Mit Urteil vom 26. April 2022 stellte der EuGH fest, dass Upload-Filter nicht gegen geltendes Recht verstoßen, und hat eine Klage Polens abgewiesen.
Es war ein langer Weg von den ersten Debatten und Beschlüssen über die anschließenden Straßenproteste bis hin zur EuGH-Entscheidung. Sog. Upload-Filter sind seit Jahren in der Diskussion. Während viele eine Verletzung ihrer Meinungs- und Informationsfreiheit sowie das Ende der durch Zitate, Memes und Videos geprägten Kultur des Web 2.0 durch Upload-Filter fürchteten, haben diese faktisch ihren Weg in die europäischen Gesetze gefunden und standen nun vor dem EuGH auf dem Prüfstand.
Der umstrittene Art. 17 DSM verpflichtet de facto zum Einsatz sog. Upload-Filter
Art. 17 der Richtlinie (EU) 2019/790 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinien 96/9/EG und 2001/29/EG (sog. DSM-Richtlinie), der die Nutzung geschützter Inhalte durch Diensteanbieter für das Teilen von Online-Inhalten regelt, verwendet den Begriff des Upload-Filters nicht, ermöglicht aber dessen Einführung in den Mitgliedstaaten und den Einsatz durch Diensteanbieter. Um nicht für urheberrechtswidrig hochgeladene Inhalte zu haften, sehen sich Plattformen in der Pflicht, die von ihren Nutzern* hochgeladenen Inhalte auf Verstöße gegen das Urheberrecht zu überprüfen. Werden urheberrechtswidrige Inhalte entdeckt, sind diese von der Plattform zu entfernen. Da das Prüfaufkommen mit der Beliebtheit und Frequentierung des Plattformdienstes steigt, können bzw. müssen sich die Plattformen automatisierter Prüfsysteme, der sog. Upload-Filter, bedienen, um der Menge an Inhalten Herr zu werden.
Upload-Filter als Gefahr für das freie Internet?
Aufgrund der Automatisierung der Prüfung und des Entfernens von Inhalten sehen eine Vielzahl von Menschen in Europa das freie Internet gefährdet. Der Ansicht schloss sich auch Polen an und erhob im Mai 2019 vor dem EuGH eine auf Verletzung der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit (Art. 11 der EU-Charta der Grundrechte) gestützte Klage auf Nichtigkeitserklärung des Art. 17 DSM-Richtlinie. Die Klage richtete sich gegen Art. 17 Abs. 4 lit. b) und lit. c) letzter Satzteil DSM-Richtlinie, die für die Verantwortlichkeit des Diensteanbieters für das Teilen von Online-Inhalten die Möglichkeit vorsehen, sich von der Haftung für nicht erlaubte Handlungen zu befreien, indem der Nachweis erbracht wird, dass der Diensteanbieter
nach Maßgabe hoher branchenüblicher Standards für die berufliche Sorgfalt alle Anstrengungen unternommen hat, um sicherzustellen, dass bestimmte Werke und sonstige Schutzgegenstände, zu denen die Rechteinhaber den Anbietern dieser Dienste einschlägige und notwendige Informationen bereitgestellt haben, nicht verfügbar sind; [lit. b)]
und in jedem Fall nach Erhalt eines hinreichend begründeten Hinweises von den Rechteinhabern unverzüglich gehandelt hat, um den Zugang zu den entsprechenden Werken oder sonstigen Schutzgegenständen zu sperren bzw. die entsprechenden Werke oder sonstigen Schutzgegenstände von seinen Internetseiten zu entfernen, und alle Anstrengungen unternommen hat, um gemäß Buchstabe b das künftige Hochladen dieser Werke oder sonstigen Schutzgegenstände zu verhindern. [lit. c)].
Aufgrund dieser Vorschrift ergebe sich der Klage Polens zufolge die Gefahr, dass sich die Diensteanbieter nur dann von ihrer Haftung befreien können, wenn sie eine vorherige automatische Überprüfung und Filterung der Inhalte vornehmen und damit letztlich präventive Kontrollmechanismen einführten. Dies verstoße u.a. gegen den Wesensgehalt der genannten Grundrechte und sei unverhältnismäßig.
EuGH: Art. 17 DSM bringt die Interessen in Einklang
Diese Einschätzung teilt der EuGH nicht und hat die Klage mit Urteil vom 26. April 2022 (C-401/19 – Polen / Parlament und Rat) abgewiesen. Das Gericht verkenne zwar nicht, dass Diensteanbieter mit umfangreichem Inhaltsaufkommen gezwungen sein könnten, auf Instrumente zur automatischen Erkennung und Filterung zurückzugreifen, um ihre Pflichten zu erfüllen, und dass sich hieraus eine Einschränkung der Grundrechte der Nutzer der Dienste auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit ergebe. Die Einschränkung sei dem Gericht zufolge aber gerechtfertigt, da Art. 17 DSM den legitimen Zweck des Schutzes des geistigen Eigentums in verhältnismäßiger Weise verfolge und dem Einsatz von (automatisierten) Maßnahmen der Überprüfung und Filterung Grenzen setze. Diese Grenzen finden sich in Abs. 7 von Art. 17 DSM, der u.a. sicherstellen soll, dass rechtmäßig hochgeladene Inhalte nicht entfernt werden. Hiergegen würden dem EuGH zufolge Filtersysteme verstoßen, die nicht in der Lage sind, hinreichend zwischen rechtmäßigen und rechtswidrigen Inhalten zu unterscheiden.
Der EuGH verweist außerdem darauf, dass Art. 17 Abs. 7 DSM die Schranken des Urheberrechts, wie z.B. die rechtmäßige Verwendung von Werken anderer für u.a. Zitate oder Parodien, beachtet und Mechanismen vorsieht, die im Falle unberechtigter Sperrung von Inhalten (sog. Overblocking) greifen. Hierdurch habe der europäische Gesetzgeber die Grundrechte der Nutzer und die der Inhaber des geistigen Eigentums abgewogen und in Einklang gebracht. Die grundrechtskonforme Umsetzung des Art. 17 DSM in nationales Recht sei fortan Sache der Mitgliedstaaten.
Vorgaben aus der DSM in Deutschland mit dem UrhDaG umgesetzt
Deutschland hat die Vorschriften der DSM-Richtlinie und die Pflichten und Grenzen gem. Art. 17 DSM im Gesetz über die urheberrechtliche Verantwortlichkeit von Diensteanbietern für das Teilen von Online-Inhalten (Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz, UrhDaG) umgesetzt, deren Vorschriften die Upload-Filter betreffend seit dem Spätsommer 2021 gelten.
Durch das UrhDaG werden Diensteanbieter in Deutschland verpflichtet, die o.g. Vorkehrungen zu treffen und hochgeladene Inhalte auf Urheberrechtsverletzungen zu prüfen und diese Inhalte ggf. zu sperren und zu entfernen, um sich der urheberrechtlichen Haftung zu entziehen (§§ 1, 7 f. UrhDaG). Auch das UrhDaG sieht in § 5 Ausnahmen von der Löschpflicht u.a. bei gesetzlich erlaubten Nutzungen wie ebenjener Zitate und Parodien vor, um die Interessen von Urhebern mit der freien und durch Werknutzung geprägten Internetkultur zu einem Ausgleich zu bringen.
Im Falle von Beschwerden sehen §§ 9–11 UrhDaG daher auch für mutmaßlich erlaubte Nutzungen vor, dass diese weiterhin wiedergegeben werden dürfen, bis das Beschwerdeverfahren zu einem Abschluss gebracht wurde. Hierunter fallen z.B. auch gerade Werknutzungen, die das Web 2.0 ausmachen, sodass für geringfügige Nutzungen oder die Kombinationen von Werkteilen, wie sie bei Memes, Parodien und Videos oft verwendet werden, eine widerlegliche Vermutung der Rechtmäßigkeit gilt (§ 9 UrhDaG).
Ein System, mit dem alle zufrieden sind, also sowohl die Nutzer als auch die Diensteanbieter als auch die Urheber, schafft neben den Prüf- und Löschpflichten weiteren Handlungsbedarf für die Plattformen: Ein Beschwerde- und Auskunftsmanagement muss eingeführt werden. Im Interesse der Urheber spricht § 12 UrhDaG diesen in bestimmten Fällen der rechtmäßigen Nutzung von Inhalten einen Anspruch auf angemessene Vergütung gegenüber den Diensteanbietern zu. Außerdem müssen Plattformen ihre AGB im Hinblick auf das UrhDaG anpassen. Nicht von den Pflichten des UrhDaG betroffen sind u.a. Angebote wie Online-Marktplätze, nicht gewinnorientierte Online-Enzyklopädien oder Entwicklungs- und Weitergabe-Plattformen für quelloffene Software (§ 3 UrhDaG).
Die Sorge, Plattformen könnten übermäßig häufig legalen Content löschen, ist sicher nicht unbegründet. Da die Frage, ob Nutzer gegen die unberechtigte Sperrung erlaubter Inhalte überhaupt Schadensersatzansprüche gegen die Plattform haben, nach wie vor ungeklärt ist (Tendenz: wohl kein Anspruch), bleibt es – gerade angesichts des großen Haftungsrisikos – dabei, dass Plattformen im Zweifel eher sperren dürften, als großzügig Inhalte durchzuleiten. Dafür spricht auch, dass sich die Pflicht der Plattformen, dafür zu sorgen, dass der inkriminierte Inhalt auch offline bleibt („stay down“), auch auf „kerngleiche“ Verstöße bezieht, zumindest, soweit automatisierte Techniken dies ermitteln können (EuGH GRUR 2019, 1208 – Glawischnig-Piesczek/Facebook). Dem EuGH ist aber zugutezuhalten, dass die Thematik komplex ist und die Interessen der Beteiligten vielschichtig sind. Hier richtig – im Sinne von: für alle zufriedenstellend – zu entscheiden, war unmöglich.
Durch die hitzige Debatte über dieses neue EuGH-Urteil und die Rechtmäßigkeit von Upload-Filtern ist gänzlich in den Hintergrund gerückt, dass dieses Urteil auch aus anderer Sicht ein historisches war: Bei dem Urteil vom 26. April 2022 handelte es sich um die erste Verkündung im neuen Streaming-Dienst des EuGH für Urteile der Großen Kammer.
Wenn Sie mehr zu den neuen Pflichten im digitalen Raum und zur Plattformregulierung erfahren möchten, finden Sie weitere Informationen auf unserer Insight-Seite „Digital Regulation“.
*Gemeint sind stets Personen jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.