Treuwidrig handelt, wer ein Schiedsverfahren einleitet und anschließend wegen angeblich unwirksamer Schiedsabrede die Aufhebung des abweisenden Schiedsspruchs begehrt.
Das OLG München hat mit Beschluss vom 5. Februar 2018, Az. 34 Sch 28/16, einem Antrag auf Aufhebung eines Schiedsspruchs wegen Unwirksamkeit der Schiedsabrede eine klare Absage erteilt. Der Entscheidung lag der denkwürdige Fall zugrunde, dass die Antragstellerin das Schiedsgericht selbst angerufen hatte.
Die Antragstellerin initiierte ursprünglich ein Schiedsverfahren…
Die Schiedsklägerin (und spätere Antragstellerin) begehrte die Feststellung, dass die Umlage von angeblich auf Sondereigentum entfallenden Reparaturkosten auf alle Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) unzulässig sei. Das angerufene Deutsche Ständige Schiedsgericht für Wohnungseigentumssachen in Leipzig wies die Schiedsklage zurück. Die Schiedsklägerin hatte nicht nachgewiesen, dass die Reparatur Sondereigentum betraf.
…und begehrte anschließend die Prüfung der Zulässigkeit eben dieses Verfahrens
Die Schiedsklägerin wollte sich mit dem abweisenden Schiedsspruch nicht abfinden und beantragte beim OLG München die Aufhebung des Schiedsspruchs. Zur Begründung führte sie aus, dass die Schiedsabrede unwirksam und daher das (wohlbemerkt – von der Antragstellerin selbst!) angerufene Schiedsgericht unzuständig sei, der Streitgegenstand gar nicht schiedsfähig sei, das Schiedsverfahren keinen dem vor den staatlichen Gerichten gleichwertigen Rechtsschutz biete, die Schiedsabrede im Übrigen nicht nur formunwirksam, sondern als überraschende und missbräuchliche Allgemeine Geschäftsbedingung sogar materiell rechtlich ungültig sei und – zu guter Letzt – sich die Antragstellerin der Schiedsabrede weder freiwillig noch bewusst unterworfen habe.
Das OLG München wies das Begehren der Antragstellerin zurück. Es zweifelte schon an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin. Denn selbst bei Aufhebung des Schiedsspruchs wegen Unzuständigkeit des Schiedsgerichts konnte die Antragstellerin ihr Begehren in der Hauptsache nicht mehr erreichen, weil die für Beschlüsse der WEG geltende dreimonatige Anfechtungsfrist des § 46 Abs. 1 WEG bereits abgelaufen war. Die Anrufung des unzuständigen Schiedsgerichts hatte keine verjährungshemmende Wirkung entfaltet, da diese der Klageerhebung beim unzuständigen staatlichen Gericht nicht gleichsteht (vgl. BGHZ 139, 305).
Das OLG ließ die Zulässigkeit des Aufhebungsbegehrens dahinstehen, da es den Antrag jedenfalls für unbegründet hielt. Die Antragstellerin könne sich nicht auf die Unzuständigkeit des Schiedsgerichts berufen, da sie selbst das Schiedsgericht angerufen hatte. Mit diesem widersprüchlichen Verhalten handelte die Antragstellerin entgegen dem Gebot aus § 242 BGB treuwidrig. Nach Ansicht des OLG München entfiel die Widersprüchlichkeit ihres Verhaltens nicht dadurch, dass die Antragstellerin bereits in den Ausführungen ihrer Schiedsklage die Zuständigkeit des Schiedsgerichts in Zweifel gezogen hatte. Die Antragstellerin hatte im Schiedsverfahren mitgeteilt, dass sie in einer Parallelsache Berufung eingelegt hatte, nachdem – und jetzt wird es noch kurioser – infolge der seitens der Antragsgegnerin erhobenen Schiedseinrede ein klageabweisendes Urteil ergangen war. Das Berufungsgericht entschied, dass die von der Antragsgegnerin erhobene Schiedseinrede aufgrund der besonderen Gegebenheiten des Einzelfalls rechtsmissbräuchlich war.
Zu keinem Zeitpunkt vertrat die Antragstellerin jedoch dezidiert die Rechtsmeinung, dass das von ihr selbst angerufene Schiedsgericht unzuständig sei. Die Antragstellerin strebte vielmehr eine Entscheidung in der Hauptsache selbst an. Nach eigener Angabe hatte sie mit der Schiedsklage das Ziel verfolgt, eine grundsätzliche Klärung der Kostentragungspflichten in der WEG herbeizuführen. Zugleich hatte sie damit aber die Antragsgegnerin in ein kostenträchtiges Verfahren gezwungen. Sicherlich zur Freude der Antragsgegnerin stellte das OLG München klar, dass die vorbehaltlose Anrufung des Schiedsgerichts in unauflöslichem Widerspruch zu dem späteren Antrag stand, wegen angeblicher Unzuständigkeit die Aufhebung des ergangenen Schiedsspruchs zu betreiben. Ob ein ausdrücklicher Vorbehalt gegen die Zuständigkeit des angerufenen Schiedsgerichts eine andere Wertung rechtfertigt, ließ das OLG München offen.
Klare Rechtsprechungslinie
Der Beschluss des OLG München reiht sich nahtlos in die bisherige oberlandesgerichtliche Rechtsprechung ein. Das OLG Celle (Beschluss vom 31. Mai 2007 – 8 Sch 6/06) entschied, dass es der Partei nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB unter dem Gesichtspunkt widersprüchlichen Verhaltens verwehrt sei, sich im Vollstreckbarkeitsverfahren auf das Fehlen einer wirksamen Schiedsabrede zu berufen. Dies gilt umso mehr, wenn die Partei zunächst das Schiedsverfahren selbst einleitet und sich nach dessen für sie ungünstigen Ausgang auf die Unwirksamkeit der Schiedsabrede beruft. Seine Entscheidung stützt das OLG Celle auf ein altes, aber immerhin höchstrichterliches Urteil (BGH vom 02. April 1987, Az. III ZR 76/86).
Die Bundesrichter sahen einen Verstoß gegen Treu und Glauben für gegeben, wenn eine Partei die Einleitung des Schiedsverfahrens durch den Vertragspartner provoziert, indem sie sich vorprozessual uneingeschränkt auf eine Schiedsabrede beruft (auf dessen Grundlage der Vertragspartner das Schiedsverfahren anstrengt), im Schieds- und Vollstreckbarkeitsverfahren dann aber die Unwirksamkeit der Schiedsabrede einwendet.
Allen Entscheidungen ist zu entnehmen, dass ein Verstoß gegen das Gebot von Treu und Glauben, das aus § 242 BGB resultiert, nicht nur widersprüchliches Verhalten voraussetzt. Rechtsmissbräuchliches Verhalten erfordert zusätzlich, dass für die andere Partei ein Vertrauenstatbestand geschaffen wurde oder andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen. Eine solche Treuwidrigkeit wird durch denjenigen begründet, dessen Verhalten zunächst die Akzeptanz eines Verfahrens impliziert (im BGH-Fall durch Berufung auf die Schiedsabrede, in den OLG-Fällen durch Einleitung und Durchführung des Schiedsverfahrens), bevor er die fehlende Rechtsgrundlage eben dieses Verfahrens rügt.
Wege aus der Freudlosigkeit des Ersten
Zur Klärung der Unzulässigkeit des Schiedsverfahrens hätte der Antragstellerin sowohlder Weg über die Anfechtungsklage vor dem – nach ihrer eigenen Überzeugung – zuständigen WEG-Gericht als auch das Verfahren nach § 1032 Abs. 2 ZPO offen gestanden, worauf das OLG München in seiner Entscheidung abschließend hinwies.Gemäß letzterer Vorschrift kann vor dem zuständigen staatlichen Gericht bis zur Bildung des Schiedsgerichts ein Antrag auf Feststellung der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines schiedsrichterlichen Verfahrens gestellt werden.
Nicht ohne Schadenfreude bemerkte das OLG München am Rande, dass es der Antragstellerin zumutbar gewesen wäre, die Kosten für eine Klage sowohl vor dem staatlichen Gericht als auch vorsorglich vor dem Schiedsgericht aufzubringen. Da eine Schiedsabrede nicht von Amts wegen, sondern erst mit Erhebung der Schiedseinrede zu berücksichtigen ist, begründet diese Vorgehensweise keine “doppelte Rechtshängigkeit”. Auch das Kostenrisiko war in diesem Fall gering: Die Parteien stritten um sage und schreibe 4,83 Euro.
Ob die durch das OLG München aufgewiesenen Alternativen auch im Falle substantiellerer Streitwerte tragbar sind, ist abzuwägen. In Fällen, in denen keine unmittelbare Verjährung von Ansprüchen droht, wird eine vorab Klärung der Zuständigkeit zur Streitentscheidung gemäß § 1032 Abs. 2 ZPO möglich sein. Die Feststellung der Unzulässigkeit eines Schiedsverfahrens bindet jedenfalls im praktischen Ergebnis auch das Schiedsgericht. In anderen Zweifelsfällen, scheint die Anrufung beider Gerichte angesichts der Entscheidung des OLG München unumgänglich, um eine Verjährungshemmung sicher herbeizuführen. Einem Kläger, der eine Schiedsabrede für unwirksam hält, ist zudem zu raten, diese Rechtsauffassung im Rahmen der Schiedsklage so früh wie möglich und mit Nachdruck zu vertreten.