EuGH: Unternehmen müssen auch dann Angaben zur Verbraucherschlichtung in ihre AGB aufnehmen, wenn über ihre Website kein Vertragsschluss möglich ist.
Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass Unternehmen, die auf ihrer Internetseite Allgemeine Geschäftsbedingungen für Kauf- oder Dienstleistungsverträge bereitstellen, in diesen AGB Angaben zur alternativen Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten machen müssen. Dies gilt selbst dann, wenn ein Vertragsschluss mit Verbrauchern über die Website nicht möglich ist (Urteil v. 25. Juni 2020 – C-380/19).
Diese Pflicht ergibt sich aus Art. 13 der Richtlinie 2013//EU über die alternative Beilegung von verbraucherrechtlichen Streitigkeiten (ADR-Richtlinie). Die Entscheidung hat unmittelbare Auswirkungen auf deutsche Unternehmen, da die ADR‑Richtlinie seit 2017 in Gestalt des Verbraucherstreitbeilegungsgesetztes (VSBG) in Deutschland umgesetzt ist.
Informationspflichten nach ADR-Richtlinie
Gemäß Art. 13 Abs. 2 der ADR‑Richtlinie müssen Informationen zu der sog. „AS-Stelle“, also einer Einrichtung, welche die Beilegung einer Streitigkeit in einem Verfahren zur alternativen Streitbeilegung anbietet,
auf der Website des Unternehmers – soweit vorhanden – und gegebenenfalls in den allgemeinen Geschäftsbedingungen für Kauf- oder Dienstleistungsverträge zwischen dem Unternehmer und einem Verbraucher in klarer, verständlicher und leicht zugänglicher Weise aufgeführt
sein. Dies gilt jedoch nur dann, wenn der Unternehmer entweder zur Teilnahme an einem Streitbeilegungsverfahren vor einer AS‑Stelle verpflichtet ist oder sich selbst dazu verpflichtet hat.
In Deutschland besteht eine solche Pflicht zur Teilnahme zum einen dann, wenn dies gesetzlich vorgeschrieben ist. Davon betroffen sind insbesondere Unternehmen aus bestimmten Branchen wie etwa der Energieversorgung (§ 111b Abs. 1 Satz 2 EnWG) oder des Luftverkehrs (§ 57a Abs. 1 LuftVG).
Im Übrigen kann sich eine Teilnahmepflicht aus Vereinbarungen zur Schlichtung oder Mediation mit einer Schlichtungsstelle oder aus Satzungen von Trägervereinen der Schlichtungsstellen ergeben, bei denen das Unternehmen ebenfalls Mitglied ist.
Umsetzung der Richtlinie im deutschen Recht
Die Umsetzung des Art. 13 ADR‑Richtlinie in das deutsche Recht erfolgte durch §§ 36, 37 VSBG. Hiernach sind Unternehmen zur Information über die alternative Streitbeilegung verpflichtet, die
- Geschäfte mit Verbrauchern tätigen,
- eine Webseite betreiben oder Allgemeine Geschäftsbedingungen verwenden, und
- mehr als zehn Mitarbeiter beschäftigen.
Gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 2 VSBG muss ein Unternehmer, der sich zur Teilnahme an einem Verbraucherschlichtungsverfahren verpflichtet hat oder auf Grund von Rechtsvorschriften dazu verpflichtet ist, Angaben zu Anschrift und Website der zuständigen Verbraucherschlichtungsstelle (=AS-Stelle) machen und ausdrücklich erklären, dass er an einem Streitbeilegungsverfahren vor dieser Stelle teilnimmt (§ 36 Abs. 1 Nr. 2 VSBG).
Die Information muss auf der Website des Unternehmers verfügbar sein (§ 36 Abs. 2 Nr. 1 VSBG) sowie zusammen mit seinen AGB gegeben werden, wenn der Unternehmer AGB verwendet (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 VSBG). Diese Informationen muss der Unternehmer sowohl vor Vertragsschluss als auch nach Entstehen der Streitigkeit bereitstellen, wenn diese zuvor nicht zwischen den Parteien beigelegt werden konnte (§ 37 Abs. 1 VSBG).
Vorabentscheidungsersuchen, ob bloße Existenz von AGB auf einer Website den Verwender zur Information über alternative Streitbeilegung verpflichtet
Geklagt hatte der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (vzbv) gegen die Deutsche Apotheker- und Ärztebank eG (apoBank) und deren Praktiken hinsichtlich der Unterrichtung von Verbrauchern über alternative Streitbeilegungsmöglichkeiten.
Die apoBank informierte auf ihrer Website zwar im Impressum über ihre Teilnahme an einem Streitbeilegungsverfahren vor einer Verbraucherschlichtungsstelle. Jedoch fehlten Angaben hierzu in ihren AGB, die ebenfalls auf der Website abrufbar waren und auch für Verträge mit Verbrauchern galten. Diese Verträge konnten jedoch nicht über die Website der apoBank abgeschlossen werden. Neben den AGB stellte die apoBank Verbrauchern noch ein Preis- und Leistungsverzeichnis (PLV) zur Verfügung, auf dessen Rückseite die Pflichtangaben zur Verbraucherschlichtung ebenfalls zu finden waren.
Die von der apoBank getroffenen Maßnahmen zur Information über die Verbraucherschlichtung genügten dem vzbv jedoch nicht: Neben dem Impressum und dem PLV müsse die Information auch in den AGB abgedruckt sein. Die apoBank müsse es daher unterlassen, die AGB ohne entsprechende Angaben auf ihrer Website zum Download anzubieten.
Das Landgericht Düsseldorf wies die Klage zunächst mit der Begründung ab, dass ohne die Möglichkeit eines Online‑Vertragsschlusses schon keine „Verwendung“ der AGB im Sinne des § 36 Abs. 2 Nr. 2 VSBG vorliege. Diese setze nämlich voraus, dass die AGB dem Vertragspartner bei Abschluss des Vertrags gestellt werden.
Der vzbv ging in Berufung und das OLG Düsseldorf rief den EuGH mit der Frage an, ob bereits die bloße Existenz von AGB auf einer Website den Verwender dazu verpflichtet, auf die alternative Streitbeilegung in Verbrauchersachen hinzuweisen, auch wenn ein Vertragsschluss auf der Website nicht möglich ist (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 9. Mai 2019 – 20 U 22/18).
EuGH mit strenger Normauslegung: Pflichtangaben der ADR‑Richtlinie müssen in AGB enthalten sein
Im Unterschied zum LG Düsseldorf sah der EuGH in Art. 13 Abs. 2 ADR‑Richtlinie keinen Spielraum für Abweichungen von dem Grundsatz, dass die Pflichtangaben in AGB enthalten sein müssen, wenn diese auf der Website des Unternehmers zur Verfügung stehen:
Der Wortlaut dieser Bestimmung [Anm.: Art. 13 Abs. 2 ADR-Richtlinie] ist eindeutig und sieht vor, dass die (…) Informationen ‚in‘ den Allgemeinen Geschäftsbedingungen aufgeführt sein müssen, wenn diese auf der Website des Unternehmers bereitgestellt werden, und nicht in anderen auf dieser Website zugänglichen Dokumenten oder unter anderen Reitern der Website.
Zudem gehöre es zum Ziel der ADR‑Richtlinie, ein hohes Verbraucherschutzniveau zu erreichen, indem dafür gesorgt werde, dass Verbraucher auf freiwilliger Basis Beschwerden gegen Unternehmer bei Stellen einreichen können, die Verfahren zur alternativen Streitbeilegung anbieten. Um von dieser Möglichkeit Gebrauch machen zu können, müssen Verbraucher umfassend informiert werden, so der EuGH.
Möglichkeit zum Online-Vertragsschluss kein Kriterium
Zu der Frage danach, ob die Informationspflicht auch dann gelte, wenn ein Online‑Vertragsschluss gar nicht möglich ist, führte der EuGH wie folgt aus:
Diese Bestimmung [Art. 13 Abs. 2 ADR‑Verordnung] beschränkt die darin vorgesehene Informationspflicht nicht auf die Fälle, in denen der Unternehmer die Verträge mit den Verbrauchern über seine Website schließt. (…). [Der] Ausdruck ‚und gegebenenfalls‘ [in Art. 13 Abs. 2] zeigt, dass die Informationen nicht nur auf der Website aufgeführt sein müssen, sondern auch in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen aufzunehmen sind, wenn sie auf der Website verfügbar sind.
Daraus folge, dass Art. 13 Abs. 2 ADR-Richtlinie verletzt sei, wenn die AGB auf der Website keine Angaben zur Streitschlichtung enthalten und zwar unabhängig davon, ob ein Online‑Vertragsschluss möglich sei oder nicht.
Informationspflicht bezieht sich auf sämtliche Angaben des § 36 VSBG
Die EuGH‑Entscheidung betrifft unmittelbar nur Unternehmen, die zur Teilnahme an der Verbraucherschlichtung verpflichtet sind oder sich dazu verpflichtet haben, also die Pflichten aus § 36 Abs. 1 Nr. 2 VSBG.
Jedoch ließe sich mit der Argumentation der Luxemburger Richter gleichermaßen vertreten, dass die Pflichten aus § 36 Abs. 1 Nr. 1 VSBG ebenfalls uneingeschränkt in online verfügbaren AGB enthalten sein müssen. Demnach muss jedes Unternehmen angeben, inwieweit es verpflichtet oder bereit ist, an Verbraucherschlichtungsverfahren teilzunehmen. Dies wäre nämlich die verbraucherfreundlichste Lesart der Norm, und der Verbraucherschutz ist oberstes Ziel der ADR‑Richtlinie und somit auch des VSBG.
Bei Nichteinhaltung droht kostenpflichtige Abmahnung
Daher kann jedem Unternehmen, das Geschäfte mit Verbrauchern tätigt, online AGB zur Verfügung stellt und mehr als zehn Mitarbeiter beschäftigt, nur dazu geraten werden, die Vorgaben der §§ 36, 37 VSBG in ihren AGB vollständig umzusetzen. Dies gilt nach der vorliegenden EuGH‑Entscheidung auch dann, wenn über die Website des Unternehmens kein Vertragsschluss möglich ist.
Werden die Vorgaben nicht umgesetzt, droht eine kostenpflichtige Abmahnung durch Wettbewerber oder Verbraucherschutzverbände wie den vzbv. § 36 VSBG ist nämlich zum einen ein Verbraucherschutzgesetz im Sinne von § 2 Abs. 1 UKlaG, und zum anderen wird das Fehlen von Pflichtangaben als Wettbewerbsverstoß nach §§ 3, 3a UWG gewertet.