4. September 2019
Referentenentwurf Verbandssanktionengesetz
Compliance RefE Verbandssanktionengesetz

Referentenentwurf zum Verbandssanktionengesetz

Ziel des Verbandssanktionsgesetzes: Unternehmen für Straftaten in größerem Umfang zu sanktionieren, Compliance-Maßnahmen zu fördern und in Verdachtsfällen Anreize für interne Untersuchungen zu setzen.

Dem deutschen Strafrecht ist bis heute die Strafbarkeit von Unternehmen fremd, nur eine natürliche Person kann strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) sieht allerdings schon heute Sanktionen gegen ein Unternehmen in Form einer Geldbuße von bis zu zehn Millionen Euro vor (§ 30 OWiG). Zudem erfolgen regelmäßig Vermögensabschöpfungen über das Instrument der Einziehung in ganz erheblichen Millionenbeträgen.

Es wird aber nur noch eine Frage der Zeit sein, bis Unternehmen für Verfehlungen ihrer Mitarbeiter durch ein spezifisches Unternehmensstrafrecht auch in Deutschland sanktioniert werden. Bereits im Koalitionsvertrag vom 12. März 2018 (S. 126) hatte die große Koalition eine Neuordnung des Sanktionenrechts für Unternehmen zur angemessenen und wirksamen Ahndung von Wirtschaftskriminalität vereinbart. Nun hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) einen Referentenentwurf für ein Gesetz zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität vorgestellt, der unter der Bezeichnung „Verbandssanktionengesetz“ oder kurz „VerSanG“ firmiert.

Der Referentenentwurf ist nunmehr der Höhepunkt einer seit Jahren anhaltenden Diskussion über die Einführung eines speziellen Sanktionsrechts für Unternehmen, nachdem bereits im Jahr 2013 Nordrhein-Westfalen eine Gesetzesinitiative zum Unternehmensstrafrecht angestoßen hat und im Jahr 2017 der vielbeachtete Kölner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes veröffentlicht wurde. Zuletzt wurden die Rufe nach einem Unternehmensstrafrecht, welches in den meisten westlichen Staaten zu finden ist, auch hierzulande immer lauter.

Koalitionsvertrag vom 12. März 2018: OWiG zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität unzureichend

Da eine Sanktionierung von Unternehmen für Straftaten, die von deren Mitarbeitern und Leitungsorgangen im Rahmen der wirtschaftlichen Betätigung des Unternehmens begangen werden, bislang nur über die Vorschriften des OWiG oder auf Basis einschlägiger Spezialgesetze (etwa im Kartell- oder Datenschutzrecht) in Betracht kommt, schrieb sich die große Koalition die stärkere Sanktionierung von Unternehmen in Wirtschaftsstraffällen im Koalitionsvertrag (S. 126) auf die Fahne. Die aktuellen Sanktionierungsinstrumente nach geltender Rechtslage wurden als unzureichend angesehen. Der großen Koalition sind insbesondere das Opportunitätsprinzip und die Beschränkung des Bußgeldrahmens auf EUR 10 Mio. ein Dorn im Auge. Zudem wurden weitere Sanktionsinstrumente sowie die Schaffung konkreter und nachvollziehbare Zumessungsregeln für Unternehmensgeldsanktionen für erforderlich gehalten.

In Anknüpfung an diesen Befund möchte das BMJV nun mithilfe des geplanten VerSanG die Sanktionierung von Verbänden auf eine eigenständige gesetzliche Grundlage stellen.

Statuierung einer Verfolgungspflicht

Das VerSanG soll für die zuständigen Verfolgungsbehörden das sog. Legalitätsprinzip (Verfolgungspflicht von Verbandsstraftaten) statuieren, um die Verfolgung von Verbandsstraftaten sicherzustellen. Ebenso wie bei durch natürliche Personen begangene Straftaten soll nun auch bei Verbandsstraftaten ein Absehen von der Strafverfolgung nur noch im Ausnahmefall möglich sein (etwa bei Geringfügigkeit).

Sanktionierung durch Verbandsgeldsanktion, Verbandsgeldsanktionenvorbehalt oder Verbandsauflösung

Wie bereits im Koalitionsvertrag vorgesehen, soll der Sanktionsrahmen für Verbände mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als EUR 100 Mio. bei einer vorsätzlichen Verbandsstraftat auf bis zu 10 % des durchschnittlichen Jahresumsatzes erhöht werden.

Neben der Verbandsgeldsanktion soll das Gesetz die Möglichkeit der Verwarnung mit einem Verbandsgeldsanktionenvorbehalt vorsehen. In diesem Fall soll ein Gericht verschiedene Auflagen und Weisungen vornehmen können, um eine erneute „Straffälligkeit des Unternehmens“ zu verhindern. Als Weisung ist insbesondere der Nachweis bestimmter Vorkehrungen durch eine unabhängige Stelle zur Vermeidung von zukünftiger No-Compliance vorgesehen. Diese Möglichkeit scheint dem sog. Monitor nach US-amerikanischen Vorbild nachgebildet bzw. an diesen angelehnt.

Als ultima ratio besteht schließlich die Möglichkeit das Unternehmen als Verband aufzulösen.

Berücksichtigung von Compliance-Maßnahmen bei der Bußgeldbemessung

Die Bemessungsgrundlagen für Verbandsgeldsanktionen werden im Entwurf aufgeführt. Compliance-Maßnahmen sollen bei der Bemessung der Sanktionen ausdrücklich berücksichtigt werden. An dieser Stelle differenziert der Entwurf explizit zwischen präventiven Compliance-Bemühungen im Vorfeld von Straftaten und nachgelagerten adaptiven Compliance-Bemühungen zur Optimierung des Compliance-Management-Systems und ordnet die kumulative Berücksichtigung bei der Bemessung an.

Sanktionsmildernde Berücksichtigung von internen Untersuchungen

Zugleich werden Anreize geschaffen, damit Unternehmen mit internen Untersuchungen zur Aufklärung von Straftaten beitragen. Zur sanktionsmildernden Berücksichtigung soll neben der Leistung eines wesentlichen Aufklärungsbeitrags erforderlich sein, dass interne Befragungen von Mitarbeitern im Einklang mit rechtsstaatlichen Grundsätzen durchgeführt werden. So sollen Mitarbeiter vorher darüber belehrt werden, dass ihre Auskünfte in einem Strafverfahren gegen sie verwendet werden könnten und sie das Recht auf einen anwaltlichen Beistand haben. Weiter wird ein Hinweis der Mitarbeiter auf ihr Auskunftsverweigerungsrecht im Sinne von § 52 StPO im Vorfeld der Befragung vorausgesetzt.

Um eine objektive interne Untersuchung sicherzustellen, sollen nach dem Entwurf die Mandate der verbandsinternen Untersuchung und der Unternehmensverteidigung nicht in einer Hand liegen. Allerdings soll dies nicht die Beauftragung derselben Kanzlei ausschließen, wenn intern kein Austausch stattfindet („Chinese Walls“).

Unklarheiten mit Blick auf den Beschlagnahmeschutz bei internen Ermittlungen

Zukünftig soll den Unternehmen offiziell die Stellung eines Beschuldigten eingeräumt werden. Diese wird von zentraler Bedeutung für den Beschlagnahmeschutz von Unterlagen sein. Die Begründung legt nämlich nahe, dass ein Beschlagnahmeschutz zeitlich erst für solche Arbeitsprodukte besteht, die nach Erlangung der Beschuldigtenstellung erstellt wurden. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass Erkenntnisse aus internen Untersuchungen, die vor Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gewonnen werden, bei der ermittelnden Kanzlei beschlagnahmt werden können.

Zwischenfazit: Compliance-Maßnahmen lohnen sich, Unklarheiten bei internen Untersuchungen

Der Entwurf sieht eine erhebliche Verschärfung des Sanktionsrahmens für Straftaten vor, die aus Unternehmen heraus begangen werden. Andererseits enthält der Entwurf explizite Regelungen zur Berücksichtigung von Compliance-Maßnahmen und internen Untersuchungen bei der Sanktionsbemessung. Damit entstehen gesetzliche Anreize für die Einführung und kontinuierliche Aktualisierung von Compliance-Maßnahmen, ebenso wie für die Durchführung interner Untersuchungen zur Aufklärung von Verbandsstraftaten.

Der Umfang des Beschlagnahmeschutzes war in den letzten Jahren immer wieder Gegenstand von teils widersprüchlichen Entscheidungen der Gerichte. Jedoch soll dieser elementare Schutzaspekt eines jeden rechtsstaatlichen Verfahrens zukünftig erst dann durchschlagen, wenn ein Unternehmen offiziell von den Ermittlungsbehörden als Beschuldigter geführt wird. Dies könnte jedoch zur Konsequenz haben, dass für alle zuvor erfolgten Untersuchungs- und Verteidigungsmaßnahmen des Unternehmens keinerlei Schutz besteht. Insoweit ist der Entwurf eine Verschlechterung der aktuellen Rechtslage und eine unnötige Aushöhlung der Verteidigungsrechte eines jeden Unternehmens. Hier besteht dringender Korrekturbedarf.

Nach dem Auftakt zu unserer Serie zum Referentenentwurf zum Verbandssanktionengesetz folgten Informationen zu Änderungen bei Internal Investigations, zum faktischen Kooperationszwang und der Aushöhlung von Verteidigungsrechten sowie zu den Verbandsgeldsanktionen.

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