24. Juli 2019
ZPO Reform
Dispute Resolution

Die neue ZPO-Reform

Die Zivilprozessordnung ist eine Dauerbaustelle. Kein Jahr vergeht, ohne dass der Gesetzgeber Änderungen vornimmt. Die nächste Reform steht bereits bevor.

Derzeit wird der Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz für ein neues ZPO-Reformgesetz diskutiert. Er sieht eine Reihe von Änderungen vor. Die wichtigsten stellen wir im Folgenden vor:

Sachverständige als Berater des Gerichts

In § 144 Abs. 1 Satz 1 ZPO soll der Begriff „Begutachtung durch Sachverständige“ durch „Hinzuziehung von Sachverständigen“ ersetzt werden. Was sich hinter dieser auf den ersten Blick unscheinbaren Änderung verbirgt, wird erst durch die Begründung des Bundesjustizministeriums deutlich: Obwohl dies bereits nach geltendem Recht möglich sei, solle klargestellt werden, dass sich das Gericht unabhängig von einer Beweisaufnahme bereits in einem frühen Verfahrensstadium verfahrensbegleitend zur fachlichen Unterstützung der besonderen Sachkunde von Sachverständigen zu Beratungszwecken bedienen könne. Der Sachverständige sei in dieser Funktion nicht Beweismittel, sondern Berater des Gerichts.

Hierbei ist Vorsicht geboten: Zu den Maximen des Zivilprozesses gehört der Beibringungsgrundsatz. Anders als ein Verwaltungsgericht ermittelt ein Zivilgericht den Sachverhalt nicht von Amts wegen. Es ist vielmehr die Aufgabe der Parteien, dem Gericht die Tatsachen vorzutragen, die das Gericht seiner rechtlichen Würdigung zugrunde legen soll. Deshalb obliegt es auch bei schwierigen technischen Fragen den Parteien, den Sachverhalt so aufzubereiten und vorzutragen, dass ein technischer Laie verstehen kann, worum es geht. Dies betrifft etwa die Funktionsweise von Maschinen oder physikalische beziehungsweise chemische Zusammenhänge, die eine Rolle spielen. Bestreitet der Prozessgegner die technischen Einzelheiten und ist Beweis durch Einholung eines Gutachtens angeboten, beauftragt das Gericht einen Sachverständigen.

Die geplante neue Regelung geht über das Vorstehende weit hinaus: Wenn der Sachverständige unabhängig von einer Beweisaufnahme hinzugezogen wird, kann dies die Kosten des Rechtsstreits gewaltig erhöhen. Da die Sachverständigenvergütung zu den Auslagen des Gerichts gehört und die Auslagen Teil der Kosten des Rechtsstreits sind, muss sie letztlich die Partei tragen, der das Gericht die Kosten auferlegt. Dies gilt auch dann, wenn aus Sicht der Parteien eine Hinzuziehung des Sachverständigen als Berater des Gerichts nicht notwendig war.

Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass der Beibringungsgrundsatz aufgeweicht wird. Denn wenn der Sachverständige seine Rolle als Berater des Gerichts ernst nimmt, wird er in manchen Fällen nicht umhinkommen, das Gericht auf technische Einzelheiten hinzuweisen, die bislang keine Partei vorgetragen hat. Dies kann dazu führen, dass der Sachverständige ungewollt einer Partei zum Prozess-Sieg verhilft. Dies wiederum kann ein erster Schritt hin zum Amtsermittlungsgrundsatz sein.

Klarstellung zur Möglichkeit der Strukturierung und Abschichtung des Streitstoffs durch das Gericht

Beinahe merkwürdig mutet der folgende Satz an, der § 139 Abs. 1 ZPO angefügt werden soll:

Das Gericht kann den Streitstoff strukturieren und abschichten.

Das Bundesjustizministerium sieht auch hierin lediglich eine Klarstellung, weil Strukturierung und Abschichtung bereits nach geltendem Recht möglich seien. Deshalb solle durch die neue Regelung für die Gerichte lediglich ein Anreiz gesetzt werden, von diesen Möglichkeiten künftig stärker als bislang Gebrauch zu machen. Denn, so meint das Ministerium, die Strukturierung des Verfahrensablaufs sowie die inhaltliche Abschichtung des Streitstoffes und Fokussierung auf die aus Sicht des Gerichts klärungsbedürftigen Punkte könnten wesentlich zur Straffung des Verfahrens und zu mehr Effizienz beitragen.

Dies ist zwar alles richtig, lässt sich aber nicht damit erreichen, dass man die Gerichte noch einmal klarstellend auf ihnen längst zur Verfügung stehende Instrumentarien hinweist. Eines der Probleme in der Praxis besteht darin, dass manche Parteien durch ihr Prozessverhalten den Rechtsstreit verzögern und die Gerichte von den Präklusionsvorschriften nur selten Gebrauch machen. Bereits jetzt haben die Gerichte die Möglichkeit, den Parteien für bestimmte klärungsbedürftige Punkte Ausschlussfristen zu setzen und Angriffs- und Verteidigungsmittel, die erst nach Fristablauf vorgebracht werden, als verspätet zurückzuweisen (§ 296 ZPO). Hierzu kommt es aber recht selten.

Wertgrenze für Nichtzulassungsbeschwerde soll dauerhaft über EUR 20.000 liegen

Die Revision ist in Zivilsachen nur statthaft, wenn sie – etwa wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache – zugelassen wird (§ 543 ZPO). Lässt das Berufungsgericht sie nicht zu, kann die unterlegene Partei gegen die Nichtzulassung Beschwerde zum Bundesgerichtshof erheben (§ 544 ZPO). Als der Gesetzgeber 2002 die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde einführte, beschränkte er sie auf die Fälle, dass der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer EUR 20.000,00 übersteigt.

Diese Vorschrift wurde in das Einführungsgesetz zur Zivilprozessordnung „ausgelagert“, weil ihre Geltung bis Ende 2006 befristet war (§ 26 Nr. 8 EGZPO). Grund hierfür war seinerzeit, dass der Gesetzgeber den Bundesgerichtshof in der Anfangszeit entlasten wollte, jedoch davon ausging, dass nach einer Übergangszeit kein Bedürfnis mehr für eine solche Entlastung bestünde. In Wirklichkeit aber wurde die Geltung der Vorschrift fortwährend verlängert, zuletzt 2018 bis zum 31. Dezember 2019. Nunmehr beabsichtigt der Gesetzgeber, die Mindestbeschwer von EUR 20.000,01 auf Dauer beizubehalten. Zu diesem Zwecke soll sie nicht länger im Einführungsgesetz „versteckt“ werden, sondern in § 544 ZPO eingefügt werden.

Die Begründung hierfür, der Mindestwert sei erforderlich, um die Funktionstüchtigkeit der Zivilsenate des Bundesgerichtshofs auf Dauer zu gewährleisten, überzeugt allerdings nicht. Denn auch die anderen obersten Gerichtshöfe des Bundes kommen ohne eine solche Wertgrenze aus. Beim Bundesarbeitsgericht, Bundesverwaltungsgericht, Bundessozialgericht und Bundesfinanzhof können die Rechtssuchenden immer eine Nichtzulassungsbeschwerde erheben, unabhängig vom Wert der Beschwer (§ 72a ArbGG, § 133 VwGO, § 160a SGG, § 116 FGO). Eine Entlastung hat der Gesetzgeber für den Bundesgerichtshof bereits dadurch geschaffen, dass er, wenn er die Nichtzulassungsbeschwerde zurückweist, von einer Begründung absehen kann (§ 544 Abs. 4 Satz 2 ZPO).

Nächste ZPO-Reform bereits absehbar

In Kraft treten sollen die obigen Änderungen am 1. Januar 2020. Es werden nicht die letzten bleiben.

Der Gesetzgeber hat bereits die nächste Reform in Angriff genommen. Sie soll die Attraktivität des Justizstandortes Deutschland erhöhen und die staatlichen Gerichte, allen voran die Kammern für Handelssachen, für Wirtschaftsstreitigkeiten (wieder) attraktiver machen. Unter der Federführung von Hamburg und Nordrhein-Westfalen befasst sich derzeit eine Arbeitsgruppe mit diesem Thema. So bestehen zum Beispiel Überlegungen, englischsprachige Wirtschaftskammern („Commercial Courts″) einzurichten, um Deutschland als Gerichtsstandort für internationale Wirtschaftsstreitigkeiten stärker, insbesondere im Hinblick auf den bevorstehenden „Brexit″, zu positionieren.

Tags: 2020 Dispute Resolution Nichtzulassungsbeschwerde Reform Sachverständiger Umfangsverfahren Zivilprozessrecht