Scheinbar nebenbei hat der BGH eine Streitfrage entschieden. Ein Vertriebsverbot verpflichtet demnach zum Produktrückruf. Das hat weitreichende Folgen.
Verstöße gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) können ganz unterschiedliche Formen haben. Es gibt Fallgruppen wie falsche Versprechungen, vergleichende Produktwerbung und Nachahmung von Originalprodukten.
Verstöße können Unterlassungsansprüche nach sich ziehen. Kommt es daraufhin zu einem gerichtlichen Vertriebsverbot für das Produkt, stellt sich die Frage, ob der Hersteller auch zum Rückruf der bereits an den Einzelhandel ausgelieferten Produkte verpflichtet ist.
Pflicht zum Rückruf bereits ausgelieferter Produkte ist streitig
Einfach ist die Antwort nur dann, wenn das Gericht dem Hersteller eine solche Verpflichtung zum Rückruf ausdrücklich aufgibt. Möglich ist das aufgrund des Anspruchs auf Beseitigung. Dieser ergibt sich aus § 8 Abs. 1 S. 1, 1. Var. UWG. In der Praxis wird davon seltener Gebrauch gemacht. Meist wird dem Hersteller „nur“ der Vertrieb der Produkte verboten.
Heftig wird darüber gestritten, ob ein Hersteller auch im Fall eines auferlegten Vertriebsverbots zum Rückruf der Produkte aus dem Einzelhandel verpflichtet ist. Das ist deshalb fraglich, weil ein solches Verbot grundsätzlich nur in die Zukunft wirkt. Dem Hersteller ist also verboten, die Produkte zukünftig zu vertreiben.
Für einen Rückruf müssten aber die bereits mit dem Einzelhandel geschlossenen Verträge rückabgewickelt werden. Rechtlich gesehen käme zu der Pflicht, ein bestimmtes Verhalten (hier: den Vertrieb) zu unterlassen, ein Gebot zum aktiven Handeln (hier: der Rückabwicklung der Verträge) hinzu. Und das, obwohl ein solches Gebot nicht ausdrücklich vom Gericht aufgegeben worden ist.
BGH verpflichtet zum Rückruf auch bei reinem Vertriebsverbot
Unumstritten besteht eine Rückrufpflicht dann, wenn der Hersteller rechtlichen oder tatsächlichen Einfluss auf die Händler hat. Das ist beispielsweise im Direktvertrieb oder beim Vertrieb durch Tochterfirmen der Fall. Dann muss der Hersteller seinen vorhandenen Einfluss nutzen, damit die ihm verbundenen Unternehmen ebenfalls den Vertrieb einstellen.
Regelmäßig aber fehlt dem Hersteller ein solcher Einfluss. Der BGH hat in seinem Urteil vom 19. November 2015 (Az.: I ZR 109/14 – „Hot Sox“) zu genau diesem Fall Stellung bezogen. In nur einem Absatz und ohne Begründung führt er an, aus einem Vertriebsverbot folge ohne Weiteres die Verpflichtung, bereits ausgelieferte Produkte zurückzurufen:
Der Klägerin war durch die einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg vom 7. Dezember 2010 verboten worden, ihre Wärmepantoffeln anzubieten, zu bewerben, zu importieren und/oder in den Verkehr zu bringen. In Befolgung dieses Verbots war die Klägerin nicht nur verpflichtet, den weiteren Vertrieb ihrer noch nicht verkauften Wärmepantoffeln einzustellen. Es oblag ihr auch, bereits an den Groß- und Einzelhandel verkaufte Wärmepantoffeln zurückzurufen.
Soweit, so wenig. Von der bislang geltenden Unterscheidung, ob der Hersteller Einflussmöglichkeiten auf den Einzelhandel hat oder nicht, ist keine Rede mehr.
Vertriebsverbot und schutzrechtsähnlicher Verstoß als Grundlage
Die Kürze und die fehlende Begründung dieser weitreichenden Aussage erstaunen, insbesondere in Hinblick auf die möglichen Folgen für einen Hersteller. Ein Vertriebsverbot ist recht einfach einzuhalten. Bei einem Rückruf ist der Hersteller jedoch auf den guten Willen der Einzelhändler angewiesen. Gerade deshalb ist es wichtig, sich vor Augen zu führen, welche Besonderheiten der vom BGH entschiedene Fall aufweist.
Die erste Besonderheit ist, dass dem Importeur im Ausgangsverfahren ein umfassendes Vertriebs-, Werbe- und Importverbot auferlegt worden ist. Das Verbot, gegen das er verstoßen konnte, war damit schon denkbar weit gefasst.
Die Weite dieses Verbots hängt untrennbar mit dem eigentlichen Wettbewerbsverstoß zusammen: Grundlage dieses Falles war ein Verstoß wegen Nachahmung eines Originalprodukts (§ 4 Nr. 3 UWG). Solche Verstöße sind nahe an den gewerblichen Schutzrechten (Marken-, Design-, Patentrecht) angelehnt. Diese räumen den Mitbewerbern umfassende Abwehrrechte ein. Insoweit liegt es nahe, auch bei der Nachahmung eines Produkts ein entsprechend weites und umfassendes Verbot auszusprechen, das bei einem bloßen Werbeverstoß nicht angemessen wäre.
Pro und contra der BGH-Entscheidung
Für die Entscheidung des BGH spricht, dass der Hersteller für die wettbewerbswidrigen Produkte verantwortlich ist und bleibt. Es wäre unbillig, wenn er sich durch schnelle Abgabe der Produkte an Groß- und Einzelhandel seiner Verantwortung entziehen könnte. Ein Wettbewerbsverstoß setzt sich vom Hersteller über den Groß- bis zum Einzelhandel fort. Der Hersteller schafft also die Gefahr, dass es in dieser Kette zu Wettbewerbsverstößen kommt. Diese Gefahr lässt sich nur dann wirksam verhindern, wenn er die Produkte zurückruft.
Andererseits bringt die Verpflichtung zum Rückruf den Hersteller in unvorhergesehene Abhängigkeit zu seinen Vertragspartnern. Ohne rechtliche Handhabe ist er auf den guten Willen der Händler angewiesen, dass sie tatsächlich den Verkauf einstellen und die Produkte zurückschicken.
Praxishinweis: Rückabwicklung ermöglichen
Der BGH hat durch die fehlende Begründung Rechtsunsicherheit geschaffen, ob die Rückrufpflicht in jedem Fall besteht oder ob es sich durch den schutzrechtsähnlichen Verstoß um einen Sonderfall handelt.
In jedem Fall ist es nun gefährlicher als zuvor, bereits ausgelieferte Produkte, wegen derer ein Unterlassungsanspruch gerichtlich bestätigt worden ist, im Einzelhandel zu belassen. Von betroffenen Unternehmen wird in Zukunft zumindest zu verlangen sein, dass sie bei ihren Vertriebspartnern ganz erheblichen „Druck machen“, um eine Rückabwicklung zu ermöglichen. Anderenfalls droht ihnen möglicherweise ein Ordnungsgeld.