Verjährungsauslösende Kenntnis liegt bei vollautomatisierten Vorgängen bereits vor, wenn die Informationen im Datenbestand abrufbar sind.
Ansprüche gegen Dritte können laut dem OLG Frankfurt (Beschluss v. 25. Januar 2019 – 3 U 145/18) verjähren, wenn die den Ansprüchen zugrundeliegenden Informationen im vollautomatisiert erzeugten Datenbestand eines Unternehmens zunächst unentdeckt bleiben und daher von den zuständigen Mitarbeitern nicht geprüft und weiterverarbeitet werden.
Da die Datenbestände der Unternehmen immer umfangreicher werden und der Grad der Automatisierung weiter zunimmt, könnte dieser Rechtsprechung eine erhebliche Auswirkung auf den erforderlichen Umgang mit automatisiert erzeugten Informationen haben.
Rücklastschrift trotz Genehmigungsfiktion
In dem vom OLG Frankfurt entschiedenen Fall, führte eine Bank im Jahr 2012 zulasten eines eigenen Kunden ein Rücklastschriftverfahren durch, obwohl die Voraussetzungen für das Rücklastschriftverfahren nicht vorlagen. Hintergrund war, dass die Bank zunächst zugunsten ihres Kunden eine Lastschrift durchführte und hierdurch das Konto des Schuldners bei einer anderen Bank belastete.
Der Schuldner widersprach der Lastschrift gegenüber seiner Bank, wobei dieser Widerspruch gemäß den Grundsätzen der Rechtsprechung zu spät und somit nach Eintritt einer Genehmigungsfiktion erfolgte. Auf Anweisung der Bank des Schuldners führte die Bank des Gläubigers eine Rückbuchung durch.
Verjährung des Regressanspruchs?
Gegenüber dem eigenen Kunden musste die Bank des Gläubigers die Rückbuchung zurücknehmen und den betreffenden Buchungsbetrag wieder gutschreiben. In dem Gerichtsprozess zwischen der Bank des Gläubigers und ihrem Kunden erklärte die Bank des Gläubigers der Bank des Schuldners erst am 19. Februar 2016 den Streit.
Im Rahmen des Regressprozesses machte die Bank des Gläubigers Erstattungsansprüche gegen die Bank des Schuldners geltend, da diese unberechtigt die Rückbuchung angewiesen hatte. Die Bank des Schuldners erhob die Einrede der Verjährung, da etwaige Regressansprüche aus dem Rücklastschriftverfahren im Jahr 2012 seit Ablauf des 31. Dezember 2015 verjährt gewesen sein sollen.
Vollautomatisiertes Lastschriftverfahren
Aus Sicht des OLG Frankfurts lagen der Bank des Schuldners zum Zeitpunkt der Rückbuchung bereits alle Informationen zur Prüfung der Rechtmäßigkeit des Widerspruchs gegen die Lastschrift vor. Unter Berücksichtigung der ständigen Rechtsprechung befanden sich in dem Datenbestand der Bank des Schuldners damit bereits im Jahr 2012 alle Informationen, die zur Beurteilung des Regressanspruchs gegen die Bank des Schuldners erforderlich waren.
Da das Rücklastschriftverfahren jedoch vollautomatisiert durchgeführt wird, wurden diese Information von den Mitarbeitern der Bank nicht geprüft und auch nicht weiterverarbeitet. Erst infolge des Gerichtsurteils zugunsten des eigenen Kunden machte die Bank des Gläubigers einen Regressanspruch gegenüber der Bank des Schuldners geltend.
Nach Ansicht des OLG Frankfurt war der etwaige Regressanspruch seit Ablauf des 31. Dezember 2015 verjährt, da sich die Bank des Gläubigers die in ihrem Datenbestand befindlichen Informationen zurechnen lassen müsse. Die Bank hätte daher im Jahr 2012 verjährungsauslösende Kenntnis von allen für die Beurteilung des Regressanspruchs relevanten Umständen gehabt. Dass diese Daten im Bestand der Bank nicht abgerufen wurden, könne die Bank des Gläubigers nicht entlasten.
Rechtliche Hintergründe: Beginn der regelmäßigen Verjährung mit Kenntniserlangung
Verjährungsvorschriften sind in der Praxis von erheblicher Bedeutung, da der Eintritt der Verjährung in der Regel die Durchsetzung bestehender Ansprüche verhindert. Die sogenannte regelmäßige Verjährungsfrist beträgt gemäß § 195 BGB drei Jahre. Sie beginnt gemäß § 199 BGB zum Ende des Kalenderjahres, indem der betreffende Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den dem Anspruch begründeten Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist somit von wesentlicher Bedeutung und in der Praxis häufig schwer zu bestimmen.
Wissenszurechnung innerhalb von Unternehmen
§ 199 BGB stellt im Ausgangspunkt auf die Kenntnis des Anspruchsinhabers ab. Gerade in größeren Unternehmen mit einer stark ausgeprägten Arbeitsteilung stellt sich die Frage, inwieweit die intern vorliegenden Informationen der Geschäftsleitung oder anderen Personen innerhalb des Unternehmens zugerechnet werden können. Sollen beispielsweise die in der Einkaufsabteilung vorliegenden Informationen der Vertriebsabteilung zuzurechnen sein (bejahend: BGH, Urteil v. 31. Januar 1996 – VIII ZR 297/94)?
§ 166 BGB enthält eine Vorschrift, die zu einer Wissenszurechnung innerhalb juristischer Personen (z.B. Gesellschaften) führen kann. Voraussetzung für eine Wissenszurechnung soll es laut der Rechtsprechung sein, dass sich aus dem Gebot von Treu und Glauben und zur Sicherstellung des Verkehrsschutzes eine Pflicht des Unternehmens zur Organisation eines Informationsaustauschs zwischen den verschiedenen Kenntnisträgern des Unternehmens ergibt.
Der BGH (Urteil v. 2. Februar 1996 – V ZR 239/94) sieht den entscheidenden Gesichtspunkt im Gleichstellungsargument. Die Wissenszurechnung müsse sicherstellen, dass der Vertragspartner des arbeitsteilig aufgebauten Unternehmens nicht schlechter, als der Vertragspartner einer natürlichen Person. Die Wissenszurechnung bezieht sich hierbei auf Informationen die speicherungswürdig sind, d.h. Informationen, die nach einer gewissen Wahrscheinlichkeit später rechtliche Bedeutung haben könnten. Sie erfolgt somit hinsichtlich des Wissens, das typischerweise in Akten festgehalten wird. Die Wissenszurechnung kann hiernach zwischen einem Sachbearbeiter und der Geschäftsführung eines Unternehmens, aber auch zwischen verschiedenen Abteilungen oder Filialen eines Unternehmens bestehen.
Wissenszurechnung im Verjährungsrecht
Im Verjährungsrecht war der BGH gerade im Hinblick auf Kenntnisse in öffentlichen Behörden bei der Wissenszurechnung bislang eher zurückhaltend. Die Nichtanwendung der Wissenszurechnung im Verjährungsrecht wird damit begründet, dass notwendige Voraussetzung für eine Wissenszurechnung sei, dass der betreffende Bedienstete oder Sachbearbeiter eigenverantwortlich (zumindest) mit der Vorbereitung von Regressansprüchen betraut ist.
Falls somit in einem Unternehmen mehrere Abteilungen mit einem Sachverhalt befasst sind, komme es für den Beginn der Verjährung grundsätzlich auf den Kenntnisstand des für die Vorbereitung und Verfolgung des betreffenden Anspruchs zuständigen Bediensteten oder Sachbearbeiters an, d.h., bei Vorhandensein mehrerer Abteilungen, auf den Kenntnisstand der Bediensteten oder Mitarbeiter der zuständigen Abteilung (vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 2012 – VI ZR 9/11).
Wissenszurechnung bei vollautomatisiert ablaufenden Vorgängen
Die immer stärker verbreitete Automatisierung in wirtschaftlichen Arbeitsprozessen führt in der Praxis aber zu neuen Fragen: Muss sich z.B. ein Unternehmen die in seinem automatisch aufgebauten Datenstand gespeicherten Informationen zurechnen lassen muss, auch wenn kein Mitarbeiter positive Kenntnis von dieser Information hatte?
Gerade wenn keine Mitarbeiter mehr damit betraut sind, bestimmte automatisierte Vorgänge zu bearbeiten und die relevanten Informationen allein in elektronischen Dateien gespeichert sind, kann aus Sicht des OLG Frankfurt das oben genannte Argument des BGH, mit dem die Wissenszurechnung der Kenntnis im Verjährungsrecht bisher abgelehnt wurde, nicht mehr gelten. Schließlich seien die Informationen aktenkundig, d.h. im elektronischen Datenbestand, bei dem betreffenden Unternehmen vorhanden.
BGH wird Stellung beziehen
Aktuell ist die Nichtzulassungsbeschwerde bei dem BGH anhängig. Die Entscheidung des BGH bleibt somit abzuwarten. Sollte der Bundesgerichtshof die Argumentation des OLG Frankfurt stützen, müssen Unternehmen im Rahmen ihrer vollautomatisierten Vorgänge Sicherheitsverfahren einführen, damit Informationen im Zusammenhang mit Ansprüchen nicht unentdeckt bleiben. Unternehmen, die Sicherheitsmaßnahmen dieser Art nicht einführen, laufen Gefahr, dass etwaige Ansprüche gegenüber Dritten verjähren, weil die Informationen in dem Datenbestand des Anspruchsinhabers bereits zur verjährungsauslösenden Kenntnis des Anspruchsinhabers führten.