30. August 2018
Smart Contract Streitbeilegung
Dispute Resolution TMC – Technology, Media & Communications

Smart Contracts – Smart Dispute Resolution? Ein Blick in die (mögliche) Zukunft der Streitbeilegung

Wie sieht die Streitbeilegung der Zukunft aus und welche Rolle spielen dabei Smart Contracts? Erfahren Sie, wie Software die Streitbeilegung und den Rechtsmarkt beeinflussen kann.

Die Verarbeitung von Daten hat sich in den letzten knapp 80 Jahren grundlegend verändert. Elektronische Datenverarbeitung ist heute aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Die Fertigung von Produkten wurde grundlegend und rasant weiterentwickelt. Ähnlich rasant haben sich unsere Kommunikation und Fortbewegung entwickelt. Die neueste Weiterentwicklung eines bisher im Wesentlichen unangetasteten Konzepts ist unser Geld – 2009 wurde erstmalig mit der Kryptowährung Bitcoin anstatt mit normalem Geld gehandelt und im Jahr 2018 wurde mit den venezolanischen Petro eine staatliche Kryptowährung eingeführt.

Während auch der Rechtsmarkt und die tägliche Arbeit von Anwälten, Inhouse-Juristen und Richtern durch den technischen Fortschritt geprägt wurden, scheinen Teile des juristischen Arbeitens weitgehend unverändert. Hierzu gehören vor allem klassische Streitbeilegungsverfahren vor Gerichten und Schiedsgerichten. Abgesehen von der Einbindung elektronischer Datenverarbeitung und der Nutzung von E-Mail als Kommunikation hat sich das Konzept und der Ablauf dieser Verfahren wenig verändert.

Smart Contracts und die Blockchain

Darüber hinaus wurde unter dem Begriff „Smart Contract″ eine neue, automatisierte Form der Vertragsabwicklung herausgebildet. Bei einem Smart Contract handelt es sich also um eine Software, die, beim Eintritt vordefinierter Bedingungen, bestimmte Vertragsverpflichtungen automatisiert ausführt (Smart Contracts sind also (meistens) weder „smart″ noch „contracts″).

Ein möglicher Anwendungsfall von Smart Contracts ist beispielsweise der Kauf von Flugtickets: Der Reisende zahlt das Ticket, jedoch wird der Betrag nicht direkt an die Airline ausgezahlt, sondern im Smart Contract gespeichert. Findet der Flug statt, wird das Geld an die Airline ausgezahlt. Fällt der Flug aus oder ist verspätet, wird die Zahlung unmittelbar entweder insgesamt an den Kunden zurückgesendet oder der gezahlte Betrag entsprechend den programmierten Bedingungen zwischen Airline und Kunden aufgeteilt.

Bei den möglichen Bedingungen für die Durchführung des Smart Contract muss es sich um digital überprüfbare Tatsachen handeln. Knüpft der Smart Contract daher an Ereignisse an, die sich in der realen Welt abspielen – wie beispielsweise die zeitige Durchführung eines Fluges –, bedarf es einer entsprechenden Schnittstelle zwischen der digitalen Welt des Smart Contract und der realen Welt. Diese Schnittstellen werden Oracles genannt. Gerade im Hinblick auf die fortschreitende Entwicklung des Internet of Things („IoT“) bestehen mittlerweile unzählige mögliche Schnittstellen.

Da Smart Contracts zumeist auf einer Blockchain laufen, ist auch ein Blick auf die Blockchain-Technologie notwendig. Bei einer Blockchain handelt es sich um ein nicht zentral verwaltetes Netzwerk von Datensätzen („blocks″), in denen Informationen (Transaktionen) in identischer Form gespeichert werden. Diese blocks sind miteinander kryptographisch verkettet, daher der Begriff Blockchain. Datensätze können daher nicht verfälscht werden.

Öffentlich zugängliche (sog. „public″) Blockchains sind dabei für jedermann – und damit auch jeden Smart Contract – einsehbar. Eine Transaktion, wie die Übertragung digitaler Güter, wird erst in einen block aufgenommen, wenn der Absender zur Durchführung der konkreten Transaktion berechtigt ist, also über die digitalen Güter verfügungsberechtigt ist. Damit ist sichergestellt, dass jede Transaktion nur einmal durchgeführt.

Streitbeilegung: Notwendigkeit von „Smart Contract Dispute Resolution″

Während durch diese automatisierte Abwicklung Transaktionen unmittelbar und ohne Zeit- und Personalaufwand ermöglicht, stellt sich die Frage, was passiert, wenn der Smart Contract die Transaktion nicht oder nicht korrekt ausführt oder ausführen kann. Bei dem obigen Beispiel (Ticketkauf) ist dies in folgenden Fällen denkbar:

  • der zugrundeliegende Vertrag (der Beförderungsvertrag mit der Airline) enthält unbestimmte Rechtsbegriffe, etwa ein Verschuldenserfordernis der Airline;
  • der zugrundeliegende Vertrag und die Bedingungen des Smart Contract passen nicht zusammen (während der Vertrag eine 50 %-ige Teilung im Falle der Verspätung vorsieht, wurde eine Verteilung von 60 % zu 40 % programmiert);
  • der Smart Contract erhält falsche Informationen (der Smart Contract geht von einem Flugausfall aus, obwohl der Flug planmäßig durchgeführt wurde)
  • der Code des Smart Contracts sieht für den tatsächlich eingetretenen Fall keine Lösung vor (beispielsweise soll der Smart Contract nicht für rabattierte Tickets unter EUR 100,00 gelten).

Der Smart Contract kann mit diesen Situationen selbst nicht umgehen. Außerdem bergen die dargestellten Situationen die Gefahr von Streitigkeit zwischen den Vertragsparteien, die es zu lösen gilt.

Wie ein entsprechendes Verfahren aussehen kann, zeigt der Dispute Resolution Prozess des Zahlungsdienstleisters PayPal. Erhält ein Käufer einen bestellten Artikel nicht oder entspricht der Artikel nicht der Beschreibung, kann der Käufer einen Streitbeilegungsprozess einleiten und zunächst Kontakt mit dem Verkäufer aufnehmen. Hierüber wird der Verkäufer in Kenntnis gesetzt und geleistete Zahlungen werden zunächst vom System eingefroren. Können sich Käufer und Verkäufer nicht einigen und den Streit beilegen, kann der Käufer ein sog. claim-Verfahren einleiten und den Zahlungsdienstleister als Dritten einschalten. Nachdem beide Parteien zum Streit Stellung genommen haben, entscheidet der Zahlungsdienstleister über den Streit.

Selbst in diesem Szenario ist bereits ein vollautomatisierter Entscheidungsprozess insoweit denkbar ist, als sich der Streit um angeblich nicht eingetroffene Ware dreht. Der Versand und ggf. auch die Zustellung kann mithilfe der Tracking-Nummer geprüft werden, sodass das Tracking-System als Oracle fungieren kann. Auf Basis der Oracle Daten kann eine Software die (Rück-)Buchung der Zahlung vollziehen. Ein menschlicher Entscheider käme dann nur noch ins Spiel, wenn die Parteien mit diesem Ergebnis nicht einverstanden sind oder der Streitigkeit komplexere Fragen (Verschulden etc.) zugrunde liegen.

Durch die Vereinbarung eines solchen Prozesses wird der Weg zu den staatlichen Gerichten natürlich nicht ausgeschlossen (und kann nicht wirksam ausgeschlossen werden). Allerdings ist der Weg zu den staatlichen Gerichten gerade bei Streitigkeiten mit geringen Streitwerten oftmals weder aus Kostengesichtspunkten noch hinsichtlich des zeitlichen Aufwands attraktiv. Die Befriedungswirkung solcher nicht bindender Entscheidungsmechanismen darf daher nicht unterschätzt werden.

Einbindung der Streitbeilegung in den Smart Contract – Das Dispute Protokoll

Ausgehend von diesen Überlegungen stellt sich die Frage, ob eine automatisiert Einbindung eines Streitbeilegungsprozesses in den Smart Contract – ähnlich dem oben dargestellten Verfahren – denkbar ist.

So kann der Code des Smart Contract um eine Funktion zur Einbindung eines Streitbeilegungsprozesses erweitert werden (das „Dispute Protokoll″). Hierzu gibt der Smart Contract den Parteien, beginnend mit Erfüllung der zugrunde liegenden Hauptleistung (des Fluges im obigen Beispiel) oder der Gegenleistung (Auszahlung des Ticketpreises), eine Frist, in der diese dem Ergebnis widersprechen können. Wird nicht widersprochen, erfolgt die Auszahlung bzw. die Beendigung des Smart Contract, der Vertrag ist durchgeführt. Im Falle eines Widerspruchs innerhalb der Frist pausiert der Smart Contract automatisch und der Streit wird einer dritten Stelle zur Entscheidung vorgelegt.

Hierfür eignet sich beispielsweise ein Schiedsgericht. Denn im Rahmen eines Schiedsverfahrens steht es den Vertragsparteien frei, das Verfahren zur Streitbeilegung verhältnismäßig frei zu bestimmen. Strenge Formalien zur Einleitung und Durchführung eines Verfahrens, wie dies bei Gericht notwendig ist, können in bestimmten Grenzen abbedungen und der Streit kann ggf. vorher ausgewählten neutralen Dritten zur Entscheidung vorgelegt werden. Die Einleitung eines Gerichtsverfahrens durch das Dispute Protokoll scheidet schon wegen § 253 ZPO aus.

Innerhalb der Smart Contract Terminologie nimmt das Schiedsgericht die Funktion eines Oracle wahr und kann insbesondere über Fragen entscheiden, mit denen der Smart Contract nicht umgehen kann. Das Schiedsgericht sendet seine Entscheidung dann zum bzw. in den Smart Contract, der auf Grundlage der Entscheidung wieder in Gang gesetzt wird. Damit wird die Entscheidung des Schiedsgerichts unmittelbar durch den Smart Contract vollstreckt. Weitere Maßnahmen der Beteiligten sind nicht notwendig.

Diese Lösung würde es grundsätzlich erlauben, einen Teil der durch den Smart Contract realisierten Zeit- und Kostenersparnis über das Streitbeilegungsverfahren „hinwegzuretten″. Probleme stellen sich allerdings insbesondere im Bereich von B2C-Verträgen. Denn bei Beteiligung eines Verbrauchers muss eine Schiedsvereinbarung gem. § 1031 Abs. 5 ZPO in einer gesonderten, von den Parteien eigenhändig unterzeichneten Urkunde enthalten sein. Darüber hinaus ist nach § 309 Nr. 14 BGB eine Bestimmung unzulässig, wonach Ansprüche nur nach Durchführung eines außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahrens gerichtlich geltend gemacht werden dürfen. Eine wirksame Bindung an das Dispute Protokolls als Vorverfahren ist damit insoweit nicht möglich. Zudem sind auch im Schiedsverfahren zwingende Verfahrensgrundsätze zu beachten. Das Schiedsgericht muss den Parteien beispielsweise rechtliches Gehör gewähren (§ 1042 Abs. 1 S. 2 ZPO) und ein Schiedsspruch muss für eine mögliche Vollstreckbarerklärung schriftlich abgefasst und von den Schiedsrichtern unterschrieben sein (§ 1054 Abs. 1 S. 1 ZPO).

Unabhängig hiervon bleibt aber zu berücksichtigen, dass auch nicht zwingend ausgestaltete Streitbeilegungsverfahren im konkreten Fall erhebliches Befriedungspotential haben können. Zu denken ist hier insbesondere an die bereits bestehenden Schlichtungsstellen für bestimmte Streitigkeiten (vgl. hierzu die Liste beim Bundesjustizamt).

Smart Contract: Automatisierung der Streitbeilegung und Innovation als Aufgabe des Rechtsanwalts / der Rechtsanwältin*

Ausgehend von den obigen Überlegungen und den Entwicklungen in anderen Industrien drängt sich die Frage auf, ob eine generelle Automatisierung von Streitbeilegungsprozessen denkbar ist und wie Streitbeilegung in der Zukunft aussehen könnte.

Dabei muss es sich nicht unbedingt um eine gänzlich automatisierte Entscheidung eines Rechtsstreits durch künstliche Intelligenz handeln. Ähnlich den Stufen beim autonomen Fahren (es existieren sechs Stufen von null (gar keine Automatisierung) bis fünf (volle Automatisierung)), ist eine graduelle Automatisierung bezogen auf einzelne Verfahrensschritte oder Teilaspekte der Entscheidungsfindung denkbar.

Als Ausgangspunkt einer ersten Bedarfsermittlung dienen vor allem die Schwierigkeiten, die bestimmte Streitigkeiten mit sich bringen. Danach stellt sich die Frage, wie man mit diesen Schwierigkeiten aus verfahrenstechnischer Sicht umgehen kann und wie sich dies im geltenden rechtlichen Rahmen umsetzen lässt.

National wie international zeigt sich insbesondere, dass die Zahl sehr komplexer und aufwändiger Verfahren wächst. Die Komplexität von Verfahren kann sich dabei aus technischen Fragen, aus steigender Internationalität der Streitigkeiten oder aus der Masse an entscheidungsrelevanten Informationen ergeben. Auch Massenverfahren gehören in diese Kategorie. Ebenso nimmt auch die Arbeitsbelastung der zur Entscheidung berufenen Personen zu, die jedenfalls einer schnellen Entscheidungsfindung entgegenwirken kann.

Zunächst könnte die Durchführung des Verfahrens selbst vereinfacht werden, beispielsweise durch elektronische Kommunikation, auch für eine etwaige mündliche Verhandlung (s.a. das Vorbild von Hangzhou). Denkbar sind aber auch Maßnahmen, die die Komplexität der Verfahren insgesamt für die Beteiligten reduzieren können. Automatisierte bzw. Software-gestützte Systeme könnten beispielsweise für die Aufarbeitung des Sachverhalts genutzt werden. Insbesondere bei Streitigkeiten über digital überprüfbare Ereignisse käme auch eine automatisierte Beweisaufnahme in Betracht. Weiter ist eine technische Unterstützung bei rechtlicher Recherche denkbar. Diese Aufzählung ist bei weitem nicht abschließend, sondern soll vielmehr wenige Beispiele für Automatisierungspotential aufzeigen.

Für diese und weitere Mittel eignen sich insbesondere solche Streitbeilegungsmechanismen, die auf einer Vereinbarung der Parteien beruhen, also beispielsweise Schieds- oder Schlichtungsverfahren. Anders als bei staatlichen Gerichtsverfahren können die Parteien hier gezielt auf die Verfahrensgestaltung Einfluss nehmen. Selbstverständlich sind auch die in diesen Verfahren die rechtlichen und tatsächlichen Schranken zu berücksichtigen.

Ist die Entwicklung innovativer Streitbeilegungsmechanismen nun Aufgabe des Rechtsanwalts? Der Gesetzgeber könnte Veränderungen unmittelbar und gültig für alle Rechtsanwender per Gesetz umsetzen. Unternehmen kennen demgegenüber ihre Betätigungsfelder, mögliche Streitigkeiten und ihre Bedürfnisse am besten. Allerdings ist es in vielen Fällen der Rechtsanwalt, der im Wege seiner Beratung die Möglichkeit hat, Lösungen für den konkreten Fall vorzuschlagen, anzuwenden und die gewonnenen Erfahrungen für spätere Projekte zu nutzen. Damit hat gerade der Rechtsanwalt einerseits die Nähe zu konkreten Sachverhalten und andererseits die notwendige Distanz, die ihm einen Überblick über verschiedene mögliche Fallgestaltungen und unterschiedliche Interessen erlaubt.

Die Zukunft des Rechtsmarktes und insbesondere der Streitbeilegung birgt daher enormes Potential, das kreative Ansätze nicht nur erlaubt, sondern auch belohnt.

Sehen Sie auch das Video aus der Edge Reihe zum Thema „Smart Dispute Resolution – Das Recht digitalisiert sich „.

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* Gemeint sind Rechtsanwälte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: smart contract Streitbeilegung