Bundestag verabschiedet Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes: Regulierung von Was-serstoffnetzen soll eingeführt werden.
Nachdem die Bundesregierung am 10. Februar 2021 einen entsprechenden Gesetzentwurf zur Novellierung des EnWG vorgelegt hatte, hat der Bundestag am 24. Juni 2021 eine Novellierung des EnWG beschlossen, die auch Regelungen zur Regulierung von Wasserstoffnetzen umfasst. Die Novelle hat den Bundesrat am 25. Juni 2021 passiert. Die Novelle enthält in § 3 ENWG ergänzte bzw. neue Definitionen, in §§ 28j-q EnWG einen neuen Abschnitt zur Regulierung von Wasserstoffnetzen sowie in §§ 133a-c EnWG Übergangsvorschriften.
Ziel ist die schrittweise Einführung einer Regulierung
Die Ergänzung des EnWG bezweckt ausweislich der Gesetzesbegründung den schrittweisen Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur in Deutschland. Die Regelungen verstehen sich als Übergangslösung, bis entsprechende europäische Vorgaben vorliegen. Die EU-Kommission hat angekündigt, Vorschläge hierzu bis Ende 2021 vorzulegen. Mit einer Umsetzung in deutsches Recht ist ab 2025 zu rechnen. Nach § 112b EnWG wird vor diesem Hintergrund mittelfristig eine Anpassung des regulatorischen Rahmens zur gemeinsamen Regulierung und Finanzierung der Gas- und Wasserstoffnetze im Lichte sich entwickelnder unionsrechtlicher Grundlagen angestrebt.
Bislang existieren hierzulande nur vereinzelte Wasserstoffleitungen, die als industriell genutzte Direktleitungen nicht reguliert sind. Bestehende oder künftige Wasserstoffleitungen sollen laut Gesetzesbegründung vor diesem Hintergrund nicht zwingend einer Regulierung unterworfen werden. Vielmehr soll dies der Entscheidung der Leitungsbetreiber überlassen bleiben. Allerdings wird davon ausgegangen, dass sich mit einer fortschreitenden Herausbildung verbundener Wasserstoffnetze die Notwendigkeit ergibt, diese umfassend zu regulieren.
Wasserstoff wird eigenständig definiert
In der Definition von „Energie″ in § 3 Nr. 14 EnWG werden die Wörter „und Gas“ durch die Wörter „Gas und Wasserstoff″ ersetzt. Damit wird Wasserstoff grundsätzlich als eigenständiger Energieträger neben Gas gestellt. Dies soll allerdings nur für reine Wasserstoffleitungen gelten. Für die Beimischung von Wasserstoff in das Erdgasnetz bleibt es beim bestehenden Rechtsrahmen. Dies verdeutlicht die unveränderte Weitergeltung von § 3 Nr. 19a ENWG, wonach unter den Gasbegriff auch wasserelektrolytisch erzeugter Wasserstoff fällt. Systemwahrend gilt auch Wasserstoff unter der neuen Definition nur als Energie im Sinne des EnWG, soweit er zur leitungsgebundenen Energieversorgung verwendet wird. Die nichtleitungsgebundene Versorgung wird nicht erfasst.
Die Entscheidung, Wasserstoff nicht unter den Gasbegriff zu fassen, sondern eigenständig als „Energie″ zu definieren, kann im Einzelfall innerhalb des komplexen Definitionenkatalogs des EnWG zu Abgrenzungsfragen führen. Aber auch bei anderen Rechtsnormen außerhalb des EnWG, die unmittelbar oder mittelbar auf den Gasbegriff Bezug nehmen, der nach dem EnWG nur bestimmte Anwendungsformen von Wasserstoff erfasst, sind Fragezeichen vorprogrammiert.
Auch Wasserstoffnetze werden eigenständig definiert
Nach § 3 Nr. 39a EnWG ist unter einem Wasserstoffnetz ein Netz zur Versorgung von Kunden mit Wasserstoff zu verstehen, das von der Dimensionierung nicht von vornherein auf die Versorgung bestimmbarer, schon bei der Netzerrichtung feststehender oder bestimmbarer Kunden ausgelegt ist, sondern grundsätzlich für die Versorgung jedes Kunden offensteht. Industrieleitungen, die eine Erzeugungsanlage mit dezidierten einzelnen Verbrauchsstellen verbinden, sind danach schon vom Begriff her nicht vom EnWG erfasst.
Mögliche Abgrenzungsfragen, die sich nach geltender Rechtslage für die Anwendbarkeit des EnWG auf sog. Direktleitungen ergeben könnten, stellen sich damit für Wasserstoffnetze künftig nicht. Die eigenständige Definition stellt laut der Gesetzesbegründung außerdem klar, dass die allgemeine Anschlusspflicht nach § 18 EnWG nicht für Wasserstoffnetze gilt.
In § 3 Nr. 39b EnWG wurde eine Definition von Wasserstoffspeicheranlagen aufgenommen. § 3 Nr. 10b und c EnWG enthalten nunmehr Definitionen des Betreibers von Wasserstoffnetzen und des Betreibers von Wasserstoffspeicheranlagen.
Wasserstoffnetze werden nicht umfassend reguliert
§ 28j EnWG gibt Betreibern von Bestandsnetzen und neu zu errichtenden Netzen ein einmaliges und unwiderrufliches Wahlrecht, ob sie der neu eingeführten Regulierung von Wasserstoffnetzen unterfallen wollen oder nicht. Dies gilt auch für die Umstellung von Erdgasleitungen auf Wasserstoff. Das Wahlrecht gilt ganzheitlich für den Betreiber, nicht für einzelne Leitungen. Wer sich gegen die Regulierung entscheidet, wird nicht von den Vorgaben hinsichtlich Netzzugang, Entgeltbildung und Entflechtung erfasst. Allerdings dürfte diese Entscheidung trotz Unabänderbarkeit durch den Netzbetreiber nur vorläufigen Bestand haben. Denn der Gesetzgeber geht davon aus, dass mittelfristig die Einführung einer umfassenden Regulierung für alle verbundenen Wasserstoffnetze notwendig wird.
Die nachstehend aufgeführten Regulierungsvorgaben der §§ 28k-q ENWG gelten vor diesem Hintergrund nur für Netzbetreiber, die sich für die Regulierung entschieden haben.
Verhandelter Netzzugang kommt wieder
Nach § 28n EnWG haben die Netzbetreiber den Zugang zu und den Anschluss an ihre Wasserstoffnetze nach dem Prinzip des verhandelten Netzzugangs zu gewähren. Zur Überraschung vieler erlebt hier ein alter Bekannter aus den Anfangsjahren dieses Jahrtausends, der nachweislich keine Erfolgsgeschichte war und schnell beerdigt wurde, eine unerwartete Auferstehung. Die seit 2006 stetig fortentwickelten und standardisierten Verträge rund um den Netzzugang zum Erdgasnetz finden demnach keine Anwendung. Es bleibt abzuwarten, ob sich eine entsprechend einheitliche Vertragspraxis dennoch einstellen wird. Die Betreiber von Wasserstoffnetzen unterliegen selbstverständlichen Informationspflichten wie etwa der Pflicht zur Veröffentlichung von Geschäftsbedingungen. § 28n Abs. 4 EnWG enthält immerhin eine Verordnungsermächtigung zur Ausgestaltung der Netzzugangsregeln. Dem Gesetzgeber scheinen selbst Zweifel an der Tauglichkeit des verhandelten Netzzugangs gekommen zu sein.
Auch bei den Netzentgelten herrschen höhere Freiheitsgrade
§ 28o EnWG sieht eine kostenorientierte Entgeltbildung weitgehend entsprechend § 21 EnWG vor. Die Bedingungen und Entgelte müssen angemessen, diskriminierungsfrei sowie transparent sein und dürfen nicht ungünstiger sein, als sie von den Netzbetreibern in vergleichbaren Fällen für Leistungen innerhalb Ihres Unternehmens oder gegenüber verbundenen oder assoziierten Unternehmen angewendet werden. Eine Anwendung der ARegV ist nicht vorgesehen, ist aber perspektivisch nicht ausgeschlossen. Dies ist folgerichtig, da zu Beginn ein Benchmarking zwischen Netzbetreiber keinen Sinn machen würde. Die Kostenprüfung findet auf Basis eines Plan-/Ist-Kostenabgleichs statt. Voraussetzung für die Kostenanerkennung ist eine positive Prüfung der Bedarfsgerechtigkeit der Wasserstoffinfrastruktur gemäß § 28p EnWG. Die BNetzA genehmigt die ermittelten Kosten. Eine Genehmigung der Entgelte nach § 23a EnWG findet aber nicht statt. Schließlich ist noch eine Verordnungsermächtigung zur Festlegung der Bedingungen für die Kostenermittlung vorgesehen.
Rechnungslegung und Buchführung sind zu trennen
Nach § 28k EnWG müssen die Betreiber von Wasserstoffnetzen eine separate Rechnungslegung und Buchführung für ihre Netze vornehmen. Wenn sie neben dem Betrieb von Wasserstoffnetzen weitere Tätigkeiten ausüben, haben sie in ihrer internen Rechnungslegung ein eigenes Konto für den Betrieb des Wasserstoffnetzes zu führen. Dies dient der Vermeidung von Quersubventionierung und Diskriminierung. Insbesondere beim gleichzeitigen Betrieb von Ferngasnetzen ist laut Gesetzesbegründung zu verhindern, dass in den Fernleitungsentgelten Kosten für die Wasserstoffinfrastruktur enthalten sind. Verstöße gegen die Verpflichtungen aus § 28k EnWG können gem. § 28l EnWG mit Ordnungsgeld entsprechend §§ 335-335b HGB belegt werden.
Entflechtungsregeln sind zu beachten
Betreiber von Wasserstoffnetzen dürfen gemäß § 28m EnWG keine Anlagen zur Erzeugung, zur Speicherung und zum Vertrieb von Wasserstoff errichten, betreiben oder im Eigentum halten. Außerdem gelten die Vorgaben der informatorischen Entflechtung. Danach müssen die Betreiber von Wasserstoffnetzen die Vertraulichkeit wirtschaftlich sensibler Informationen aus ihrer Geschäftstätigkeit sicherstellen. Der Referentenentwurf des BMWi hatte noch vorgesehen, dass der Betreiber eines Wasserstoffnetzes hinsichtlich seiner Rechtsform von einem Energieversorgungsunternehmen zu trennen ist. Diese Vorgabe zur rechtlichen Entflechtung wurde schon im Gesetzentwurf der Bundesregierung gestrichen.
Übergangsvorschriften mit Relevanz für Gasnetzbetreiber
§ 113a EnWG regelt die Überleitung und Fortgeltung von Wegenutzungsrechten und Grunddienstbarkeiten für Gasleitungen. Danach gelten diese auch für den Betrieb dieser Leitungen mit Wasserstoff. Die Umstellung von Gasleitungen auf Wasserstoff soll hierdurch erleichtert werden.
Fernleitungsnetzbetreiber können im Rahmen des Netzentwicklungsplans Gas gemäß § 113b EnWG Leitungen kennzeichnen, die auf Wasserstoff umgestellt werden könnten. Dabei ist sicherzustellen, dass das verbleibende Netz den Kapazitätsbedarf erfüllen kann.
§ 113c EnWG sieht vor, dass die Gashochdruckleitungsverordnung auf Wasserstoffleitungen mit einem Druck von mehr als 16 Bar entsprechend anzuwenden ist. § 49 Abs. 1 und 2 EnWG sind bis zum Erlass spezifischer technischer Normen für Wasserstoffanlagen entsprechend anzuwenden.
Weiterhin ist darauf hinzuweisen, dass gemäß § 28j Abs. 1 S. 1 EnWG Teil 5, 7 und 8 des EnWG und damit insbesondere die Vorschriften zur Planfeststellung in §§ 43 ff. EnWG Anwendung finden. Der neu eingefügte § 43l EnWG sieht Regelungen zum Auf- und Ausbau von Wasserstoffnetzen vor. Bestehende behördliche Zulassungen gelten auch für Wasserstoff. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung ist nicht durchzuführen. § 43l EnWG verfolgt dabei das Ziel, die Zulassungsverfahren für Wasserstoffnetze denen von herkömmlichen Gasnetzen anzugleichen und eine Umstellung auf Wasserstoff zu erleichtern. So ist auf Antrag ein Planfeststellungsverfahren auch für kleinere Leitungen unter DN 300 möglich. Außerdem können Nebenanlagen – wie bisher schon bei (planfestellungsbedürftigen) Gasleitungen möglich – auch nachträglich in das Planfeststellungsverfahren integriert werden.
Last but not least – auch wenn es sich nicht um eine Übergangsvorschrift im engeren Sinne handelt – ist auf § 28q EnWG hinzuweisen, wonach für die Wasserstoffnetze mit dem Zieljahr 2035 ein eigenständiger Netzentwicklungsplan aufgestellt werden soll. Damit wird einer gemeinsamen Netzplanung mit dem Erdgasnetz im Ergebnis eine Absage erteilt, auch wenn die Wasserstoffnetzbetreiber einen entsprechenden Bericht gemeinsam mit den Fernleitungsnetzbetreibern vorlegen sollen.
Erste Bewertungen mit vielen Fragezeichen
Wenig überraschend stieß schon der weitgehend identische Referentenentwurf bei den Verbänden der Netzbetreiber auf scharfen Widerspruch. Die Trennung zwischen den Erdgas- und Wasserstoffnetzen behindere den schnellen und effizienten Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur und sei ein Zugeständnis an die Betreiber von Industrieleitungen. Die getrennte Entgeltbildung, bei der die Netzentgelte für Wasserstoff in der Aufbauphase erheblich subventioniert werden müssten, würde insgesamt zu höheren Netzentgelten führen. Das Argument, mit der Trennung würde eine unionsrechtlich bedenkliche Quersubventionierung vermieden, sei nicht überzeugend. Eine solche sei in Gestalt der Umlage für Biogas oder der Marktraumumstellung unbeanstandet geblieben. Netznutzerverbände dagegen begrüßten die getrennte Entgelbildung. Erdgaskunden sollten nicht den Aufbau des Wasserstoffnetzes vor allem für industrielle Anwendungen bezahlen.
Insgesamt betrachtet erscheint das Konzept unentschlossen, so als ob man sich unter der Bezeichnung als Übergangslösung nicht getraut hätte, klare Entscheidungen zu treffen. Die EU- Vorgaben werden erst in einigen Jahren verbindlich, wertvolle Zeit, die mit eindeutigen Weichenstellungen möglicherweise besser hätte genutzt werden können. Dies gilt umso mehr, als die Novelle selbst von der mittelfristigen Notwendigkeit einer Vollregulierung ausgeht. Wer immer sich jetzt also gegen die Regulierung entscheidet, weiß, dass sie ihn irgendwann treffen wird. Ob Investoren dies unter Rechtsicherheit verstehen, bleibt fraglich. Reine Industrieleitungen fallen nach der Neuregelung nicht unter das EnWG. Für diese hätte man also das Wahlrecht nicht einführen müssen. Wie sich das Wahlrecht mit der Theorie der natürlichen Monopole, der Grundlage jeglicher Regulierung, verträgt, bleibt unklar.
Die künstliche Trennung zwischen Erdgas- und Wasserstoffnetz überzeugt nicht. Beigemischter Wasserstoff ist Gas, reiner Wasserstoff ist Wasserstoff. So will es die Novelle. Perspektivisch wird der Wasserstoff die Rolle von Erdgas einnehmen (aus Klimaschutzgründen müssen). Das Gasnetz muss also in ein Wasserstoffnetz transformiert werden. Warum in der Zwischenzeit zwischen den Netzen differenziert werden soll, erschließt sich nicht. Dies gilt umso mehr, als man annehmen darf, dass auch in diesem Zeitraum die Umstellung von bestehenden Gasleitungen ein wesentliches Rückgrat des künftigen Wasserstoffnetzes darstellen wird. Dieses wird von den bestehenden Netzbetreibern betrieben, nicht von Neueinsteigern.
Nach der Kritik an der getrennten Regulierung schon bei Vorlage des Referentenentwurfs hat sich die Bundesregierung zunehmend auf das Argument zurückgezogen, eine gemeinsame Regulierung sei derzeit unionsrechtlich unzulässig. Dem hat sich offensichtlich auch der Bundestag angeschlossen, der in einer Entschließung zur Novelle feststellt, die beschlossene getrennte Regulierung sei ausschließlich als Startregulierung für den Übergang hin zu einer europarechtskonformen gemeinsame Regulierung von Wasserstoff- und Erdgasnetzen verstehen. Die Stichhaltigkeit der Begründung einer unionsrechtlichen Unzulässigkeit ist allerdings nicht unumstritten.
Die EnWG-Novelle bietet schließlich ein buntes Bild beim Netzzugang zu Wasserstoffnetzen. Bei unregulierten Netzbetreiber gibt es – wenn überhaupt – Netzzugang nach den allgemeinen rechtlichen Regelungen. Die Bedingungen sind völlig unklar. Bei den regulierten Netzbetreiber findet der verhandelte Netzzugang Anwendung, der seine fehlende Tauglichkeit bereits unter Beweis gestellt hat. Bei der Einspeisung von Wasserstoff in das Erdgasnetz gilt schließlich der regulierte Netzzugang nach dem EnWG mit Bedingungen, die bis zum letzten Komma standardisiert sind.Nun bleibt abzuwarten, ob sich auch auf EU-Ebene das Konzept einer getrennten Regulierung als Übergangslösung durchsetzt oder ein zukunftsweisender Schritt hin zu einer integrierten Regulierung gelingt.
In der Serie „Environment and Climate Change″ sind wir eingegangen auf neue Gesetze im Energierecht, den Inhalt des 12. Deutschen Energiekongresses, haben uns mit dem Mieterstrom, mit der Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes und der H2O-Politik und der Herstellerhaftung in Russland befasst sowie die Konsultation und das Feedback zur BNetzA-Konsultation Wasserstoffnetze dargestellt. Weiter beschäftigt haben wir uns mit der Wasserstoffstrategie, der Einwegkunststoffverbotsverordnung sowie dem „Green Deal„.
Wasserstoff wird als Energieträger der Zukunft einen wesentlichen Baustein für eine klimaneutrale Wirtschaft darstellen. In unserer Podcast-Staffel geben wir einen Überblick über die aktuellen Entwicklungen rund um das Thema Wasserstoff und diskutieren über die rechtlichen Möglichkeiten und Herausforderungen.