dem vom Vertragshändler geschaffenen Kundenstamm, den der Hersteller nach Beendigung des Vertragsverhältnisses nutzen könne, ein objektiv zu ermittelnder, bestimmter prozentualer Bruchteil des vom Hersteller mit dem vom Vertragshändler vertriebenen Produkt insgesamt erzielten Rohertrags zugeordnet werden kann.
Provisionsverluste weiterhin grundsätzlich Ausgangspunkt
Mithin bleibt es dabei, dass zunächst einmal „nur″ die Vermutung gilt, dass der Unternehmervorteil zumindest den entgangenen Provisionen / Rabatten entspricht. Daher ist der Ausgleichsanspruch auch weiterhin grundsätzlich auf Basis der Provisionen / Rabatte des letzten Vertragsjahres zu berechnen. Anders ist dies nur dann, wenn der Höchstbetrag von einer Jahresdurchschnittsprovision nicht erreicht wird und der Vertriebspartner andere, höhere Unternehmervorteile darlegt. Beispielhaft nennt der BGH hierzu die Situationen, dass
- ein Unternehmer bei Veräußerung seines Unternehmens im Hinblick auf den vom Handelsvertreter oder Vertragshändler geworbenen Kundenstamm einen entsprechend höheren Übernahmepreis erzielt, oder
- keine Provisionsverluste oder Verluste von Einkaufsrabatten in Rede stehen (wie es etwa bei der Zahlung von Einmalprovisionen oder dem Vertrieb langlebiger Wirtschaftsgüter der Fall sein kann), der Unternehmer aus dem vom Handelsvertreter oder Vertragshändler geschaffenen Kundenstamm nach Vertragsbeendigung aber trotzdem weiter Vorteile zieht.
Entscheidung stärkt Position der Unternehmer
Die Klarstellung, dass die maßgeblichen Unternehmervorteile nicht ohne weiteres mit der vom Unternehmer erzielten Gewinnmarge gleichzusetzen sind, stärkt Unternehmern deutlich den Rücken.
Denn die gegenteilige Annahme „kompletter Rohertrag als Ausgleich″ würde nicht nur zu höheren Ausgleichssummen – und damit wohl auch deutlich häufiger zum Erreichen der Obergrenze in Höhe einer durchschnittlichen Jahresprovision – führen. Zusätzlich wären Unternehmer auch regelmäßig gezwungen, im Rahmen des vorgelagerten Auskunftsanspruchs ihre internen Kalkulationen vollständig offen zu legen. Dies hätte Handelsvertretern und Vertragshändlern vermutlich häufig ein effektives Druckmittel beschert, um nach der Beendigung des Vertriebsvertrags eine für sie günstige vergleichsweise Einigung über die Ausgleichshöhe zu erzielen.
So bleibt es dabei, dass die Berechnung des Handelsvertreterausgleichs von zahlreichen Faktoren des jeweiligen Einzelfalls abhängig bleibt und auch künftig nicht nur die Vertriebspartner, sondern wohl auch die Gerichte beschäftigen wird.