Nach den Plänen der Minister soll das Lieferkettengesetz noch in dieser Legislaturperiode im Bundestag verabschiedet werden.
Nach vielen Monaten ohne ersichtlichen Fortschritt haben die Minister Hubertus Heil (Bundesministerium für Arbeit und Soziales), Gerd Müller (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) und Peter Altmaier (Bundesministerium für Wirtschaft und Energie) am 12. Februar 2021 in einer gemeinsamen Pressekonferenz ihre Einigung auf wesentliche Inhalte eines deutschen Lieferkettengesetzes bekanntgegeben.
Die jetzt verkündete Einigung weicht in vielen Punkten von dem inoffiziellen Eckpunktepapier ab, das bislang Grundlage der Diskussion war.
Betroffene Unternehmen – Einführung in zwei Schritten
Das Lieferkettengesetz soll Anfang 2023 in Kraft treten und dann zunächst nur für Unternehmen mit mehr als 3000 Beschäftigten gelten. Ein Jahr später soll die Schwelle dann auf 1000 Beschäftigte herabsinken.
Wahrung von Menschenrechten in der Lieferkette: Sorgfaltspflichten in drei Stufen
Kern des geplanten Gesetzes sind die sog. Sorgfaltspflichten. Das bedeutet, die betroffenen Unternehmen sind grundsätzlich verpflichtet, dafür zu sorgen, dass in ihren Lieferketten weltweit die Menschenrechte eingehalten werden. Das betrifft insbesondere faire Arbeitsbedingungen bei den Lieferanten: Sie müssen sicher und dürfen nicht gesundheitsschädlich sein, Kinder- und Zwangsarbeit sind inakzeptabel, und die Vertretung der Interessen von Arbeitnehmer*innen darf keine Sanktionen nach sich ziehen. Auch Umweltschäden sind zu vermeiden, jedoch verlangt die Sorgfaltspflicht insoweit nur, dass die Umweltschäden keine Menschenrechte beeinträchtigen dürfen.
Die Sorgfaltspflichten erstrecken sich auf die gesamte Lieferkette, sollen aber in drei Stufen kommen: Die höchste Stufe, d.h. der strengste Maßstab, gilt im eigenen Unternehmen. In abgeschwächter Form beziehen sie sich auf alle direkten Zulieferer, also die Vertragspartner des eigenen Unternehmens. Der niedrigste Sorgfaltsmaßstab ist auf alle mittelbaren Lieferanten anzuwenden; hier sind eine Prüfung und ggf. weitere Maßnahmen nur anlassbezogen erforderlich, d.h. wenn das verpflichtete deutsche Unternehmen Kenntnis von möglichen Menschenrechtsverletzungen erlangt.
Kontrolle der Sorgfaltspflicht und Sanktionsmöglichkeiten durch das BAFA
Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) soll die Einhaltung der Sorgfaltspflichten kontrollieren und dazu bei Bedarf Beweise sichern können. Bei Verstößen drohen Zwangs- und Bußgelder, die sich am Jahresumsatz der Unternehmen orientieren sollen – ähnlich wie im Regierungsentwurf zum Verbandssanktionengesetz. Bei besonders hohen Bußgeldern droht zusätzlich der Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen für bis zu drei Jahre.
Keine zivilrechtliche Haftung?
Wirtschaftsminister Altmaier wird mit den Worten zitiert, es werde keine zivile Haftung für Firmen geben. Gemeint ist damit vermutlich, das künftige Lieferkettengesetz solle – im Gegensatz zum Eckpunktepapier – keine Regelung zur zivilrechtlichen Haftung der Unternehmen enthalten. Das aber bedeutet keineswegs, dass diese Haftung ausgeschlossen ist. Zumindest eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB liegt auf der Hand, wenn ein Unternehmen gegen eine hinreichend konkrete gesetzlich bestimmte menschenrechtliche Sorgfaltspflicht verstößt. Allerdings wird dann viel von der Beweislast abhängen.
Auch ohne diese zivilrechtliche (Außen-)Haftung kommen im Übrigen Regressansprüche der Unternehmen gegen ihre Leitungsorgane in Betracht (Innenhaftung). Dies gilt etwa für Fälle, in denen das Unternehmen wegen Verletzung der Sorgfaltspflicht sanktioniert wird und dadurch einen Schaden (z.B. in Form eines Bußgelds oder des Ausschlusses von öffentlichen Aufträgen) erleidet.
Zwingende Geltung deutschen Rechts?
Zu einer zivilrechtlichen Haftung nach dem deutschen Lieferkettengesetz käme es allerdings nur dann, wenn auf den Fall deutsches Recht anzuwenden wäre. Nach aktueller Rechtslage ist das sehr selten, weil deutsche Gerichte grundsätzlich das Recht des Staates anzuwenden haben, in dem etwa die Gesundheitsverletzung des Geschädigten eingetreten ist. Das ist typischerweise ausländisches Recht. Deshalb hatte das Eckpunktepapier explizit vorgesehen, dass – abweichend von dem eben genannten Grundsatz – die Haftung für Sorgfaltspflichten stets deutschem Recht unterliegt. Ob die Minister sich auf eine solche zwingende Geltung deutschen Rechts geeinigt haben, ist nicht bekannt.
Sollte das Gesetz am Ende ohne zwingende Geltung deutschen Rechts in Kraft treten, liefe auch die vorgesehene Klagemöglichkeit für Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften (siehe unten) in vielen Fällen leer. Denn Sorgfaltspflichten für Menschrechtsverletzungen in der Lieferkette und eine entsprechende Haftung sind weltweit derzeit noch nicht weit verbreitet, und das dürfte insbesondere für die Staaten gelten, in denen die Unternehmen am Anfang der Lieferkette sitzen.
Klagemöglichkeit für Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften
Sofern es zu einer Menschenrechtsverletzung in der Lieferkette kommt und der/die Betroffene zustimmt, soll es einer Nichtregierungsorganisation oder Gewerkschaft möglich sein, als Prozessstandschafterin den zivilrechtlichen Schadensersatzprozess vor einem deutschen Gericht für den Betroffenen / die Betroffene zu führen.
Geteiltes Echo bei Verbänden und Organisationen
Wie zu erwarten, war das Echo auf die Ankündigung des Gesetzesentwurfs geteilt. Während die Fokussierung der Sorgfaltspflicht auf die direkten Vertragspartner in der Lieferkette sowie das Absehen von der Regelung einer zivilrechtlichen Haftung der Unternehmen insbesondere von einigen Unternehmen und Verbänden begrüßt wurde, sehen Umweltverbände in der Ankündigung der drei Minister nur einen „Minimalkonsens“.
Erster Entwurf ist Mitte März 2021 zu erwarten
Für eine detaillierte Bewertung ist es noch zu früh. Offen ist vor allem, wie die Sorgfaltspflichten konkret aussehen und zu erfüllen sein werden. Mit dem für Mitte März 2021 angekündigten Referentenentwurf werden die Vorstellungen der Bundesregierung vom Lieferkettengesetz etwas mehr Kontur gewinnen. Doch erst in der dann folgenden parlamentarischen Debatte wird das Lieferkettengesetz seine endgültige Gestalt annehmen. Unter Umständen muss das deutsche Lieferkettengesetz nach seinem Inkrafttreten überdies an die geplante EU-Richtlinie angepasst werden.
Eigene Supply Chain Compliance bereits jetzt auf den Prüfstand stellen
Wie auch immer das deutsche Lieferkettengesetz am Ende aussehen mag, die Einigung unter den Bundesministern sollte allen betroffenen Unternehmen als Ausgangspunkt für – oder Erinnerung an – eine systematische Analyse der eigenen Lieferketten und Wertschöpfungsnetzwerke im Hinblick auf Risiken in Bezug auf Menschenrechte und Umweltstandards dienen. Entsprechende Risikoanalysen und damit korrespondierende Maßnahmen (wie Auditierung und Kontrolle von Vertragspartnern durch proaktive Vertragsgestaltung sowie Sanktionierung bei Verstößen) sollten im Unternehmen etabliert oder aktualisiert werden und auch bei Unternehmenstransaktionen zum Einsatz kommen.
Zwar sollen die deutschen Sorgfaltspflichten nach den aktuellen Plänen erst 2023 in Kraft treten. Jedoch ist der Zeitaufwand für die Vorbereitung nicht zu unterschätzen. Überdies sind viele Unternehmen aufgrund ihrer grenzüberschreitenden Geschäftstätigkeit bereits jetzt mit höheren Anforderungen an die Supply Chain Compliance konfrontiert – etwa weil ein ausländisches Gesetz es anordnet oder der ausländische Kunde es verlangt. In jedem Fall schützen die oben genannten Maßnahmen die Unternehmensreputation und das Vertrauen der Stakeholder in eine verantwortungsvolle und rechtssichere Unternehmensführung.
In unserer Serie „Social and Human Rights″ sind wir eingegangen auf das Arbeitsschutzkontrollgesetz und den entsprechenden Gesetzesentwurf sowie auf die Schutzvorschriften in der Fleischwirtschaft. Ebenfalls eingegangen sind wir auf Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette und diesbezügliche Regelungen im Ausland wie der Schweiz. Gleichermaßen ein Thema waren (Psychischen) Belastungen am Arbeitsplatz.