BVerwG: Die Begriffsdefinition für Geschäftsgeheimnisse aus § 2 Nr. 1 GeschGehG kann auch im Anwendungsbereich des Verwaltungsrechts herangezogen werden.
Seit Inkrafttreten des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) im April 2019 existiert mit § 2 Nr. 1 GeschGehG erstmals eine gesetzliche Definition des Geschäftsgeheimnisbegriffs. Demnach muss der Inhaber einer schützenswerten Information insbesondere „angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen″ ergreifen, damit ein Geschäftsgeheimnis vorliegt und gesetzliche Ansprüche bestehen. Trifft der Inhaber keine „angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen″ (wie z.B. Geheimhaltungsvereinbarungen, Zugangsbeschränkungen und Verschlüsselungsmaßnahmen), liegt auch kein Geschäftsgeheimnis vor und er hat keine Handhabe gegen Datendiebe und Betriebsspione. Im Vergleich zur alten Rechtslage ist dies eine grundsätzliche Neuerung, die erheblichen Handlungsbedarf mit sich brachte.
Spätestens seit Inkrafttreten des GeschGehG stellt sich die Frage, ob die neue Geheimnisdefinition auch in anderen Rechtsgebieten anzuwenden ist, wenn von Geschäftsgeheimnissen die Rede ist. Diese Frage wird auch in der Literatur kontrovers diskutiert. Mit der Antwort dieser Frage entscheidet sich, ob auch der zuvor angesprochene erhebliche Handlungsbedarf besteht, wenn es um eben diese anderen Rechtsgebiete geht.
Geheimnisdefinition im Verwaltungsrecht
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat sich im März diesen Jahres in einem Beschluss im Hinblick auf das Gesetz zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes (IFG) und die Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) erstmals – zumindest indirekt – zu dieser Frage geäußert (BVerwG, Beschluss v. 5. März 2020 – 20 F 3/19).
Das BVerwG hatte darüber zu entscheiden, ob in einem Verwaltungsverfahren eines Dritten gegen eine Behörde gem. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO Ausschnitte bestimmter Unterlagen eines anderen privaten Unternehmens geheimhaltungsbedürftig sind. Wäre dies der Fall, dürften vertrauliche Teile der Unterlagen vor der Herausgabe an das Gericht und Verfahrensbeteiligte geschwärzt oder die Herausgabe durch die Behörde sogar vollständig verweigert werden.
Ausgangspunkt war dabei die gefestigte Rechtsprechung des BVerwG, dass Geschäftsgeheimnisse privater Unternehmen – vor dem Hintergrund der Gewährleistung des grundrechtlichen Schutzes durch die Artt. 12 Abs. 1 (Berufsausübungsfreiheit) und 14 Abs. 1 (Eigentumsgarantie) des Grundgesetzes (GG) – geheimhaltungsbedürftige Informationen im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO darstellen können.
Bisherige Definition des Geschäftsgeheimnisses des BVerfG
Bei der Beurteilung der Frage, ob es sich bei den konkreten technischen Informationen um Geschäftsgeheimnisse eines Dritten handelt, war die Vorinstanz, das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg, noch von der verwaltungsgerichtlich entwickelten Definition des Geschäftsgeheimnisses ausgegangen. Inhaltlich orientiert sich diese an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Artt. 12 und 14 GG.
Danach seien Geschäftsgeheimnisse auf ein Unternehmen bezogene Tatsachen, Umstände und Vorgänge, die nicht offenkundig sind. Daneben setzte ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis ein berechtigtes Interesse des Unternehmens an deren Geheimhaltung voraus. Ein solches Interesse bestehe, wenn die Offenlegung der Informationen geeignet sei, exklusives technisches oder kaufmännisches Wissen den Marktkonkurrenten zugänglich zu machen und so die Wettbewerbsposition des Unternehmens nachteilig zu beeinflussen (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss v. 24. April 2019 – 14 PS 4/19).
Auf die neue einfachgesetzliche Begriffsdefinition im GeschGehG, die zwei Tage nach dem Beschluss in Kraft trat, konnte das OVG in seiner Begründung noch nicht eingehen.
Richtlinienkonforme Auslegung von einfachgesetzlichen Normen anderer Rechtsgebiete
Grundsätzlich ist der in § 1 Abs. 1 GeschGehG geregelte Anwendungsbereich des GeschGehG für den privatrechtlichen Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor unerlaubter Erlangung, Nutzung und Offenlegung in einem verwaltungsrechtlichen Fall nicht eröffnet. Nach § 1 Abs. 2 GeschGehG gehen öffentlich-rechtliche Vorschriften, die wie § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen dienen, den Regelungen des GeschGehG vor.
Dies bedeutet aber erst einmal nicht, dass die Begriffsdefinition des § 2 Nr. 1 GeschGehG nicht auch in anderen Rechtsgebieten, wie hier z.B. im öffentlichen Recht, anwendbar sein kann. Für eine solche Anwendbarkeit sind grundsätzlich zwei Fälle denkbar: (1) die ausdrückliche Bezugnahme in Vorschriften (z.B. „Geschäftsgeheimnis im Sinne von § 2 Nr. 1 GeschGehG″) und (2) die Erklärung der Anwendbarkeit des neuen Geheimnisbegriffs durch die Rechtsprechung.
Anwendbarkeit der Definition des GeschGehG für den Bereich des IFG und der VwGO
In seiner Entscheidung griff das BVerwG im Rahmen der verwaltungsrechtlichen Vorschriften auf die Definition des § 2 Nr. 1 GeschGehG zurück und erklärte somit indirekt die Anwendbarkeit des neuen Geheimnisbegriffs für den Bereich des IFGs und der VwGO, ohne sich aber ausdrücklich mit dieser Anwendbarkeit und entsprechenden Gründen zu beschäftigen:
Die vergangene Rechtsprechung des BVerwG im Hinblick auf den Schutz von geheimhaltungsbedürftigen Unterlagen aus Verwaltungsverfahren sei zukünftig so zu verstehen, dass Geschäftsgeheimnisse Informationen seien, die weder insgesamt noch in der genauen Anordnung und Zusammensetzung ihrer Bestandteile den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Informationen umgehen, allgemein bekannt oder ohne Weiteres zugänglich seien und daher von wirtschaftlichem Wert seien. Neben dem Mangel an Offenkundigkeit der zugrunde liegenden Informationen setze ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis ein berechtigtes Interesse des Unternehmens an deren Nichtverbreitung voraus (dies entspricht § 2 Nr. 1 Buchst. c GeschGehG).
Ein solches Interesse bestehe, wenn die Offenlegung der Informationen geeignet sei, exklusives technisches oder kaufmännisches Wissen den Marktkonkurrenten zugänglich zu machen und so die Wettbewerbsposition des Unternehmens nachteilig zu beeinflussen.
Schutzzweck des Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses sei in erster Linie die Verteidigung der wirtschaftlichen Stellung des Betroffenen gegenüber den Marktkonkurrenten. Erforderlich sei demnach eine Wettbewerbsrelevanz der offenzulegenden Unterlagen, die darin zum Ausdruck kommen muss, dass die Information Gegenstand von den Umständen nach angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen durch ihren rechtmäßigen Inhaber sei (§ 2 Nr. 1 Buchst. b GeschGehG).
Damit wendet das BVerwG den neuen Geheimnisbegriff aus § 2 Nr. 1 GeschGehG an, ohne zu den Gründen der Anwendbarkeit Stellung zu nehmen.
Rechtsdogmatisch könnte man dies als eine richtlinienkonforme Auslegung der Verwaltungsvorschriften, die sich auf Geschäftsgeheimnisse beziehen, nach der Know-how-Schutz-Richtlinie ansehen. Ob dies aber tatsächlich die maßgebliche Überlegung des BVerwG bei seiner Entscheidung war oder das Bundesverwaltungsgericht eine eigene richterrechtliche Auslegung des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO vornahm, kommt in der Entscheidung nicht zum Ausdruck. Aufgrund der kontroversen Diskussionen zu dem Thema wäre dies aber wünschenswert gewesen.
Anforderung der „angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen″ durch den Geheimnisinhaber
Das BVerwG nimmt zu der Anforderung der „angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen″ aus § 2 Abs. 1 GeschGehG und den erforderlichen Ausgestaltungen keine Stellung. Das BVerwG bemerkt hierzu nur beiläufig, der Geheimnisinhaber habe die technischen Unterlagen – abgesehen von der Vorlage bei der Behörde in dem Verwaltungsverfahren – „unter Verschluss gehalten″. Zumindest lässt sich dieser relativ oberflächlichen Feststellung aber entnehmen, dass das BVerwG dazu tendieren könnte, keine allzu hohen Anforderungen an das Vorliegen „angemessener Geheimhaltungsmaßnahmen″ und deren Nachweis durch den Geschäftsgeheimnisinhaber zu stellen.
Kein Zweifel an Verfassungsgemäßheit der Definition des § 2 Nr. 1 GeschGehG
Als implizite Aussage lässt sich der Entscheidung des BVerwG allerdings aufgrund der kommentarlosen Übernahme des Geheimnisbegriffs aus § 2 Nr. 1 GeschGehG entnehmen, dass – auch vor dem Hintergrund der kritisierbaren, weil vagen Voraussetzung „angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen″ – wohl keine verfassungsrechtliche Bedenken an dieser Voraussetzung gesehen werden. Dies gilt sowohl im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot als auch in Bezug auf die konkret in Rede stehenden Grundrechte der Artt. 12 Abs. 1 GG (Berufsausübungsfreiheit) und 14 Abs. 1 GG (Eigentumsgarantie), deren Schutz durch den Gesetzgeber (u.a. durch das GeschGehG) zu gewährleisten ist.
Übertragbarkeit auf anderer Rechtsgebiete
Selbstverständlich bedeutet die Entscheidung keine generelle Übertragbarkeit der Anwendbarkeit des Geheimnisbegriffs aus dem GeschGehG auf andere Rechtsgebiete, selbst wenn es nur um Rechtsgebiete im öffentlichen Recht geht. Auch wenn das Argument der Einzelfallentscheidung herangezogen werden könnte, ist es sicherlich nicht verkehrt, zunächst einmal von der Anwendbarkeit des neuen Geheimnisbegriffs auch im Bereich des IFG und der VwGO auszugehen. Ein Gleichlauf der anderen Rechtsgebiete und damit das Entstehen eines „universellen″ Geheimnisbegriffs wäre nicht zuletzt aus Gründen der Klarheit und Einheitlichkeit wünschenswert.