19. September 2023
Corporate / M&A

Aufklärungspflichten des Immobilienverkäufers vs. Selbstinformationsobliegenheit des Käufers

Aktuelle Rechtsprechung des BGH zum Pflichtenprogramm des Immobilienverkäufers bei Offenlegung von Unterlagen in einem virtuellen Datenraum

Mit Urteil vom 15. September 2023 – V ZR 77/22 hat der BGH eine wichtige Entscheidung zu den Auswirkungen der Durchführung einer Ankaufsuntersuchung (Due Diligence) durch den Käufer* einer Immobilie auf die Aufklärungspflichten des Verkäufers gefällt. Die Karlsruher Richter haben entschieden, dass der Verkäufer, der dem Käufer Zugriff auf einen virtuellen Datenraum mit Informationen und Unterlagen gewährt, seine Aufklärungspflicht hierdurch nur erfüllt, wenn und soweit er erwarten kann, dass der Käufer durch Einsichtnahme in den Datenraum Kenntnis von den offenbarungspflichtigen Umständen erlangen wird. Es reicht hingegen nicht aus, solche Unterlagen ohne ausdrücklichen Hinweis kurz vor dem geplanten Vertragsabschluss in den Datenraum einzustellen.

Sachverhalt und bisheriger Verfahrensgang

Im konkreten Fall ging es um Sanierungskosten in Millionenhöhe. Die Informationen hierzu hat der Verkäufer ohne gesonderten Hinweis nur einen Bankarbeitstag vor dem Beurkundungstermin in den Datenraum eingestellt. Nachdem der Käufer zur Zahlung einer Sonderumlage von bei Bedarf bis zu EUR 50 Millionen für Instandhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen am Gemeinschaftseigentum in Anspruch genommen wurde, erklärte der Käufer die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung und vorsorglich den Rücktritt vom Kaufvertrag.

Sowohl in erster Instanz (LG Hildesheim, Urteil vom 16. April 2021 – 4 O 60/20) als auch in zweiter Instanz (OLG Celle, Urteil vom 29. März 2022 – 4 U 50/21) wurde die Klage des Käufers abgewiesen. Nach Rechtsauffassung der Instanzgerichte besteht weder ein bereicherungsrechtlicher Rückabwicklungsanspruch noch ein Schadensersatzanspruch des Käufers. Der Käufer habe weder dargelegt, dass der Verkäufer im Widerspruch zu einer bestehenden Auskunftspflicht wahre Tatsachen unterdrückt habe, noch dass der Verkäufer den subjektiven Tatbestand der arglistigen Täuschung erfüllt habe. Zudem sei das Einstellen maßgeblicher Protokolle in den Datenraum nur einen Bankarbeitstag vor Vertragsabschluss unschädlich, da kein Stichtag für das Einstellen von Unterlagen vereinbart worden sei. Das OLG Celle hat in der Vorinstanz vor allem den Käufer in der Pflicht gesehen, sich alle notwendigen Informationen vor Vertragsabschluss zu beschaffen.

Der BGH zum Zusammenhang zwischen Aufklärungspflicht des Verkäufers und berechtigter Erwartung des Verkäufers über Kenntnisnahme durch den Käufer

Der BGH sieht das anders und bezieht sich auf seine Rechtsprechung, wonach die für den Käufer bestehende Möglichkeit, sich selbst Kenntnis von offenbarungspflichtigen Umständen zu verschaffen, die Pflicht des Verkäufers zur Auskunft nicht von vornherein ausschließt. Zwar darf ein Verkäufer unter bestimmten Umständen davon ausgehen, dass der Käufer selbst Kenntnis über relevante Fakten erlangt, etwa über erkennbare Mängel bei einer Besichtigung oder aufgrund eines Sachverständigengutachtens – in diesen Fällen springen dem Käufer diese nahezu ins Auge und eine explizite Auskunft ist verzichtbar. Es gibt aber auch Konstellationen, in denen die Kenntnisnahme durch den Käufer nicht zwingend erwartet werden kann. Werden ihm beispielweise Finanzierungsunterlagen übergeben, so darf der Verkäufer nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass der Käufer diese auch auf Mängel des Kaufobjekts hin durchsehen wird.

Diese Grundsätze sollen nunmehr auch für die Einstellung von Unterlagen in einen virtuellen Datenraum gelten. Allein der Umstand, dass der Verkäufer einen Datenraum einrichtet und dem Käufer Zugriff auf die Daten ermöglicht, lässt nicht stets den Schluss zu, dass der Käufer den offenbarungspflichtigen Umstand auch zur Kenntnis nehmen wird. Entscheidend sind dabei die Umstände des Einzelfalls, etwa ob und in welchem Umfang der Käufer eine Due Diligence durchführt, wie der Datenraum und der Zugriff hierauf strukturiert und organisiert sind, welche Vereinbarungen hierzu getroffen wurden, wie wichtig die Information ist, um deren Offenbarung es geht, wie leicht sie im Datenraum aufzufinden ist und zu welchem Zeitpunkt sie in diesen eingestellt wurde.

Der BGH hat die Sache an die Vorinstanz zurückverwiesen. Das OLG Celle muss erneut verhandeln und weitere Feststellungen zu dem Sachverhalt treffen, insbesondere, ob der Verkäufer seinen Aufklärungspflichten ausreichend nachgekommen ist. Unter anderem hat der Verkäufer behauptet, dass er dem Kläger die relevanten Unterlagen schon früher in Papierform habe zukommen lassen.

Fazit und Folgen für die Praxis

Mit dem Urteil setzt der BGH seine Rechtsprechung zum Verhältnis zwischen den Aufklärungspflichten des Verkäufers und der Selbstinformationsobliegenheit des Käufers, wonach ein Verkäufer nicht ohne Weiteres erwarten kann, dass der Käufer alle Unterlagen auf Mängel des Kaufobjekts hin durchsehen wird, fort und überträgt diese Grundsätze auf das Einstellen von Unterlagen in einen virtuellen Datenraum.

Wie bei größeren Transaktionen bislang schon üblich, gilt es künftig umso mehr, ein Augenmerk auf die Strukturierung des Verkaufsprozesses zu legen – dies hat über Immobilienverkäufe hinaus Bedeutung. Nach den Klarstellungen des BGH reicht es nicht mehr aus, Unterlagen in einen Datenraum einzustellen und dem Käufer allein die Prüfung und Bewertung im Rahmen seiner Due Diligence zu überlassen. Vielmehr trifft den Verkäufer die Pflicht, den Käufer auf alle Umstände rechtzeitig hinzuweisen, die für dessen Kaufentscheidung erkennbar relevant sind. Für den Verkäufer bedeutet dies einerseits, dass er sich selbst im Vorfeld einer Transaktion über alle Umstände in Kenntnis setzen sollte, die das Potential besitzen, kaufentscheidend zu sein, andererseits, dass er den Erwartungshorizont des Käufers im Blick haben sollte. Denn nur so wird es ihm gelingen, eine belastbare Einschätzung vorzunehmen, welche Hinweise im Rahmen der Transaktion seinerseits erforderlich sind. Dies erweitert das Pflichtenprogramm des Verkäufers. Den damit verbundenen Unsicherheiten kann man in der Praxis jedoch mit einer sorgfältigen Vendor Due Diligence sowie der frühzeitigen Aufklärung des Käufers begegnen. Der Hinweis auf die kaufrelevanten Umstände und die Vereinbarung eines Cut-off-Dates, ab dem keine Unterlagen mehr in den Datenraum eingestellt werden, sollten aus Sicht eines Verkäufers künftig in keinem Kaufvertrag mehr fehlen. Denn so wird letztlich auch gewährleistet, dass die rechtzeitige Erfüllung der Aufklärungspflichten durch den Verkäufer belastbar dokumentiert ist.

*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Aufklärungspflichten Corporate / M&A Immobilienverkäufer Real Estate