Hinterher ist man meistens klüger – das mögen sich auch die Verantwortlichen der Bundesrepublik Deutschland Finanzagentur GmbH gedacht haben, über die in diesen Tagen ein Shitstorm (ja, das ist mittlerweile eine Art Fachbegriff) der unerwarteten Art hinwegfegt. Fatal an der Angelegenheit ist vor allem, dass die Finanzagentur sich mit einem zwar rechtlich kaum angreifbaren Anliegen, aber in aus Adressatensicht viel zu harschem Ton an über 400.000 Kunden gewandt hatte. Die Causa beweist sehr anschaulich, dass kommunikative Sorgfalt gerade bei rechtlich relevanten Sachverhalten nicht nur Ärger, sondern auch Geld sparen kann – ein Weckruf vor allem an uns, die juristische Zunft.
Mutmaßlich war das Ganze aus Sicht der Finanzagentur wirklich nur ein Standardvorgang: Mit Wirkung zum 30.04.2011 wurde diese zur Anwendung des Geldwäschegesetzes verpflichtet, weil nach nachvollziehbarer Auffassung des Gesetzgebers bei der öffentlichen Schuldenverwaltung ähnliche Geldwäscherisiken wie bei Kreditinstituten entstehen können. Seither müssen für jedes kostenlose Schuldbuchkonto auch Staatsangehörigkeit und Geburtsort angegeben werden, § 4 Abs. 3 GwG. Für rund 420.000 Inhaber von Bestandskonten lagen diese Informationen nicht vor, weshalb die Finanzagentur bereits im August 2011 entsprechende Schreiben versandte. Der Rücklauf war offensichtlich überschaubar, was dem Vernehmen nach auch an der intransparenten Gestaltung dieses ersten Schreibens gelegen haben soll. Deshalb legte die Finanzagentur im Dezember 2011 nach, drohte aber bereits in der Betreffzeile ihres weiteren Schreibens mit „KÜNDIGUNG IHRES SCHULDBUCHKONTOS ZUM 31.01.2012 BEI WEITERHIN UNZUREICHENDER MITWIRKUNG″.
Das kam nicht gut an.
Die angeschriebenen Kontoinhaber beklagten sich bitterlich über den Ton der Schreiben, und diese auch von Verbraucherschützern verstärkte Stilkritik vermischte sich in einer üblichen medialen Erregungskurve mit allgemeinem Unwohlsein rund um Bundesanleihen in Tagen fallender Eurokurse und milliardenschwerer Rettungspakete. Mehr noch: Die Empörungswelle traf die Telefonhotline der Finanzagentur völlig unvorbereitet – 15 Mitarbeiter standen an einem Tag über 50.000 Anrufversuchen verunsicherter Kunden gegenüber.
Häme ist gleichwohl nicht angebracht. Denn der Finanzagentur-Fall steht prototypisch für allzu viele Gelegenheiten, bei denen auf eine klare und verständliche Kommunikation gegenüber Kunden oder Bürgern zu wenig Wert gelegt wird. Auf die berechtigte Anmerkung der FAZ
„Vielmehr wollte die ehemalige Behörde ihren Kunden mitteilen: Wir brauchen Geburtsdatum, Geburtsort und Staatsangehörigkeit; außerdem geht bitte zum nächsten Notar oder besser noch zum Pfarrer – da ist es meist billiger – und lasst eine Kopie des Personalausweises beglaubigen. So hätte es vermutlich fast jeder verstanden, über den bürokratischen Aufwand gestöhnt und hätte geantwortet.″
wird ein Sprecher der Finanzagentur mit den Worten zitiert:
„Derart einfach könne eine rechtlich so bedeutsame Aufforderung, die zur Kündigung des Depots führen könne, nicht formuliert werden.″
Da würden wir gerne ein beherztes „Doch, das geht!″ in den Raum werfen – wohl wissend, dass wir als Anwälte in gleicher Weise wie die Finanzagentur häufig im Rufe stehe, einfache Sachverhalt so zu verklausulieren, dass am Ende kein Durchblick mehr möglich ist. Deshalb werben wir für eine etwas differenzierte Sichtweise: Natürlich ist Rechtssprache Fachsprache – ein anderes Ausdrucksmittel steht uns Juristen nun einmal nicht zu Gebote. Insoweit wird auch der Inhalt eines Schriftsatzes an ein Gericht, eines Schreibens unter Anwälten oder sonstiger „B2B″-Kommunikation auch in Zukunft außerhalb der juristischen Professionen nicht notwendig verständlich sein. Anders verhält sich dies aber bei der juristischen „B2C″-Kommunikation, also der Fülle von rechtsbezogenen Alltagsausführungen, die sich an Kunden, Mitarbeiter oder sonstige juristische Laien wenden. Hierbei gibt es mit überschaubarem Mehraufwand vielfach erhebliche Möglichkeiten der sprachlichen Optimierung.
Vorreiter in Sachen verständlicher Rechtssprache ist – man wundert sich zunächst – der Bundesgesetzgeber: Bereits seit 1966 existiert der „Redaktionsstab der Gesellschaft für deutsche Sprache beim Deutschen Bundestag″ und ist immerhin mit einer Sollvorschrift in der Geschäftsordnung des Parlaments verankert. Spürbare Effekte hatte die Tätigkeit des Gremiums jahrzehntelang nicht, aber in den letzten Jahren scheint es in kleinen Schritten voran zu gehen: Neben dem Stab beim Bundestag verfügt seit 2008 auch das Justizministerium über sieben eigene Sprachwarte, auch das ein oder andere Bundesland investierte bereits in den linguistischen Verständlichkeits-Feinschliff und Experten für Rechtslinguistik befassen sich mit der „Verständlichkeit als Bürgerrecht″.
Gleichwohl bleibt noch viel Raum für Verbesserungen – dies gilt nicht nur für Gesetzgeber und Verwaltung, sondern auch für die Privatwirtschaft. Aber auch hier steht das Thema auf der Agenda: Immer öfter werden wir von den Rechts- und Fachabteilungen unserer Mandanten ausdrücklich darum gebeten, eine Mitarbeiterinformation, Teilnahmebedingungen oder sonstige anstehende B2C-Kommunikation doch bitte „so unjuristisch wie möglich″ zu formulieren. Und wir teilen mit dem vorerwähnten parlamentarischen Redaktionsstab die Erkenntnis, dass genau dies nicht immer so einfach ist. Gleichwohl: In diversen B2C-Verträgen wurde die distanzierten Diktion von „Anbieter″ und „Kunde″ auf ein deutlich lesbareres „Wir″ und „Sie″ umgestellt (sowie wie etwa hier…nicht von uns), Absatzüberschriften erinnern eher an „Frequently Asked Questions″ denn an die gewohnte Aufteilung in „Vertragsgegenstand″, „Pflichten des Kunden″ oder „Haftung″ und auch die Vertragsklauseln selbst lesen sich – ebenso wie das ein oder andere Standardschreiben – nach einer adressatenorientierten Renovierung deutlich freundlicher.
Rein altruistisch ist diese Übung nicht: Denn eine klare Kommunikation insbesondere im juristischen Umfeld erhöht nicht nur die Zufriedenheit des Adressaten oder Vertragspartners, sondern reduziert auch die Kosten für die Bearbeitung von Rückfragen und Beschwerden. Diese Erfahrung hat die Finanzagentur des Bundes gerade in sehr eindrücklicher Form gemacht – das unglücklich formulierte Schreiben führte zum „Ausnahmezustand″: Mehr als die Hälfte der 300 Mitarbeiter sei mit den Identifizierungsdaten befasst; 40 Aushilfskräfte seien eingestellt worden. Das hätte man sich wohl sparen können – und damit auch gleich das Motto des eigenen Maskottchens Günther Schild beherzigt: „Wer keinen Stress hat, der lebt auch länger″.
Eine automatisierte Hilfe zur sprachlichen Selbstkontrolle gibt es übrigens hier.