Der Referentenentwurf für ein zweites Patentrechtsmodernisierungsgesetz normiert eine Verhältnismäßigkeitsprüfung beim patentrechtlichen Unterlassungsanspruch.
Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) hat am 1. September 2020 den Referentenentwurf für ein zweites Gesetz zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts vorgelegt. Der Referentenentwurf folgt einem ersten Diskussionsentwurf, der bereits im Januar 2020 veröffentlicht und seither viel diskutiert wurde.
Wichtigster Bestandteil ist die gesetzliche Normierung einer sog. „Verhältnismäßigkeitsprüfung″ im Rahmen des Unterlassungsanspruchs des Patentinhabers nach § 139 PatG.
Verletzung eines einzigen Patents kann Herstellung und Vertrieb einer gesamten Produktserie lahmlegen
Der bisherige Gesetzeswortlaut des § 139 PatG sieht vor, dass der Inhaber eines Patents, das ohne seine Zustimmung von einem Dritten benutzt wird, von dem Dritten die Unterlassung der Patentbenutzung verlangen kann. Patentverletzende Produkte müssen im Fall der (vorläufigen) Vollstreckung eines solchen Unterlassungstitels vom Markt genommen werden.
Im Zuge des technologischen Fortschritts werden Produkte jedoch immer komplexer, während der Gegenstand heutiger Patente oft nur kleinste technische Aspekte betrifft. Die Anzahl der Patente, die bei Herstellung und Vertrieb etwa eines Mobiltelefons benutzt werden, wird auf mehrere Tausend geschätzt. Durch die fortschreitende Digitalisierung betrifft dieses Phänomen aber seit einigen Jahren zunehmend auch andere Branchen, wie beispielsweise die Automobilhersteller.
Vor diesem Hintergrund werden insbesondere im Automobil- und Mobilfunksektor seit einigen Jahren Patentverletzungsverfahren vor deutschen Gerichten geführt, bei denen auf Grundlage eines einzelnen, lediglich ein kleines technisches Detail schützenden Patents Verkaufsverbote für ganze Produktserien drohen. Bei den Patentstreitkammern der Landgerichte Düsseldorf, Mannheim und München sind beispielsweise zahlreiche Verfahren gegen internationale Autohersteller anhängig, die allgemein unter dem Schlagwort „Connected Cars Disputes″ bekannt wurden und in denen die Klageanträge im Ergebnis zu weitgehenden Herstellungs- und Verkaufsverboten für die streitgegenständlichen Auto-Modelle führen könnten.
Patent-Verletzungsverfahren und Rechtsbestandsverfahren verlaufen getrennt
Diese für die Beklagtenseite prekäre Situation wird dadurch verschärft, dass insbesondere sog. „Patentverwerter″ oftmals Patente geltend machen, die in ihren Rechtsbestand zweifelhaft sind.
Zwar steht es dem vermeintlichen Patentverletzer frei, seinerseits den Rechtsbestand der gegen ihn geltend gemachten Patente anzugreifen. Im Gegensatz zu anderen Rechtsordnungen sieht das deutsche Patentprozessrecht aber vor, dass über den Rechtsbestand eines Patents in einem vom Verletzungsverfahren getrennten Rechtsbestandsverfahren entschieden wird, das in aller Regel eine deutlich längere Verfahrenslaufzeit hat, als das erstinstanzliche Verletzungsverfahren.
In der Praxis kommt es daher in den meisten Fällen zu der Situation, dass zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung des Verletzungsgerichts über den finalen Rechtsbestand des Klagepatents Unklarheit herrscht.
Verhältnismäßigkeitsprüfung nach aktuellem Recht
In der Praxis kam vermehrt die Frage auf, inwieweit es mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar ist, aufgrund der unerlaubten Benutzung eines einzelnen Patents eine weitgehende Unterlassungsanordnung zu erlassen, auch wenn im Einzelfall dessen Rechtsbestand unklar ist und/oder und die Bedeutung des benutzten Patents gering sein mag.
Der Bundesgerichtshof hat hierzu bereits 2016 in der Entscheidung „Wärmetauscher″ (Urteil v. 10. Mai 2016 – X ZR 114/13) festgestellt, dass im Einzelfall eine gerichtliche Unterlassungsverfügung im Falle der Patentverletzung ausnahmsweise eingeschränkt werden könne. Die sofortige Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs des Patentinhabers müsse hierfür auch unter Berücksichtigung seiner Interessen gegenüber dem Patentverletzer eine unverhältnismäßige Härte darstellen und daher treuwidrig sein. Die Entscheidung bezog sich dabei aber allein auf die Einräumung einer sog. „Aufbrauchfrist″.
Nach geltendem Recht ist damit ausnahmsweise eine Einschränkung des Unterlassungsanspruchs aus Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten möglich. In der Praxis wird – wie auch in der BGH-Entscheidung – von dieser Ausnahme bislang so gut wie kein Gebrauch gemacht.
Vorschlag im Referentenentwurf zur Ergänzung des § 139 PatG um Verhältnismäßigkeitsprüfung
Der Referentenentwurf schlägt vor, einen Ausschluss des Unterlassungsanspruchs aus Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten gesetzlich festzuschreiben. § 139 PatG soll um folgenden Zusatz ergänzt werden:
Der Anspruch ist ausgeschlossen, soweit die Erfüllung aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles für den Verletzer oder Dritte zu unverhältnismäßigen, durch das Ausschließlichkeitsrecht nicht gerechtfertigten Nachteilen führen würde. In diesem Fall kann der Verletzte einen Ausgleich in Geld verlangen, soweit dies angemessen erscheint. Der Schadensersatzanspruch nach Absatz 2 bleibt hiervon unberührt.
Wie bereits beim Diskussionsentwurf im Januar 2020 soll dieser Zusatz eine „Klarstellung″ der gesetzlichen Regelung im Hinblick auf den tatsächlichen Rechtszustand darstellen, indem lediglich eine gesetzliche Normierung der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vorgenommen werden soll.
Diskussion zur normierten Verhältnismäßigkeitsprüfung im PatG: bedeutungslos oder Aufweichung des Patentschutzes?
Die explizite Aufnahme einer Verhältnismäßigkeitsanforderung an den patentrechtlichen Unterlassungsanspruch wird seit zwei bis drei Jahren intensiv diskutiert. Die Debatte wurde durch den Diskussionsentwurf im Januar 2020 noch weiter befeuert.
Den Befürwortern ging die hierin vorgeschlagene Regelung nicht weit genug, da aufgrund ihres Ausnahmecharakters eine weitgehende Bedeutungslosigkeit befürchtet wird. Die Kritiker einer Verhältnismäßigkeitsanforderung bemängeln, dass schon der Vorschlag im Diskussionsentwurf über die Wärmetauscher Entscheidung des BGH deutlich hinausgehe. In der gesetzlichen Normierung werde insoweit eine deutliche Aufweichung des Patentschutzes in Deutschland erkannt. So ist Deutschland als Patentstandort bis heute dafür bekannt, dass aufgrund des faktischen Automatismus zwischen Patentverletzung und Unterlassungsanspruch Patente effektiv durchgesetzt werden können. Dies gilt vor allem im Vergleich zu UK und den USA, wo die Gerichte im Rahmen der Gewährung von „injunctive relief″ jeweils eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchführen.
Inwieweit die nun vorgeschlagene Gesetzesänderung in der Praxis tatsächlich die Tür für eine zwingende regelmäßige Verhältnismäßigkeitsprüfung öffnen würde, oder ob die Gesetzesänderung weitgehend bedeutungslos bleibt, ist derzeit noch nicht abzusehen. Eine normierte Verhältnismäßigkeitsprüfung allein wird jedenfalls der eingangs beschriebenen Problemlage nicht abhelfen können. Insbesondere der Umstand, dass die Rechtsbestandsverfahren im Verhältnis zu Patentverletzungsverfahren deutlich zu lange Verfahrensdauern aufweisen, lässt sich nur durch eine erhebliche personelle Aufstockung des Bundespatentgerichts beseitigen.
Stellungnahme zum Referentenentwurf bis 23. September 2020 möglich
Daneben enthält der Referentenentwurf weitere Regelungen zur Gewährleistung von Geschäftsgeheimnisschutz in Patentstreitverfahren, zur Synchronisierung der Rechtsbestands- und Verletzungsverfahren sowie zur Anpassung des Nebenstrafrechts.
Laut BMJV ist die Ressortabstimmung und insbesondere die Haltung der Bundesregierung zur vorgeschlagenen Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen des patentrechtlichen Unterlassungsanspruchs noch nicht abgeschlossen. Stakeholder haben noch bis zum 23. September 2020 die Gelegenheit, zum Referentenentwurf Stellung zu nehmen.