29. April 2022
virtuelle Hauptversammlung Regierungsentwurf
Aktienrecht

Regierungsentwurf zur Verstetigung der virtuellen Hauptversammlung

Der Regierungsentwurf zur virtuellen Hauptversammlung stärkt zwar die Aktionärsrechte, ist jedoch für die Gesellschaften mit hohem Aufwand und Risiken verbunden.

Am 27. April 2022 hat die Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes zur Einführung virtueller Hauptversammlungen (HV) von Aktiengesellschaften verabschiedet. Gegenüber dem Anfang Februar veröffentlichten Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums sieht der Regierungsentwurf eine erhebliche Ausweitung der Aktionärsrechte in der virtuellen Hauptversammlung vor.

Ziel des Regierungsentwurfs ist es, die Aktionärsrechte möglichst so wie in einer Präsenzversammlung auszugestalten. Für die Gesellschaften bedeutet das einen deutlichen Zusatzaufwand und macht das Format der virtuellen HV weniger attraktiv.

Erfordernis einer befristeten Satzungsregelung und weitere Voraussetzungen 

Voraussetzung für die Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung ist künftig eine entsprechende Ermächtigung in der Satzung der Aktiengesellschaft. Sie kann für einen Zeitraum von längstens fünf Jahren erteilt werden. 

Wie bereits im Referentenentwurf vorgesehen, sind bei Durchführung einer virtuellen HV verschiedene Voraussetzungen einzuhalten. So ist die Hauptversammlung in Bild und Ton zu übertragen. Den Aktionären* muss ferner die Möglichkeit zur Ausübung ihrer Rechte (insbesondere des Stimmrechts sowie des Rede- und Fragerechts, siehe Näheres hierzu unten) im Wege der elektronischen Kommunikation eingeräumt werden. Das Recht zum Stellen von Anträgen in der virtuellen Hauptversammlung ist nun umfassender ausgestaltet als im Referentenentwurf und umfasst neben Geschäftsordnungsanträgen, wie einem Antrag auf Abwahl des Versammlungsleiters oder auf Bestellung von Sonderprüfern, auch Gegenanträge und Wahlvorschläge, die von Aktionären auch ohne vorherige Ankündigung spontan in der HV gestellt werden können. 

Neu ist nach dem Regierungsentwurf auch, dass die Satzung ausdrücklich bestimmte Gegenstände – etwa Beschlüsse über einen Squeeze-out oder andere Strukturmaßnahmen – vorsehen kann, die nicht in einer virtuellen Hauptversammlung behandelt werden dürfen. 

Aktionärsrechte im Vorfeld der virtuellen HV

Aktionäre haben das Recht, bis spätestens fünf Tage vor der Versammlung Stellungnahmen zu Gegenständen der Tagesordnung einzureichen, die allen Aktionären spätestens vier Tage vor der Versammlung zugänglich zu machen sind. Die Ausgestaltung überlässt der Gesetzgeber den Gesellschaften. Denkbar sind Stellungnahmen in Text- oder Videoform. Der Umfang der Stellungnahmen kann angemessen auf eine bestimmte Zeichen- oder Minutenanzahl beschränkt werden. 

Der Vorstand kann weiter vorgeben, dass Fragen der Aktionäre bis spätestens drei Tage vor der Versammlung im Wege der elektronischen Kommunikation einzureichen sind. Der Umfang der Einreichung von Fragen kann in der Einberufung angemessen beschränkt werden. Macht der Vorstand von dieser Möglichkeit Gebrauch, beschränkt sich das Auskunftsrecht in der virtuellen HV auf das Nachfragerecht und das Recht, weitere Fragen zu stellen (siehe Näheres unten). Fristgerecht (also innerhalb der Dreitagesfrist) eingereichte Fragen hat der Vorstand bis spätestens einen Tag vor der Versammlung zu beantworten und die Antworten allen Aktionären zugänglich zu machen. Sind die Antworten einen Tag vor Beginn und in der virtuellen HV durchgängig zugänglich, müssen die Fragen in der HV nicht zusätzlich mündlich beantwortet werden. 

Rede- und Auskunftsrecht in der HV

In der virtuellen HV ist elektronisch zugeschalteten Aktionären ein Rederecht im Wege der Videokommunikation zu gewähren. Dies erfordert eine Zwei-Wege-Direktverbindung. Dadurch soll die aus Präsenzversammlungen bekannte Generaldebatte nachgebildet werden. Um die virtuelle der Präsenz-HV weiter anzugleichen, sieht der Regierungsentwurf ferner vor, dass (Nach-)Fragen auch mündlich im Rahmen eines Redebeitrags (und nicht lediglich im Wege der elektronischen Kommunikation) gestellt werden können. Zur praktischen Umsetzung soll nach den Vorstellungen der Bundesregierung ab Beginn der virtuellen Hauptversammlung ein „virtueller Meldetisch“ mit der Möglichkeit der Anmeldung von Wortmeldungen eingerichtet werden. Die Aktionäre können – wie in einer Präsenzversammlung – spontan von ihrem Rederecht Gebrauch machen. Der Referentenentwurf sah im Unterschied dazu noch vor, dass Redebeiträge bis spätestens vier Tage vor der HV angemeldet werden müssen. 

In der Praxis dürfte es wohl zum Regelfall werden, dass der Vorstand von der Möglichkeit Gebrauch macht, eine Dreitagesfrist für die Frageneinreichung vor der HV vorzugeben. Für diesen Fall sieht der Regierungsentwurf ein wie folgt gestaffeltes Auskunftsrecht der Aktionäre in der virtuellen HV vor: 

  • Nachfragen: Zugeschalteten Aktionären ist das Recht einzuräumen, im Wege der elektronischen Kommunikation (bspw. in Textform über das Aktionärsportal oder mündlich im Wege der Videozuschaltung) Nachfragen zu allen vorab eingereichten Fragen, den vor und in der Versammlung gegebenen Antworten des Vorstands sowie zu in der Versammlung in Redebeiträgen mündlich gestellten Fragen zu stellen. Derartige Nachfragen müssen sich insbesondere nicht auf die eigenen vorab gestellten Fragen des Aktionärs beziehen, sondern können auch an die Fragen anderer Aktionäre anknüpfen. 
  • Weitere Fragen zu neuen Sachverhalten: Darüber hinaus können Aktionäre auch weitere (also erstmalige, nicht vorab eingereichte) Fragen zu Sachverhalten stellen, die sich erst nach Ablauf der Dreitagesfrist zum Einreichen von Fragen ergeben haben. Als Beispiel für einen solchen Sachverhalt nennt die Gesetzesbegründung etwa Geschäftszahlen, die erst nach Ablauf der Dreitagesfrist veröffentlicht werden. 
  • Weitere Fragen: Der Regierungsentwurf geht allerdings noch einen Schritt weiter: Zwar ist die Beantwortung der Nachfragen zu den vorab eingereichten Fragen und der Fragen zu neuen Sachverhalten vorrangig. Sofern allerdings im Anschluss daran noch „Zeit übrig ist“, etwa weil nur wenige Nachfragen gestellt wurden, sind zusätzlich neue Fragen (die keinen neuen Sachverhalt betreffen und bereits rechtzeitig, innerhalb der Dreitagesfrist, hätten gestellt werden können) zulässig. Diese Fragen sind zuzulassen, wenn ihre Beantwortung „innerhalb des angemessenen Zeitraums der Versammlung möglich ist“. Der Versammlungsleiter kann sich hier wohl an der Anregung A.4 des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) orientieren, wonach eine ordentliche Hauptversammlung nicht länger als vier bis sechs Stunden dauern soll. 

Übergangsregelung für virtuelle Hauptversammlungen bis August 2023 

Die bereits im Referentenentwurf enthaltene Übergangsreglung ist auch im Regierungsentwurf enthalten. Danach kann der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats bis zum 31. August 2023 eine virtuelle Hauptversammlung auch ohne entsprechende Satzungsgrundlage einberufen. Es verbleibt also noch ausreichend Zeit, um in der HV-Saison 2023 eine Satzungsgrundlage für mögliche künftige virtuelle Hautversammlungen zu schaffen. 

Beibehalten wurde auch die im Referentenentwurf vorgesehene Regelung zur Einschränkung des Anfechtungsrechts. Danach ist die Anfechtung eines HV-Beschlusses für den Fall technischer Störungen ausgeschlossen, sofern weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit vorliegen.

Regierungsentwurf gefährdet Attraktivität der virtuellen HV

Insbesondere durch das Nebeneinander von Auskunftspflichten der Gesellschaft sowohl im Vorfeld als auch im Rahmen der HV ist die virtuelle HV in Form des Regierungsentwurfs mit hohem Aufwand für die Gesellschaften verbunden. Selbst wenn alle vorab eingereichten Fragen vor der HV beantwortet werden, sind in der HV neue Fragen zu beantworten. Mit der von der Bundesregierung angestrebten Stärkung der Aktionärsrechte sind erhebliche Unwägbarkeiten für die Gesellschaften verbunden. Die Einrichtung eines hinreichend besetzten Backoffice und die Vorbereitung (insbesondere eines Q&A-Katalogs) dürften mind. genauso aufwändig ausfallen wie bei einer Präsenzversammlung; hinzu kommen aufwändige technische Vorkehrungen. Als nennenswerter Vorteil im Vergleich zur Präsenzversammlung scheint lediglich die Einsparung von Saalmiete und Catering zu verbleiben. Ob die Gesellschaften vor diesem Hintergrund auch künftig Hauptversammlungen im virtuellen Format abhalten werden, bleibt abzuwarten. Es ist wohl eher damit zu rechnen, dass viele Gesellschaften 2023 zur Präsenz-HV zurückkehren werden. 

Sollte das Gesetz in der Fassung des Regierungsentwurfs vom Bundestag beschlossen werden, droht der virtuellen HV womöglich ein ähnliches Schattendasein wie der bereits im Jahr 2009 eingeführten Möglichkeit zur Online-Teilnahme, die sich in der Praxis, zumindest bei Publikumsgesellschaften, nicht durchgesetzt hat. 

*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Aktienrecht Auskunftsrecht Rederecht Regierungsentwurf Virtuelle Hauptversammlung
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Maximilian Schneider