Eine häufig übersehene Änderung ergibt sich insbesondere für das Erschöpfungsregime – ein Überblick.
Zum 1. Januar 2021 wurde der Brexit endgültig vollzogen. Bis dahin galt das Unionsrecht im Vereinigten Königreich fort. Produkte, an denen gewerbliche Schutzrechte bestehen, konnten aufgrund des Erschöpfungsgrundsatzes aus UK in die übrigen EU- und EWR-Staaten verbracht werden, ohne Marken-, Urheber-, Patent- oder andere Schutzrechte zu verletzen. Doch was gilt nun und in Zukunft?
Grundsätzlich gilt eine EWR-weite Erschöpfung von Immaterialgüterrechten
Immaterialgüterrechte, wie zum Beispiel das Urheberrecht, das Marken-, Designrecht oder das Patentrecht gewähren dem Inhaber ein ausschließliches Recht, über das Inverkehrbringen einer geschützten Ware zu bestimmen. Der Erschöpfungsgrundsatz besagt, dass der Rechteinhaber eine einmal erteilte Zustimmung zum Inverkehrbringen der konkret geschützten Ware im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) nicht mehr widerrufen kann: Ist die Ware einmal vom Inhaber oder mit seiner Zustimmung auf den Markt gebracht, kann dieser die Weiterverbreitung nicht mehr untersagen.
Als Folge darf die geschützte Ware (die beispielsweise die Marke des Herstellers trägt) auch ohne Zustimmung des Rechteinhabers weiterverkauft und damit auch in ein anderes Land innerhalb des EWRs eingeführt werden.
Brexit: Während des Übergangszeitraums gilt EWR-weite Erschöpfung fort
Mit Wirkung zum 1. Februar 2020 trat das Vereinigte Königreich aus der EU aus. Das Austrittsabkommen von Oktober 2019 sah zunächst einen Übergangszeitraum vor, der am 31. Dezember 2020 endete. Während dieses Zeitraums galt das Unionsrecht im Vereinigten Königreich fort (Art. 127(1) des Austrittsabkommens). Markenrechtlich blieb es zunächst beim Grundsatz der regionalen Erschöpfung. Waren, die vor dem 1. Januar 2021 in UK vom Rechteinhaber oder mit seiner Zustimmung in Verkehr gebracht wurden, galten weiterhin auch im Rest der EU als erschöpft.
Dabei bleibt es auch: Art. 61 des Austrittsabkommens sieht ausdrücklich vor, dass Rechte des geistigen Eigentums, die während des Übergangszeitraums, d.h. zwischen dem 1. Februar 2020 und vor dem 1. Januar 2021 sowohl in der Union als auch im Vereinigten Königreich erschöpft waren, sowohl in der Union als auch im Vereinigten Königreich erschöpft bleiben. Diese Regelung war auch erforderlich, denn grundsätzlich gilt: Erfolgt das erste Inverkehrbringen in einem Land außerhalb der EU/des EWR, ist ein Import in die EU/den EWR ohne Zustimmung des Rechteinhabers nicht erlaubt.
Weitere Regelung des Erschöpfungsregimes lässt auf sich warten
Doch welche Änderungen ergeben sich mit dem Ablauf der Übergangsperiode zum 1. Januar 2021, dem sogenannten „Exit“ oder „Stichtag“?
Fest steht: Die EU-Vorschriften zum freien Warenverkehr finden keine Anwendung mehr in Bezug auf das Vereinigte Königreich. Der zum. 1. Januar 2021 in Kraft getretene Partnerschaftsvertrag zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich hat die Erschöpfungsfrage bewusst offengelassen und den Vertragsparteien diesbezüglich in Artikel IP 5 Gestaltungsfreiheit eingeräumt.
Der britische Gesetzgeber hat vorläufig die „Intellectual Property (Exhaustion of Rights) (EU Exit) Regulations 2019“ eingeführt. Eine langfristige Regelung des Erschöpfungsregimes wurde für Anfang 2021 angekündigt, bislang aber noch nicht veröffentlicht. Auf Seiten der Europäischen Union wurde bislang nur die jetzige Rechtslage bekanntgegeben – ob die EU diese in Zukunft ändern oder mit dem Vereinigten Königreich über eine bilaterale Erschöpfungsregelung verhandeln wird, ist derzeit nicht bekannt.
Vorerst gilt eine „asymmetrische regionale Erschöpfung“
Immaterialgüterrechte an Waren, die ab dem 1. Januar 2021 durch den Rechteinhaber oder mit dessen Zustimmung auf den EU- bzw. EWR-Markt gebracht werden, gelten im Vereinigten Königreich weiterhin als erschöpft.
Umgekehrt können Waren, die nach der Übergangszeit vom Rechteinhaber oder mit dessen Zustimmung auf den britischen Markt gebracht werden, nicht mehr als in der EU erschöpft angesehen werden. Importe aus dem Vereinigten Königreich in die EU gelten nunmehr als Drittlandimporte. Unternehmen, die immaterialgüterrechtlich geschützte Waren aus dem Vereinigten Königreich in den EWR importieren, werden daher nun die Zustimmung des Rechteinhabers für den (Weiter-)Vertrieb benötigen.
Rechteinhaber sollten den Vertrieb ihrer Ware im Blick behalten, Händler sollten ihre Geschäftsvereinbarungen und Lieferketten überprüfen
Die gemeinschaftsweite Erschöpfung als eines der Kernelemente innerhalb des europäischen Wirtschaftsverkehrs entfällt nun für Waren, die aus dem Vereinigten Königreich stammen. Ein Inverkehrbringen im Vereinigten Königreich bewirkt keine Erschöpfung im EWR.
Vor diesem Hintergrund sollten Händler ihre Geschäftsvereinbarungen, ihre Geschäftsmodelle und Lieferketten genaustens überprüfen. Die Rechteinhaber sollten wiederum überprüfen, ob ihre Ware für den UK-Markt bestimmt war oder (auch) für die EU bzw. den EWR. Sollte dies nicht der Fall sein, können sie den Weitervertrieb untersagen und entsprechende Ansprüche wegen einer Schutzrechtsverletzung geltend machen.
Unklar ist, welche wirtschaftlichen Auswirkungen diese Handelsbarriere langfristig haben wird. Denn das asymmetrische Modell scheint britische Händler gegenüber den im EWR ansässigen Händlern einseitig zu begünstigen. So sind Parallelimporte aus dem EWR in das Vereinigte Königreich vom Brexit faktisch nicht betroffen.