Abbau von Bürokratie und mehr Transparenz für grenzüberschreitende Geschäftstätigkeiten: Das verspricht der Vorschlag zur Digitalisierungsrichtlinie II der EU-Kommission!
Die Europäische Kommission will die Digitalisierung im Gesellschaftsrecht weiter vorantreiben. Am 29. März 2023 hat sie dafür einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Ausweitung des Einsatzes digitaler Werkzeuge und Verfahren im EU-Gesellschaftsrecht vorgestellt (COM [2023] 177).
Der Vorschlag sieht eine erneute Überarbeitung und Erweiterung der Gesellschaftsrechtsrichtlinie (Richtlinie [EU] 2017/1132) vor und ergänzt die im vergangenen Jahr in Deutschland umgesetzte Digitalisierungsrichtlinie (Richtlinie [EU] 2019/1151; umgesetzt durch das DiRUG [Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie]), nach der mittlerweile auch Unternehmensgründungen online möglich sind.
Nach dem Motto „Europe fit for the digital age“ ist Ziel des aktuellen Vorschlags, durch die Nutzung digitaler Werkzeuge und Verfahren im EU-Gesellschaftsrecht die Geschäftsaktivitäten grenzüberschreitend tätiger Unternehmen durch Bürokratieabbau zu erleichtern und den EU-weiten Zugang zu zuverlässigen Unternehmensinformationen weiter zu verbessern.
Um dieses Ziel zu erreichen, enthält der Vorschlag der EU-Kommission insbesondere die folgenden Kernelemente:
- Verlässliche Unternehmensinformationen und europaweite Unternehmensregister – Erweiterung der Registerinhalte zu Personengesellschaften und Konzernen sowie Verknüpfung verschiedener Register durch Zugriff auf die Verbundsysteme BRIS (EU Business Registers Interconnection System), BORIS (EU Beneficial Ownership Registers Interconnection System) und IRI (EU Insolvency Registers Interconnection System).
- Abbau von Formalitäten und Einführung des sog. „once-only principle“ – Ausnahmen von Legislation- und Übersetzungserfordernissen sowie Anwendung des Grundsatzes der einmaligen Erfassung von Unternehmensinformationen in nationalen bzw. EU-weiten Unternehmensregistern.
- Einführung einer digitalen EU-Vollmacht – Ermächtigung zur Vertretung von Unternehmen in anderen Mitgliedstaaten mittels mehrsprachiger Standardvorlagen.
- Einführung eines EU-Gesellschaftszertifikats (EU Company Certificate – EUCC) –Zurverfügungstellung wesentlicher Unternehmensinformationen auf einen Blick in allen EU-Sprachen.
Die Auswirkungen der geplanten Maßnahmen sind nicht zu unterschätzen. Die Regelungen würden rund 16 Mio. Kapitalgesellschaften und 2 Mio. Personengesellschaften in der EU betreffen. Die Verwaltungskosten, die durch die Umsetzung der neuen Richtlinie eingespart werden sollen, werden von der EU-Kommission auf etwa EUR 437 Mio. jährlich beziffert. Erreicht werden soll das durch Maßnahmen, die nachfolgend skizziert werden.
Verlässliche und transparente Unternehmensinformationen nun auch für Personengesellschaften und Konzerne
Als ein großes Ziel verfolgt die Richtlinie die Erhöhung der Transparenz in Bezug auf Unternehmensdaten. Wie die EU-Kommission in ihrem Vorschlag zutreffend formuliert, ist es für einen funktionierenden Binnenmarkt unerlässlich, dass zentrale Informationen über die am Markt agierenden Unternehmen öffentlich, idealerweise EU-weit, abrufbar sind und der Vertragspartner* sich auf diese Informationen verlassen kann.
Nachholbedarf besteht an dieser Stelle im Hinblick auf bestimmte Gesellschaftsformen, insbesondere Personengesellschaften und Konzernstrukturen. Das EU-Recht wird damit erstmals die Publizierung von zentralen Informationen über Personengesellschaften (z.B. Firma, Rechtsform, Geschäftsadresse, Einlagen der Gesellschafter) und Konzerne (z.B. Europäische digitale Identität / European Unique Identifier [EUID] jeder Tochtergesellschaft, Name der Unternehmensgruppe, wenn er sich vom Namen der obersten Muttergesellschaft unterscheidet, Chart zur Gruppenstruktur) in den nationalen Registern und über das BRIS verlangen.
Die Auswirkungen für die in Deutschland ansässigen Personengesellschaften dürften allerdings eher gering sein. Nach Anhang IIB des Vorschlags sind in Deutschland die oHG und die KG betroffen. Für beide Gesellschaftsformen bestehen bereits jetzt schon zahlreiche Pflichten zu Meldungen beimHandelsregister.
Auch besteht im Hinblick auf die Qualität und Prüfung der eingereichten Informationen und Dokumente Nachholbedarf. Denn nicht alle Handelsregister der Mitgliedstaaten enthalten dem Umfang und der rechtlichen Wirkung nach ausreichend harmonisierte Unternehmensinformationen, weshalb bislang auch nicht immer alle Dokumente aus anderen europäischen Handelsregistern gleichermaßen akzeptiert wurden.
Durch die neue Richtlinie sollen – unter Beachtung der mitgliedstaatlichen Rechtstraditionen – gewisse „Mindeststandards“ festgesetzt werden. Hierunter fallen die administrative oder gerichtliche Kontrolle sowie Rechtmäßigkeitsprüfung der Gründungsdokumentation und die Kontrolle der Gesellschaftsinformationen vor Eintragung in das Unternehmensregister. Neu ist dabei auch die Verpflichtung, dass die hinterlegten Informationen zu den einzelnen Gesellschaften und Konzernstrukturen rechtzeitig zu aktualisieren sind und dass deren Aktualität mind. einmal jährlich von der Konzernmutter oder einer europäischen Holding-Gesellschaft zu bestätigen ist. Andernfalls können sogar Sanktionen verhängt werden. Durch die avisierten Maßnahmen wird die Verfügbarkeit, Aktualität und Zuverlässigkeit der Gesellschaftsinformationen europaweit verbessert.
Verbindung von BRIS, BORIS und IRI
Sämtliche Unternehmensinformationen mit nur wenigen Klicks abrufbar? – Auch dieses Ziel nimmt die EU-Kommission in ihrem Vorschlag in Angriff. So sollen die bereits bestehenden Registersysteme auf Unionsebene miteinander verbunden werden.
Konkret geht es dabei um das System zur Verknüpfung von Unternehmensregistern (BRIS), das Register der wirtschaftlichen Eigentümer (BORIS) und das Insolvenzregister (IRI).
Durch die Verbindung der drei Systeme soll es Benutzern ermöglicht werden, gleichzeitig auf Informationen aus allen drei Registern zuzugreifen. Die Zuordnung von Informationen zu einer Gesellschaft soll dabei über die bereits eingeführte europäische Kennung EUID erfolgen. In Verbindung mit der Ausweitung der zu hinterlegenden Unternehmensinformationen würden diese Änderungen einen großen Schritt in Richtung eines einheitlichen „EU-Registers“ bedeuten.
Abbau bürokratischer Hürden und „once-only principle“ – Erleichterungen bei Gründungen in anderen Mitgliedstaaten
Neben der Erhöhung der Transparenz in Bezug auf Unternehmensdaten ist der Abbau von Bürokratie das zweite große Ziel, das mit der geplanten Richtlinie verfolgt wird. Aktuell sind bei der Anmeldung einer Tochtergesellschaft oder Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat sämtliche Dokumente, meist inklusive Legalisierung (z.B. Apostille) und Übersetzung, erneut einzureichen.
Damit soll nun, zumindest teilweise, Schluss sein. Nach der geplanten neuen Richtlinie sollen die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass beglaubigte Auszüge bestimmter Register ohne weitere Legalisation in anderen Mitgliedstaaten verwendet werden können, sofern bestimmte Mindestanforderungen erfüllt sind. Auch sollen notarielle Urkunden und Verwaltungsdokumente sowie deren beglaubigte Abschriften für Verfahren im Rahmen der geplanten Richtlinie vom Erfordernis weiterer Legalisation befreit sein sowie das Erfordernis einer Übersetzung der Dokumente entfallen.
Mit dem „once-only principle“ sieht der Vorschlag der EU-Kommission – wie die Bezeichnung bereits vermuten lässt – vor, dass Unternehmen zukünftig dieselben Informationen nicht mehr als einmal vorlegen müssen. Das würde erhebliche Erleichterungen gerade für solche Unternehmen bedeuten, die in einem anderen EU-Mitgliedstaat eine Tochtergesellschaft oder eine Zweigniederlassung errichten wollen.
Denn zukünftig sollen die relevanten Informationen direkt zwischen dem Register, in dem die Gesellschaft eingetragen ist, und dem Register, in dem die Tochtergesellschaft oder Zweigniederlassung eingetragen werden soll, elektronisch ausgetauscht werden. Der Austausch der Daten soll dabei über das BRIS erfolgen.
Der Abbau der bürokratischen Hürden und das „once-only principle“ würden damit nicht nur den Zeitaufwand, sondern auch die Kosten der Unternehmen erheblich reduzieren.
Digitale EU-Vollmacht soll Vertretung von Unternehmen erleichtern
Zur Vereinfachung grenzüberschreitender Geschäftstätigkeiten soll zudem eine digitale EU-Vollmacht eingeführt werden, mit der eine Person zur Vertretung eines Unternehmens in einem anderen EU-Mitgliedstaat ermächtigt werden kann. Die EU-Kommission soll hierfür eine Mustervollmacht bereitstellen, die in allen offiziellen Sprachen der EU verfügbar sein wird.
Die Erteilung und der Widerruf der Vollmacht sollen sich nach den nationalen Vorschriften richten. Um allerdings ein EU-weites Mindestniveau sicherzustellen, müssen die nationalen Regelungen mind. die Überprüfung der Identität und die Vertretungsbefugnis der Person vorsehen, die die Vollmacht erteilt. Die Vollmacht und jede Änderung sind im Register des Unternehmens zu hinterlegen.
Alles Wesentliche auf einen Blick – das EU Company Certificate
Mit dem Ziel vor Augen, Formalitäten abzubauen, sieht der Vorschlag der EU-Kommission neben den oben genannten Maßnahmen auch die Implementierung eines harmonisierten EU-Gesellschaftszertifikats (EU Company Certificate – EUCC) vor. War bislang der Nachweis über z.B. die Existenz der Gesellschaft oder ihre Vertretungsregelung allein über einen nationalen Registerauszug des jeweiligen Mitgliedstaates möglich, so soll das neue Gesellschafszertifikat auch in diesem Bereich zur Vereinheitlichung des Nachweises von Unternehmensinformationen im EU-Binnenmarkt beitragen.
Das Zertifikat soll dabei alle wesentlichen Informationen über die Kapital- oder Personengesellschaft wie Existenz, Rechtsform, Sitz und Vertretung enthalten und teilweise kostenlos in allen EU-Sprachen verfügbar sein. Die Ausstellung und Beglaubigung des Zertifikats ist bei den Registern der Mitgliedstaaten angesiedelt.
Die Einsatzmöglichkeiten des Zertifikats, das sowohl in elektronischer Form als auch in Papierform verfügbar sein soll, sind vielfältig. Der große Vorteil: Es muss von allen EU-Mitgliedstaaten als Nachweis für die in ihm enthaltenen Unternehmensdaten anerkannt werden.
Das Gesellschaftszertifikat könnte somit u.a. im Rahmen von Verwaltungsverfahren gegenüber Behörden oder bei Gerichtsverfahren in anderen Mitgliedstaaten oder auch gegenüber EU-Einrichtungen und Registern eingesetzt werden.
Vorschlag zur Digitalisierungsrichtlinie II als wichtiger Schritt in die richtige Richtung
Der Vorschlag der EU-Kommission zeigt deutlich, dass auch im Gesellschaftsrecht die digitale Transformation weiter voranschreitet. Die vorgeschlagenen Maßnahmen wären ein wichtiger Beitrag für die weitere Digitalisierung im Gesellschaftsrecht. Auch würden bürokratische Hürden deutlich reduziert und Transparenz und Vertrauen hinsichtlich Unternehmensinformationen erheblich gestärkt werden.
Wann und in welchem Umfang die geplanten Regelungen umgesetzt werden, ist jedoch noch offen.
Der Ball liegt nun beim Europäischen Parlament und beim Rat der EU. Diese werden in den nächsten Monaten Gelegenheit haben, den Vorschlag der EU-Kommission zu erörtern und Änderungsvorschläge einzubringen.
Tritt die Richtlinie anschließend in Kraft, soll die Frist für die Mitgliedstaaten zur Umsetzung in das jeweilige nationale Recht zwei Jahre betragen.
Auch wenn damit noch einige Schritte bis zur endgültigen Umsetzung zu gehen sind, kann bereits heute konstatiert werden, dass die eingeschlagene Richtung stimmt und ein weiterer großer Schritt in eine digitale Zukunft erfolgt ist.
*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.