4. Juli 2023
Delegated Acts Wasserstoff
Environment and Climate Change (ESG)

Erneuerbare Energien: EU-Regeln für erneuerbaren Wasserstoff – Update #1

Delegierte Verordnungen der Kommission zur Definition von erneuerbarem Wasserstoff treten in Kraft.

Die beiden im Februar 2023 von der Kommission vorgelegten sog. delegierten Rechtsakte (Delegated Acts, DAs) zur Umsetzung der Vorgaben aus Art. 27 Abs. 3 und Art. 25 Abs. 2, 28 Abs. 5 der Erneuerbare-Energien-Richtlinie 2018/2001 (RED II) wurden als delegierte Rechtsverordnungen (EU) 2023/1184 und 1185 der Kommission am 20. Juni 2023 im EU-Amtsblatt veröffentlicht und treten am 10. Juli 2023 in Kraft. Sie sind Teil des derzeit noch rudimentären EU-Rechtsrahmens für erneuerbaren Wasserstoff und definieren die Voraussetzungen für die Anrechnung von Brenn- und Kraftstoffen auf die Ziele der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien.

Hintergrund ist das Ziel der EU im Rahmen von REPowerEU, im Jahr 2030 jeweils 10 Mio. Tonnen erneuerbaren Wasserstoff herzustellen und zu importieren. Die Vorlage der beiden DAs sollte laut RED II spätestens bis zum 31. Dezember 2021 erfolgen. 

Entgegen diesem Zeitplan legte die Kommission erste Entwürfe allerdings erst im Mai 2022 vor. Nach kontroverser Diskussion und teilweiser Ablehnung im Europäischen Parlament (EP) schlug die Kommission im Dezember 2022 leicht überarbeitete neue Entwürfe vor. Als Ergebnis der nachfolgenden Abstimmung nahm sie die beiden vorgelegten DAs im Februar 2023 an. Nachdem diese weder vom EP noch vom Europäischen Rat abgelehnt wurden, treten sie nunmehr in Kraft.

Der erste DA definiert erneuerbaren Wasserstoff für alle Verbrauchssektoren

Der auf Art. 27 Abs. 3 RED II gestützte erste DA definiert die Anforderungen an die Erzeugung von Wasserstoff und darauf beruhenden Kraftstoffen, damit diese als Renewable Fuels of Non-Biologic Origin (RFNBOs) i.S.v. Art. 2 Nr. 36, 25 Abs. 2 RED II auf den Mindestanteil erneuerbarer Energien im Verkehrssektor angerechnet werden können. Die Definition bezieht sich also neben Wasserstoff insbesondere auch auf Derivate wie Ammoniak, Methanol, Kerosin und andere wasserstoffbasierte E-Fuels. 

Auch wenn sich Art. 27 Abs. 3 RED II ausschließlich auf den Verkehrsbereich bezieht, kommt der Definition weit darüberhinausgehende Bedeutung zu, da die Kommission im Rahmen von RED III vorgeschlagen hat, dass RFNBOs unabhängig von dem Sektor, in dem sie verbraucht werden, auf die Erneuerbare-Energien-Ziele angerechnet werden können. Der erste DA bestimmt m.a.W. perspektivisch für das gesamte Unionsrecht, was unter grünem Wasserstoff und seinen Derivaten zu verstehen ist, und hat deshalb zentrale Bedeutung für den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft. 

Die Anforderungen gelten dabei sowohl für die Erzeugung in der EU als auch für Drittländer, was das globale Interesse an den Vorschlägen der Kommission erklärt. Zum Nachweis der Nachhaltigkeitskriterien wird gem. Art. 9 des ersten DA ein System der freiwilligen Zertifizierung vorgeschlagen. Die Mitgliedstaaten sollen zur Anerkennung der Nachweise verpflichtet sein, wenn die Kommission das betreffende Zertifizierungssystem nach Art. 30 Abs. 4 RED II genehmigt hat.

Zusätzlichkeit der für die RFNBO-Produktion eingesetzten erneuerbaren Elektrizität 

Wesentliches Ziel bei der Bestimmung der Nachhaltigkeitskriterien für RFNBOs gem. Art. 27 Abs. 3 RED II war die Schaffung zusätzlicher Anlagen zur Produktion erneuerbarer Elektrizität. Der zu erwartende Anstieg der Elektrolysekapazität soll nicht unter Rückgriff auf bestehende Erneuerbare-Erzeugungsanlagen (EE-Anlagen) erfolgen, um eine andernfalls wahrscheinliche Erhöhung der fossilen Erzeugung zu vermeiden. Dieses Kriterium der Zusätzlichkeit, das für die beschriebene Option 3 relevant ist, wird flankiert durch die Erfordernisse einer zeitlichen und geografischen Korrelation zwischen der Stromerzeugung und der Elektrolyse. Es soll gewährleistet werden, dass RFNBOs nur hergestellt werden, wenn die erneuerbare Energie zeitgleich und im selben Gebiet erzeugt wird.

Vor diesem Hintergrund sieht der erste DA die nachstehend beschriebenen Szenarien vor, in denen die Nachhaltigkeitskriterien in Hinblick auf die für die Elektrolyse genutzten EE-Anlagen bzw. den für die Elektrolyse bezogenen erneuerbaren Strom gegeben sind.

Option 1 – Direkte Verbindung mit der EE-Anlage

Im Fall einer direkten Verbindung muss die Elektrolyse gem. Art. 3 des ersten DA in derselben Anlage wie die Erneuerbaren-Produktion stattfinden oder es muss zwischen beiden eine Direktleitung bestehen. Wenn die EE-Anlage mit dem Stromnetz verbunden ist, muss über Smart Meter nachgewiesen werden, dass für die Elektrolyse kein Strom aus dem Stromnetz entnommen wurde. Außerdem darf die EE-Anlage frühestens 36 Monate vor dem Elektrolyseur in Betrieb genommen worden sein. Wird Strom dem Netz entnommen, gilt dieser als erneuerbar, wenn er die Voraussetzungen der Option 2 erfüllt. 

Option 2 – Stromentnahme aus dem Netz: Grünstrom-Netz

In dieser Option muss der Elektrolyseur nach Art. 4 des ersten DA in derselben Gebotszone wie die EE-Anlage liegen. Zusätzliche Voraussetzung ist, dass entweder der durchschnittliche Erneuerbare-Energien-Anteil in der Gebotszone im vorausgegangenen Jahr 90 % überschritten hat (dann wird die 90%-Überschreitung für die folgenden fünf Jahre unterstellt) oder die Emissionsintensität im Netz unter 18 gCO2eq/MJ liegt, wobei in diesem Fall außerdem die in Option 3 beschriebene zeitliche und geografische Korrelation gegeben sein muss. Schließlich gilt die eingesetzte Elektrizität auch dann als erneuerbar, wenn sie während eines Bilanzkreisabrechnungsintervalls verbraucht und dadurch das Redispatch-Erfordernis entsprechend vermindert wurde.

Option 3 – Stromentnahme aus dem Netz: PPA oder Eigenstrom

Nach Art. 5, 6 des ersten DA gilt dem Netz entnommener Strom auch dann als erneuerbar, wenn der Betreiber des Elektrolyseurs ihn tatsächlich in entsprechender Menge entweder selbst erzeugt oder über ein Power Purchase Agreement (PPA) von dem Betreiber einer EE-Anlage bezieht, wobei die nachstehenden Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein müssen.

  • Nach dem Prinzip der Zusätzlichkeit darf die EE-Anlage frühestens 36 Monate vor dem Elektrolyseur in Betrieb genommen worden sein. Außerdem darf die EE-Anlage grds. keine Beihilfen für Bau und Betrieb erhalten haben. Elektrolyseure, die bis zum 1. Januar 2028 in Betrieb genommen wurden, werden von diesen Anforderungen bis zum 1. Januar 2038 befreit. Diese Übergangsregelung gilt nicht für Kapazitätserweiterungen in Elektrolyseuren nach dem 1. Januar 2028. Die genannten Fristen wurden gegenüber dem Entwurf des ersten DA vom 1. Dezember 2022 jeweils um ein Jahr verlängert.
  • Nach dem Prinzip der zeitlichen Korrelation müssen RFNBOs ab 2030 innerhalb derselben Stunde erzeugt werden wie der eingesetzte erneuerbare Strom. Dieser kann auch einem neuen Stromspeicher entnommen werden, der hinter demselben Netzanschlusspunkt wie der Elektrolyseur liegt und innerhalb derselben Stunde geladen wurde, in der der bezogene erneuerbare Strom produziert wurde. Die Mitgliedstaaten können diesen engen Zeitrahmen bereits ab Mitte 2027 anwenden. 
    Im Wege einer Übergangsregelung gilt die Vorgabe der zeitlichen Korrelation bis zum 31. Dezember 2029 (Vorentwurf: bis zum 31. März 2028) als gewahrt, wenn die Erzeugung innerhalb desselben Monats (Vorentwurf: innerhalb desselben Quartals) erfolgt. 
    Eine weitere – ohne Übergangsvorschrift gewährte – Möglichkeit zur Erfüllung der zeitlichen Korrelation ist gegeben, wenn die RFNBO-Produktion innerhalb einer Stunde erfolgt, in der der Clearing-Preis im Day-ahead-Markt in der betreffenden Gebotszone (vgl. Art. 39 Abs. 2a VO (EU) 2015/1222) höchstens EUR 20 per MWh beträgt oder niedriger ist als der mit 0,36 multiplizierte Preis für ein Emissionszertifikat, das zur Emission von einer Tonne Kohlendioxidäquivalent berechtigt.
  • Das Prinzip der geografischen Korrelation besagt, dass Elektrolyseur und EE-Anlage zumindest im Zeitpunkt ihrer Inbetriebnahme in derselben Gebotszone liegen müssen. Die Anlagen können auch in angrenzenden Gebotszonen liegen; in diesem Fall muss aber der Day-ahead-Strompreis in der Gebotszone der EE-Anlage mind. dem in der Gebotszone des Elektrolyseurs entsprechen. Schließlich kann die EE-Anlage auch in einer angrenzenden Offshore-Gebotszone liegen.

Der zweite DA regelt Berechnung der Treibhausgasemissionen

Der auf Art. 25 Abs. 2 und 28 Abs. 5 RED II gestützte zweite DA enthält die Methode zur Berechnung der Treibhausgasemissionen und implementiert damit das in Art. 25 Abs. 2 RED II statuierte Ziel der Treibhausgaseinsparungen bei RFNBOs von mind. 70 % ab dem 1. Januar 2021 im Vergleich zu den zu ersetzenden Kraftstoffen. Die Berechnung der Treibhausgasemissionen berücksichtigt (fast) den gesamten Lebenszyklus der RFNBOs von der Erzeugung einschließlich der Stromentnahme aus dem Netz über den Transport bis hin zum Endverbraucher*. Emissionen aus der Herstellung von Maschinen und Zubehör werden nicht berücksichtigt (Anhang A.1.).

Der fossile Vergleichswert für RFNBOs wird auf 94 gCO2eq/MJ festgelegt (Anhang A.2.). Unter Berücksichtigung des Einsparziels von mind. 70 % ergeben sich daraus für RFNBOs Emissionen von max. 28,2 gCO2eq/MJ. Für Wasserstoff bedeutet dies einen Grenzwert von 3,38 tCO2eq/tH2. Wasserstoff und wasserstoffbasierte Fuels, die diesen Wert überschreiten, scheiden damit zwar nicht automatisch als erneuerbare Brenn- bzw. Kraftstoffe aus, sind aber nicht auf die Ziele der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien anrechenbar. Dies dürfte ihre Vermarktung zumindest erschweren und damit ihren Marktwert beeinträchtigen. Strom, der nach Art. 27 Abs. 3 RED II als vollständig erneuerbar anzusehen ist, wird mit Treibhausgasemissionen von null bewertet. 

Ein wichtiger Gesichtspunkt bei der Herstellung von RFNBOs aus erneuerbarem Wasserstoff ist die Einstufung des hierbei verwendeten CO2. Der Anhang des zweiten DA regelt die Voraussetzungen, unter welchen Umständen abgeschiedenes CO2 als vermiedene Treibhausgasemission angesehen werden kann, seine Verwendung bei der Produktion von RFNBOs also möglich ist. Folgende Fallgruppen sind vorgesehen:

  • COaus industriellen Prozessen, die in einem Emissionshandelssystem erfasst sind. Allerdings steht diese Option für CO2 aus der Stromproduktion nur bis 2036 zur Verfügung, in allen anderen Fällen bis 2041. 
  • CO2, das aus der Luft abgeschieden wird
  • CO2 aus der Produktion oder Verbrennung von Biobrennstoffen oder Biomasse, die den Nachhaltigkeitskriterien entsprechen und die keine Gutschriften für die Einsparung von Treibhausgasemissionen erhalten haben
  • CO2 aus der Verbrennung von RFNBOs, die den Kriterien des zweiten DA entsprechen
  • CO2 aus geologischer Herkunft

Unklar ist, ob auch der für die Produktion der Derivate von erneuerbarem Wasserstoff eingesetzte Strom den oben beschriebenen Nachhaltigkeitskriterien entsprechen muss, damit die Qualifikation als RFNBO erfüllt wird. Aus der Logik der RED II und der beiden DAs spricht einiges für dieses Ergebnis.

Rechts- und Planungssicherheit für Wasserstoffwirtschaft ist überfällig

Der Prozess zur Vorlage der beiden DAs durch die Kommission hat geraume Zeit in Anspruch genommen. Grund hierfür war vor allem auch die intensive und teils kontroverse Befassung der beteiligten Wirtschaftsakteure sowie des EP mit der als wegweisend betrachteten Definition von erneuerbarem Wasserstoff und der darauf basierenden RFNBOs. Die Kritik richtete sich besonders gegen das Konzept der Kommission zur Zusätzlichkeit und zur zeitlichen Korrelation. Dies baue unnötige Hürden auf und behindere damit den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft. So hatte das EP im September 2022 das Prinzip der Zusätzlichkeit gänzlich abgelehnt sowie für die zeitliche Korrelation ein anfängliches Zeitfenster von einem Quartal und langfristig von einem Monat gefordert. Die Wirtschaft bemängelte insbesondere die aus ihrer Sicht zu enge zeitliche Korrelation, weil sie einer möglichst hohen Dauerauslastung der Elektrolyseure entgegenstehe. Auch die Beschränkung hinsichtlich der Verwendung von CO2 aus industriellen Prozessen bei der Produktion von RFNBOs sei nicht zielführend, weil diese Mengen bei dem zu erwartenden Aufbau der RFNBO-Erzeugung dauerhaft gebraucht würden. Von Umweltverbänden wurde dagegen kritisiert, dass die Übergangsvorschriften zu großzügig seien. 

Die Kommission ist im Wesentlichen bei ihrem Konzept geblieben, auch wenn sie bei den Übergangsvorschriften auf das EP und die Wirtschaft zugegangen ist. Das EP und der Europäische Rat haben den Vorschlag nicht abgelehnt, so dass er jetzt in Kraft treten kann. 

Im Sinne der Rechts- und Planungssicherheit ist das Inkrafttreten zu begrüßen. Viele Projekte zur Erzeugung von RFNBOs stehen in den Startlöchern, konnten aber bislang nicht umgesetzt werden, weil unklar war, welche Nachhaltigkeitskriterien für erneuerbaren Wasserstoff gelten. Hinzu kommt, dass auch für die unabdingbare Entwicklung von Zertifizierungssystemen Klarheit über die Definition von RFNBOs hergestellt werden muss. Der US Inflation Reduction Act zeigt, dass Europa sich einen solchen Schwebezustand im globalen Wettbewerb um Investitionen eigentlich nicht leisten kann. Das Inkrafttreten der beiden DAs wird die Blockade lösen. Der Markthochlauf kann endlich Fahrt aufnehmen. Wir haben uns seit Jahren in vielen Mandaten erfolgreich im Zusammenhang mit Wasserstoff und seinen Derivaten engagiert und bieten hierzu umfassende Beratung an.

Eine englische Übersetzung des Beitrags haben wir bei CMS Law-Now veröffentlicht.

*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Delegated Acts Nachhaltigkeit RFNBO Wasserstoff