Im dritten Beitrag der Serie erläutern wir das Konsultationsdokument der BNetzA zur Regulierung von Wasserstoffnetzen sowie die Reaktion des Marktes darauf.
Ziel der am 13. Juli 2020 gestarteten und mittlerweile beendeten Marktkonsultation der BNetzA ist die Erstellung einer umfassenden Bestandsaufnahme der geltenden rechtlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen für den leitungsgebundenen Transport von Wasserstoff. Auf dieser Basis soll ermittelt werden, ob – und wenn ja wie Wasserstoffnetze künftig reguliert werden sollen. Zur Strukturierung der Diskussion hat die BNetzA im Zusammenhang mit dem Konsultationsdokument einen umfangreichen Fragenkatalog veröffentlicht, der den Marktbeteiligten Gelegenheit gab, detailliert zur Frage der Regulierung des leitungsgebundenen Wasserstofftransportes Stellung zu nehmen.
Künftige Rolle von Wasserstoff veranlasst Marktkonsultation
Die Konsultation der BNetzA ist eine Folge der zunehmenden politischen Aufmerksamkeit, die Wasserstoff zuteilwird. So ist Wasserstoff im Rahmen des Dialogprozesses Gas 2030 des BMWi sowie der aktuellen Nationalen Wasserstoffstrategie zu einem zentralen energiepolitischen Thema geworden. Außerdem wurden im Szenariorahmen für den Netzentwicklungsplan Gas 2020-2030 insgesamt 21 Grüngas-Projekte (Wasserstoff, synthetisches Methan) berücksichtigt.
Bei mehreren dieser Wasserstoff-/Power-to-Gas-Projekte sind Umwidmungen von Gasleitungen bzw. der Neubau von Wasserstoffleitungen geplant. Die Fernleitungsnetzbetreiber schlagen in diesem Zusammenhang vor, bis 2030 insgesamt 1.142 km Erdgasleitungen auf reinen Wasserstofftransport umzustellen und 151 km neue Gasleitungen zu bauen, davon 94 km für den reinen Wasserstofftransport. Hieraus folgen bis 2030 zusätzliche Kosten in Höhe von EUR 662 Mio. Damit stellt sich die Frage einer Regulierung von Wasserstoffleitungen.
Wasserstoff vom deutschen Regulierungsrahmen nur unvollkommen erfasst
Wasserstoff, der nicht durch Elektrolyse hergestellt wird, unterfällt nicht dem EnWG. Der Transport in Fernleitungsnetzen ist laut BNetzA ohnehin nicht erfasst, da diese sich nur auf Erdgas bezögen, nicht aber auf Wasserstoff. Ob bei einer Beimischung von Wasserstoff auf Fernleitungsebene noch von Erdgas im Sinne des EnWG auszugehen sei, ist laut BNetzA zweifelhaft. Soweit Wasserstoff unter die Definition von Biogas in § 3 Nr. 10c EnWG fällt, sind laut BNetzA reine Wasserstoff- (= Biogas-) Netze aber als Gasversorgungsnetze gem. § 3 Nr. 20 EnWG anzusehen. Reine Wasserstoff- (= Biogas-) Fernleitungsnetze unterfielen dagegen nicht dem EnWG. Auch reine Wasserstoff-Verteilnetze, bei denen der Wasserstoff nicht die Biogas-Definition erfüllt, wären ebenfalls nicht vom EnWG erfasst.
Für den Zugang zu nicht der Regulierung nach dem EnWG unterfallenden Wasserstoffnetzen seien die kartellrechtlichen Vorgaben des GWB zu beachten. Entflechtungsrechtlich sei Netzbetreibern die Erzeugung und Einspeisung von Wasserstoff, der unter das EnWG falle, untersagt.
Im Bereich der Kosten konstatiert die BNetzA, dass die für die Umstellung auf Wasserstoff anfallenden Kosten wie etwa die Anpassung des bestehenden Erdgasnetzes nicht anerkannt und auf alle Gaskunden umgelegt werden könnten, soweit der Transport von Wasserstoff nicht von der Regulierung erfasst sei.
Eine Wasserstoff-Fernleitung könne schließlich auch nicht Gegenstand des Netzentwicklungsplans sein. Bei Umwidmungen bestehender Erdgasleitungen könnte dies jedoch anders zu beurteilen sein, wenn die bisherige Gasleitung zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit des Gasnetzes erforderlich war und ihr Wegfall dazu führen würde, dass die Versorgungssicherheit nicht mehr sichergestellt wäre.
Unabhängig davon, ob man die rechtliche Analyse der BNetzA in allen Punkten teilt – ihrem Fazit, dass es im geltenden Ordnungsrahmen kein eigenständiges und konsistentes Regelwerk für die Regulierung von Wasserstoff gibt, ist ohne Weiteres zuzustimmen.
Drei Szenarien für künftige Struktur des Wasserstoffnetzes
Die BNetzA identifiziert drei mögliche Szenarien für das Wasserstoffnetz der Zukunft:
Das Szenario I ist durch lokale Inselnetze geprägt. Hier wird unterstellt, dass der Wasserstoffverbrauch nur im Industriesektor zunimmt.
Im Szenario II kann der Verbrauch nicht lediglich regional gedeckt werden. Längere Leitungen zum Antransport des Wasserstoffs werden benötigt.
Das Szenario III geht von einer Zunahme des Verbrauchs auch im Verkehrssektor aus. Die Belieferung eines flächendeckenden Netzes von Wasserstofftankstellen würde die Notwendigkeit eines zusätzlichen engmaschigen Verteilnetzes bedingen.
Erforderlichkeit einer Regulierung laut BNetzA differenziert betrachten
Im ersten Szenario kann bei Hinzutreten neuer Abnehmer das Risiko einer Zugangsverweigerung steigen, so dass eine Zugangsregulierung erforderlich werden könnte. Eine Entgeltregulierung erscheint dagegen verzichtbar, weil ein Missbrauchsrisiko eher gering sein dürfte.
Auch im Szenario II wird eine Zugangsregulierung bei einer zunehmenden Zahl von Einspeisern als naheliegend bezeichnet. Durch das Bestehen von Verbindungsleitungen steige das Missbrauchsrisiko, so dass eine Entgeltregulierung geboten sein könne.
Da im Szenario III eine weiter steigende Anzahl an Einspeisern angenommen wird, bezeichnet BNetzA eine Zugangsregulierung als eher wahrscheinlich. Die steigende Zahl der Verbraucher spreche für eine Entgeltregulierung wie im Strom- und Gasbereich.
Entflechtungsrechtlich differenziert BNetzA nicht zwischen den Szenarien. Dafür sei abzuwarten, wie sich der Markt entwickle. Allerdings sollte für die Unternehmen ein einheitliches Entflechtungsregime gelten. Damit würden die bestehenden Entflechtungsvorgaben der Gasnetzbetreiber auch für den Betrieb eines eigenen Wasserstoffnetzes gelten.
BNetzA befürwortet eigenes Wasserstoffinfrastrukturgesetz
Angesichts der erheblichen Regelungslücken im bestehenden Recht plädiert BNetzA in erster Linie für eine eigenes Wasserstoffinfrastrukturgesetz mit ergänzenden Verordnungen, hilfsweise für ein eigenes Kapitel im EnWG. Eine bloße Änderung z.B. der Definitionen im EnWG wie bereits von einigen Verbänden vorgeschlagen sei nicht zielführend. Insgesamt sei ein technologieoffener Wasserstoffbegriff hilfreich. Die gängige Farbenlehre beim Wasserstoff sei nicht zielführend, der Wasserstofftransport im Leitungsnetz erfolge „farblos″. Insbesondere müsse auch das Potential nicht-grünen Wasserstoffs genutzt werden, der im Wege der Dampfreformierung und Pyrolyse hergestellt wird („blauer″ und „türkiser″ Wasserstoff). Übergeordnetes Ziel sei die vollständige Integration von Wasserstoff in den Gasmarkt und die Errichtung einer bundesweiten Wasserstoffinfrastruktur.
Markteilnehmer antworten umfassend auf Fragenkatalog
Die Marktkonsultation der BNetzA ergibt ein vielschichtiges Bild. Bis Anfang September sind 63 Stellungnahmen von Industrie, Verbänden und Netzbetreibern eingegangen. Zusammengefasst ergeben sich aus einzelnen Stellungnahmen stichprobenartig folgende Grundsatzpositionen:
Netzbetreiberseitig wird auf die Bedeutung der bestehenden Gasinfrastruktur für ein reguliertes öffentliches Wasserstoffnetz hingewiesen. Die kurzfristig nicht realisierbare Schaffung eines eigenen Wasserstoffinfrastrukturgesetzes wie von BNetzA vorgeschlagen wird abgelehnt. Ein solcher Prozess würde die Dynamik des Markthochlaufs von Wasserstoff blockieren. Deshalb sei die sukzessive Schaffung eines konsistenten Regulierungsrahmens, der schrittweise an die Bedürfnisse des Wasserstoffmarktes angepasst wird, vorzugswürdig. Eine Kostentragung dieses Transformationsprozesses der Erdgaswirtschaft durch alle Beteiligten sei angemessen. Hierdurch würden in der Phase der Marktintegration auch einheitliche Bedingungen für alle Wasserstoff-Nutzer gewährleistet.
Diese Position wird industrieseitig mit zusätzlichem Hinweis auf die Bedeutung eines technologieoffenen Ansatzes im Wesentlichen geteilt.
Aus den Reihen der Energiewirtschaft kommt ebenfalls ein klares Plädoyer für einen stufenweisen Ausbau der bestehenden Gasnetzregulierung zur Integration von Wasserstoff.
Auch händlerseitig wird die Forderung eines dynamischen, lernenden Regulierungsansatz unterstützt. Zur Vermeidung von Diskriminierungen sei allerdings eine strikte Entflechtung erforderlich. Eine Kostentragung durch alle Netzkunden wird abgelehnt. Diese sollte vielmehr verursachungsgerecht erfolgen.
Die Speicherbetreiber sehen die Notwendigkeit einer Regulierung dagegen differenziert. Sie warnen davor, die Regulierung der Erdgasnetze sofort eins zu eins auf die künftige Wasserstoffinfrastruktur anzuwenden. Dies sei im Sinne der Energiewende nicht zielführend. Der Verbraucherzentrale Bundesverband teilt diese Einschätzung.
Aus dem Bereich der Umweltverbände wird darauf hingewiesen, dass der Einsatzbereich von Wasserstoff stark beschränkt bleiben müsse, solange die Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff ungeklärt bleibt. Blauem Wasserstoff wird eine Absage erteilt. Eine Regulierung der Wasserstoffnetze soll nur Schritt für Schritt erfolgen. Die Kosten von Wasserstoffleitungen sollen nicht von allen Verbrauchern, sondern nur von den Unternehmen bezahlt werden, die von Wasserstoff profitieren.
Auswertung der Konsultation durch BNetzA noch offen
Die Auswertung des Konsultationsergebnis durch die BNetzA ist noch nicht abgeschlossen. Es bleibt daher abzuwarten, wie sie die teils deutlich unterschiedlichen Positionen bewertet. In der Grundsatzfrage des Regulierungserfordernisses ist jedoch der überwiegenden Anzahl der Stellungnahmen die Tendenz zu entnehmen, einer schrittweisen und sich der Entwicklung des Marktes anpassenden Regulierung auf Basis des bestehenden Rechtsrahmens den Vorzug gegenüber einer eigenständigen Regulierung in Form eines Wasserstoffinfrastrukturgesetzes zu geben.
Das Bundeswirtschaftsministerium will sich derzeit noch nicht festlegen. Ob eine Regulierung von Zugang und Entgelten einer künftigen Wasserstoffnetzstruktur erforderlich sei, stehe noch nicht fest. Es sei fraglich, ob es sich hier um einen rein marktwirtschaftlich organisierten Bereich handeln könne oder ob eine Regulierung des Netzbetriebs analog zum bzw. in Anlehnung an das EnWG angezeigt sei.
Vollständiger Verzicht auf Regulierung überzeugt nicht
Ob ein völliger Verzicht – auch wenn nur anfänglich – auf eine Regulierung von Wasserstoffnetzen wirklich eine Option darstellt, darf bezweifelt werden. Die von der Bundesregierung vorgestellte Nationale Wasserstoffstrategie sieht eine Integration von Wasserstoff in den Energiemarkt mit einer tragenden Rolle bei der Dekarbonisierung vor. In einem solchen Szenario ist es schwer vorstellbar, dass die Wasserstoffinfrastruktur nur aus isolierten Leitungen besteht, die industrieseitig zur Eigenversorgung betrieben werden. Allein schon die Einführung von Wasserstoff in den Mobilitätssektor dürfte das Erfordernis eines „öffentlichen″ Wasserstoffnetzes mit sich bringen. Dass hierbei das bestehende Erdgasnetz genutzt wird, erscheint folgerichtig und ist bereits im Entwurf des Netzentwicklungsplans Gas 2020-2030 angelegt. Spätestens dann stellt sich die Frage nach einem diskriminierungsfreien Zugang und einer Kostenregulierung. Da heute niemand sagen kann, wann genau Wasserstoff in die Erdgasnetze „wachsen″ wird, überzeugt ein anfänglicher vollständiger Verzicht auf Regulierung des leitungsgebundenen Wasserstofftransports nicht. Der Verzicht wäre zu einem zu definierenden Zeitpunkt zu revidieren, bislang unregulierte Teilnetze müssten dann möglicherweise in die Regulierung überführt werden.
Es geht dabei überdies nicht nur um die Verhinderung von Diskriminierung und Marktmissbrauch. Vielmehr bietet ein lernendes Regulierungssystem den Marktbeteiligten der sich entwickelnden Wasserstoffwirtschaft auch Rechtssicherheit für Geschäftsmodelle und darauf basierende Investitionen. Die künftige Regulierung des Wasserstoffnetzes sollte wie auch von BNetzA gefordert „farbenblind″ sein. Die Klimafreundlichkeit der unterschiedlichen Wasserstoff-Produktionsmethoden sollte für die Frage der Einspeisung nicht relevant sein. Eine unterschiedliche Behandlung sollte vielmehr über Anreizmechanismen bei der Herstellung und dem Verbrauch von Wasserstoff bzw. die Ausstattung mit Zertifikaten erfolgen.
In der Serie „Environment and Climate Change″ sind wir eingegangen auf neue Gesetze im Energierecht, den Inhalt des 12. Deutschen Energiekongresses, haben uns mit dem Mieterstrom, mit der Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes und der H2O-Politik und der Herstellerhaftung in Russland befasst sowie die Konsultation und das Feedback zur BNetzA-Konsultation Wasserstoffnetze dargestellt. Weiter beschäftigt haben wir uns mit der Wasserstoffstrategie, der Einwegkunststoffverbotsverordnung sowie dem „Green Deal„.