27. März 2020
Menschenrechtsverletzung Lieferkette
Social and Human Rights (ESG) Compliance

Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette: Regelungen im Ausland

Das Risiko von Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette wird für Unternehmen immer wichtiger.

Seit geraumer Zeit wird in Deutschland über ein Lieferkettengesetz diskutiert. Zu den Befürwortern gehören neben zahlreichen Nichtregierungsorganisationen auch immer mehr Unternehmen. Es verdichten sich die Anzeichen dafür, dass der Gesetzgeber bald tätig wird. Noch gibt es keinen offiziellen Entwurf, aber es lohnt sich schon jetzt, dieses Thema aufzugreifen, denn es sollte bereits fester Bestandteil der Supply Chain Compliance und zugleich der Corporate Social Responsibility (CSR) eines Unternehmens sein.

An dieser Stelle werden wir von Zeit zu Zeit über neue Entwicklungen im Bereich Unternehmen und Menschenrechte berichten. Wir beginnen mit einem Blick über den Tellerrand – auf die Gesetze im Ausland und deren Auswirkungen auf deutsche Unternehmen.

Regelungen zu Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette in Kalifornien

Das weltweit erste Gesetz dieser Art ist der California Transparency in Supply Chain Act of 2010. Es ist am 1. Januar 2012 in Kraft getreten.

Das Gesetz richtet sich an Unternehmen mit einem weltweiten Jahresumsatz von mehr als USD 100 Mio., deren Hauptgeschäft der Einzelhandel oder die Herstellung von Produkten ist und die auch in Kalifornien tätig sind. Diese Unternehmen sind verpflichtet, auf ihrer Webseite bekannt zu machen, wie sie mit den Risiken der Sklaverei und des Menschenhandels in ihrer Lieferkette umgehen.

Verstößt ein Unternehmen gegen die Berichtspflicht, so kann der/die Attorney General von Kalifornien bei Gericht beantragen, das Unternehmen zur Veröffentlichung eines fehlerfreien Berichts zu verurteilen.

Regelungen zu Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette im Vereinigten Königreich

Im Vereinigten Königreich besteht aufgrund des Modern Slavery Act 2015 seit dem 29. Oktober 2015 eine Pflicht, auf der Website des Unternehmens über Maßnahmen zur Vermeidung von Sklaverei und Menschenhandel in seinen Lieferketten und im Unternehmen selbst zu berichten.

Beachten müssen dies alle Unternehmen, die Waren oder Dienstleistungen anbieten, im Vereinigten Königreich geschäftlich tätig sind und einen Jahresumsatz von mindestens GBP 36 Mio. haben.

Wenn ein Unternehmen keinen Bericht veröffentlicht, kann der/die Secretary of State vor Gericht auf Abgabe der Erklärung klagen. Wenn sich das Unternehmen an die entsprechende Entscheidung nicht hält, droht ein Ordnungsgeld in unbegrenzter Höhe.

Regelungen zu Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette in Frankreich

In Frankreich müssen Unternehmen Menschenrechte nach Maßgabe der Loi de Vigilance beachten. Adressaten des Gesetzes sind Unternehmen mit 5.000 Beschäftigten einschließlich der französischen Tochter- und Enkelgesellschaften oder mit 10.000 Beschäftigten einschließlich aller Tochter- und Enkelgesellschaften. Seit dem 28. März 2017 besteht eine Sorgfaltspflicht im Sinne einer Pflicht zur Erarbeitung und wirksamen Umsetzung eines Überwachungsplans im Hinblick auf die Menschenrechte und Grundfreiheiten, die Gesundheit und Sicherheit der Menschen und die Umwelt.

Der Überwachungsplan muss zwei Arten von Maßnahmen enthalten:

  1. zur Identifizierung von Risiken aus Tätigkeiten der Gesellschaft, der von ihr beherrschten Tochter- und Enkelgesellschaften und der Subunternehmer und Lieferanten mit etablierter Geschäftsbeziehung;
  2. zur Prävention schwerwiegender Verletzungen der oben erwähnten Schutzgüter.

Der Überwachungsplan und der Bericht über seine wirksame Umsetzung sind zu veröffentlichen und ggf. auf der jährlichen Hauptversammlung zu präsentieren.

Jede Person oder Organisation mit berechtigtem Interesse kann ein Unternehmen gerichtlich zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten verurteilen lassen. Das Gericht kann zu diesem Zweck ein Ordnungsgeld androhen und, falls erforderlich, festsetzen.

Als zusätzliche Sanktion ordnet das Gesetz die zivilrechtliche Haftung an. Das Unternehmen muss betroffenen Menschen den Schaden ersetzen, der darauf beruht, dass es den Überwachungsplan nicht mit der vom Gesetz geforderten Sorgfalt entwickelt und umgesetzt hat. Die Beweislast für Sorgfaltspflichtverletzung, Schaden und Kausalität trägt allerdings der Geschädigte.

Regelungen zu Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette in Australien

In Australien sind die Bestimmungen des Modern Slavery Act 2018 einzuhalten. Das Gesetz ist in seinen wesentlichen Teilen am 1. Januar 2019 in Kraft getreten.

Es richtet sich an australische oder in Australien geschäftlich tätige Unternehmen mit einem konsolidierten weltweiten Umsatz von mindestens AUD 100 Mio. Diese Unternehmen müssen im Hinblick auf Sklaverei, Menschenhandel und Kinderarbeit einen Bericht erstellen, der insbesondere beschreiben muss:

  1. die Risiken für die genannten Schutzgüter in den Geschäftsabläufen und Lieferketten,
  2. die Maßnahmen der Risikobewertung und des Risikomanagements einschließlich der Sorgfalts- und Wiedergutmachungsmaßnahmen und
  3. eine Bewertung der Wirksamkeit dieser Maßnahmen.

Das Gesetz ordnet die Einführung eines Berichtsregisters an, in dem alle Berichte online veröffentlicht werden. Bei einem Verstoß gegen die Berichtspflicht kann der/die Minister of Home Affairs das Unternehmen zur Begründung oder Nachbesserung auffordern und – wenn dies nicht geschieht und das Unternehmen keinen erfolgreichen Unterlassungsantrag beim Verwaltungsgericht gestellt hat – den Namen des Unternehmens und die Einzelheiten des Verstoßes öffentlich bekannt machen.

Regelungen zu Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette in den Niederlanden

Das jüngste Lieferkettengesetz hat der niederländische Senat am 14. Mai 2019 verabschiedet. Es handelt sich um das Gesetz über Sorgfaltspflichten betreffend Kinderarbeit (kurz: Wet zorgplicht kinderarbeid). Das Gesetz ist am 13. November 2019 im Staatsanzeiger bekannt gemacht worden. Mit dem Inkrafttreten ist nicht vor 2022 zu rechnen. Bis dahin sollen Bestimmungen erlassen werden, die weitere Einzelheiten regeln.

Das Gesetz richtet sich an alle (inländischen wie ausländischen) Unternehmen, die Waren oder Dienstleistungen an niederländische Endverbraucher liefern bzw. erbringen. Endverbraucher ist jede natürliche oder juristische Person, die Produkte oder Dienstleistungen nutzt.

Die Unternehmen trifft danach eine – dauernde – Sorgfaltspflicht zu verhindern, dass die Waren oder Dienstleistungen durch Kinderarbeit entstanden sind. Die Sorgfaltspflicht hat zwei Stufen: Zunächst die Pflicht zu ermitteln, ob ein begründeter Verdacht des Einsatzes von Kinderarbeit besteht; sodann, falls ein solcher Verdacht vorliegt, die Pflicht zur Erstellung und Umsetzung eines Aktionsplans, gegen die (vermutete) Kinderarbeit vorzugehen. Jedes betroffene Unternehmen hat darüber hinaus der Aufsichtsbehörde gegenüber – einmalig – zu erklären, dass es diese Sorgfaltspflichten anwende. Die Aufsichtsbehörde veröffentlicht die Erklärung auf ihrer Website.

Bei Verstoß gegen das Gesetz droht ein Bußgeld in Höhe von bis zu EUR 870.000 und in besonderen Fällen von bis zu 10% des Jahresumsatzes. Im Wiederholungsfall kann eine Freiheitsstrafe gegen den Geschäftsführer verhängt werden.

Checkliste zur Erfassung der Merkmale eines Gesetzes

Die hier erwähnten ausländischen Regelungen sind lediglich Beispiele. Weitere Gesetze sind bereits in Kraft, befinden sich in einem mehr oder weniger fortgeschrittenen Stadium des Gesetzgebungsverfahrens oder existieren als außerparlamentarische Initiative.

Zu den bereits geltenden Bestimmungen gehört die Pflicht bestimmter Kapitalgesellschaften zur Abgabe einer nichtfinanziellen Erklärung nach §§ 289b ff. HGB sowie §§ 315b f. HGB. Diese Bestimmungen beruhen auf der Richtlinie 2014/95/EU (CSR-RL).

Wie die kurzen Länderberichte zeigen, haben Lieferkettengesetze zwar in der Regel ein ähnliches Anliegen, unterscheiden sich aber in der konkreten Ausgestaltung erheblich. Die folgende Zusammenstellung soll dabei helfen, die wesentlichen Merkmale eines Gesetzes schnell zu erfassen. Sie kann insbesondere Unternehmen als erste grobe Checkliste dienen, um sich in einem bestehenden oder zukünftigen Gesetz zügig einen Überblick über die eigenen Pflichten im Hinblick auf (potenzielle) Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette zu verschaffen.

  1. Adressaten – welche Unternehmen sind verpflichtet? Hier sind Einschränkungen nach Rechtsform, Mitarbeiterzahl, Umsatz, Ort der Registrierung, Geschäftstätigkeit in der jeweiligen Rechtsordnung usw. zu prüfen.
  2. Art der Pflichten – was müssen die betroffenen Unternehmen formal tun? In Betracht kommen z.B. Pflichten zur Erstellung und Veröffentlichung eines Berichts, Sorgfaltspflichten (due diligence) zur Ermittlung und Vermeidung von Risiken für Menschenrechte und Kombinationen aus den vorgenannten Pflichten.
  3. Inhalt der Pflichten / Schutzgüter des Gesetzes – mit welchen potenziellen Missständen müssen sich die betroffenen Unternehmen auseinandersetzen? Es geht also darum, welche Arbeitsbedingungen oder sonstigen Umstände der Gesetzgeber missbilligt und die Unternehmen daher unterbinden (helfen) sollen. Das Gesetz kann Menschenrechtsverletzungen aller Art erfassen, (z.B.) auf Kinderarbeit oder eine bestimmte Branche beschränkt sein oder sich zusätzlich auf Umweltbelange erstrecken.
  4. Sanktionen – was droht, wenn ein Unternehmen gegen das Gesetz verstößt? Denkbar sind etwa gerichtliche Verurteilung zur Erfüllung der gesetzlichen Pflichten (einschließlich Androhung und ggf. Festsetzung eines Ordnungsgelds), Bußgeld, strafrechtliche Verantwortung und/oder zivilrechtliche Haftung.

Auswirkungen auf Unternehmen

Das gemeinsame Ziel der Sorgfaltspflichten- oder Lieferkettengesetze, weltweit zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen beizutragen, ist richtig und bedarf keiner Diskussion.

Klar ist aber auch, dass die gesetzlichen Vorgaben für die betroffenen Unternehmen zu erheblichem Aufwand führen: Eigene Ressourcen werden gebunden, Tochterunternehmen und Geschäftspartner müssen beteiligt und überzeugt werden, Beratungskosten entstehen. Schon die vergleichsweise wenigen heute geltenden Gesetze genügen, um die Rechts- oder Compliance-Abteilung in Atem zu halten (siehe obige Checkliste, die für jedes Gesetz separat zu prüfen ist).

Insbesondere angesichts der derzeit in mehreren Staaten diskutierten Entwürfe für weitere Lieferkettengesetze ist damit zu rechnen, dass in Kürze ein globaler Flickenteppich von Gesetzen entsteht. Das ist schon deshalb eine Herausforderung für viele Unternehmen, weil die Berichts- und Sorgfaltspflichten – wie gesehen – in jedem Land unterschiedlich ausfallen. Hinzu kommt die Vielzahl der ausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriffe, die den Unternehmen die Arbeit erschwert, etwa die Frage, ob eine Gesellschaft im Sinne des Modern Slavery Act 2015 im Vereinigten Königreich geschäftlich tätig ist oder wie das Merkmal der etablierten Geschäftsbeziehung nach der französischen Loi de vigilance zu verstehen ist.

Anders als das eine oder andere ausländische Gesetz es aufgrund der hohen Umsatzschwellen vermuten lässt, gelten die Berichts- und Sorgfaltspflichten nicht bloß für multinationale Konzerne. Vielmehr sind zumindest indirekt immer auch kleine und mittelständische Unternehmen betroffen. Denn falls sie nicht schon selbst in den persönlichen Anwendungsbereich des jeweiligen Gesetzes fallen (etwa wenn das Gesetz keine Umsatzschwelle kennt), werden sie über kurz oder lang Vorgaben vom eigenen Mutterunternehmen oder/und von Kunden zu erfüllen haben.

Aus demselben Grund dürfen Unternehmen ausländische Lieferkettengesetze nicht unterschätzen. Sie vom eigenen Radar zu nehmen, weil sie scheinbar nur für ausländische Unternehmen relevant sind, wäre ein Fehler. Wegen ihrer erheblichen direkten wie indirekten extraterritorialen Wirkung sind die ausländischen Regelungen auch in deutschen Unternehmen wenigstens zu prüfen. Besonders deutlich wird dies am Beispiel Frankreich: Jedenfalls nach ihrem Wortlaut ist die Loi de vigilance auf alle Unternehmen (mit der oben erwähnten Mitarbeiteranzahl) ohne Rücksicht auf einen Bezug zu Frankreich anzuwenden; Sitz oder Geschäftstätigkeit in Frankreich werden nicht genannt.

In der Handelsnation Deutschland mit ihrer hohen Exportrate werden sich deshalb besonders viele – auch kleine – Unternehmen zunehmend mit dem Thema Menschenrechte auseinandersetzen müssen.

Die hier genannten Auswirkungen sind von den Befürwortern der Lieferkettengesetze (etwa auch in Deutschland) beabsichtigt. Es geht ihnen darum, per Gesetz bei den Unternehmen einen Bewusstseinswandel herbeizuführen und eine Unternehmenskultur der Beachtung der Menschenrechte (auch) in der Lieferkette einzuführen. Beispielsweise hat der französische Gesetzgeber viele Rechtsbegriffe bewusst offen gelassen, um die Compliance-Verantwortlichen der Unternehmen zum Nachdenken anzuregen, statt zu konkrete Vorgaben zu machen, die die Mitarbeiter leicht abhaken können, ohne sich Gedanken über deren Sinn zu machen (box-ticking exercise). Die Unternehmen, die gesetzliche Sorgfaltspflichten fordern, haben noch eine zusätzliche Motivation: Sie wollen den hohen Aufwand für diese Sorgfalt nicht allein treiben, sondern gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle schaffen.

Risiko von Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette sollten alle Unternehmen zumindest prüfen

Den betroffenen Unternehmen ist zu empfehlen, das Risiko von Menschenrechtsverletzungen im eigenen Unternehmen und in der Lieferkette proaktiv, umfassend und kurzfristig auf die Agenda zu setzen und Konzepte für die Beachtung der Menschenrechte zu entwickeln.

Es geht dabei nicht allein um die Einhaltung von Vorgaben – seien diese gesetzlich oder von Gesellschaftern oder Vertragspartnern gefordert. Wirtschaftlich betrachtet unter Umständen viel bedeutender ist die Vermeidung von Reputationsschäden. Diese Gefahr ist heute aufgrund schnellster Kommunikation mit starker Breitenwirkung besonders hoch, und zwar auch dann, wenn nicht gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen wurde. Auch die für Öffentlichkeitsarbeit verantwortlichen Mitarbeiter betroffener Unternehmen sollten deshalb in den Prozess einbezogen werden.

Diese Empfehlung gilt unabhängig davon, ob, wann und mit welchem Inhalt ein Lieferkettengesetz in Deutschland oder auf EU-Ebene kommt.


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In unserer Serie „Social and Human Rights″ sind wir eingegangen auf das Arbeitsschutzkontrollgesetz und den entsprechenden Gesetzesentwurf sowie auf die Schutzvorschriften in der Fleischwirtschaft. Ebenfalls eingegangen sind wir auf Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette und diesbezügliche Regelungen im Ausland wie der Schweiz. Gleichermaßen ein Thema waren (Psychischen) Belastungen am Arbeitsplatz.

Tags: Lieferkette Menschenrechtsverletzung Regelung Risiko Sustainability