Kann ein Chefkameramann nach dem UrhG Nachvergütung verlangen, wenn der Film zum Blockbuster wird? Ja, sagen alle Instanzen. Wie viel? Hier wird es kompliziert.
Welche Vergütung steht dem Chefkameramann eines Films zu, der sich unerwartet zum Blockbuster entwickelt hat? Zunächst einmal natürlich diejenige, die das produzierende Filmstudio ihm vertraglich zugesagt hat. Einigkeit besteht zwischen dem Oberlandesgericht München und dem Bundesgerichtshof darüber, dass der Chefkameramann als Miturheber des Films gemäß § 32a Abs. 1 S. 1 UrhG darüber hinaus eine sogenannte eine Nachvergütung (auch bekannt als „Fairnessausgleich“) verlangen kann, wenn der Film deutlich mehr Geld einspielt, als dies zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses erwartet worden war.
Bei jedem Zahlungsanspruch stellt sich aber nur auf erster Stufe die Frage des „Ob“. Die interessantere Frage ist: „Wie viel?“. Darüber streiten der Chefkameramann des Films „Das Boot“, das Produktionsstudio des Films, der WDR und der Hersteller von DVDs von „Das Boot“, die in Deutschland und Österreich vertrieben werden.
Der Chefkameramann und Kläger hatte seine Nutzungsrechte am Werk „Das Boot“ dem Produktionsstudio sachlich, zeitlich und örtlich uneingeschränkt eingeräumt. Das Produktionsstudio wiederum hat dem WDR und dem DVD-Hersteller in der Folgezeit Unterlizenzen zur Verwertung des Films erteilt. Für seine Schöpfungsleistung erhielt der Kläger im Jahr 1981 vom Produktionsstudio eine Pauschalvergütung in Höhe von (umgerechnet) EUR 104.303,54. Doch welche Vergütung wäre angemessen – vor dem Hintergrund, dass „Das Boot“ allein an den Kinokassen einen mehrstelligen Millionenbetrag einspielte?
§ 32a UrhG sieht bei einem auffälligen Missverhältnis einen Nachvergütungsanspruch vor
Nach § 32a Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 2 Satz 1 UrhG kann ein (Mit-)Urheber eines Werks von seinem Lizenznehmer und dessen Unterlizenznehmern eine Vertragsanpassung verlangen, wenn die Vergütung, die er mit dem Lizenznehmer vereinbart hat, in einem auffälligen Missverhältnis zu den Vorteilen steht, die der Lizenznehmer mit der Verwertung des Werks erzielt hat. Der Wortlaut der Norm spricht nur von „Vertragsanpassung“; der BGH hält mit „Das Boot III“ allerdings an seiner bereits bestehenden Rechtsprechung fest, dass der Urheber neben dem Anspruch auf Einwilligung in die Vertragsanpassung auch direkt eine Leistungsklage auf Zahlung einer angemessenen Nachvergütung erheben kann.
Ein auffälliges Missverhältnis liegt laut dem BGH „jedenfalls“ vor, wenn die vereinbarte Vergütung nur die Hälfte der angemessenen Vergütung beträgt. Und welche Vergütung ist „angemessen“? Eine solche, die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses dem entspricht, was im Geschäftsverkehr nach Art und Umfang der eingeräumten Nutzungsmöglichkeit, insbesondere nach Dauer, Häufigkeit, Ausmaß und Zeitpunkt der Nutzung, unter Berücksichtigung aller Umstände üblicher- und redlicherweise zu leisten ist.
Soweit die Grundsätze. Von diesen ist das OLG München in der Vorentscheidung zum hier besprochenen Urteil auch zutreffend ausgegangen. Allerdings ergeben sich bei der Anwendung dieser Grundsätze auf ein Werk, das seit ca. 40 Jahren auf verschiedene Arten verwertet wird, erhebliche Komplikationen. Insbesondere, wenn – wie im hiesigen Fall – der Urheber nicht von einem, sondern von mehreren verschiedenen (Unter-)Lizenznehmern Nachvergütung begehrt.
Einordnung der aktuellen Entscheidung in die Entscheidungsreihe „Das Boot“
Die aktuelle Entscheidung des BGH ist in einem von insgesamt drei Verfahren ergangen, die sich um die Nachvergütung des Chefkameramanns des Films „Das Boot“ drehen.
Der Kläger hatte zunächst die Produktionsgesellschaft, den WDR und den Vertreiber von Bild-/Tonträgern auf Auskunftserteilung und Rechnungslegung verklagt (vgl. dazu BGH, Urteil vom 22. September 2011 – I ZR 127/10 – Das Boot I). Als Chefkameramann waren ihm die Erträge und Vorteile, die die drei Beklagten mit der Verwertung von „Das Boot“ erzielt hatten, nicht bekannt. Er bedurfte also der Auskunft und Rechnungslegung, um zu beurteilen, ob ein auffälliges Missverhältnis zwischen den von ihnen erzielten Erträgen und Vorteilen einerseits und der an ihn ausgezahlten Pauschalvergütung andererseits besteht. Auf der Grundlage der Auskunft und Rechnungslegung konnte er zudem seinen Zahlungsantrag bzgl. der Nachvergütung konkret beziffern.
Nachdem ihm die Ansprüche auf Auskunftserteilung und Rechnungslegung gerichtlich zugesprochen waren, hat er die Beklagten auf Zahlung einer Nachvergütung und Feststellung der Zahlungspflicht für die Zukunft in Anspruch genommen. In einem Parallelverfahren, das seinen Ausgang beim Landgericht Stuttgart genommen hatte und in dem es ebenfalls um Nachvergütungsansprüche des Chefkameramanns ging, hat der BGH bereits Anfang 2020 über die Bemessung der angemessenen Nachvergütung entschieden (BGH, Urteil vom 20. Februar 2020 – I ZR 176/18 – Das Boot II).
BGH kritisiert die Berechnung der Nachvergütung durch das OLG München
Wie hoch die angemessene Vergütung ist, die jeder der drei Beklagten an den Kläger jeweils zu zahlen hat, war durch das OLG München gemäß § 287 ZPO durch Schätzung zu bestimmen.
Hierbei ist nach der Rechtsprechung des BGH in vier Schritten zu verfahren:
- Zunächst ist festzustellen, welche Vergütung der Urheber mit seinem Lizenznehmer vereinbart hat.
- Sodann ist die Höhe der vom Lizenznehmer tatsächlich erzielten Erträge und Vorteile festzustellen. In diesem Rahmen muss das Gericht nicht nur den Betrag der erzielten Erlöse benennen, sondern auch Feststellungen zum Umfang der Werknutzung durch den Lizenznehmer (sachlicher, räumlicher und zeitlicher Umfang) treffen.
- Als dritter Schritt ist die Vergütung zu bestimmen, die – im Nachhinein betrachtet – insbesondere unter Berücksichtigung der erzielten Erträge und Vorteile angemessen im Sinne des § 32 Abs. 2 Satz 2 UrhG ist.
- Schließlich ist zu prüfen, ob die vereinbarte Vergütung (1.) mit Blick auf diese angemessene Vergütung (3.) in einem auffälligen Missverhältnis zu den Erträgen und Vorteilen (2.) steht.
Für die Bestimmung der angemessenen Beteiligung des Klägers an den vom Produktionsstudio erzielten Erträgen (Schritt 3) griff das OLG München indiziell auf den Tarifvertrag „Erlösbeteiligung Kinofilm“ und die „Gemeinsamen Vergütungsregeln für Kameraleute“ zurück. Allerdings, so das OLG München, seien die darin enthaltenen Regelungen an die Umstände des Streitfalls anzupassen. Danach sei eine Beteiligung des Klägers an 2,25 % der Verwertungserlöse des Produktionsstudios und in Höhe von 0,5 % an 1/7 (dem auf die Station „Das Boot“ entfallenden Anteil an der „Bavaria Filmtour“) der Einnahmen aus der „Bavaria Filmtour“ angemessen.
Für die bei ARTE ausgestrahlten Fernsehwiederholungen des Films „Das Boot“, für die ARTE vom WDR eine Sublizenz erworben hatte, sei die Nachvergütung anhand der indiziell herangezogenen Wiederholungsvergütungssätze zu bestimmen, die im Tarifvertrag für auf Produktionsdauer Beschäftigte geregelt seien.
Zur Berechnung eines Nachvergütungsanspruchs nach § 32a UrhG kann auf Tarifverträge und gemeinsamen Vergütungsregelungen zurückgegriffen werden, die nicht unmittelbar anwendbar sind
Der BGH hält das Vorgehen des OLG München insoweit für zulässig, als es für die Bestimmung der angemessenen Vergütung für einen Chefkameramann bestimmte Vergütungsregelungen in Tarifverträgen und gemeinsamen Vergütungsregeln heranzog, obwohl diese auf den konkreten Fall nicht unmittelbar anwendbar sind.
§ 287 Abs. 2 ZPO räume den Gerichten für die Schätzung der Höhe des vom Lizenznehmer erzielten Vorteils ein weites Ermessen ein. Dieser Ermessensspielraum sei nicht überschritten, solange
nach den Umständen sachgerechte Bewertungsgrundlagen aus Tarifverträgen und gemeinsamen Vergütungsregelungen
indiziell herangezogen werden. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass die indiziell herangezogenen Bewertungsgrundlagen aus Tarifverträgen und gemeinsamen Vergütungsregelungen eine mit dem zu beurteilenden Sachverhalt vergleichbare Interessenlage regeln.
Allerdings habe das OLG München die angemessene Vergütung auf der Grundlage dieser Bewertungsgrundlagen nicht korrekt berechnet.
Kritik vom BGH: Eine Teilfrage des „Wie viel?“ zum Nachvergütungsanspruch für Urheber ist auch: „Von wem?“
§ 32a Abs. 1 Satz 1 UrhG bestimmt für die Feststellung eines „auffälligen Missverhältnisses“, dass dieses Missverhältnis zwischen der Gegenleistung, die der Urheber mit seinem Lizenznehmer vereinbart hat, und den Erträgen und Vorteilen aus der Nutzung des Werkes bestehen muss.
Der BGH hat den Wortlaut der Norm bereits in vorigen Entscheidungen präzisierend dahingehend ausgelegt, dass das „auffällige Missverhältnis“ zwischen der mit dem Urheber vereinbarten Vergütung und den vom jeweiligen Anspruchsgegner erzielten Erträgen und Vorteilen festzustellen ist. Im Streitfall musste das auffällige Missverhältnis also jeweils im Verhältnis Kläger-Beklagte zu 1), Kläger-Beklagter zu 2) und Kläger-Beklagte zu 3) einzeln ermittelt werden.
Eine verallgemeinerte Berechnungsweise, die die Gegenleistung mit allen insgesamt erzielten Erträgen und Vorteilen mehrerer Verwerter vergleicht, ist deshalb unzulässig, weil verschiedene Arten der Verwertung unterschiedlichen kommerziellen Erfolg haben können. Dies gilt bspw. dann, wenn ein Film im Kino sehr erfolgreich ist, mit seiner Ausstrahlung im Fernsehen aber keine hohen Einnahmen erzielt werden können. In einer solchen Konstellation wäre es unbillig, dem Urheber einen Anspruch auf Nachvergütung gegen alle Verwerter zuzusprechen, obwohl nur einer der Verwerter aus der Nutzung des Werks einen hohen Ertrag erzielt hat.
In dem Fall, dass der Urheber von seinem Vertragspartner eine Pauschalvergütung erhalten hat, ist im Verhältnis des Urhebers zu den (Unter-)Lizenznehmern seines Vertragspartners demnach folgendes zu beachten: Bei einem Unterlizenznehmer, der das Werk nur bspw. durch öffentliche Zugänglichmachung in Deutschland verwertet hat, ist die Pauschalvergütung bei der Berechnung der Nachvergütung nicht in voller Höhe in die Berechnung einzustellen. Vielmehr hat das Gericht nach § 287 ZPO zu schätzen, ein wie großer Teil der Pauschalvergütung auf die Verwertungsart „öffentliche Zugänglichmachung in Deutschland“ entfallen sollte. Anhand dieses Teilbetrags ist sodann zu ermitteln, ob dieser in einem auffälligen Missverhältnis zu den vom Sublizenznehmer erzielten Erträgen und Vorteilen steht.
Stattdessen hatte das OLG München aber jeweils die an den Kläger gezahlte Pauschalvergütung in voller Höhe ins Verhältnis zu den von den Beklagten zu 1) bis 3) erzielten Erträgen und Vorteilen gesetzt.
Aus diesem Grund hob der BGH das Urteil auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück an das OLG München.
Das Boot – Die unendliche Geschichte
Mit „Das Boot III“ ist also noch nicht das letzte Wort zur Nachvergütung des Chefkameramanns gesprochen. Das Urteil ist allerdings insofern lesenswert, als es die Grundsätze zur Berechnung des Fairnessausgleichs konkretisiert und präzisiert. Sowohl für Kreative als auch für Verwerter schafft es zusätzliche Klarheit, welche Gesichtspunkte sie bei der Geltendmachung von Nachvergütungsansprüchen künftig berücksichtigen sollten. Die weitere Entwicklung des Verfahrens sollte von Rechtsberatern im Bereich des Filmurheberrechts aufmerksam beobachtet werden.