24. Oktober 2023
Nationale Wasserstoffstrategie 2023
Environment and Climate Change (ESG)

Nationale Wasserstoffstrategie 2023

Bundesregierung beschließt Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie.

Nach langen Diskussionen hatte die Bundesregierung im Juni 2020 die Nationale Wasserstoffstrategie (NWS) vorgelegt, mit der Wasserstoff eine Schlüsselrolle bei der Energiewende zugeschrieben wird. Mit der im Juli 2023 verabschiedeten Fortschreibung wird das Konzept aus dem Jahr 2020 an aktuelle Entwicklungen angepasst und weiterentwickelt.

Einsatz von Wasserstoff dort, wo er sinnvoll ist

Im Vordergrund der Fortschreibung stand die Erkenntnis, dass der Wasserstoffeinsatz im Sinne der Dekarbonisierung vor allem in den Bereichen entwickelt werden muss, die nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand elektrifiziert werden können. Grundsätzlich ist die unmittelbare Nutzung von Strom der von Wasserstoff überlegen, da beim Strom deutlich geringere Umwandlungsverluste auftreten. Allerdings gibt es Bereiche, in denen eine Elektrifizierung derzeit oder dauerhaft nicht möglich ist. Außerdem können Wasserstoff und seine Derivate überall dort eine entscheidende Rolle spielen, wo es um die Speicherung und anschließende Wiederverwendung von erneuerbarem Strom geht, dem im Zeitpunkt seiner Erzeugung keine entsprechende Nachfrage im Netz gegenübersteht. 

Vor diesem Hintergrund erwartet die Bundesregierung, dass Wasserstoff und seinen Derivaten bis 2030 vor allem in der Industrie, der Energiewirtschaft sowie im Verkehrssektor eine wichtige Rolle bei der Dekarbonisierung zukommt. Für einen nicht näher spezifizierten Zeitraum, der mit dem „schnellen Hochlauf des Wasserstoffmarktes“ umschrieben wird, soll auch kohlenstoffarmer Wasserstoff wie etwa der aus Erdgas unter Speicherung von Kohlenstoff hergestellte blaue Wasserstoff eine Rolle spielen. Er soll übergangsweise die zunächst mangelnde Verfügbarkeit grünen Wasserstoffs kompensieren. 

In Summe ergeben sich für die Bundesregierung mit Blick auf 2030 vier Handlungsfelder.

Wasserstoff soll in ausreichenden Mengen zur Verfügung stehen

Für 2030 wird ein Gesamtwasserstoffbedarf von 95 bis 130 TWh für 2030 erwartet. Vor diesem Hintergrund postuliert die NWS 2023 eine Verdopplung des deutschen Elektrolyseziels von 5 GW (so die NWS 2020) auf mind. 10 GW bis 2030. Dabei wird erwartet, dass 50-70 % des Bedarfs aus Importen gedeckt werden müssen. Nach 2030 soll der Importbedarf noch weiter anwachsen. Deshalb kommt einer langfristigen Importstrategie nach Auffassung der Bundesregierung eine bedeutsame Rolle zu. Diese soll sich insbesondere auf internationale Kooperationen, den Aufbau eines EU-weiten Wasserstoffnetzes, geeignete Fördermechanismen wie das Programm H2 Global sowie die technologische Unterstützung für die Exportländer stützen. In diesem Zusammenhang wird die Bedeutung des Transports für den Import von Wasserstoff und seinen Derivaten hervorgehoben. Während Pipelinetransporte für den europäischen Import von Wasserstoff im Vordergrund stehen dürften, werden Schiffsimporte vor allem für weiter entfernte Erzeugungsstandorte sowie für den Transport von Wasserstoffderivaten Mittel der Wahl sein.

Die Wasserstoffinfrastruktur ist auszubauen

Nach jetziger Planung wird in Deutschland bis 2028 ein Startnetz von mehr als 1.800 km Wasserstoffleitungen entstehen. Hierzu sollen bestehende Gasleitungen umgestellt und neue Wasserstoffleitung gebaut werden. Ergänzt wird das nationale durch ein europaweites Netz von ca. 4.500 km, das dann bis 2030 als sog. European Hydrogen Backbone die Mitgliedstaaten miteinander verbindet. Hinzu treten Pipelineverbindungen u.a. nach Nordafrika als bedeutender Erzeugungsregion.

Zusätzlich zu den Transportleitungen soll der Bau von Importterminals für Schiffstransporte forciert werden. Flankierende genehmigungsrechtliche Vorgaben enthält bereits § 5 Abs. 2 und 3 LNGG, die im Sinne von „H2 ready“ die Genehmigung des Weiterbetriebs von LNG-Anlagen ab 2044 davon abhängig machen, dass diese mit klimaneutralem Wasserstoff und Derivaten betrieben bzw. für den Import von Wasserstoffderivaten wie z.B. Ammoniak und Methanol umgerüstet werden können. Daneben betont die NWS 2023 die Bedeutung des Ausbaus einer ausreichenden Speicherinfrastruktur für Wasserstoff.

Nach dem Konzept der Bundesregierung erfolgt der Ausbau des deutschen Wasserstoffnetzes in zwei Stufen. Die erste Stufe umfasst das sog. Wasserstoffkernnetz, das im Rahmen der anstehenden EnWG-Novelle in §28r EnWG-E geregelt werden soll. Die Fernleitungsnetzbetreiber haben einen entsprechenden Plan bereits im Juli 2023 vorgelegt. In der zweiten Stufe ist eine gemeinsame Netzentwicklungsplanung für Gas und Wasserstoff vorgesehen. Sie soll ab 2025 im Zweijahres-Rhythmus erfolgen. 

Nach dem Plan der Bundesregierung wird bis zum 31. März 2024 eine gemeinsame Koordinierungsstelle der Fernleitungsnetzbetreiber und der regulierten Betreiber von Wasserstoffnetzen eingerichtet. Außerdem schlägt die Bundesregierung vor, dass für den Netzzugang beim Wasserstoff ein entry-/exit-Modell wie beim Gas eingeführt wird. Dieses würde das jetzige Modell des verhandelten Netzzugangs nach § 28n EnWG ersetzen. Da zu erwarten ist, dass die Netzentgelte beim Markthochlauf wegen geringer Mengen zunächst sehr hoch sein werden, sollen Entlastungsoptionen wie z.B. eine zeitliche Verlagerung der Entgelte geprüft werden.

Wasserstoff soll in prioritären Verbrauchssektoren eingesetzt werden

Vor dem Hintergrund der mangelnden Verfügbarkeit von (grünem) Wasserstoff und der Priorisierung bei der Dekarbonisierung von Bereichen, die sich nicht vertretbar elektrifizieren lassen, definiert die NWS 2023 Verbrauchssektoren, in denen Wasserstoff und seine Derivate bis 2030 vordringlich zum Einsatz kommen sollen.

An erster Stelle wird die Industrie genannt, wo in bestimmten Anwendungen eine Dekarbonisierung nur durch Wasserstoff möglich ist (z.B. Stahl und Chemie). Dementsprechend wird hier traditionell schon (bislang vorwiegend grauer) Wasserstoff eingesetzt. Der Einsatz von grünem Wasserstoff soll in diesen Industrien vor allem durch den Abschluss von Klimaschutzverträgen (Ausgleich der Mehrkosten für Bau und Betrieb klimafreundlicher Anlagen) gefördert werden.

Im Stromsektor steht die kurzfristige und saisonale Speicherfunktion von erneuerbarem Strom sowie die Möglichkeit seiner Rückverstromung im Vordergrund. Hierfür soll der Bau von Gaskraftwerken forciert werden, die „H2 ready“ sind, also für den Einsatz von Wasserstoff und Derivaten umgerüstet werden können. In diesem Zusammenhang sind Ausschreibungen nach § 28e EEG 2023 für sog. Wasserstoff-Sprinter-Kraftwerke vorgesehen, die Wasserstoff oder Ammoniak verstromen können.

Im Verkehrsbereich steht für den Straßenverkehr die Elektrifizierung im Vordergrund. Dort soll der Wasserstoffeinsatz als zusätzliche Option entwickelt werden. Im Luft- und Schiffsverkehr, die derzeit nicht oder nur sehr eingeschränkt elektrifiziert werden könnten, soll vor allem der Einsatz von wasserstoffbasierten E-Fuels vorangetrieben werden.

Dem Einsatz im Wärmemarkt erteilt die NWS 2023 jedenfalls bis 2030 eine klare Absage. Hier seien ausreichende Substitutionsmöglichkeiten vorhanden.

Die Rahmenbedingungen sind zu verbessern

Im Einklang mit gesetzgeberischen Bemühungen in anderen Bereichen setzt die NWS 2023 auf eine Vereinfachung von Planungs- und Genehmigungsverfahren. Hierzu soll u.a. ein Wasserstoffbeschleunigungsgesetz auf den Weg gebracht werden.

Weiterhin sollen forciert Systeme zur Zertifizierung von Nachhaltigkeitskriterien für die verschiedenen Wasserstoffprodukte eingeführt werden. Hierbei geht es z.B. um die Nachhaltigkeitskriterien, die die sog. Delegated Acts zur Umsetzung der Vorgaben aus RED II vorsehen oder die weitere Ausgestaltung der Nachweisregister.

Die NWS 2023 enthält darüber hinaus die wichtige Feststellung, dass Zertifizierungssysteme nicht nur für Wasserstoff selbst, sondern auch die für Kohlenstoffquellen bei der Produktion von Wasserstoffderivaten von großer Bedeutung sind.

Last but not least findet auch der blaue Wasserstoff Erwähnung, indem die NWS 2023 hierfür die Festlegung von Nachweiskriterien unter Festlegung eines Schwellenwertes für die insoweit zulässigen THG-Emissionen ankündigt. Weiterhin sollen Regelungen für das bei der Herstellung von blauem Wasserstoff abgeschiedene CO2 aufgestellt werden.

NWS 2023 wird überwiegend als Schritt in die richtige Richtung begrüßt

Die Reaktionen auf die NWS 2023 waren überwiegend positiv, auch wenn die Festlegungen teils als zu vage und nicht weitgehend genug bezeichnet wurden. Mit dem forcierten Ausbau der heimischen Erzeugung bei gleichzeitiger Betonung der Bedeutung des Imports, der Fokussierung auf die vordringlich zu dekarbonisierenden Sektoren und dem brückenartigen Einsatz von blauem Wasserstoff bei gleichzeitigem Bekenntnis zu grünem Wasserstoff hat die Bundesregierung offensichtlich die richtigen Weichenstellungen getroffen, die Markteilnehmer und Wissenschaft von ihr erwartet haben. Nun gilt es, die Zielstellungen weiter zu konkretisieren sowie ein geeignetes Monitoring einzuführen, um die Durchführung erforderlicher Umsetzungsschritte zu überwachen. Vor allem auch die Wirkung der vorgesehenen Fördermaßnahmen sollte im Interesse eines stabilen Markthochlaufs einer kritischen Überprüfung unterzogen werden.

Eine Reihe umzusetzender Maßnahmen hat die NWS 2023 z.B. im Bereich vereinfachter Verfahren, von Zertifizierungssystemen und Förderinstrumenten bereits adressiert. Weiterentwicklungsbedarf besteht aber sicherlich – um nur einige Aspekte zu nennen – bei der dringend erforderlichen angekündigten Importstrategie, der Schaffung eines geeigneten und verlässlichen regulatorischen Umfelds sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene sowie einer abgestimmten Planung der Wasserstoffinfrastruktur (Transportleitungen, Häfen, Terminals, Speicher etc.) für Wasserstoff und seine Derivate. Bei alldem gilt es, in Deutschland – aber auch in der EU – ohne weitere Verzögerung ein im internationalen Vergleich investitionsfreundliches Umfeld für Wasserstoff zu schaffen, ohne das der Wasserstoff seine Vorteile bei der Dekarbonisierung in der EU nicht ausspielen kann.

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