Das OLG Frankfurt a. M. bestätigt, dass Unternehmen die Einhaltung steuerrechtlicher Vorgaben durch ihre Konkurrenz nicht mithilfe des Wettbewerbsrechts durchsetzen können.
Nicht-EU-BürgerInnen können auf dem Gebiet der EU unter bestimmten Voraussetzungen umsatzsteuerfrei im Einzelhandel einkaufen. Hintergrund dessen ist, dass die Reisenden durch die Umsatzsteuer nicht zusätzlich zu einer im Herkunftsstaat gegebenenfalls zu entrichtenden Einfuhrumsatzsteuer belastet werden sollen.
Für die Abwicklung der nachträglichen Rückerstattung der gezahlten Umsatzsteuer werden regelmäßig „Tax-Free-operators“ eingeschaltet. Zwei solcher Unternehmen standen sich nun vor dem OLG Frankfurt a. M. gegenüber. Die Klägerin vertrat dabei die Auffassung, das konkrete Geschäftsmodell der Beklagten sei steuerrechtlich unzulässig und daher wettbewerbsrechtlich unlauter.
Single-Sales vs. Double-Sales
Die Klägerin betreibt ihr Geschäft im „Single-Sales-Verfahren“, welches auf Rahmenverträgen mit dem Einzelhandel beruht. Dabei nimmt die Klägerin die Originalbelege entgegen und zahlt den Reisenden im Auftrag des kooperierenden Unternehmens die Umsatzsteuer abzüglich einer Gebühr aus. Das Unternehmen, welches die entsprechenden Beträge an die Klägerin zurückzahlt, rechnet seinerseits die in den Belegen ausgewiesene Umsatzsteuer gegenüber dem Finanzamt in voller Höhe ab und erhält von der Klägerin zusätzlich eine Provision.
Demgegenüber beruht das Geschäftsmodell der Beklagten auf dem „Double-Sales-Verfahren“. Die Reisenden werden hierbei zunächst bevollmächtigt, die Waren im Namen der Beklagten und auf ihre Rechnung zu erwerben. Die Beklagte veräußert die Ware im Anschluss unmittelbar an die Kundschaft weiter. Hierbei erstattet sie den Reisenden die Umsatzsteuer und kann diese direkt beim Finanzamt geltend machen.
Problem: Nachträgliches Double-Sales-Verfahren
Zwar ist anerkannt, dass das Doubles-Sales-Verfahren steuerrechtlich grundsätzlich zulässig ist. Allerdings ist die Klägerin der Ansicht, die Reisenden würden die Ware im Rahmen des konkreten Geschäftsmodells der Beklagten mangels Vorlage einer Vollmacht im Handel bereits unmittelbar für sich selbst erwerben. Das ansonsten übliche Kettengeschäft würde hier also lediglich fingiert.
Ein solches Vorgehen, welches sich durch das vereinfachte Verfahren als nutzungsfreundlicher darstellen dürfte, ist nach Ansicht der Klägerin jedoch steuerrechtlich unzulässig. Als unmittelbare Konkurrentin verlangte die Klägerin daher die Einstellung des konkreten Geschäftsmodells.
Das LG Darmstadt wies die Klage in der ersten Instanz bereits als unbegründet ab (Urteil v. 2. März 2018 – 20 O 72/17), weil das Geschäftsmodell der Beklagten steuerrechtlich nicht zu beanstanden sei.
Steuerrecht ohne wettbewerbsbezogene Schutzfunktion
Die Klägerin scheiterte auch mit ihrer Berufung (OLG Frankfurt a. M., Urteil v. 28. März 2019 – 6 U 71/18). Das Gericht ließ in seinem Urteil ausdrücklich offen, ob das Geschäftsmodell der Beklagten steuerrechtlich zulässig ist. Jedenfalls handele es sich bei einem etwaigen Verstoß nicht um einen wettbewerbsrechtlich relevanten Rechtsbruch im Sinne des § 3a UWG. Dieser liege nur dann vor, wenn die steuerrechtlichen Regelungen zumindest auch dazu bestimmt seien, das Marktverhalten zu regeln. Das Steuerrecht diene demgegenüber vor allem der Finanzierung des Gemeinwesens und regele daher lediglich das Verhältnis zwischen dem Hoheitsträger und den Steuerpflichtigen.
Das OLG Frankfurt a. M. bestätigt damit die Rechtsprechung des BGH (Urteil v. 2. Dezember 2009 – I ZR 152/07), wonach steuerrechtliche Vorschriften grundsätzlich keine Marktverhaltensregelungen darstellen. Unmissverständlich führt das OLG Frankfurt a. M. hierzu aus:
Es ist daher lauterkeitsrechtlich unerheblich, ob sich ein Unternehmer durch das Hinterziehen von Steuern einen Vorsprung im Wettbewerb verschafft.
Unerheblich sei auch, dass die Geschäfte der Beklagten im Falle einer beabsichtigten Steuerhinterziehung als Scheingeschäfte einzuordnen und damit unwirksam sein könnten. Selbst wenn man das hier annehmen wollte, läge in dem „nachträglichen Doppelkauf“ kein Wettbewerbsverstoß, da es auch insoweit an einer einschlägigen Marktverhaltensregelung fehle.
Auch im Übrigen: Keine Unlauterkeit
Das Geschäftsmodell der Beklagten sei auch im Übrigen wettbewerbsrechtlich nicht zu beanstanden. Zum einen könne das Unterlassungsbegehren wegen eines vermeintlichen Verstoßes gegen steuerrechtliche Vorgaben nicht auf die wettbewerbsrechtliche Generalklausel § 3 Abs. 2 UWG gestützt werden. Vielmehr regele § 3a UWG rechtswidriges Verhalten außerhalb des UWG abschließend, wofür es jedoch gerade eines Verstoßes gegen eine Marktverhaltensregelung bedürfe.
Zum anderen scheiterte die Klägerin auch mit dem Versuch, die Unzulässigkeit des Geschäftsmodells der Beklagten mit einer unzumutbaren Belästigung nach § 7 UWG oder der Behauptung zu begründen, ihre Kundschaft würde durch das Geschäftsverhalten der Beklagten unlauter abgefangen und die Klägerin in ihrer geschäftlichen Betätigung dadurch gezielt behindert (§ 4 Nr. 4 UWG). Nach Ansicht der Klägerin wende sich die Beklagte im konkreten Fall an Kundschaft, die bereits mit der Klägerin vertraglich verbunden ist. Bekanntermaßen ist der Wettbewerb aber gerade durch das Abwerben von Kundschaft gekennzeichnet. Unlauter ist ein Abwerben daher nur, wenn hierbei unangemessen auf die Kundschaft eingewirkt wird und diese beispielsweise zu einer Änderung ihres Kaufentschlusses gedrängt wird – was die Klägerin nicht dargelegt hat.
Fazit: Keine wettbewerbsrechtliche Durchsetzung des Steuerrechts
Auch wenn steuerliche Manipulationen durchaus erhebliche Auswirkungen auf den Wettbewerb haben können, bleibt es dabei: Unternehmen können ihre Konkurrenz nicht unmittelbar zu einem steuerrechtlich korrekten Verhalten zwingen.
Daran ändert auch die vom OLG Frankfurt a. M. angeführte Möglichkeit des steuerrechtlichen Rechtsschutzes nichts. Dieser ist weniger auf ein steuerrechtmäßiges Verhalten der Konkurrenz, als vielmehr auf die steuerrechtliche Gleichbehandlung durch die Finanzverwaltung gerichtet. Jedenfalls vorerst können Nicht-EU-BürgerInnen daher ungeachtet verschiedener Modalität der Abwicklung weiterhin sorgen- und umsatzsteuerfrei innerhalb der Deutschlands einkaufen.