Ab September 2016 gelten neue Regelungen für das schiedsgerichtliche Verfahren in der Russischen Föderation. Ein Überblick über die wichtigsten Änderungen.
Die Änderungen betreffen vor allem die Organisation und die Arbeitsweise der Schiedsgerichte in der Russischen Föderation („RF“). Maßgeblich dafür sind zwei Gesetze, die am 29. Dezember 2015 verabschiedet wurden:
- Föderalgesetz Nr. 382-FZ „Über das Arbitragegericht (Schiedsrichterliches Verfahren) in der Russischen Föderation″ (im Folgenden das „Gesetz über die Schiedsgerichtsbarkeit″) und
- Föderalgesetz Nr. 409-FZ, das die Rechtsvorschriften über das Justizsystem der Russischen Föderation ändert (im Folgenden „Gesetz Nr. 409“).
Zu den wichtigsten Neuerungen gehört zum einen der Versuch, die sogenannten „Marionetten″-Schiedsgerichte zu verbieten. Zum anderen wird die Zuständigkeit der Schiedsgerichte in Bezug auf bestimmte Arten von Streitigkeiten, einschließlich gesellschaftsrechtlicher Streitigkeiten, erweitert und die Rolle staatlicher Gerichte bei dem Zusammenwirken mit Schiedsgerichten gestärkt. Daneben erfolgen einige Klarstellungen zu Fragen der Vollstreckung von Schiedssprüchen.
Ständige Schiedsinstitutionen erlaubnispflichtig
Nach den neuen Regeln kann eine ständige Schiedsinstitution (bei der das Schiedsgericht eingerichtet ist) nur von einer nichtkommerziellen Organisation (im Folgenden die „NKO″) gegründet werden. Nötig ist dafür die Zustimmung der russischen Regierung, die auf Grundlage eines Prüfungsberichtes des Rates zur Verbesserung des schiedsrichterlichen Verfahrens des Justizministeriums erteilt wird.
Um eine solche Zustimmung zu erhalten, muss eine NKO, die eine Schiedsinstitution gründen möchte, die Voraussetzungen aus dem neuen Gesetz über die Schiedsgerichtsbarkeit erfüllen.
Aufgrund ihres guten Rufes werden Institutionen wie das Internationale Handelsschiedsgericht bei der Industrie- und Handelskammer der Russischen Föderation und der Maritime Schiedskommission bei der Handels- und Industriekammer der Russischen Föderation weiterhin die Funktionen der ständigen Schiedsinstitutionen ausüben, auch ohne einer entsprechenden Genehmigung der russischen Regierung zu bedürfen.
Das Gesetz über die Schiedsgerichtsbarkeit verbietet zugleich die Gründung der ständig handelnden Schiedsorgane durch verschiedene Personen und Einrichtungen. Dazu gehören staatliche Einrichtungen und lokale Behörden, öffentliche Körperschaften und Unternehmen, politische Parteien und religiöse Organisationen, sowie notarielle Einrichtungen und Rechtsanwälte der Russischen Föderation.
Weitere Organisationsregeln zur Schiedsgerichtsbarkeit
Das Gesetz über die Schiedsgerichtsbarkeit legt Regeln fest, die Interessenkonflikte zwischen der Schiedsinstitution und NKO, bei der sie gegründet wurden, vermeiden sollen.
Ausländische Schiedsinstitutionen können die Funktionen einer ständig handelnden Schiedsinstitution auf dem Gebiet der Russischen Föderation nur dann ausüben, wenn sie hohes internationales Ansehen genießen. Die Einhaltung dieses Kriteriums wird ebenfalls vom Rat zur Verbesserung des schiedsrichterlichen Verfahrens bewertet.
Entscheidungen eines Schiedsgerichts auf dem Gebiet der RF von einer ausländischen Schiedsinstitution, die nach den neuen gesetzlichen Regeln nicht als ständig handelnde Institution betrachtet werden kann, werden als Entscheidung eines ad-hoc-Schiedsgerichts behandelt (dazu später mehr).
Die Ausweitung der Zuständigkeit der Schiedsgerichte
Im Rahmen der Reform der Schiedsgerichte nimmt das Gesetz Nr. 409 eine Reihe von wichtigen Änderungen in den Arbitragegesetzkodex der Russischen Föderation (im Folgenden „Arbitragekodex“) und in die Zivilprozessordnung der Russischen Föderation vor:
- es werden Regeln für Streitigkeiten aufgestellt, die in die Zuständigkeit staatlicher Gerichte fallen und die aufgrund von Parteivereinbarung vom Schiedsgericht behandelt werden;
- zum ersten Mal wird auf legislativer Ebene eine abschließende Liste von Streitigkeiten festgelegt, die nicht schiedsfähig sind (insbesondere Insolvenzfälle, Streitigkeiten über Besitz und Eigentum an Anteilen/Aktien von juristischen Personen und anderes)
- einige Kategorien gesellschaftsrechtlicher Streitigkeiten können nun durch das Schiedsgericht einer ständig handelnden Schiedsinstitution behandelt werden. Dafür müssen entsprechende Schiedsvereinbarung vorliegen und spezielle Verfahrensregeln für den Umgang mit solchen Streitigkeiten und für die Prüfung solcher Streitigkeiten eingehalten werden. Zum Beispiel gilt dies für Streitigkeiten über die Gründung von juristischen Personen in Russland, die Teilnahme an einer solchen Gesellschaft und ihrer Verwaltung.
Mitwirkung von staatlichen Gerichten an Schiedsverfahren
Das Gesetz über die Schiedsgerichtsbarkeit verbietet jede Einmischung staatlicher Gerichte in die Tätigkeit des Schiedsgerichts, soweit nicht ausdrücklich etwas anderes festgelegt ist.
Nach den neuen Vorschriften sollen die staatlichen Gerichte in Schiedsverfahren folgende Mitwirkungs- und Kontrollfunktionen ausüben:
- bei Bildung des Schiedsgerichts bei nicht ordnungsgemäßer Erfüllung der Schiedsvereinbarung durch Parteien/Schiedsrichter/Dritte oder in Ermangelung einer solchen Vereinbarung;
- in dem Verfahren der Ablehnung eines Schiedsrichters und die Entscheidung über die Beendigung der Befugnisse eines Schiedsrichters, wenn dafür ein gesetzlicher Grund besteht;
- bei Entscheidung über die Unzuständigkeit eines Schiedsgerichts.
Das Gesetz über die Schiedsgerichtsbarkeit erlaubt den Parteien, die Zuständigkeit der staatlichen Gerichte für diese Fragen dann auszuschließen, wenn das Schiedsgericht von einer ständigen Schiedsinstitution verwaltet wird.
Auf den Antrag des Schiedsgerichts oder der Parteien (mit Zustimmung der Schiedsrichter) kann das Schiedsgericht bei der Beschaffung von Beweisen durch das zuständige nationale Gericht unterstützt werden.
Spezielle Regelungen für ad-hoc-Schiedsgerichte
Das Gesetz über die Schiedsgerichtsbarkeit unterscheidet zwischen ad-hoc-Schiedsgerichte und Schiedsgerichten, die von den ständig handelnden Schiedsinstitutionen verwaltet werden.
Die neuen Regelungen enthalten eine Reihe von Beschränkungen für die ad-hoc-Schiedsgerichte, wenn sie mit staatlichen Gerichten zusammenarbeiten:
- staatliche Gerichte gewähren den ad-hoc-Schiedsgerichten keine Unterstützung bei der Beweisaufnahme;
- die Parteien des Schiedsverfahrens können die Möglichkeit zur Ablehnung eines Schiedsrichters nicht in der Schiedsvereinbarung ausschließen. Auch kann nicht vereinbart werden, dass auf die Möglichkeit die Entscheidung des ad-hoc-Schiedsgerichts aufheben zu lassen verzichtet wird;
- ad-hoc-Schiedsgerichte dürfen nicht über gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten in der Russischen Föderation entscheiden.
Vollstreckung von Schiedssprüchen und Anfechtung von Schiedssprüchen vor staatlichen Gerichten
Nach den neuen Regeln können die Parteien vereinbaren, dass der Schiedsspruch endgültig ist, sofern das Schiedsgericht von einer ständigen Schiedsinstitution verwaltet wird. Eine solche Entscheidung ist unwiderruflich.
Wenn die Schiedsvereinbarung keine derartige Klausel enthält, kann der Schiedsspruch nach dem für staatliche Gerichte geltenden Verfahrensrecht angefochten und aufgehoben werden.
Dabei gilt eine wichtige Einschränkung: kein Schiedsspruch kann die Grundlage für die Eintragung über Entstehen, Änderung oder Beendigung der bürgerlichen Rechte und Pflichten in einem staatlichen Register (EGRUL, EGRP usw.), dem Wertpapierregister oder anderem Register auf dem Gebiet Russlands sein. Ausnahmsweise geht dies nur, wenn ein staatliches Gericht eine Vollstreckungsklausel erteilt hat.
Zusammenfassung und Empfehlungen
Das Gesetz über die Schiedsgerichtsbarkeit verbietet die sogenannte „Marionetten″-Schiedsgerichte in kommerziellen Strukturen. Diese haben früher oft nicht unparteiisch und unabhängig im schiedsrichterlichen Verfahren gehandelt und so die Parteien des schiedsrichterlichen Verfahrens in offensichtlich ungleiche Positionen gestellt.
Geklärt wurde auch die Frage der Schiedsfähigkeit bestimmter Arten von Streitigkeiten, d.h. die Möglichkeit eine Streitigkeit vor ein Schiedsgericht zu bringen. Die entsprechenden Änderungen zum Arbitragekodex der RF erklären, welche gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten vor einem Schiedsgericht einer ständigen Schiedsinstitution behandelt werden können, und welche ausschließlich von staatlichen Gerichten zu behandeln sind.
Die Änderungen, die durch das neue Gesetz über die Schiedsgerichtsbarkeit eingeführt wurden, sind schon bei der Vorbereitung von Verträgen und Ausarbeitung von Schiedsklauseln zu berücksichtigen. Besonders aufmerksam muss man bei solchen Vertragsbestimmungen sein, die den staatlichen Gerichten die Möglichkeit der Einwirkung auf das Schiedsverfahren gewähren und auch die Aufhebung von Schiedssprüchen zulassen.