28. Februar 2023
Geschäftsgeheimnis Zivilprozess
Gewerblicher Rechtsschutz

Attraktiverer Zivilprozess durch mehr Geheimnisschutz?

Die Eckpunkte des BMJ zur Stärkung der Justiz in Wirtschaftsstreitigkeiten sehen überfällige Stärkung des Geschäftsgeheimnisschutzes im Zivilprozess vor.

Das Bundesministerium der Justiz (BMJ) möchte den Justizstandort Deutschland international stärken. In diesem Zusammenhang hat das BMJ am 16. Januar 2023 ein Eckpunktepapier zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten und zur Einführung von Commercial Courts veröffentlicht. Inhalt dieses Eckpunktepapiers ist ein Maßnahmenkatalog, der auf die Internationalisierung und Spezialisierung der Verfahren vor deutschen Gerichten unter Berücksichtigung der Bedürfnisse und Anforderungen der Wirtschaft ausgerichtet ist.

Vorgesehen ist bspw., dass die Länder für große Handelssachen sog. Commercial Courts, d.h. erstinstanzliche Spezialsenate bei ihren Oberlandesgerichten, einrichten können sollen. Daneben soll aber auch der Ausweitung des Schutzes von Geschäftsgeheimnissen im Zivilprozess ein besonderes Gewicht zukommen. 

Stoßrichtung des Eckpunktepapiers zum verfahrensrechtlichen Geschäftsgeheimnisschutz 

Das Eckpunktepapier des BMJ sieht zur Stärkung des verfahrensrechtlichen Geheimnisschutzes eine Ausweitung der Verfahrensregelungen nach dem Geschäftsgeheimnisschutzgesetz (GeschGehG) auf den gesamten Zivilprozess vor. Unter anderem soll der Schutz von Geschäftsgeheimnissen hierdurch auf den Zeitpunkt der Klageerhebung vorverlegt werden.

Als geheimhaltungsbedürftig eingestufte Informationen sollen außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens zudem nicht nur nicht offengelegt, sondern auch nicht genutzt werden dürfen.

Aktueller verfahrensrechtlicher Schutz von Geschäftsgeheimnissen nach GVG und ZPO

Bisher sieht das Gerichtsverfahrensgesetz (GVG) lediglich einen lückenhaften Schutz von Geschäftsgeheimnissen im Zivilprozess vor. Die entsprechenden Schutzmaßnahmen finden sich in §§ 172, 174 GVG und greifen nur punktuell. 

Nach §§ 174 Abs. 1, 172 Nr. 2 GVG kann das Gericht auf Antrag einer Partei bspw. die Öffentlichkeit vorübergehend von der Verhandlung ausschließen, wenn Gegenstand der mündlichen Verhandlung ein wichtiges Geschäftsgeheimnis ist, durch dessen öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen verletzt würden. 

Hat das Gericht die Öffentlichkeit nach §§ 174 Abs. 1, 172 Nr. 2 GVG ausgeschlossen, kann es gegenüber den dann noch anwesenden Personen gem. §§ 174 Abs. 3, 172 Nr. 2 GVG hinsichtlich solcher Tatsachen, die im Rahmen des nicht öffentlichen Teils der mündlichen Verhandlung erörtert wurden, eine über § 353d StGB strafbewehrte Geheimhaltungsverpflichtung anordnen. Damit aber greift eine derart angeordnete Geheimhaltungspflicht aus § 174 Abs. 3 GVG erst ab der mündlichen Verhandlung. Zwischen Klageeinreichung und einem etwaigen Termin zur mündlichen Verhandlung genießen Geschäftsgeheimnisse nach der aktuellen Fassung des GVG damit keinen verfahrensrechtlichen Schutz. Weitestgehend schutzlos gestellt sind Geschäftsgeheimnisse damit insbesondere in den Fällen, in denen sie nur bzw. jedenfalls zunächst schriftsätzlich vorgetragen oder als Beweismittel in den Prozess eingebracht werden. Angesichts der überragenden Bedeutung des schriftlichen Verfahrens im Zivilprozess bietet das GVG in Sachen verfahrensrechtlicher Absicherung von Geschäftsgeheimnissen mithin bereits in diesem Punkt eine offene Flanke. 

Die Anordnung der Geheimhaltung nach § 174 Abs. 3 GVG untersagt darüber hinaus aber auch lediglich eine Offenlegung der Geschäftsgeheimnisse, nicht jedoch deren Nutzung. Ein Konkurrent* etwa dürfte Geschäftsgeheimnisse, von denen er im Zuge eines Rechtsstreits Kenntnis erlangt, im Falle einer Geheimhaltungsanordnung lediglich nicht an Dritte weitergeben. An einer Verwertung der Geschäftsgeheimnisse des Geheimnisinhabers zu eigenen Zwecken wäre er infolge einer solchen Anordnung allerdings nicht gehindert. 

Und die Zivilprozessordnung trägt mit der Möglichkeit der Beschränkung der Akteneinsicht gem. § 299 Abs. 2 ZPO jedenfalls während des laufenden Verfahrens lediglich zu einem Geheimnisschutz Dritten bei, nicht hingegen zu einem wechselseitigen der beteiligten Parteien.

Angesichts der aufgezeigten Defizite des aktuellen Geheimnisschutzes hat die Rechtsprechung fehlende Geheimnisschutzmaßnahmen in der Vergangenheit daher teilweise mithilfe entsprechender Rechtsfortbildung etabliert. So bspw. in Form des von der Rechtsprechung für Patentstreitigkeiten entwickelten sog. Düsseldorfer Verfahrens. Dessen Schutzwirkung erstreckt sich allerdings nur auf die beklagte Partei und nicht auch auf den Kläger. Auch der durch derartige richterrechtliche Maßnahmen etablierte Geheimnisschutz bleibt damit partiell und vermag eine angemessene verfahrensrechtliche Absicherung von Geschäftsgeheimnissen folglich nicht zu ersetzten. 

Verfahrensrechtlicher Schutz von Geschäftsgeheimnissen nach dem GeschGehG

Diese Problematik hat der Gesetzgeber in der Vergangenheit bereits erkannt. Im Zuge der Auslagerung des Geschäftsgeheimnisschutzes aus dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) hat er daher die Vorschriften der §§ 16 ff. in das neue GeschGehG aufgenommen. 

Die §§ 16 ff. GeschGehG stellen den verfahrensrechtlichen Schutz von Geschäftsgeheimnissen dabei deutlich umfassender und bei niedrigeren Voraussetzungen sicher, als dies durch die aktuellen Regelungen des GVG und der ZPO der Fall ist. 

Nach § 16 GeschGehG kann das Gericht auf Antrag einer Partei streitgegenständliche Informationen nämlich ganz oder teilweise als geheimhaltungsbedürftig einstufen. Diese Möglichkeit besteht dabei schon dann, wenn eine streitgegenständliche Information ein Geschäftsgeheimnis sein kann. Ausreichend ist insofern eine Glaubhaftmachung. Damit stellt § 16 GeschGehG an das Eingreifen des verfahrensrechtlichen Geschäftsgeheimnisschutzes weitaus geringere Anforderungen als die §§ 174 Abs. 1, 172 Nr. 2 GVG mit ihrer Forderung nach einem wichtigen Geschäftsgeheimnis und der Verletzung schützenswerter Interessen.

Der Geheimnisschutz des § 16 Abs. 1 GeschGehG kann zudem deutlich früher greifen als derjenige des GVG. Denn maßgeblich ist insofern der Zeitpunkt einer entsprechenden Einstufungsentscheidung, wobei das Gericht die Geheimhaltungsbedürftigkeit einer Information bei einem entsprechenden Antrag bereits ab Anhängigkeit anordnen kann. 

Infolge einer Geheimhaltungsanordnung nach § 16 Abs. 1 GeschGehG müssen alle an der Geschäftsgeheimnisstreitsache beteiligten Personen (d.h. insbesondere die Parteien, aber auch Zeugen, Sachverständige, Prozessbevollmächtigte etc.) sowie Personen, die Zugang zu Dokumenten eines solchen Verfahrens haben, die als geheimhaltungsbedürftig eingestufte Informationen vertraulich behandeln. Sie dürfen diese Informationen außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens weder nutzen noch offenlegen. Auch in diesem Punkt geht der Schutz durch § 16 GeschGehG unverkennbar über denjenigen durch §§ 174 Abs. 1, 172 Nr. 2 GVG hinaus, die lediglich eine Offenlegung verbieten.

Auf Antrag einer Partei kann das Gericht sodann bei Zuwiderhandlungen gegen die Verpflichtungen nach § 16 Abs. 2 GeschGehG ein Ordnungsgeld von bis zu EUR 100.000 oder Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten festsetzen und sofort vollstrecken.

Dritten darf Akteneinsicht zudem nur gewährt werden, wenn die in den Akten enthaltenen Ausführungen zu Geschäftsgeheimnissen unkenntlich gemacht wurden. 

Auch die Verfahrensvorschriften des GeschGehG sehen mit § 19 GeschGehG zudem die Möglichkeit eines Ausschlusses der Öffentlichkeit sowie der Beschränkung des Zugangs auf eine bestimmte Anzahl zuverlässiger Personen vor. 

Unmittelbar gelten die §§ 16 ff. GeschGehG allerdings nur für Geschäftsgeheimnisstreitsachen., d.h. für Klagen, durch die Ansprüche nach dem Geschäftsgeheimnisgesetz geltend gemacht werden. Ob eine analoge Anwendung der §§ 16 ff. GeschGehG auf andere Zivilverfahren möglich ist, ist dabei umstritten. Für eine solche Analogie spricht die vergleichbare Interessenlage, denn Geschäftsgeheimnisse sind in Geschäftsgeheimnisstreitsachen und anderen Zivilverfahren gleichermaßen schutzbedürftig und auch schutzwürdig. Gegen eine analoge Anwendung der §§ 16 ff. GeschGehG auf andere Zivilverfahren spricht hingegen, dass es insoweit an einer planwidrigen Regelungslücke fehlen könnte. Denn obwohl im Gesetzgebungsverfahren angeregt wurde, die Regelungen der §§ 16 ff. GeschGehG auch für andere Verfahren zugänglich zu machen, hat der Gesetzgeber dies nicht explizit aufgegriffen. 

Rechtssicher gefüllt hat der Gesetzgeber die beschriebenen Lücken des verfahrensrechtlichen Geschäftsgeheimnisschutzes damit lediglich für Geschäftsgeheimnisstreitsachen. 

Erforderlichkeit der Ausweitung des verfahrensrechtlichen Schutzes von Geschäftsgeheimnissen 

Die mit dem Eckpunktepapier des BMJ angekündigte Ausweitung des Schutzes von Geschäftsgeheimnissen im Zivilprozess ist angesichts dessen begrüßenswert und dürfte auch spürbar zur Attraktivität des Justizstandortes Deutschland beitragen. Handlungsbedarf besteht angesichts der aktuellen Rechtsunsicherheit in jedem Fall. 

*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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