OLG München bestätigt Praxis der Musikverlagsbranche, dass auch mehr als 50 Jahre alte Musikverlegerverträge weiterhin wirksam sind.
Musikverleger sehen sich in den letzten Jahren wiederkehrend gerichtlichen Streitigkeiten ausgesetzt (zuletzt etwa: KG Berlin, Urt. v. 14.11.2016, 24 U 96/14), deren Ursache die Beteiligung von Musikverlegern in der GEMA ist. Hintergrund ist die Zwitterstellung der Musikverlagswirtschaft in der Verwertungskette. Sie steht sowohl auf Seiten der Urheber, als auch auf Seiten der GEMA. Die Tätigkeit der Musikverleger soll einerseits eine bessere wirtschaftliche Verwertung für urheberrechtlich geschützte Musiktitel ermöglichen. Andererseits ist die Musikverlagswirtschaft eng mit der GEMA als Verwerter verbunden, da sie von dieser Tantiemen für die lizenzierten Musiktitel erhält.
Besonders umsatzstark ist die Musikverlegerwirtschaft bei Schlagern und Volksmusik. Schlager aus den 1950er und 1960er Jahren werden bis heute zahlreich in Radiosendern und vor allem auf Volksfesten gespielt. Die anhaltende Beliebtheit dieser Genres schlägt sich nieder in entsprechend hohen Lizenzeinnahmen der Musikverlegerbranche. Aufgrund der Bekanntheit der von dem Rechtsfall betroffenen Schlagertitel erhielt das Urteil des Oberlandesgericht München (Urt. v. 21.03.2019 – 29 U 2854/18) bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung im Frühjahr große Aufmerksamkeit in der breiten Öffentlichkeit. Seit kurzem liegt auch die Volltextveröffentlichung des Urteils vor, was einen näheren Blick auf die rechtlichen Hintergründe und die Argumentation des Gerichts erlaubt.
Rechtsstreit lagen Verlegerverträge über Musiktitel aus dem Jahr 1965 zugrunde
Der zugrundeliegende Sachverhalt stellt sich vor dem Hintergrund dieser Ausgangssituation kontraintuitiv dar. Der Kläger des Rechtsstreits war in diesem Fall ein Musikverlag. Dieser Verlag verklagte drei Urheber von musikalischen Werken, einen Komponisten und zwei Textdichter. Nur einer der drei Beklagten ging jedoch in die Berufung: Josef „Pepe″ Ederer, der Sänger der Schlagergruppe „Nilsen Brothers″. Die drei ursprünglichen Beklagten waren in den 1960er Jahren als Textdichter und Komponisten Schöpfer von u.a. zehn Liedern. Darunter befinden sich bekannte Schlager wie „Aber dich gibt’s nur einmal für mich″ oder „Bring mir Glück, Schornsteinfeger″.
In der Hoffnung der besseren Vermarktung ihrer Lieder schlossen die Künstler im Jahr 1965 mit dem klagenden Musikverlag hinsichtlich dieser Werke Verlagsverträge entsprechend dem Vertragsmuster des Deutschen Musikverlegerverbandes. 2017 kündigten die Beklagten die seit 1965 bestehende Musikverlegerverträge außerordentlich. Als Grund für die Kündigung gaben sie vor allem die vermeintlich unzureichende verlegerische Aktivität des Klägers an. Der klagende Musikverleger begehrte daraufhin gerichtlich Feststellung, dass die Verträge durch die Kündigung nicht beendet wurden. Die Beklagten wollten widerklagend festgestellt wissen, dass die Verlagsverträge zwischen den Parteien insbesondere sittenwidrig seien.
Beklagte Urheber halten Verlegerverträge aus 1965 für sittenwidrig
Im folgenden Rechtsstreit stützten die Beklagten sich dann auch in ihrer Argumentation vornehmlich auf die Sittenwidrigkeit gem. § 138 BGB der Verlegerverträge. Für eine Sittenwidrigkeit führten sie drei Gründe ins Feld:
Erstens verwiesen sie auf ein Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung. Während die Leistungen der Urheber umfassend seien (Übertragung sämtlicher Nutzungsrechte, Beteiligung des Klägers an den GEMA Einnahmen), beschränke sich die Vertragsleistung des Klägers darauf, sich für die Verbreitung des Werkes in handelsüblicher Weise einzusetzen. Zweitens hätten die Verträge eine Knebelungswirkung, da die Rechte 70 Jahre post mortem auctoris übertragen seien. Drittens handele es sich bei der Abtretung der Nutzungsrechte an den Kläger um Leerabtretungen, da sie bereits auf die GEMA übertragen worden seien.
OLG München: Keine Sittenwidrigkeit und keine ordnungsgemäße Kündigung der Verträge
Das OLG München folgt dieser Argumentation nicht. Es setzt sich insbesondere intensiv mit einer möglichen Sittenwidrigkeit auseinander. Danach sei ein Missverhältnis abzulehnen. Entscheidend sei ein Vergleich zwischen dem objektiven Wert der beiderseitigen Leistungen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Das Gericht hebt hervor, dass der damals marktübliche Preis maßgeblich sei. Im Jahr 1965 entsprach die Gestaltung der Verlegerverträge den Marktgepflogenheiten.
Die Marktüblichkeit folge insbesondere auch daraus, dass es sich um Musterverträge des Deutschen Musikverlegerverbandes handelt. Auch eine Sittenwidrigkeit aus einer Übertragung der Rechte für die gesamte Schutzdauer lehnt das OLG München ab. Dies sei durch den Gesetzgeber in § 137 Abs. 2 UrhG als unbedenklich angesehen worden. Außerdem erlaube die Rechtsprechung ausdrücklich die Übertragung für die gesamte Schutzdauer (BGH, Urt. v. 22.04.2010 – I ZR 197/07).
Das Argument der Leerabtretung greift nach Ansicht des OLG Münchens ebenfalls nicht. Die Verträge sähen vor, dass die Abtretung nur erfolgt, soweit und solange die Rechte nicht einer Verwertungsgesellschaft übertragen worden waren. Es handele sich also vielmehr um eine offene Mehrfachabtretung, die nicht zur Sittenwidrigkeit der Verträge führen würde.
Schließlich geht das OLG noch eigenständig auf einen weiteren möglichen Grund für eine Sittenwidrigkeit ein: Den Umstand, dass die Verwertungsgesellschaften nicht berechtigt sind, von der Verteilungsmasse einen festen Verlegeranteil zu berechnen und an die Verleger auszuschütten (KG Berlin, Urt. v. 14.11.2016, 24 U 96/14). Dies begründe insbesondere keine Unangemessenheit der Aufteilung der Erlöse zwischen Verleger und Urheber. Die fehlende Berechtigung der GEMA zur Ausschüttung des „Verlegeranteils″ führe nicht dazu, dass es den Vertragsparteien untersagt sei, vertraglich eine Aufteilung der Erlöse zwischen ihnen in dem Verhältnis, wie die GEMA die Ausschüttungen vorgenommen hat, wirksam zu vereinbaren.
Auch eine wirksame Kündigung lehnt das OLG München ab. Hier fasst es sich deutlich kürzer und verweist auf die fehlende Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses. Insbesondere sei es den Beklagten nicht gelungen, die Untätigkeit der Klägerin in Bezug auf ihre verlegerische Tätigkeit darzulegen und zu beweisen.
Erleichterung der Musikverlegerbranche nach dem Urteil
Wirtschaftlich hat die ablehnende Entscheidung über den konkreten Rechtsstreit hinaus eine enorme Signalwirkung. Die Debatte im Vorfeld ging so weit, einen Zusammenbruch der Musikverlegerbranche anzumahnen, sollte insbesondere eine Sittenwidrigkeit derartiger Verlegerverträge anzunehmen sein. Hintergrund ist, dass die Branche seit Jahrzehnten umfangreich ähnliche Verträge schließt und ein solches Urteil damit eine Art Lawine an ungültigen Verlegerverträgen ausgelöst hätte.
Aber auch aus rechtlicher Perspektive weist das Urteil interessante Ausführungen auf. Dies gilt insbesondere für das Zusammenspiel von allgemeinem Zivilrecht und Urheberrecht im vorliegenden Fall. So sind gesetzgeberische Wertentscheidungen und urheberrechtliche Rechtsprechung hier entscheidend für den Maßstab der Sittenwidrigkeit. Danach verhindert beispielsweise die gesetzliche Regelung in § 137 Abs. 2 UrhG eine mögliche Sittenwidrigkeit der Verlegerverträge wegen zu langer Vertragsbindung.
Die Argumentation des OLG München ist in Anwendung von gesetzgeberischer Wertentscheidung und höchstrichterlicher Rechtsprechung konsequent. Sie führt vorliegend jedoch dazu, dass die Verlegerverträge, zugespitzt formuliert, möglicherweise fast anderthalb Jahrhunderte bestehen könnten. Der verklagte Urheber ist bereits 87 Jahre alt und das Urheberrecht gilt weitere 70 Jahre nach seinem Tod. Dass dann weiterhin die betroffenen Schlagerlieder gespielt werden, erscheint bei der anhaltenden Beliebtheit des Genres jedenfalls als nicht ausgeschlossen.