30. Mai 2011
zack!
Gewerblicher Rechtsschutz

Vom plötzlichen Tod der alternativen Klagehäufung

Es heißt, große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. Aber hätte man ahnen können, dass gerade einmal 4 Monate nach dem Wechsel Dr. Bergmanns aus dem 1. in den 2. Zivilsenat am Bundesgerichtshof ersterer seine jahrzehntelange, ständige Rechtsprechung aufgeben und die alternative Klagehäufung nun auch aus dem gewerblichen Rechtsschutz verbannen würde? Bergmann hatte die nämliche noch 2009 in der GRUR (GRUR 2009, 224 ff) als fast gottgegeben vorausgesetzt, sein Senatskollege Büscher in dem von ihm mitherausgegebenen Kommentar allerdings schon länger Skepsis angedeutet.

Nun sollte man mit Superlativen vorsichtig sein; gerade als Jurist. Aber dennoch war es ein denkwürdiger Abend Anfang Mai, als der Vorsitzende Richter des 1. Senats, Herr Prof. Dr. Bornkamm, vor etwa 100 versammelten Mitgliedern der GRUR in Hamburg einen jüngst veröffentlichten Hinweisbeschluss vorstellte. Mit einem Schmunzeln und dem Hinweis, dass er sich nicht erinnern könne, wann denn der letzte Hinweisbeschluss zur Veröffentlichung in der BGHZ vorgesehen worden sei.

Die Rede ist vom unter dem 24. März 2011 verkündeten Hinweisbeschluss zum Aktenzeichen I ZR 108/09 (“TÜV”). Dort hat der BGH festgestellt, dass die alternative Klagehäufung gegen § 253 II Nr. 2 ZPO verstößt. Bei der alternativen Klagehäufung leitet der Kläger ein einheitliches Klagebegehren aus mehreren prozessualen Ansprüchen (Streitgegenständen) her und überlässt dem Gericht die Auswahl, auf welchen Klagegrund es die Verurteilung stützt. Lehrbuchbeispiel ist der Klagantrag auf Zahlung von Euro 10.000,00, der alternativ auf Darlehen und Kaufvertrag gestützt wird. Im kennzeichenrechtlichen Streitfall ging die Klägerin aus drei verschiedenen Klagmarken und ihrem Unternehmenskennzeichen gegen eine Werbung der Beklagten vor. Dabei begründete sie ihre Ansprüche jeweils alternativ auf diese Schutzrechte, wobei sie die Auswahl des Schutzrechts, aus dem ein etwaiger Verbotstenor herzuleiten sei, in das Ermessen des Gerichts stellte.

Nun dürfte sich jeder nicht ständig mit Verfahren im Gewerblichen Rechtsschutz beschäftigte Praktiker fragen, warum der BGH einen Hinweisbeschluss zu etwas erteilen muss, was sich in jeder besseren Ausbildungsliteratur findet. Während die „normale″ zivilprozessuale Praxis eine solche alternative Klagehäufung stets und von jeher für unzulässig hielt, war ein solches Vorgehen im Bereich des Gewerblichen Rechtsschutz allerdings jahrzehntelang üblich und wurde – wenn denn überhaupt jemand über die Zulässigkeit nachdachte – jedenfalls nicht beanstandet. In Abkehr von der bisherigen Linie hat der 1. Zivilsenat unter Bezugnahme auf zivilprozessuale Gerechtigkeitsüberlegungen nunmehr festgestellt, dass zukünftig auch hier bei einer Klagehäufung ausschließlich eine kumulative oder eine gestaffelte (d.h. haupt- und hilfsweise) Geltendmachung verschiedener Streitgegenstände möglich sei. Man mag die Begründung des BGH im Allgemeinen für überzeugend halten oder nicht, jedenfalls in einstweiligen Rechtsschutzverfahren dürfte die neue Linie aber tatsächlich der Waffengleichheit der Parteien zuträglich sein: Hier wurden die Antragsgegner bisher häufig ohne Begründung und damit ohne Wissen darüber, auf welchen der alternativen Antragsbegründungen das Gericht denn die einstweilige Verfügung gestützt habe, zurückgelassen.

Die neue Rechtsprechung führt zu erheblichen Konsequenzen bei den Kosten und bei der Begründung des Gerichts, das spätestens im Rahmen der Kostenentscheidung Farbe bekennen muss. Die Kläger beziehungsweise Antragssteller werden sich in allen neuen Verfahren – wenn nicht klar und eindeutig ein einziger Streitgegenstand vorliegt – mit der neuen Rechtsprechung befassen und im Zweifelsfall entweder kumulieren oder abstufen müssen. Stützt der Kläger seinen Antrag sodann gestaffelt und unter Angabe der Reihenfolge auf 5 Streitgegenstände, und greift nach Auffassung des Gerichts erst Streitgegenstand Nr. 5, so trägt der Kläger trotz Obsiegens unter Umständen 80 % der Kosten. Das Gericht kann in seiner Begründung nicht einen der fünf Streitgegenstände herausgreifen, sondern muss tatsächlich über Streitgegenstände Nr. 1, 2, 3 und 4 entscheiden, wenn es erst Nr. 5 für überzeugend hält. Insbesondere in EV-Verfahren, für die diese Grundsätze gleichfalls gelten, dürfte dies gravierende Auswirkungen haben (s. dazu auch den Beitrag unserer Kollegen vom LBR-Blog).

Darüber hinaus wird die Abgrenzung mehrerer Streitgegenstände in Wettbewerbssachen nicht immer einfach sein. Obwohl hierzu eigentlich erst einmal in Ruhe klare Maßstäbe entwickelt werden müssten, wirkt sich die Änderung der Senatsrechtsprechung bereits auf zahlreiche bereits laufende Verfahren aus und führt zu einer Hinweispflicht der Gerichte im Hinblick auf die Fassung der Anträge und des Vortrags (vgl. Leitsätze b) und c) des Hinweisbeschlusses).

Der Verfasser durfte dies just am letzten Donnerstag in einer Verhandlung vor dem 3. Zivilsenat des Hanseatischen OLG erleben. Der gegnerische Anwalt schien darauf zu setzen, dass der Senat den Fall noch nach „altem Recht“ abwickeln würde. Stattdessen nahm sich das Gericht knapp 2 Stunden Zeit, um mit den Parteivertretern die Antragsreihenfolge und den Streitgegenstandsbegriff zu erörtern und nötigte dem Antragstellervertreter schließlich auch eine diesbezügliche Entscheidung ab.

Ob sich der BGH in einem etwaigen Revisionsverfahren einmal den dort geäußerten Vorstellungen des Hanseatischen OLG zum Streitgegenstand wird anschließen wollen, blieb und bleibt allerdings völlig offen. Für die bisher noch unveröffentlichte Entscheidung „Original Kanchipur″ (17.03.2011, I ZR 81/09; Pressemitteilung online verfügbar) ging Bornkamm an besagtem lauen Maiabend von einem einheitlichen Streitgegenstand aus. In casu war eine Werbeanzeige im Hinblick auf die nicht ersichtliche zeitliche Begrenzung der beworbenen Einführungsangebote und die gleichfalls abgedruckten durchgestrichenen Preise, deren Bezug nicht ersichtlich war, angegriffen worden. Bei der weiteren, beispielhaft angesprochenen, Entscheidung „TCM-Zentrum″ (WRP 2001, 400-403), bei der sowohl eine Irreführung als auch die nach HWG unzulässige Werbung in Berufskleidung angegriffen worden war, hielt Bornkamm nach intensiver Diskussion sowohl die Annahme eines einheitlichen, als auch zwei separater Streitgegenstände für möglich; mit der Konsequenz, dass in letzterem Falle die Klägerin die Angriffe nach neuer Rechtslage kumuliert oder gestaffelt (d.h. mit Angabe der Reihenfolge) zur Entscheidung hätte stellen müssen.

Danach scheint es so, als wäre der Meinungsbildungsprozess zum nunmehr entscheidenden Streitgegenstandsbegriff im Wettbewerbsrecht auch im 1. Zivilsenat des BGH noch nicht abgeschlossen. Wie hatten es nicht Reich-Ranicki und vor ihm schon Brecht auf den Punkt gebracht: Der Vorhang zu und alle Fragen offen.

Tags: alternative Klagebegründung alternative Klagehäufung Bestimmtheitsgrundsatz BGH I ZR 108/09 Original Kanchipur Prozessrecht TCM-Zentrum TÜV-Entscheidung