Hinweisgeberschutzgesetz: Nachstehend erläutern wir die wichtigsten Veränderungen gegenüber dem Referentenentwurf.
Am 6. April 2022 hatte der Bundesjustizminister einen Referentenentwurf zur Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie (Richtlinie (EU) 2019/1937) an seine Kabinettskollegen* zirkuliert.
Mit dem nunmehr am 27. Juli 2022 vom Bundeskabinett verabschiedeten Regierungsentwurf ist der nächste Schritt im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens getan, das nach den Vorgaben der Richtlinie eigentlich schon zum 17. Dezember 2021 hätte vollendet sein sollen. Im Januar/Februar 2022 hatte die EU-Kommission deshalb Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland und 26 andere, ebenfalls säumige EU-Mitgliedstaaten eingeleitet.
Der Regierungsentwurf enthält gegenüber dem Referentenentwurf zunächst etliche Aktualisierungen und Korrekturen
Im Referentenentwurf waren einige Bezugnahmen auf relevante Gesetze nicht enthalten. So waren bspw. die Regelungen im Wertpapierinstitutsgesetz zu Hinweisgebern nicht berücksichtigt, obwohl das Wertpapierinstitutsgesetz bereits in 2021 in Kraft getreten war. Ähnliches gilt für Bezugnahmen auf Hinweisgebersysteme bei Verwahrstellen i.S.v. § 68 Abs. 4 S. 3 KAGB oder auch des Börsenträgers gem. § 5 Abs. 8 BörsG. Dies wurde nun im Regierungsentwurf korrigiert.
Wesentliche Änderungen für den Bereich des Wettbewerbsrechts
Der Regierungsentwurf bezieht neben den Art. 101 und 102 AEUV nunmehr auch deren deutsche wettbewerbsrechtliche Parallelvorschriften, namentlich § 81 Abs. 2 und 3 GWB, in den Anwendungsbereich des Hinweisgeberschutzgesetzes ein. Ausweislich der Entwurfsbegründung soll damit die schwierige Abgrenzung vermieden werden, ob ein Verstoß gegen EU-Wettbewerbsrecht oder deutsches Wettbewerbsrecht vorliegt. Von dieser Frage soll der Schutz eines Hinweisgebers nicht abhängig sein.
Konsequenterweise bestimmt der Regierungsentwurf das Bundeskartellamt nunmehr zur zuständigen externen Meldestelle für Verstöße nicht nur gegen europäische, sondern jetzt auch nationale Wettbewerbsvorschriften, allerdings mit einer weitreichenden Änderung für die betroffenen Unternehmen gegenüber den sonst für interne Meldungen geltenden Regeln:
Grundsätzlich kann der Hinweisgeber wählen, ob er seinen Hinweis bei einer internen oder einer externen (meint: behördlichen) Meldestelle abgibt. Hat er sich für die Meldung bei einer internen Meldestelle entschieden, so kann er sich erst dann an eine externe Meldestelle wenden, wenn dem zuvor intern gemeldeten Verstoß nicht abgeholfen wurde (§ 7 Abs. 1 S. 2 RegE). Dieses Prinzip wird bei der Meldung von Wettbewerbsverstößen nunmehr massiv verändert. In diesem Bereich soll der Hinweisgeber nicht auf den Ausgang der internen Behandlung seines Hinweises warten müssen; er kann sich vielmehr auch parallel an das Bundeskartellamt wenden (§ 12 Abs. 1 S. 2 RegE), das sodann eigenständig Ermittlungen aufnehmen kann. Damit wäre selbst ein Unternehmen, das dem zunächst internen Hinweis ordnungsgemäß nachgeht und den gemeldeten Sachverhalt auf eigenes Fehlverhalten untersucht, in erheblicher Gefahr, nicht mehr in den Genuss der Kronzeugenbehandlung kommen zu können. Die Bundesregierung begründet diese Neuerung mit der Sorge, bei lediglich interner Meldung könnte das betroffene Unternehmen seine Beteiligung am Kartell stillschweigend beenden, ohne dass der gesamte Sachverhalt und die Beteiligung anderer Unternehmen hieran noch aufgedeckt würden; das wolle man verhindern.
Annahme anonymer Hinweise wird zur „Sollte“-Regelung
Die EU-Whistleblower-Richtlinie hatte es ausdrücklich den Mitgliedstaaten überlassen, ob sie Unternehmen auch zur Annahme anonymer Hinweise verpflichten wollen. Im Referentenentwurf war aus Sorge vor einer Überforderung der Meldesysteme und möglichen der Denunziation dienenden Hinweisen auf die Statuierung einer Annahmeverpflichtung verzichtet worden. Beide Argumente waren auf große Kritik gestoßen. Der Regierungsentwurf nähert sich jetzt der Kritik an:
Die interne Meldestelle sollte auch anonym eingehende Meldungen bearbeiten, soweit dadurch die vorrangige Bearbeitung nichtanonymer Meldungen nicht gefährdet wird.
Unbeschadet dessen besteht ausdrücklich keine Verpflichtung, Meldekanäle so einzurichten, dass sie die Abgabe anonymer Meldungen ermöglichen. Unseres Erachtens will dies nicht recht zusammenpassen.
Leichte Annäherung an die Haltung der EU-Kommission bei Hinweisgeberstellen im Konzern
Wie bereits der Referentenentwurf geht auch der Regierungsentwurf davon aus, innerhalb eines Konzerns könnten einzelne Tochtergesellschaften die Funktion der Meldestelle für die anderen Konzernunternehmen übernehmen, ohne dass es auf die Anzahl der davon betroffenen Beschäftigten ankäme. Die EU-Kommission hatte in 2021 in zwei Stellungnahmen (am 2. Juni und am 29. Juni 2021) rein zentrale Meldestellen im Konzern abgelehnt und für Tochtergesellschaften mit i.d.R. mehr als 249 Beschäftigten eine je eigene Meldestelle verlangt.
Jedenfalls verbal kommt die Begründung des Regierungsentwurfs dem Standpunkt der EU-Kommission nunmehr entgegen. Interne Meldungen müssten in der jeweils in der betroffenen Konzerngesellschaft vorherrschenden Arbeitssprache erfolgen können. Zudem sei sicherzustellen, dass durch die Installierung einer zentralen konzerninternen Meldestelle
keine zusätzlichen Hürden für hinweisgebende Personen aufgebaut werden.
Rein praktisch dürfte für Mitarbeiter in anderen EU-Mitgliedstaaten eine Meldung an die ihnen oft nicht vertraute bspw. deutsche Meldezentrale jedenfalls eine erhebliche psychologische Hürde darstellen. Wenn die vorgenannte Einschränkung durch die Begründung des Regierungsentwurfs ernst gemeint ist, bestehen erhebliche Zweifel, in welchen Fällen die rein zentralisierte Meldestelle zulässig sein soll.
Differenziertere Bebußung von Verletzungen der Vertraulichkeit
Der Regierungsentwurf differenziert nunmehr zwischen leichtfertigen und fahrlässigen Verletzungen der Vertraulichkeit. Während die leichtfertige Vertraulichkeitsverletzung weiterhin eine Geldbuße von bis zu EUR 100.000 (im Regelfall wohl eher bis zu EUR 50.000) nach sich ziehen kann, wird der fahrlässige Vertraulichkeitsverstoß mit einer Geldbuße von bis zu EUR 10.000 geahndet. Hierdurch soll verhindert werden, dass Mitarbeiter in den Meldestellen Meldungen nicht konsequent nachgehen, weil sie eine Verletzung des Vertraulichkeitsgebotes befürchten.
Es sei darauf hingewiesen, dass sich aufgrund der in § 40 Abs. 6 S. 2 RegE enthaltenen Verweisungen auf § 30 Abs. 2 S. 3 OWiG die höchstmögliche Geldbuße auf das bis zu 10-Fache der vorstehend genannten Höchstbeträge erhöhen kann. Dies gilt laut Entwurfsbegründung auch in den Fällen des § 130 OWiG, wenn eine Aufsichtspflichtverletzung oder sonstige Organisationspflichtverletzung zur Begehung der Ordnungswidrigkeit beigetragen hat. Diese Regeln gelten nicht nur für Vertraulichkeitsverletzungen, sondern auch für Repressalien und Behinderungen bei der Abgabe von Meldungen.
Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie in Deutschland alsbald zu erwarten
Deutsche Unternehmen sollten sich darauf einstellen, dass sie wohl spätestens im Herbst 2022 zur Einrichtung von Meldestellen und internen Meldekanälen verpflichtet werden. Mit Blick auf die nach wie vor anhängigen Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission sollte mit einer schnellen Verabschiedung im Bundestag gerechnet werden.
Zwecks Vermeidung von Bußgeldern empfehlen wir, die Einrichtung ordnungsgemäßer interner Hinweisgebersysteme zügig zu beginnen. Aber auch Unternehmen mit bereits vorhandenen Hinweisgebersystemen sind nicht automatisch „aus dem Schneider“: Wir empfehlen ihnen, ihre internen Abläufe und deren Dokumentation zu überprüfen und so sicherzustellen, dass die neuen gesetzlichen Vorgaben erfüllt und insbesondere Verletzungen der Vertraulichkeit und daraus folgende erhebliche Bußgelder vermieden werden.
*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.