Die geplante Richtlinie zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten geht deutlich über das deutsche Lieferkettengesetz hinaus.
Am 23. Februar 2022 hat die Europäische Kommission ihren Vorschlag für eine Richtlinie zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten für Nachhaltigkeit (Corporate Sustainability Due Diligence) veröffentlicht. Bereits am 10. März 2021 hatte das Europäische Parlament sie dazu aufgefordert. Die Kommission selbst hatte den Gesetzgebungsvorschlag schon vor langer Zeit angekündigt, den Termin aber mehrfach verschoben.
Sowohl Nichtregierungsorganisationen als auch viele Unternehmen hatten die Kommission zuletzt immer nachdrücklicher zur Vorlage des Entwurfs gedrängt. Dem stand die ablehnende Haltung vieler Wirtschaftsverbände gegenüber. Ähnliche Verzögerungen und Forderungen hatte es bereits im Gesetzgebungsverfahren des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) gegeben.
Kommt die Richtlinie mit dem vorgeschlagenen Inhalt, müsste der deutsche Gesetzgeber das LkSG erheblich nachschärfen.
Menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten sind zu erfüllen
In ihrem Kern stimmen LkSG und Richtlinienvorschlag überein:
Die betroffenen Unternehmen werden dazu verpflichtet, bei sich selbst und in ihren Lieferketten laufend menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten zu erfüllen. Dazu gehören u.a. Risikoanalysen sowie Präventions- und Abhilfemaßnahmen zur Feststellung, Vermeidung und Beendigung negativer Auswirkungen der Geschäftstätigkeit auf Menschenrechte und Umwelt.
Außerdem ist ein Beschwerdeverfahren einzurichten und einmal jährlich ein Bericht auf der Internetseite des Unternehmens zu veröffentlichen.
Richtlinienvorschlag zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten für Nachhaltigkeit erweitert den Kreis der betroffenen Unternehmen
Deutliche Unterschiede zwischen dem Richtlinienvorschlag und dem LkSG bestehen beim persönlichen Anwendungsbereich. Der Kreis der betroffenen Unternehmen ist nach der Richtlinie wesentlich weiter als nach dem LkSG. Die Richtlinie erfasst zum einen auch kleinere Gesellschaften: Während das LkSG nur Unternehmen mit mind. 3.000 (ab 2024: 1.000) Arbeitnehmern* verpflichtet, erfasst die Richtlinie:
- Gesellschaften mit mehr als 500 Arbeitnehmern und einem weltweiten Jahresumsatz von mehr als EUR 150 Mio.
- Gesellschaften mit mehr als 250 Arbeitnehmern und einem weltweiten Jahresumsatz von mehr als EUR 40 Mio., falls mind. 50 % dieses Umsatzes aus bestimmten Branchen mit erhöhten Risiken für Menschenrechte und Umwelt stammen. Dazu zählen bspw. die Textilbranche, die Landwirtschaft, die Lebensmittelindustrie sowie mineralische Ressourcen, Grund- und Zwischenprodukte.
Zum anderen hat die Richtlinie im Gegensatz zum LkSG extraterritoriale Wirkung. Sie gilt auch für Unternehmen aus Drittstaaten mit:
- einem Jahresumsatz in der Union von mehr als EUR 150 Mio.
- einem Jahresumsatz in der Union von mehr als EUR 40 Mio., falls mind. 50 % des weltweiten Umsatzes aus den oben erwähnten Risikobranchen stammen
Ob diese unionsfremden Unternehmen einen Standort in der EU haben, ist gleichgültig. Demgegenüber gilt das LkSG für ausländische Unternehmen nur dann, wenn sie eine Zweigniederlassung in Deutschland haben.
Der Anwendungsbereich der Richtlinie bleibt allerdings insofern hinter dem LkSG zurück, als grundsätzlich nur Kapitalgesellschaften betroffen sind – in Deutschland namentlich AG (einschließlich SE), KGaA und GmbH. Zwar sind auch OHG und KG erfasst, jedoch nur, wenn sie ausschließlich von Kapitalgesellschaften gehalten werden. Das ist aber nur selten der Fall. Regulierte Finanzunternehmen müssen die Richtlinie unabhängig von ihrer Rechtsform beachten. Für die Anwendbarkeit des LkSG ist die Rechtsform hingegen in jeder Hinsicht unbeachtlich.
Betroffene Unternehmen haben auch Tochtergesellschaften und Kunden zu prüfen
Auch bei den Prüfungsobjekten unterscheidet sich die Richtlinie vom LkSG: Nach dem Willen der Kommission ist das betroffene Unternehmen sorgfaltspflichtig im Hinblick auf
- seine eigenen Tätigkeiten,
- die Tätigkeiten seiner Tochtergesellschaften und
- die in der Wertschöpfungskette von solchen Gesellschaften ausgeführten Tätigkeiten, mit denen es eine etablierte Geschäftsbeziehung (established business relationship) hat.
Letztere definiert der Richtlinienvorschlag sehr weitgehend als eine mit Blick auf Intensität und Dauer langfristige – direkte oder indirekte – Geschäftsbeziehung, die nicht einen vernachlässigbaren oder lediglich untergeordneten Teil der Wertschöpfungskette darstellt. Es sind vor- und nachgelagerte Glieder der Wertschöpfungskette („upstream“ und „downstream“) zu prüfen, insbesondere Lieferanten und Kunden.
Demgegenüber bezieht sich das LkSG allein auf den eigenen Geschäftsbereich und die Lieferkette. Der eigene Geschäftsbereich erfasst nur bei der Obergesellschaft auch Tochtergesellschaften. Und bei der Lieferkette geht es im Wesentlichen um die vorgelagerten Glieder (upstream). Zwar kann bspw. ein Spediteur, der das Produkt zum Kunden befördert, Teil der Lieferkette des Unternehmens sein. Aber der Kunde selbst soll nach dem erkennbaren Willen des deutschen Gesetzgebers nur bei Finanzdienstleistungen von besonderer Bedeutung geprüft werden.
Keine Obergesellschaft, keine Zurechnung von Arbeitnehmern
Anders als das LkSG kennt der Richtlinienvorschlag weder das Konzept der Obergesellschaft noch eine Zurechnung von Arbeitnehmern. Damit stellen sich hier viele Fragen nicht, die beim LkSG derzeit für Rechtsunsicherheit sorgen.
Nur punktuelle Vorgaben für Sanktionen bei Sorgfaltspflichtverletzung
Die Regelung der behördlichen Sanktionen für die Verletzung von Sorgfaltspflichten will die Kommission im Wesentlichen den Mitgliedstaaten überlassen. Der Richtlinienvorschlag macht lediglich punktuelle Vorgaben: Bspw. müssen finanzielle Sanktionen umsatzabhängig sein. Diese Voraussetzung erfüllt das LkSG nur teilweise, denn einige Bußgeldtatbestände sind nicht umsatzabhängig. Ferner bestimmt die geplante Richtlinie, dass alle Entscheidungen über behördliche Sanktionen zu veröffentlichen sind (naming and shaming).
EU-Lieferketten-Richtlinie schreibt zivilrechtliche Haftung für Sorgfaltspflichtverletzung vor
Am deutlichsten zeigt sich die Schärfe der vorgeschlagenen Richtlinie bei der zivilrechtlichen Haftung für den Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten: Während eine solche Haftung nach dem LkSG ausdrücklich nicht besteht, ist sie nach der Richtlinie vorgeschrieben. Damit ebnet die Kommission jetzt den Weg für direkte Ansprüche von Betroffenen gegen die sorgfaltspflichtigen Unternehmen auf Schadensersatz wegen Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden in der Wertschöpfungskette.
Die Richtlinie sieht eine Haftungserleichterung vor, falls der Schaden durch Aktivitäten eines indirekten Geschäftspartners verursacht wurde, mit dem das Unternehmen eine etablierte Geschäftsbeziehung (established business relationship) hat.
Die vorgesehene Haftung ist international zwingend. Demnach muss ein mitgliedstaatliches Gericht diese Haftung auch dann beachten, wenn die Ansprüche nicht dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegen. Damit verhindert die Richtlinie, dass Geschädigte eine Entschädigung deshalb nicht erlangen können, weil nach dem Recht eines Drittstaats eine Lieferketten-Haftung nicht besteht. Dies ist bedeutsam, weil die mitgliedstaatlichen Gerichte in den einschlägigen Fällen häufig das Recht eines Drittstaats anzuwenden haben. Denn im Grundsatz ist das Recht des Staates maßgeblich, in dem der Schaden eingetreten ist.
Die wichtige Frage der Beweislast ist in der Richtlinie nicht geregelt und wird damit dem nationalen Gesetzgeber überlassen.
Pflichterweiterung für die Unternehmensleitung
Der Richtlinienvorschlag spricht die Verantwortung der Unternehmensleitung für Menschenrechte und Umweltbelange deutlich konkreter an als das LkSG: Die Unternehmensleitung muss die kurz-, mittel- und langfristigen Auswirkungen ihrer Entscheidungen auf Angelegenheiten der Nachhaltigkeit, einschließlich Menschenrechten, Klimawandel und Umweltauswirkungen, berücksichtigen. Bestimmungen im nationalen Recht über Pflichtverletzungen der Unternehmensleitung sollen diese Pflicht erfassen. Überdies muss das Unternehmen unter bestimmten Umständen den Klimawandel bei der Festsetzung der variablen Vergütung der Unternehmensleitung berücksichtigen.
Gesetzgebungsverfahren hat erst begonnen
Der Richtlinienentwurf muss noch das EU-Gesetzgebungsverfahren durchlaufen. Sowohl das Europäische Parlament als auch der Rat, in dem die Mitgliedstaaten durch Minister vertreten sind, müssen dem Entwurf zustimmen. Jedes der beiden Organe kann Änderungen vorschlagen.
Wird die Richtlinie verabschiedet, haben die Mitgliedstaaten eine Frist von zwei Jahren, um sie in nationales Recht umzusetzen. In dieser Zeit müsste der deutsche Gesetzgeber das LkSG noch einmal deutlich nachschärfen, wenn die Richtlinie so kommt, wie sie die Kommission jetzt vorgeschlagen hat.
Nach dem Richtlinienvorschlag sind die Sorgfaltspflichten für die größeren Unternehmen (Umsatz von mehr als EUR 150 Mio.) mit Ablauf der Umsetzungsfrist in Kraft zu setzen, für die kleineren Unternehmen in Risikobranchen erst zwei Jahre später.
Mehr Verantwortung von Unternehmen für Menschenrechte und Umwelt
Der Vorschlag der Kommission enthält – gemessen am Entwurf des Europäischen Parlaments und an den gelegentlich durchgesickerten Informationen – kaum Überraschungen. Ob und mit welchem Inhalt der Gesetzentwurf verabschiedet wird, ist noch offen. Denn es bleibt ein kontrovers diskutiertes Thema, inwiefern Unternehmen Menschenrechte und Umwelt in ihren Wertschöpfungsketten schützen sollen. Die Tendenz geht dabei eindeutig in Richtung mehr Verantwortung der Unternehmen, jedenfalls in Westeuropa: In Frankreich und in der Schweiz sind bereits entsprechende Gesetze in Kraft. Norwegen und Deutschland werden bald folgen. In den Niederlanden und in Belgien laufen Gesetzgebungsverfahren.
Der aktuelle Richtlinienvorschlag ist zudem nicht die einzige Initiative auf EU-Ebene: Am 17. November 2021 hatte die Kommission bereits eine Verordnung zu Sorgfaltspflichten für Produkte vorgeschlagen, die zur Entwaldung beitragen. Und gleichzeitig mit dem vorliegenden Richtlinienentwurf hat die Kommission eine separate gesetzliche Regelung mit dem Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit angekündigt.
In unserer Serie „Social and Human Rights“ sind wir eingegangen auf das Arbeitsschutzkontrollgesetz und den entsprechenden Gesetzentwurf sowie auf die Schutzvorschriften in der Fleischwirtschaft. Ebenfalls eingegangen sind wir auf Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette und diesbezügliche Regelungen im Ausland wie der Schweiz. Gleichermaßen ein Thema war (Psychische) Belastung am Arbeitsplatz.
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*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.