Die ESMA hat ein Konsultationspapier veröffentlicht, in dem sie sich mit dem Kernbereich der MAR wie Insiderinformationen und Ad-hoc Publizität befasst.
Die Marktmissbrauchsverordnung (Verordnung (EU) Nr. 236/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über den Marktmissbrauch; kurz: MAR) bildet seit ihrem Inkrafttreten am 3. Juli 2016 als Level 1 Grundlagen-Rechtsakt das Kernstück des europäischen Kapitalmarktrechts. Zusätzlich wurden zahlreiche ergänzende Level 2 Rechtsakte auf europäischer Ebene (in der Regel Delegierte Verordnungen) und Umsetzungsakte durch die nationalen Gesetzgeber erlassen worden.
Die Konsultation dient der Vorbereitung des Berichts der Europäischen Kommission zur Überprüfung der MAR. Das Prüfungsmandat der Kommission ist in Art. 38 der MAR enthalten.
In dem umfangreichen Konsultationspapier befasst sich die ESMA, die europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde, mit nahezu allen Bereichen der MAR und überschreitet dabei teilweise auch das Mandat der Kommission.
Die ESMA bittet die Marktteilnehmer um ihr Feedback zur praktischen Anwendung und zu den Schwächen der MAR. Zudem schlägt die ESMA konkrete Überarbeitungen von Bereichen der MAR vor und bezieht Stellung zu umstrittenen Punkten. In diesem Blogbeitrag wird auf die folgenden ausgewählten Themen des Konsultationspapiers eingegangen:
Modifikation der Definition der Insiderinformation?
Zunächst wirft die ESMA die Frage auf, ob für die Marktteilnehmer in der Praxis eindeutig bestimmbar ist, ob und wann eine Insiderinformation vorliegt. Zudem soll ermittelt werden, ob die bisherige Regelung ausreicht, um wirksam gegen Marktmissbrauch vorzugehen. Im Konsultationspapier macht die ESMA selbst keine Vorschläge zur möglichen Überarbeitung der Definition der Insiderinformation.
Die Definition der Insiderinformation ist eine der umstrittensten Regelungen der MAR. Bei ihrer Anwendung ergeben sich eine Vielzahl von Einzelfragen. Wie sich gezeigt hat, besteht gerade seit Inkrafttreten der MAR eine gestiegene Rechtsunsicherheit hinsichtlich des Zeitpunkts des Entstehens von Insiderinformationen sowie der Eignung von Informationen zur erheblichen Kursbeeinflussung.
Es erscheint allerdings fraglich, ob eine weitere Präzisierung des Gesetzestexts Abhilfe schaffen könnte. Das sich zur Zeit in Überarbeitung befindliche Modul C der Neuauflage des Emittentenleitfadens der BaFin ist hingegen eine praktische Arbeitshilfe angesichts der sehr unterschiedlichen Fallgruppen und Sachverhalte.
Aufschub der Veröffentlichung von Insiderinformationen (Ad-hoc-Publizität) – Meldepflicht für gescheiterte Transaktionen?
Das Konsultationspapier ruft die Marktteilnehmer auf, der ESMA ihre Erfahrungen und Anwendungsprobleme im Zusammenhang mit dem Aufschub der Veröffentlichung von Insiderinformationen mitzuteilen.
Nach derzeitigem Recht besteht für Emittenten bei nachträglichem Wegfall des Status einer Insiderinformation (z.B. bei Scheitern eines M&A Projekts oder Wegfall der Kursrelevanz) keine Meldepflicht an die Aufsichtsbehörden. Die ESMA schlägt vor, künftig eine Meldepflicht einzuführen, um eine Insiderüberwachung für den Zeitraum, in dem eine Insiderinformation vorlag zu gewährleisten.
Eine derartige Meldepflicht ist je nach konkreter Ausgestaltung kritisch zu beurteilen. Es wäre mit einer regelrechten Meldeflut an die BaFin zu rechnen, da gerade im M&A Bereich viele Transaktionen scheitern. Die Einführung einer solchen Meldepflicht wäre allenfalls dann sinnvoll, wenn der Zeitpunkt des Vorliegens einer Insiderinformation durch Änderung der oben angesprochenen Definition zeitlich deutlich nach hinten verlagert würde.
Marktsondierung – Pflicht zum Mitschneiden von Telefonaten?
Die Regelungen für Marktsondierungen statuieren eine Ausnahme vom Verbot unrechtmäßiger Offenlegung von Insiderinformationen, soweit der Insiderinformationen offenlegende Marktteilnehmer und der Sondierungsempfänger hierbei umfangreiche technische Verfahrensvorschriften des Marktsondierungsregimes befolgen. Die ESMA schlägt vor, die MAR dahingehend zu ändern, dass die Einhaltung des Marktsondierungsregimes künftig keine Privilegierung (safe harbour Regime) mehr darstellt, sondern die Anwendung des Marktsondierungsregimes zwingend ist. Die Mitgliedstaaten sollen die Möglichkeit erhalten, Sanktionen bei Nichteinhaltung des Marktsondierungsregimes gegen die Marktteilnehmer zu verhängen.
Ferner stellt die ESMA die Begrenzung des sehr weit gefassten sachlichen Anwendungsbereichs der Regeln über Marktsondierungen, der u.a. die Emission von Wertpapieren, Aktien und Schuldtiteln, den Verkauf von Wertpapieren (block trades) oder auf Übernahmeverfahren umfasst, zur Diskussion. Für die Praxis wäre es hilfreich, wenn der Gesetzgeber oder die ESMA Fallgruppen zur Bestimmung des Anwendungsbereichs vorgeben würden.
Hinsichtlich der Verfahrensvorschriften über die Dokumentation durch den offenlegenden Marktteilnehmer schlägt die ESMA vor, entgegen der aktuellen Protokollierungspflicht bei telefonisch übermittelten Informationen, künftig verpflichtend einen Mitschnitt des relevanten Telefonats zu verlangen. Eine derartige Änderung erscheint nicht zweckmäßig, weil sie alle Beteiligten zwingt, entsprechende technische Vorkehrungen vorzuhalten.
Vorschläge zur Vereinfachung und Präzisierung der Insiderlisten
Bezüglich der in die Insiderlisten zwingend aufzunehmenden Personen schlägt die ESMA vor, dass nur Personen aufzunehmen sind, die tatsächlich Zugang zu der Insiderinformation haben und nicht nur potentiell Kenntnis erlangen könnten (z.B. Mitarbeiter der IT Abteilung). In der Neuauflage des Emittentenleitfadens äußert sich die BaFin ähnlich. Eine derartige Klarstellung in der MAR wäre wünschenswert.
Hinsichtlich der Rubrik „permanente Insider″ in den Insiderlisten schlägt die ESMA vor, dass nur ein äußerst begrenzter Personenkreis (z.B. CEO, CFO und Rechtsabteilungsleiter) „permanente Insider″ sein können. So wünschenswert eine Klarstellung erscheint, so sehr gilt zu bedenken, dass eine starre Definition nicht zwingend allen Situationen der Emittenten gerecht wird. Die Definition sollte deshalb einen gewissen Spielraum für die Unterschiede in der Praxis belassen.
Die ESMA schließt sich der von der BaFin vertretenen Verwaltungspraxis bezüglich der Aufnahme von Dienstleistern des Emittenten in die Insiderlisten an. Danach genügt es, einen Ansprechpartner des Dienstleisters in die Insiderliste aufzunehmen. Eine Klarstellung in der MAR wäre sinnvoll. Seit dem Inkrafttreten der MAR ist der bürokratische Mehraufwand für das Führen der Insiderlisten gestiegen, Vereinfachungen des Gesetzgebers sind daher begrüßenswert.
Directors‘ Dealings – weitere Erhöhung des Schwellenwerts?
Nach der Erhöhung des Schwellenwerts für Eigengeschäfte von Führungskräften von EUR 5.000 auf EUR 20.000 durch die BaFin und andere nationale Aufsichtsbehörden prüft die ESMA, ob den nationalen Aufsichtsbehörden ein noch weiterer Spielraum zur Erhöhung des Schwellenwerts eingeräumt werden soll. Eine maßvolle Erhöhung des Spielraums wäre für die Praxis sicherlich hilfreich.
Die ESMA regt an, dass das Handelsverbot während der geschlossenen Zeiträume für Eigengeschäfte von Führungskräften künftig auch für mit der Führungskraft in enger Beziehung stehende Personen gelten soll. Eine derartige Auslegung der jetzigen Norm ist bereits in der Neuauflage des Emittentenleitfadens enthalten. Eine Klarstellung in der MAR wäre begrüßenswert.
Ausblick
Das Konsultationspapier enthält einige interessante Ansätze, die nach ihrer Konkretisierung im Bericht der ESMA im Detail zu beurteilen sind.
Beteiligungen an der Konsultation sind bis zum 29. November 2019 möglich. Die ESMA wird ihren Bericht im Frühjahr 2020 der Kommission vorlegen.