7. August 2012
Corporate / M&A

Wenn Gesellschaften aus der Haut fahren und „rübermachen″

Mit dem Urteil in der Rechtssache „VALE“ vom 12. Juli 2012 (Az.: C-378/10) hat der EuGH den nationalen Gesetzgebern einmal mehr die Grenzen aufgezeigt und die Niederlassungsfreiheit für Gesellschaften innerhalb der EU/des EWR hochleben lassen: Die grenzüberschreitende Umwandlung ist als Ausübung der Niederlassungsfreiheit vom Zuzugsstaat grundsätzlich zuzulassen, wenn das Recht des Zuzugsstaates inländischen Gesellschaften die Möglichkeit zu einer entsprechenden Umwandlung im Inland eröffnet!

Und darum ging es: Die italienische Gesellschaft VALE Construzioni Srl wollte unter Verlegung ihres Satzungssitzes nach Ungarn auswandern und fortan als VALE Építési kft, einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ungarischen Rechts, firmieren. Doch das ungarische Handelsregister lehnte dies mit der Begründung ab, ungarisches Recht kenne die grenzüberschreitende Umwandlung nicht, insbesondere sei die italienische Gesellschaft nicht als Rechtsvorgängerin der ungarischen Gesellschaft eintragungsfähig. So geht es nicht, dachte sich der EuGH und trat mit seiner „VALE“-Entscheidung zum wiederholten Male zur Verteidigung der Niederlassungsfreiheit an.

Und warum nicht? Der EuGH weist zunächst auf seine SEVIC-Entscheidung (Az.: C-411/03) hin und konstatiert lapidar, dass grenzüberschreitende Umwandlungen grundsätzlich eine Ausübungsform der Niederlassungsfreiheit darstellten. Zwar richteten sich Gründung und Existenz von Gesellschaften nach den nationalen Rechtsvorschriften, so dass nur nationalem Recht zu entnehmen sei, ob eine Gesellschaft wirksam gegründet wurde und sich daher auf die Niederlassungsfreiheit berufen könne. Dies erlaube der nationalen Rechtsordnung jedoch nicht, entsprechende Gründungsmöglichkeiten nur innerstaatlichen Rechtssubjekten zur Verfügung zu stellen.

Zutreffend stellt der EuGH weiter fest: Die unterschiedliche Behandlung von innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Umwandlungen durch das ungarische Recht stellt eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar, die weder durch das Fehlen einer europaweit einheitlichen Regelung der grenzüberschreitenden Umwandlung noch durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses zu rechtfertigen ist. Denn im Grundsatz gilt: Weder darf nationales Recht Ausübungen der Niederlassungsfreiheit ungünstiger behandeln als vergleichbare innerstaatliche Sachverhalte (sog. Äquivalenzgrundsatz), noch darf es die Ausübung der Niederlassungsfreiheit übermäßig erschweren (sog. Effektivitätsgrundsatz).

Was aus VALE folgt: „VALE“ betraf einen Zuzugsfall, d.h. der Zuzugsstaat – hier Ungarn – versagte der grenzüberschreitenden Umwandlung die Anerkennung. Mit „VALE“ steht nun fest: Der Zuzugsstaat hat die grenzüberschreitende Umwandlung zuzulassen, wenn eine entsprechende innerstaatliche Umwandlung nach seinem innerstaatlichen Recht möglich wäre. Er hat dabei Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz zu beachten, so dass die entsprechende Anwendung der für innerstaatliche Umwandlungen vorgesehenen Regelungen auf ihr grenzüberschreitendes Pendant grundsätzlich zulässig ist.

Neu ist auch – denn in dieser Deutlichkeit hatte der EuGH dies bislang nicht ausgesprochen – dass die Ausübung der Niederlassungsfreiheit

die tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung im Aufnahmemitgliedsstaat auf unbestimmte Zeit

voraussetzt. Jedenfalls die grenzüberschreitende Umwandlung mittels Gründung einer Briefkastenfirma genießt demnach nicht den Schutz der Niederlassungsfreiheit.

To be discussed: Wie fast immer in der Juristerei bringen Antworten neue Fragen mit sich. Die können an dieser Stelle nur angerissen werden. Eine Auswahl:

  • Da die „VALE“-Entscheidung einen Zuzugsfall betraf, kann der Schluss von der entsprechenden Zulässigkeit der grenzüberschreitenden Umwandlung für den Wegzugsfall, in dem der Wegzugsstaat Probleme macht, nicht ohne Weiteres gezogen werden. In der Gesamtschau der Judikate des EuGH zur Niederlassungsfreiheit, insbesondere der Entscheidungen Daily Mail (Az.: 81/87), SEVIC, Cartesio (Az.: C-210/06) und VALE, liegt es freilich nahe, für den Wegzugsfall davon auszugehen, dass das Recht des Wegzugsstaates die grenzüberschreitende Umwandlung zulassen muss, soweit eine innerstaatliche Umwandlung möglich wäre.

 

  • Was für die tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung im Zuzugsstaat erforderlich ist, bleibt der EuGH schuldig und somit zukünftiger Präzisierung vorbehalten. Neben dem Satzungs- auch den Verwaltungssitz in den Zuzugsstaat zu verlegen, wie dies Voraussetzung für die grenzüberschreitende Sitzverlegung der Europäischen Aktiengesellschaft (SE) ist, dürfte freilich nicht erforderlich sein.

 

  • Schließlich statuiert der EuGH in „VALE“ ein Recht zur grenzüberschreitenden Umwandlung, ohne sich im Einzelnen damit auseinanderzusetzen, was unter einer grenzüberschreitenden Umwandlung konkret zu verstehen ist. Die italienische Gesellschaft wurde in dem der „VALE“-Entscheidung zugrundeliegenden Fall zunächst gelöscht und lediglich ihre Sitzverlegung nach Ungarn im italienischen Handelsregister vermerkt. Eine entsprechende liquidationslose Löschung von Gesellschaften ist deutschem Recht hingegen unbekannt bzw. nur als Formwechsel nach dem Umwandlungsgesetz durchführbar. Gerade wenn Wegzugs- und Aufnahmestaat Umwandlungen auf verschiedene Arten und Weisen strukturieren, können sich aus der in der Vorstellung des EuGH vorzunehmenden sukzessiven Anwendung der nationalen Rechte des Wegzugs- sowie des Zuzugsstaates somit Abstimmungsschwierigkeiten ergeben, die nicht zuletzt in enger Abstimmung mit den beteiligten Registergerichten zu lösen sind.

Um der grenzüberschreitenden Umwandlung auch in der Praxis zum Durchbruch zu verhelfen, bleibt die Schaffung eines einheitlichen Statuts zur grenzüberschreitenden Umwandlung/Sitzverlegung innerhalb der EU/des EWR daher äußerst wünschenswert.

Tags: EuGH Europäisches Gesellschaftsrecht grenzüberschreitende Umwandlung grenzüberschreitender Formwechsel Niederlassungsfreiheit