Im zweiten Beitrag der Serie erläutern wir die Wasserstoffstrategie der EU-Kommission für ein klimaneutrales Europa und ihre Rezeption in Politik & Wirtschaft.
Mit ihrer Wasserstoffstrategie weist die EU-Kommission Wasserstoff eine unterstützende Funktion bei der Dekarbonisierung von Industrie, Verkehr, Stromerzeugung und Gebäuden in ganz Europa zu. Damit wird ein Rahmen für die Strategien bzw. Strategieansätze gesteckt, die mittlerweile in vielen Mitgliedstaaten entwickelt wurden. Mit der Verkündung der Strategie wird klargestellt, dass Wasserstoff einen prominenten Platz in der künftigen EU-Energie- und Klimapolitik einnehmen wird.
Die EU-Wasserstoffstrategie
Kurz nach der Bundesregierung mit der Nationalen Wasserstoffstrategie hat die EU-Kommission am 8. Juli 2020 im Rahmen des Green Deal die EU-Wasserstoffstrategie vorgestellt. Ziel der Strategie ist es, die Wasserstofferzeugung zu dekarbonisieren. Nach Auffassung der Kommission ist dies aufgrund des raschen Rückgangs der Kosten erneuerbarer Energien und der Beschleunigung der technologischen Entwicklung möglich. Außerdem soll Wasserstoff auch in Sektoren genutzt werden, in denen er fossile Brennstoffe ersetzen kann.
Wasserstoff liefert maßgeblichen Beitrag zur Klimaneutralität
Aus Sicht der Kommission ist ein strategischer Ansatz der Europäischen Union erforderlich, um das Potenzial im Zusammenhang mit Wasserstoff nutzen zu können. Die meisten Mitgliedstaaten beschäftigen sich mittlerweile intensiv mit dem Thema, einige haben bereits nationale Strategien verabschiedet.
Eine Nutzung des Potenzials setze voraus, dass Wasserstoff in weitaus größerem Umfang als bisher genutzt und seine Erzeugung vollständig dekarbonisiert werde. Der Energieverbrauch der EU soll bis 2050 zu einem großen Teil durch Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen gedeckt werden. Die entstehende Lücke könne durch Wasserstoff überbrückt werden. Die 2018 veröffentlichte strategische Vision für eine klimaneutrale EU sieht den Anteil von Wasserstoff am europäischen Energiemix bis 2050 von derzeit weniger als 2 % auf 13-14 % steigen. Die EU-Strategie stellt dabei die Sektoren Industrie und Mobilität in den Vordergrund. Der Einsatz im Wärmemarkt wird nur an einer Stelle und eher beiläufig erwähnt. Hieran zeigt sich die in der Vergangenheit bestehende Präferenz der EU-Kommission für eine All Electric Society.
Der Aufbau des Wasserstoffsystems soll schrittweise erfolgen
Auch wenn die Kommission der Entwicklung von erneuerbarem Wasserstoff, der mit Wind- und Sonnenenergie hergestellt wird, eindeutig Priorität einräumt, soll übergangsweise auch CO2-armer Wasserstoff eine Rolle spielen – wie etwa der vielzitierte blaue Wasserstoff, der aus Erdgas unter Abscheidung und Speicherung des CO2 hergestellt wird. Auf diese Weise könne der Markthochlauf für erneuerbaren Wasserstoff unterstützt werden. Gleichzeitig könnten so die Emissionen der bestehenden Wasserstofferzeugung schneller verringert werden.
Start des Wasserstoffökosystems in erster Phase von 2020 – 2024
In der ersten Phase sollen in der EU für die Erzeugung von erneuerbarem Wasserstoff Elektrolyseure mit einer Elektrolyseleistung von mindestens 6 GW installiert werden. Ziel ist die Erzeugung von bis zu 1 Mio. t erneuerbarem Wasserstoff. Diese Mengen sollen die bestehende klimaschädliche Wasserstofferzeugung in der Industrie teilweise ersetzen. Gleichzeitig wird der erneuerbare Wasserstoff auch für die Versorgung von Wasserstofftankstellen benötigt. Flankierend ist geplant, die Planung einer Fernleitungsstruktur für den Transport von Wasserstoff über größere Entfernungen zu initiieren. Gleichzeitig sollen auch für die Erzeugung von CO2-armem Wasserstoff die Abscheidung und der Transport von CO2 in Angriff genommen werden.
Zweite Phase von 2025 – 2030 zur Integration ins Energiesystem
In der zweiten Phase sollen in der EU für die Erzeugung von erneuerbarem Wasserstoff Elektrolyseure mit einer Elektrolyseleistung von mindestens 40 GW installiert werden. Ziel ist die Erzeugung von bis zu 10 Mio. t erneuerbarem Wasserstoff.
Es wird erwartet, dass erneuerbarer Wasserstoff in dieser Phase hinsichtlich der Kosten wettbewerbsfähiger im Verhältnis zu anderen Wasserstoffarten wird. Hierdurch sollen neue Anwendungsbereiche in der Industrie und im Mobilitätssektor eröffnet werden.
Des Weiteren sollen regionale Wasserstoffsysteme entstehen, die mit lokal erzeugtem Wasserstoff in räumlicher Nähe bestehende Nachfrage decken. Gleichzeitig soll die Planung eines europaweiten Leitungsnetzes für die Verbindung zwischen den Gebieten mit erneuerbarer Energieerzeugung und den Nachfragezentren aufgenommen werden.
Marktreife soll in dritter Phase von 2030 – 2050 erreicht werden
Für die dritte Phase wird erwartet, dass ein Viertel des Stroms aus erneuerbaren Energiequellen für die Erzeugung von erneuerbarem Wasserstoff verwendet wird. Dies setzt voraus, dass die Technologien für erneuerbaren Wasserstoff ausgereift sind und europaweit im großen Maßstab eingesetzt werden.
Europäische Wasserstoffallianz unterstützt Investitionsagenda
Die Kommission geht von einem erheblichen Investitionsbedarf bis 2050 aus. So rechnet sie zum Beispiel im Bereich der Erzeugung von erneuerbarem Strom mit EUR 220 – 340 Mrd. und für Transport, Verteilung und Speicherung von Wasserstoff sowie für Wasserstofftankstellen mit EUR 65 Mrd. Die Europäische Wasserstoffallianz, die sich aus Vertretern der Wirtschaft, öffentlichen Verwaltung und Zivilgesellschaft zusammensetzt, soll die Planung und Umsetzung dieser Investitionen maßgeblich unterstützen. Besonderes Augenmerk soll auf der Identifikation von tragfähigen Investitionsprojekten mit dem Ziel der Entwicklung einer koordinierten Investitionsplanung liegen. Die Kommission wird diesen Prozess mit der Bereitstellung von Mitteln aus entsprechenden Förderprogrammen unterstützen.
Steigerung der Nachfrage zur Unterstützung der Wasserstoffwirtschaft
Die Kommission identifiziert als wichtige Leitmärkte für die Steigerung der Nachfrage nach Wasserstoff in den Endverbrauchssektoren die Bereiche Industrie und Mobilität. Bei den industriellen Anwendungen werden die Ammoniakherstellung, die Stahlerzeugung sowie Raffinerien genannt. Im Verkehrssektor soll Wasserstoff eine wachsende Bedeutung im öffentlichen Nahverkehr, bei schweren Nutzfahrzeugen und auch in Teilen des Schienennetzes zukommen. Das Gleiche gilt für die Binnenschifffahrt sowie perspektivisch auch für den Luft- und Seeverkehr. Als nachfrageseitiges Steuerungsinstrument werden beispielsweise Quoten für erneuerbaren Wasserstoff genannt.
Steigerung der Wasserstofferzeugung durch geänderte Rahmenbedingungen
Die Erreichung der Ziele der Wasserstoffstrategie setzt eine erhebliche Steigerung der Produktion von Wasserstoff gegenüber dem Status quo voraus. Zu diesem Zweck kündigt die Kommission die Schaffung geeigneter politischer Rahmenbedingungen an. Hierzu zählt die Festlegung neuer Schwellen für CO2-Emissionen zur Förderung von Wasserstofferzeugungsanlagen.
Um einen europaweiten Wasserstoffmarkt zu etablieren, kündigt die Kommission gleichzeitig die Einführung europaweiter Kriterien für die Zertifizierung von erneuerbarem und CO2-armem Wasserstoff an. Bestehende Wettbewerbsnachteile bei der Erzeugung von erneuerbarem Wasserstoff sollen durch CO2-Differenzverträge (Carbon Contracts for Difference) ausgeglichen werden, die sich auch in der Nationalen Wasserstoffstrategie der Bundesregierung finden. Es handelt sich in der Sache um staatliche Garantien für Unternehmen in Bezug auf eine bestimmte Höhe des CO2-Preises.
Wasserstoffinfrastruktur spielt eine wichtige Rolle
Die Infrastrukturoptionen für den Transport von Wasserstoff sind vielfältig. Neben dem leitungsgebundenen Transport kommen auch LKW oder Schiffe in Betracht. Wasserstoff kann überdies gasförmig, flüssig oder beispielsweise als Ammoniak transportiert werden. Vor diesem Hintergrund befürwortet die Kommission für die Entwicklung der Wasserstoffinfrastruktur einen in ihrem Phasenkonzept bereits angelegten schrittweisen Ansatz. So können zum Beispiel Teile des bestehenden Gasnetzes für den Transport von Wasserstoff nach und nach umgewidmet werden. Die Beimischung von Wasserstoff in den Gasstrom sieht die Kommission dagegen eher kritisch, weil dies aus ihrer Sicht das Risiko einer Fragmentierung des Binnenmarktes mit sich bringt.
Anpassung des Ordnungsrahmens erforderlich
Für die Entwicklung eines funktionierenden und wettbewerblichen strukturierten Wasserstoffmarktes ist der diskriminierungsfreie Zugang aller Marktbeteiligter zu den Wasserstoffinfrastrukturen sicherzustellen. Dies setzt die Neutralität der Netzbetreiber voraus. Vor diesem Hintergrund sieht die Kommission die Notwendigkeit, Vorschriften für den Netzzugang Dritter und klare Regeln für den Netzanschluss von Elektrolyseuren zu entwickeln. Hierzu soll eine Überarbeitung des bestehenden Regulierungsrahmens für die Gasmärkte auf den Weg gebracht werden.
Abrundung durch Fördermaßnahmen und internationale Kooperation
Die Förderung von Forschung und Innovation im Bereich der Wasserstofftechnologien soll die Etablierung der Wasserstofflieferkette sicherstellen. Die Förderung soll im Bereich der Erzeugung, Infrastruktur sowie der industriellen Anwendungen und im Verkehr erfolgen. Weitere Forschung wird auch im Bereich des technischen Rechts und der Sicherheitsnormen als erforderlich erachtet.
Weiterer Bestandteil des politischen Programms ist die internationale Dimension. So bietet Wasserstoff aus Sicht der Kommission das Potenzial, die Zusammenarbeit mit benachbarten Ländern und internationalen Partnern im Energiebereich auf eine neue Basis zu stellen. Beispielhaft sei die Unterstützung von Nachbarländern bei der Umstellung auf eine saubere Energieerzeugung durch den Einsatz von Wasserstofftechnologien genannt.
Wasserstoffstrategie wird nicht einhellig begrüßt
Industrieseitig wurde die EU-Initiative mehrheitlich positiv aufgenommen. Die EU-Kommission habe damit ein starkes Signal gesendet, das die Bedeutung dieses zentralen Energieträgers für ein klimaneutrales Europa untermauere. Umweltverbände kritisieren dagegen die Fortschreibung der Rolle fossiler Energien wie Erdgas. Durch die Berücksichtigung blauen Wasserstoffs werde das Ziel der Klimaneutralität untergraben. Ob erneuerbarer Wasserstoff nur in Bereichen eingesetzt werden soll, die nicht zu elektrifizieren sind, ist umstritten. Insgesamt sind die Reaktionen durchaus mit dem Echo auf die Nationale Wasserstoffstrategie vergleichbar. Dies verwundert auch nicht, sind die beiden strategischen Ansätze doch in weiten Teilen deckungsgleich. Ein nennenswerter Unterschied besteht allerdings hinsichtlich der Bewertung der CO2-Abscheidung und insbesondere der CO2-Speicherung bei der Herstellung CO2-armen Wasserstoffs. Während die EU-Strategie hier ausdrücklich Entwicklungsschritte vorsieht, ist das Thema in Deutschland politisch so verbrannt, dass es wohl auch künftig keine Rolle spielen wird. Die Erzeugung von blauem Wasserstoff in Deutschland wird deshalb nur bei Export des abgeschiedenen CO2 eine Chance haben.
Erneuerbarer Wasserstoff muss sich rechnen
Die Gretchenfrage lautet, wann erneuerbarer Wasserstoff in Bezug auf die Kosten mit grauem oder blauem Wasserstoff wettbewerbsfähig sein wird. Die Kommission führt hierzu aus, dass die Kosten für fossilen Wasserstoff stark von den Erdgaspreisen abhängen. Derzeit werden dessen Kosten unter Außerachtlassung der CO2-Kosten für die EU auf etwa EUR 1,5 pro kg veranschlagt. Die geschätzten Kosten für blauen Wasserstoff mit Abscheidung und Speicherung von CO2 betragen etwa EUR 2 pro kg. Für erneuerbaren Wasserstoff ist derzeit mit etwa EUR 2,5 – 5,5 pro kg zu rechnen.
Beim erneuerbaren Wasserstoff spielen die Kosten für den erneuerbaren Strom sowie die Elektrolyse eine entscheidende Rolle. Nicht zu vernachlässigen sind überdies die Kosten für den Transport, wenn die Erzeugung in abgelegenen Gebieten und der Verbrauch beim Kunden weit auseinander liegen. Perspektivisch ist allerdings damit zu rechnen, dass die Kosten für erneuerbaren Wasserstoff rasch sinken. Die EU-Kommission führt an, dass die Kosten für Elektrolyseure in den vergangenen 10 Jahren bereits um 60 % gesunken sind und sich voraussichtlich bis 2030 auf Grund von Skaleneffekten im Vergleich zu heute halbieren. Möglicherweise ist dann bereits um 2030 herum erneuerbarer Wasserstoff in Gebieten mit billigem erneuerbarem Strom wettbewerbsfähig.
Im ersten Teil der Serie haben wir eine Bestandsaufnahme zum Energieträger der Zukunft gemacht. Dafür haben wir uns im zweiten Teil der Nationalen Wasserstoffstrategie der Bundesregierung und ihrer Rezeption im deutschen Umfeld gewidmet. Im dritten Teil dieser Blogserie zu Wasserstoff befassen wir uns näher mit der Marktkonsultation der BNetzA zur Regulierung von Wasserstoffnetzen. Der vierte Teil beschäftigt sich mit dem Ergebnis der BNetzA-Konsultation Wasserstoffnetze.