Die Bundesregierung hat den Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts beschlossen.
Nach dem Eckpunktepapier vom April 2023 und dem Referentenentwurf vom Februar 2024 liegt nun der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts vor. Es soll das deutsche Schiedsverfahrensrecht punktuell reformieren, seine Regelungen auf die Höhe der Zeit bringen und dadurch den Schiedsstandort Deutschland stärken. Den ersten Teil der wesentlichen Neuerungen werden wir im Folgenden beleuchten:
Schiedsvereinbarungen sollen formfrei abgeschlossen werden können
Wie im Eckpunktepapier angekündigt, soll der formfreie Abschluss von Schiedsvereinbarungen im Wirtschaftsverkehr ermöglicht werden. Dazu soll nicht mehr nur eine Ausnahme für Kaufleute geschaffen werden, wie es noch im Referentenentwurf vorgesehen war. Stattdessen sollen die Formerfordernisse für alle Schiedsvereinbarungen, an denen kein Verbraucher beteiligt ist (§ 1031 Abs. 1-3 ZPO), aufgehoben werden.
Für den elektronischen Rechtverkehr ergäben sich dadurch keine wesentlichen Neuerungen. Denn die im Eckpunktepapier angesprochenen Zweifel am elektronischen Abschluss von Schiedsvereinbarungen bestehen schon nach geltender Rechtslage nicht (§ 1031 Abs. 1 ZPO). Neu wäre allerdings, dass in Zukunft theoretisch auch eine mündlich geschlossene Schiedsvereinbarung wirksam wäre. Da eine solche aber nur schwer nachweisbar sein wird, ist den Parteien von einem solchen Vorgehen abzuraten. Es bleibt abzuwarten, ob der Wegfall des Formerfordernisses zu vermehrten Streitigkeiten über die Existenz einer Schiedsvereinbarung führen wird.
Die Formerleichterung wirkt sich nicht nur auf inländische, sondern auch auf ausländische Schiedsverfahrenaus. Denn nach der New York Convention kann sich jede Partei auf das günstigere nationale Recht am Vollstreckungsort berufen. Ob das im umgekehrten Fall ebenso zutrifft, hängt davon ab, in welchem Staat die Schiedsvereinbarung oder der Schiedsspruch anerkannt werden soll. Auf der sicheren Seite sind die Parteien, wenn sie die Formerfordernisse der New York Convention einhalten.
Trotz der erleichterten Formvorschriften ist auch künftig besondere Vorsicht mit Blick auf die deutlich strengeren Formvorschriften bei Beteiligung eines Verbrauchers geboten (§ 1031 Abs. 5 ZPO). Denn unter diesen Begriff können nach der Rechtsprechung selbst Organe einer Kapitalgesellschaft fallen. Immer dann, wenn eine natürliche Person am Vertragsschluss beteiligt ist, sollte dieser Aspekt weiterhin sorgfältig geprüft und im Zweifel den entsprechenden Formvorgaben entsprochen werden.
Schiedsgerichte sollen elektronische Schiedssprüche erlassen können
Im Eckpunktepapier noch nicht erwähnt, im Regierungsentwurf aber ausdrücklich vorgesehen ist der Erlass elektronischer Schiedssprüche. Das wäre eine Neuerung gegenüber der bisherigen Rechtslage. Denn derzeit ist ein elektronischer Schiedsspruch mit dem Gesetzeswortlaut nur schwer vereinbar (§ 1054 Abs. 1 ZPO).
In technischer Hinsicht müssten die Mitglieder des Schiedsgerichts für den elektronischen Erlass des Schiedsspruchs über eine qualifizierte elektronische Signatur verfügen. Der elektronisch erlassene Schiedsspruch soll nach Beendigung des Schiedsverfahrens in gleicher Weise wie Schriftsätze elektronisch bei den staatlichen Gerichten eingereicht werden können (§ 130a BGB).
Die Möglichkeit, den Schiedsspruch in elektronischer Form zu erlassen, soll an die Bedingung geknüpft werden, dass keine Partei widerspricht. Ein zumindest konkludenter Widerspruch wäre die Wahl der DIS-Schiedsgerichtsordnung, nach der jeder Schiedsspruch schriftlich zu verfassen und von den Mitgliedern des Schiedsgerichts zu unterschreiben ist (Art. 39DIS-SchO). Auch die ICC stellt ihre Schiedssprüche grundsätzlich in schriftlicher Form zu.
Und auch in den übrigen Fällen sollte das Schiedsgericht die ausdrückliche Zustimmung aller Parteien einholen. Denn letztlich tragen die Parteien das Risiko, dass der elektronische Schiedsspruch im Ausland nicht anerkannt wird. Aus diesem Grund soll nach dem Regierungsentwurf, anders als noch nach dem Referentenentwurf, jede Partei nachträglich die Ausfertigung eines schriftlichen Schiedsspruchs verlangen können.
Die Gesetzesänderung würde nicht nur sicherstellen, dass inländische Schiedssprüche mit qualifizierter elektronischer Signatur für vollstreckbar erklärt werden können. Da sich jede Partei nach der New York Convention wahlweise auf das günstigere nationale Recht berufen kann, würde die Formerleichterung im Verfahren zur Vollstreckbarerklärung auch für ausländische Schiedssprüche gelten. Ist eine Vollstreckung im Ausland beabsichtigt, sollten die Parteien vorab prüfen, ob der betreffende Staat elektronische Schiedssprüche anerkennt.
Einstweiliger schiedsgerichtlicher Rechtsschutz soll ausgeweitet und seine Überprüfung eingeschränkt werden
Wie im Eckpunktepapier angekündigt, sieht der Regierungsentwurf vor, dass auch einstweilige Maßnahmen eines ausländischen Schiedsgerichts in Deutschland zur Vollziehung zugelassen werden können. Das ergibt sich zwar nach überzeugender Ansicht bereits aus dem Gesetz (§ 1062 Abs. 2 ZPO), ist aber umstritten. Eine Klarstellung ist daher zu begrüßen.
Neu gegenüber dem Eckpunktepapier ist die Präzisierung des Maßstabs, nach dem die staatlichen Gerichte die vom Schiedsgericht angeordnete Maßnahme überprüfen sollen. Bisher kann das Gericht die Vollziehung der Maßnahme nach pflichtgemäßem Ermessen ablehnen. Dabei prüft es insbesondere, ob eine wirksame Schiedsvereinbarung besteht und dass keine offensichtlichen Rechts- oder Ermessensfehler erkennbar sind.
Nach dem Regierungsentwurf hätte das Gericht künftig die Vollziehung der Maßnahme zuzulassen, wenn dem nicht bestimmte Umstände entgegenstehen. Dabei geht es insbesondere um eine entsprechende Anwendung der Gründe, die auch im Aufhebungsverfahren zu berücksichtigen sind (§ 1059 Abs. 2 ZPO). Der neue Prüfungsmaßstab wäre damit, wie vom Regierungsentwurf beabsichtigt, in materiell-rechtlicher Hinsicht enger als der bisherige. Zu der Frage, ob der Erlass einstweiliger Maßnahmen, wie im staatlichen Verfahren, ohne Anhörung des Gegners zulässig ist, verhält sich der Regierungsentwurf nicht. Dieser Aspekt wird daher weiterhin umstritten bleiben, auch wenn in Zukunft zusätzlich der ausdrückliche Verweis auf die Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 1059 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b ZPO) gegen ein solches Vorgehen sprechen würde.
Sondervoten sollen zugelassen werden
Was nach dem Eckpunktepapier noch ergebnisoffen geprüft werden sollte, will der Regierungsentwurf nun in die Tat umsetzen: Die Zulässigkeit von Sondervoten soll positiv geklärt werden.
Bei der letzten großen Reform hatte der Gesetzgeber noch von einer ausdrücklichen Regelung abgesehen. Begründung: Sondervoten würden überwiegend als zulässig angesehen. Das erwies sich jedoch als Fehleinschätzung, denn bis heute wird in der juristischen Literatur heftig darüber gestritten. Aufsehen erregte zuletzt eine Entscheidung des OLG Frankfurt. Es wertete Sondervoten nicht nur als Verstoß gegen das Beratungsgeheimnis, sondern drohte auch an, den gesamten Schiedsspruch wegen eines Verstoßes gegen den ordre public aufzuheben (OLG Frankfurt 16.1.2020 – 26 Sch 14/18).
Vor diesem Hintergrund will der Gesetzgeber nachbessern und sicherstellen, dass Schiedssprüche nicht bereits aufgrund eines Sondervotums aufhebbar sind. Künftig sollen Sondervoten daher grundsätzlich zulässig sein, sofern die Parteien nichts anderes vereinbaren. Ein solches Opt-out kommt dem Regelungsziel näher als ein Opt-in. Denn in der Regel werden die Parteien keine ausdrückliche Vereinbarung getroffen haben. Ein dennoch abgegebenes Sondervotum würde daher häufiger zu Unsicherheiten führen.
Eine solche Unsicherheit verbleibt aber auch nach dem Regierungsentwurf: Was passiert, wenn die Parteien etwas anderes vereinbaren und ein Mitglied des Schiedsgerichts dennoch ein Sondervotum abgibt? Richtigerweise sollte auch dieser Umstand keine Auswirkungen auf den Schiedsspruch haben. Denn das Sondervotum wird, wie der Regierungsentwurf klarstellen will, weder Bestandteil des Schiedsspruchs noch kann es sich auf den Schiedsspruch, dem es zeitlich nachfolgt, auswirken (§ 1059 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. d ZPO).
Schiedssprüche sollen mit Zustimmung veröffentlicht werden
Wie im Eckpunktepapier angekündigt, will der Regierungsentwurf die Parteien zur Veröffentlichung von Schiedssprüchen anhalten. Damit soll die Rechtsfortbildung gefördert werden. Staatliche Gerichte sind aus dem gleichen Grund regelmäßig sogar zur Veröffentlichung ihrer Urteile verpflichtet. Zumindest haben sie auf Antrag eine anonymisierte Fassung herauszugeben, wenn keine überwiegenden Schutzbelange entgegenstehen.
Die Veröffentlichung eines Schiedsspruchs bedarf bisher und auch weiterhin der Zustimmung der Parteien. Diese soll aber künftig als erteilt gelten, wenn eine Partei nicht innerhalb von drei Monaten nach Aufforderung widerspricht. Unklar bleibt, ob sich die Partei von ihrer einmal fingierten Zustimmung wieder lösen kann. Dafür spricht, dass die Zustimmung zur Veröffentlichung keine unmittelbare prozessuale Wirkung erzeugt und damit keine sogenannte bewirkende Prozesshandlung wäre. Jedenfalls können sich die Mitglieder des Schiedsgerichts, wie nach bisherigem Recht, einer Veröffentlichung nicht widersetzen.
Das Schiedsgericht darf den Schiedsspruch (nur?) in anonymisierter oder – datenschutzrechtlich präziser – pseudonymisierter Form veröffentlichen. Die Anforderungen der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) sollen jedoch unberührt bleiben. Es wäre also weiterhin darauf zu achten, dass eine entsprechende Einwilligung oder ein sonstiger Rechtmäßigkeitsgrund vorliegt (Art. 6 Abs. 1 DSGVO).
Abweichende Parteivereinbarungen sind möglich und werden der Regelfall sein. So muss in DIS-Schiedsverfahren vor der Veröffentlichung des Schiedsspruchs die schriftliche Einwilligung der Parteien vorliegen (Art. 44.3 DIS-SchO). Auch die ICC veröffentlicht Schiedssprüche grundsätzlich nicht, wenn eine beteiligte Person das nicht wünscht oder die Parteien eine Vertraulichkeitsvereinbarung getroffen haben.
Nationale Neuerungen mit internationalen Auswirkungen
Es soll zwar nur eine punktuelle Anpassung des deutschen Schiedsverfahrensrecht erfolgen. Bereits der erste Teil der geplanten Gesetzesänderungen zeigt jedoch, dass ihre Auswirkungen nicht zu unterschätzen sind. Die Reform der Formvorschriften für Schiedsvereinbarungen und Schiedssprüche sowie die Regelungen zum einstweiligen Rechtsschutz wirken über das deutsche Schiedsverfahrensrecht hinaus. Die Formerleichterungen betreffen nicht nur den Schiedsstandort Deutschland, sondern auch die Vollstreckbarerklärung ausländischer Schiedssprüche und die Vollziehung einstweiliger Maßnahmen ausländischer Schiedsgerichte in Deutschland. Dass die international verbreiteten Sondervoten einen Schiedsspruch nicht zu Fall bringen können, ist eine begrüßenswerte Klarstellung. Da Schiedssprüche weiterhin nur mit Zustimmung der Parteien veröffentlicht werden können, bleiben die praktischen Auswirkungen dieser Gesetzesänderung abzuwarten.