Die Konzernverantwortungsinitiative ist gescheitert. Dennoch werden Schweizer Unternehmen bald in die Pflicht genommen.
Während die Entwürfe für Lieferkettengesetze in Deutschland und auf EU-Ebene noch nicht den Weg in ein formales Gesetzgebungsverfahren gefunden haben, gab es in der Schweiz am 29. November 2020 eine wichtige Entscheidung.
Konzernverantwortungsinitiative knapp gescheitert
Die Befürworter der Konzernverantwortungsinitiative wollten Schweizer Unternehmen gesetzlich insbesondere dazu verpflichten,
- in angemessenem Umfang zu prüfen, ob im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit die international anerkannten Menschenrechte und Umweltstandards auch im Ausland eingehalten werden (Sorgfaltspflicht);
- dabei auch die Tätigkeit der von ihnen kontrollierten Unternehmen (z.B. Tochterunternehmen oder wirtschaftlich abhängige Zulieferer) und sonstigen Geschäftspartner zu überprüfen;
- geeignete Maßnahmen zur Verhütung von Verletzungen der Menschenrechte und der Umweltstandards zu ergreifen;
- Bericht über die Einhaltung der Menschenrechte und Standards sowie über etwaige Maßnahmen zu erstatten;
- auf Schadensersatz für die Verletzung von Menschenrechten oder Umweltstandards durch ein von ihnen kontrolliertes Unternehmen zu haften, es sei denn, das Schweizer Unternehmen kann nachweisen, dass es seine Sorgfaltspflichten erfüllt hatte.
Dieses Konzept hat bei der Volksabstimmung Ende November 2020 – knapp – die Mehrheit verfehlt.
Sorgfalts- und Berichtspflichten für Schweizer Unternehmen wahrscheinlich ab 2023
Dennoch müssen sich Schweizer Unternehmen auf neue Pflichten einrichten. Denn das Scheitern der Volksinitiative bedeutet nicht etwa, dass alles beim Alten bliebe. Vielmehr hat das Parlament bereits einen sog. indirekten Gegenvorschlag verabschiedet.
Der Vorschlag sieht insbesondere vor:
- Nach dem Vorbild der CSR-Richtlinie der EU müssen bestimmte Großunternehmen jährlich über nichtfinanzielle Belange, einschließlich Umweltbelange und Achtung der Menschenrechte, berichten. Dies gilt nur für Gesellschaften des öffentlichen Interesses (etwa börsennotierte Gesellschaften, Banken und Versicherungen) mit mindestens 500 Vollzeitstellen und entweder einer Bilanzsumme von über CHF 20 Millionen oder einem Umsatzerlös von über CHF 40 Millionen in der Unternehmensgruppe.
- Schweizer Unternehmen, die Zinn, Tantal, Wolfram oder Gold enthaltende Mineralien oder Metalle aus Konflikt- und Hochrisikogebieten in den freien Verkehr der Schweiz überführen oder in der Schweiz bearbeiten, müssen bestimmte Sorgfaltspflichten hinsichtlich ihrer Lieferkette einhalten und darüber Bericht erstatten. Als Vorlage diente hier die Konfliktmineralien-Verordnung der EU, deren wesentliche Pflichten am 1. Januar 2021 in Kraft treten werden. Der schweizerische Bundesrat kann in bestimmtem Umfang Ausnahmen von den Sorgfalts- und Berichtspflichten festlegen.
- Entsprechende Sorgfalts- und Berichtspflichten (wie bei Konfliktmineralien) gelten für Schweizer Unternehmen, die Produkte oder Dienstleistungen anbieten, bei denen ein begründeter Verdacht besteht, dass sie unter Einsatz von Kinderarbeit hergestellt oder erbracht wurden. Mit dieser neuen Regelung folgt die Schweiz dem niederländischen Gesetz über Sorgfaltspflichten betreffend Kinderarbeit.
- Die vorsätzliche oder fahrlässige Verletzung einer Berichtspflicht ist strafbar: Wer in einem Bericht über finanzielle Belange, Konfliktmineralien oder Kinderarbeit falsche Angaben macht oder die Berichterstattung unterlässt, muss mit Geldstrafe von bis zu CHF 100.000 rechnen.
Dieser Vorschlag tritt in Kraft, wenn nicht innerhalb von 100 Tagen nach seiner Veröffentlichung im Schweizerischen Bundesblatt ein Referendum gegen ihn zustande kommt. Er enthält allerdings eine Übergangsregelung: Die Sorgfalts- und Berichtspflichten sind erstmals auf das Geschäftsjahr anzuwenden, das ein Jahr nach Inkrafttreten beginnt. Bei einem Geschäftsjahr, das dem Kalenderjahr entspricht, ist dies voraussichtlich das Geschäftsjahr 2023.
Schweiz schließt sich den EU-Regelungen an
Mit der Abstimmung hat sich die Schweiz gegen das strenge und allgemein gültige Lieferkettengesetz entschieden, das die Konzernverantwortungsinitiative verlangt hatte.
Insbesondere die auch in Deutschland stark umstrittene Haftung auf Schadensersatz für Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette wird es in der Schweiz also nicht geben. Die geforderte Haftung ging über die geltende Regelung in Frankreich hinaus – dem einzigen Land, das bislang eine solche zivilrechtliche Haftung anordnet. Während nach dortigem Recht der Geschädigte alle Tatbestandsvoraussetzungen einschließlich der Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen muss, hätte ein beklagtes Schweizer Unternehmen sich nach dem Willen der Konzernverantwortungsinitiative exkulpieren müssen, um der Haftung zu entgehen.
Menschenrechtliche Sorgfaltspflichten werden Schweizer Unternehmen nur in den Bereichen Konfliktmineralien und Kinderarbeit zu erfüllen haben.
Die Schweiz schließt sich damit im Wesentlichen dem ab 2021 geltenden EU-Recht an.
Auch deutsche Unternehmen sollten sich vorbereiten
Deutschen Unternehmen mit Schweizer Tochtergesellschaften ist zu empfehlen, frühzeitig zu prüfen, ob Sorgfalts- und Berichtspflichten nach schweizerischem Recht vom Tochterunternehmen zu erfüllen sein werden, und ggf. vorbereitende Maßnahmen zu treffen. Die Zeit bis zum Ablauf der Übergangsperiode mag lang erscheinen, aber es ist zu bedenken, dass die internen Strukturen und Prozesse zur Erfüllung der neuen gesetzlichen Pflichten bis dahin aufgebaut sein müssen.
Deutsche Unternehmen müssen sich ferner darauf einstellen, dass Schweizer Kunden in Zukunft vermehrt Auskünfte über die menschenrechtliche und umweltbezogene Situation in der Lieferkette und die Übernahme diesbezüglicher vertraglicher Verpflichtungen verlangen werden. Gut beraten ist, wer im Vorgriff darauf bereits jetzt die eigenen Lieferanten entsprechend in die Pflicht nimmt.
Auch aus geschäftlichen Gründen erscheint es wichtiger denn je, das Thema Supply Chain Management auf die Agenda zu setzen. Angesichts der aktuellen Diskussionen in den Medien über globale Lieferketten und der Vorbereitungen weiterer gesetzlicher Regelungen auf EU-Ebene und in einzelnen Staaten wird der Druck von Verbrauchern und Geschäftskunden zunehmen, belastbare Nachweise für vertrauenswürdige Lieferketten zu erbringen.
In unserer Serie „Social and Human Rights″ sind wir eingegangen auf das Arbeitsschutzkontrollgesetz und den entsprechenden Gesetzesentwurf sowie auf die Schutzvorschriften in der Fleischwirtschaft. Ebenfalls eingegangen sind wir auf Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette und diesbezügliche Regelungen im Ausland wie der Schweiz. Gleichermaßen ein Thema waren (Psychischen) Belastungen am Arbeitsplatz.