Welche hanfhaltigen Lebensmittel nach Auffassung von Industrie, Bund und Justiz verkehrsfähig, welche problematisch und welche eindeutig verboten sind.
Die Frage nach der Verkehrsfähigkeit hanfhaltiger Lebensmittel ist auch im Jahre 2020 nach wie vor aktuell: Cannabishaltige Lebensmittel waren in der ersten Hälfte des Jahres Gegenstand von DPA-Meldungen und Zeitungsartikeln sowie von verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen. Zudem soll die Europäische Kommission in den kommenden Monaten über ein seit Jahren anhängiges Verfahren entscheiden, mit dem ein tschechisches Unternehmen die Zulassung von dem in Hanf natürlich vorkommenden Cannabidiol (CBD) als Novel Food begehrt.
Diese Entscheidung könnte die Frage nach der Verkehrsfähigkeit vieler bereits im Umlauf befindlicher CBD-Produkte klären. Doch wie ist die Verkehrsfähigkeit von CBD-Produkten und anderen hanfhaltigen Lebensmittel derzeit zu beurteilen?
Bei THC-haltigen Lebensmitteln ist vor allem das BtMG zu beachten
THC (Tetrahydrocannabinol) zählt, ebenso wie CBD, zu den in Cannabis in verschiedenen Formen enthaltenen Cannabinoiden und ist bekannt für seine berauschende Wirkung.
Für Lebensmittel, die THC-haltige Pflanzen und Pflanzenteile enthalten, ist die Rechtslage vergleichsweise klar: Weisen die verarbeiteten Pflanzenteile einen THC-Gehalt über 0,2% auf, sind die sie enthaltenen Lebensmittel jedenfalls nach dem Betäubungsmittelgesetzt nicht verkehrsfähig. Aber auch unterhalb dieses Grenzwertes ist die Verkehrsfähigkeit nicht generell gegeben, sondern muss weiteren Voraussetzungen, v.a. des BtMG oder der Novel-Food-Verordnung (EU) 2015/2283 (Novel-Food-VO), genügen.
Bei CBD-haltigen Lebensmitteln ist insbesondere die Novel-Food-VO zu beachten
Schwieriger stellt sich die Rechtslage in Bezug auf CBD-haltige Lebensmittel dar. Anders als THC wirkt CBD nicht psychoaktiv; ihm wird aber eine entkrampfende, angstlösende oder entzündungshemmende Wirkung nachgesagt. Im Fokus der rechtlichen Beurteilung steht nicht etwa – wie bei THC – das Betäubungsmittel-, sondern vielmehr das Lebensmittelrecht, insbesondere die Novel-Food-VO.
Nach der Novel-Food-VO dürfen neuartige Lebensmittel nur dann in Verkehr gebracht werden, wenn sie in einem (langwierigen) Verfahren von der EU-Kommission zugelassen wurden. Neuartig ist ein Lebensmittel grundsätzlich dann, wenn es nicht bereits vor dem 15. Mai 1997 in nennenswertem Umfang in der EU für den menschlichen Verzehr verwendet wurde. Eine Orientierungshilfe bei der Bestimmung der Neuartigkeit gibt der sog. Novel-Food-Katalog der EU-Kommission, in dem für bestimmte Lebensmittel(gruppen) Hinweise zur Bestimmung der Neuartigkeit angeführt werden.
Mit Blick auf hanfhaltige Lebensmittel stellt der Novel-Food-Katalog in einem bereits älteren Eintrag zur Hanfpflanze als solcher unter dem Titel „Cannabis sativa L.“ fest:
In der Europäischen Union ist der Anbau von Cannabis sativa L.-Sorten zulässig, sofern sie im Gemeinsamen Sortenkatalog für landwirtschaftliche Pflanzenarten der EU (‘Common Catalogue of Varieties of Agricultural Plant Species‘) eingetragen sind und der Tetrahydrocannabinol (THC)-Gehalt nicht mehr als 0,2 % (w/w) beträgt. Einige Produkte, die aus der Cannabis sativa-Pflanze oder Pflanzenteilen gewonnen werden, wie Hanfsamen, Hanfsamenöl, Hanfsamenmehl, entfettete Hanfsamen, haben eine Verwendungsgeschichte als Lebensmittel in der EU und sind daher nicht neuartig. […]
Im Januar 2019 kam es zu einer für hanfhaltige Lebensmittel bedeutenden Ergänzung des Katalogs. Folgender Eintrag wurde unter der Überschrift „Cannabinoids“ hinzugefügt:
Die Hanfpflanze (Cannabis sativa L.) enthält eine Reihe von Cannabinoiden und die häufigsten sind folgende: […] Cannabidiol (CBD), […]. Unbeschadet der Informationen, die im Katalog für neuartige Lebensmittel für den Eintrag zu Cannabis sativa L. bereitgestellt werden, gelten Extrakte von Cannabis sativa L. und daraus abgeleitete Produkte, die Cannabinoide enthalten, als neuartige Lebensmittel, da eine Vorgeschichte des Konsums nicht nachgewiesen wurde. Dies gilt sowohl für die Extrakte selbst als auch für alle Produkte, denen sie als Zutat zugesetzt werden (z.B. Hanfsamenöl). Dies gilt auch für Extrakte aus anderen Pflanzen, die Cannabinoide enthalten. Synthetisch gewonnene Cannabinoide werden als neuartig angesehen.
Neuartigkeit von CBD-Extrakten und damit versetzten Lebensmitteln?
Vor allem dieser neue Eintrag des Novel-Food-Katalogs ist Gegenstand verschiedenster Interpretationen mit Blick auf die Frage geworden, ob CBD-Extrakte bzw. mit solchen Extrakten versetzte Lebensmittel neuartig und bis zu einer ausdrücklichen Zulassung durch die EU-Kommission nicht verkehrsfähig sind:
- Industrie: Die hanfverarbeitende Industrie, d.h. insbesondere die European Industrial Hemp Association (EIHA), nimmt einen liberalen Standpunkt ein. Danach sei der jüngere Eintrag des Novel-Food-Katalogs eng auszulegen, sodass dieser sich nur auf Cannabis-Extrakte beziehe, deren CBD-Gehalt im Vergleich zur CBD-Menge, die natürlicherweise in der Hanfpflanze enthalten ist, höher sei. Lebensmittel mit einem niedrigeren CBD-Gehalt wären demnach nicht als neuartig zu qualifizieren, selbst wenn es sich dabei um CBD-Extrakte handelt oder ihnen CBS-Extrakte zugesetzt wurden.
- Bundesregierung und BVL: Anders sehen dies jedoch sowohl die Bundesregierung als auch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL). Danach sei kein Beleg für einen nennenswerten Verzehr von CBD-Extrakten und damit versetzten Lebensmitteln vor dem Stichtag im Jahr 1997 festzustellen – demzufolge wären die betreffenden Lebensmittel als neuartig zu qualifizieren und mangels ausdrücklicher Zulassung nicht verkehrsfähig. Aus dem älteren Eintrag im Novel-Food-Katalog ergebe sich nicht, dass sämtliche Erzeugnisse der Hanfpflanze verkehrsfähig wären.
- Rechtsprechung und Behörden: Auch die Rechtsprechung und Behördenpraxis geht von einer Neuartigkeit von CBD-Extrakten und damit versetzten Lebensmitteln aus. So wurde von mehreren Verwaltungsgerichten mit CBD angereichertes Hanfsamenöl als neuartig eingestuft (VGH Mannheim, Beschluss vom 16. Oktober 2019 – 9 S 535/19 und OVG Lüneburg, Beschluss vom 12. Dezember 2019 – 13 ME 320/19).
Jedenfalls aufgrund dieser Rechtsprechung und Behördenpraxis ist die Verkehrsfähigkeit sowohl von CBD-Extrakten selbst als auch von damit versetzten Lebensmitteln erheblich in Frage gestellt. Nach Ansicht der Gerichte führt offensichtlich allein die Anreicherung mit CBD zur Neuartigkeit des Endprodukts. - Anhängiges Verfahren bei der EU-Kommission: Ein Blick nach Brüssel macht jedoch Hoffnung: Lässt die EU-Kommission in dem anhängigen Verfahren, das auf dem Antrag eines tschechischen Unternehmens beruht, die Zulassung von dem in Hanf natürlich vorkommenden Cannabidiol (CBD) als Novel Food zu, so könnte damit schlagartig die Verkehrsfähigkeit vieler CBD-Produkte zu bejahen und die zuvor aufgezeigte Rechtsprechung und Behördenpraxis hinfällig sein.
Andere Lebensmittel, die zwar (von Natur aus) CBD enthalten, aber selbst keine CBD-Extrakte darstellen und auch nicht mit solchen versetzt wurden
Doch auch ohne Zulassungsentscheidung aus Brüssel sollte man CBD-haltige Lebensmittel nicht gänzlich aufgeben. Denn zumindest auf CBD, das nicht im Wege einer Extraktion gewonnen wurde, sondern natürlicherweise in einer Lebensmittelzutat enthalten ist (z.B. Teemischung mit Hanfblättern), sind die vorgenannten Entscheidungen deutscher Gerichte nicht zwangsläufig übertragbar.
Zwar scheint das BVL die Auffassung zu vertreten, dass auch CBD-haltige Erzeugnisse – unabhängig davon, ob sie das CBD von Natur aus aufweisen oder hiermit versetzt wurden – generell neuartig sind. Jedoch findet diese pauschale Einstufung bisher keine Bestätigung in der Rechtsprechung. Zumindest wenn sich im Einzelfall eine sichere Verwendungsgeschichte des Erzeugnisses vor 1997 nachweisen lässt, dürfte das Lebensmittel nach der Novel-Food-VO verkehrsfähig sein.
Weniger Probleme bei bestimmten hanfhaltigen Lebensmitteln ohne Cannabinoide
Auch für cannabishaltige Lebensmittel ohne CBD ist die Neuartigkeit und Verkehrsfähigkeit im Einzelfall zu überprüfen.
Für Lebensmittel, die kein CBD, aber andere Cannabinoide enthalten, dürfte grundsätzlich das zu CBD Ausgeführte entsprechend gelten: Bei zugesetzten Extrakten ist damit zu rechnen, dass Behörden und Gerichte eine Verkehrsfähigkeit (vorerst) verneinen. Bei einem natürlichen Vorkommen von Cannabinoiden ist dies weniger wahrscheinlicher.
Als weniger problematisch erweist sich die Verwendung von Hanfsamen, Hanfsamenöl, Hanfsamenmehl und entfetteten Hanfsamen, sofern diese keine Cannabinoide enthalten. Doch auch hier kommt es letztlich auf die konkrete Zusammensetzung des Lebensmittels an.
Frühzeitiges Problembewusstsein verringert das Risiko kostspieliger Konsequenzen
Hinsichtlich der Verkehrsfähigkeit von hanfhaltigen Produkten lassen sich damit nach derzeitigem Stand folgende Orientierungssätze ausmachen (für weitere Details siehe auch Kiefer, Die Verkehrsfähigkeit hanfhaltiger Lebensmittel, ZLR 2020, S. 158-170):
- Unzulässig (so dass das Motto „Legalize it“ greifen mag):
- sind hanfhaltige Lebensmittel, die eine hanfhaltige Zutat mit einem THC-Gehalt von mehr als 0,2% aufweisen;
- dürften ebenfalls hanfhaltige Lebensmittel sein, die entweder selbst CBD-Extrakte darstellen oder mit solchen versetzt wurden und nicht bereits ausdrücklich zugelassen sind.
- Möglicherweise schon erlaubt:
- Gute Chancen für eine bereits bestehende Verkehrsfähigkeit bestehen hingegen, abhängig von der konkreten Zusammensetzung des Lebensmittels, bei Hanfsamen, Hanfsamenöl, Hanfsamenmehl und entfetteten Hanfsamen, sofern diese keine Cannabinoide enthalten.
Nichtsdestotrotz müssen Produzenten und Hersteller stets eine Prüfung der Verkehrsfähigkeit ihrer Produkte im Einzelfall vornehmen, um bei Inverkehrbringen eines neuartigen, nicht zugelassenen Lebensmittels (wozu nach derzeitigem Stand ein Großteil der CBD-Produkte zählen dürfte) nicht ein behördliches Vorgehen mit empfindlichen Bußgeldern zu riskieren.
Vergegenwärtigen sich die an der Produktentwicklung beteiligten Akteure frühzeitig die bestehenden rechtlichen Unwägbarkeiten, bleibt Spielraum für wichtige Weichenstellungen im Entwicklungsprozess und zur Vermeidung von kostenintensiven Rückrufen, Produktbeschlagnahmen und Gerichtsprozessen.
Bei Lebensmitteln, die bereits Gegenstand von Gerichts- oder Behördenverfahren sind, kommt es regelmäßig auf die Nachweisbarkeit einer Verwendungsgeschichte des Produkts an. Auch für CBD-Produkte, für die nach der Rechtsprechung weniger gute Chancen bestehen, kann durch den Nachweis einer solchen Verwendungsgeschichte im Einzelfall auf eine positive Entscheidung hingewirkt werden.
Update: EU positioniert sich gegen CBD
Zwischenzeitlich hat die EU-Kommission eine Stellungnahme verlauten lassen.