26. Februar 2019
FluggastrechteVO Check-in
Compliance

FluggastrechteVO: Kein Geld bei Ausfall der Check-in Schalter

Sind Airlines zur Zahlung einer Entschädigung an Passagiere verpflichtet, wenn sich ein Flug wegen technischer Probleme beim Check-in verspätet? 

In zwei neuen Urteilen vom 15. Januar 2019 (Az. X ZR 15/18 und X ZR 85/18) hat der BGH entschieden, dass sich eine Fluggesellschaft im Falle einer mehrstündigen Flugverspätung, die auf einen leitungsbedingten Systemausfall der Abfertigungsschalter zurückgeht, auf außergewöhnliche Umstände im Sinne der europäischen FluggastrechteVO berufen kann.

Mit den beiden Urteilen gewinnen die unbestimmten Rechtsbegriffe „außergewöhnliche Umstände“ und „zumutbare Maßnahmen“ weiter an Kontur.  Die Begriffe sind nach Art. 5 Abs. 3 der europäischen FluggastrechteVO (Verordnung (EG) Nr. 261/2004) von entscheidender Bedeutung dafür, ob eine Fluggesellschaft der Verpflichtung zur Zahlung einer Ausgleichsleistung im Falle der Annullierung oder mindestens dreistündigen Ankunftsverspätung eines Fluges entgehen kann.

Leitungsprobleme legten Check-in Schalter lahm

In zwei Fällen hatten Fluggäste ihre Fluggesellschaft verklagt, weil sie ihr geplantes Endziel Stuttgart infolge einer Abflugverzögerung in New York erst mit einer Verspätung von mehr als neun Stunden erreichten.

Die Verzögerung am Flughafen JFK in New York ging auf einen Ausfall der Computersysteme sämtlicher Check-in Schalter des Terminals 7 zurück. Ursache dafür waren Leitungsprobleme des Telekommunikationsdienstleisters. Weil zudem am gleichen Tag dessen Personal streikte, konnten die Probleme erst nach über 13 Stunden behoben werden. Bis dahin mussten die Passagiere teils unter telefonischer Mithilfe von Mitarbeitern der Fluggesellschaft in Washington und teils manuell vor Ort abgefertigt werden. Wegen der damit verbundenen Verzögerungen bei den Abläufen konnten mehrere Flüge, darunter auch der Flug der Kläger, nur mit Verspätungen zwischen einer und vier Stunden starten.

Nachdem das Amtsgericht in den Verfahren durch verschiedene Richter uneinheitlich geurteilt und in einem Fall die Klage abgewiesen, im anderen der Klage stattgegeben hatte, wies das Landgericht Stuttgart beide Klagen in der Berufungsinstanz ab. Der Bundesgerichtshof hat die Entscheidung des Landgerichts nunmehr bestätigt.

Funktionsfähigkeit der technischen Einrichtungen des Flughafenbetreibers nicht von der Fluggesellschaft beherrschbar

Für die Entscheidung des BGH war insbesondere die Auslegung des Begriffes „außergewöhnliche Umstände“ nach der europäischen FluggastrechteVO maßgeblich. Dabei orientierte sich der BGH an der Rechtsprechung des EuGH. Vorkommnisse sind dann als außergewöhnlicher Umstand zu qualifizieren, wenn sie ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm nicht tatsächlich beherrschbar sind (grundlegend EuGH, Urteil v. 19. November 2009, C-420/17).

Mit Blick auf diese Rechtsprechung des EuGH hält der BGH fest, dass ein über mehrere Stunden andauernder und von der Airline nicht zu verantwortender Systemausfall der Abfertigungsschalter einen außergewöhnlichen Umstand darstelle. Für die technischen Einrichtungen des Flughafens, zu denen auch die Telekommunikationsleitungen einschließlich deren Überwachung, Wartung und Reparatur gehörten, sei allein der Flughafenbetreiber zuständig und verantwortlich. Technische Defekte, die die Funktionsfähigkeit dieser Einrichtungen beeinträchtigen, seien von der Fluggesellschaft nicht zu beherrschen. Vielmehr würden sie von außen auf den Flugbetrieb der Airline einwirken.

Darüber hinaus hatte die Fluggesellschaft im konkreten Fall nach Ansicht des BGH auch die ihr zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um den Auswirkungen des Systemausfalls entgegenzuwirken. Der Argumentation der Kläger, die Fluggesellschaft hätte den Flug von London nach Stuttgart verschieben, sie auf einen anderen Flug umbuchen oder einen zusätzlichen Flug für diese Strecke durchführen können, erteilte der BGH eine Absage. Im Rahmen des Art. 5 Abs. 3 der FluggastrechteVO komme es allein auf solche Maßnahmen an, die sich auf die Annullierung bzw. Verspätung des betroffenen Fluges als solche auswirken können. Dies sei bei den von den Klägern angeführten Maßnahmen nicht der Fall.

Es ist sehr zu begrüßen, dass der BGH dies mit seinen Urteilen noch einmal ausdrücklich klargestellt hat. Denn entsprechende Einwendungen werden den Fluggesellschaften häufig entgegengehalten, obwohl sie der Systematik der FluggastrechteVO widersprechen. 

„Außergewöhnliche Umstände“ und „zumutbare Maßnahmen“ im Einzelfall zu prüfen

In einer Vielzahl von gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen Passagieren und Fluggesellschaften stellt die Auslegung der Begriffe „außergewöhnliche Umstände“ und „zumutbare Maßnahmen“ nach Art. 5 Abs. 3 der FluggastrechteVO den zentralen Streitpunkt dar.

Verständlicherweise werden von den jeweiligen Parteien trotz einer Vielzahl von Urteilen des BGH und EuGH unverändert stark divergierende Auffassungen vertreten. Die bisherigen Entscheidungen hatten sich insbesondere mit der Einordnung von schlechten Wetterbedingungen, Streiks, technischen Defekten, Radarausfällen bei der Flugsicherung oder Vogelschlag als außergewöhnlicher Umstand zu beschäftigen hatten. Wenn die neuen Urteile des BGH insoweit auch weitere Klarheit bringen, dürfte sich hieran in der Praxis kaum etwas ändern.

Die Höhe der den Passagieren ggf. zustehenden Ausgleichszahlung zwischen 250,- bis 600,- EUR weckt Begehrlichkeiten. Zudem sind die Gründe, die zu einer Annullierung oder großen Verspätung von Flügen führen, sehr divers und mitunter komplex. Schließlich sind auch die vom ausführenden Luftfahrtunternehmen zu verlangenden zumutbaren Maßnahmen stark vom jeweiligen Einzelfall geprägt. Eine jeweils sorgfältige Prüfung, ob die Fluggesellschaft sich gegen die Ansprüche der Passagiere mit außergewöhnlichen Umständen verteidigen kann, ist daher unabdingbar.

Tags: Check-in Flugausfall FluggastrechteVO