7. April 2022
Vorsatzanfechtung
Restrukturierung und Insolvenz

Änderung der BGH-Rechtsprechung zur Vorsatzanfechtung

Gute Nachrichten für Unternehmen – der BGH beschneidet die Vorsatzanfechtung in der Insolvenz und erschwert damit die Anfechtung für Insolvenzverwalter.

Zeitenwende, überfällige Neujustierung, Richtungsänderung – dies ist nur ein kleiner Ausschnitt aus den Kommentaren zu einem Urteil des BGH zur Vorsatzanfechtung vom 6. Mai 2021 (IX ZR 72/20), das nicht nur in Fachkreisen hohe Wellen schlug. 

Der BGH hatte in dem Urteil die tatbestandlichen Anforderungen für die sog. Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO erhöht. Diese Anfechtungsvorschrift ist schon seit Jahren Gegenstand erbitterten Streits. Sie hat sich – getrieben durch die Rechtsprechung des BGH in den letzten 15 Jahren – zur anfechtungsrechtlichen „Generalklausel“ entwickelt und war buchstäblich das „scharfe Schwert des Insolvenzverwalters“ zur Masseanreicherung.

Zwar konnten durch die Zunahme des Anfechtungsvolumens mehr Insolvenzverfahren eröffnet werden. Dies aber auf Kosten der betroffenen Anfechtungsgegner, die eine doppelte Belastung beklagten: den Forderungsausfall und die Konfrontation mit einer Rückforderung zumindest eines Teils der Zahlungen, die sie vor der Insolvenz noch (mühsam) erhalten hatten. Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Vorsatzanfechtung hatte der BGH durch Vermutungstatbestände und komplexe Regelungen zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast stetig abgesenkt. Zu weit – nach Ansicht vieler Wirtschaftsvertreter, aber auch für den Gesetzgeber, der mit Wirkung vom 5. April 2017 das Anfechtungsrecht, speziell die Vorsatzanfechtung, änderte und gezielt beschnitt.

BGH gibt in mehreren Urteilen den Weg bei Prüfung der Vorsatzanfechtung vor

Der BGH hat sich diese Absicht des Gesetzgebers zu Herzen genommen. In dem Urteil vom 6. Mai 2021 hat er selbst von einer Neuausrichtung gesprochen, nachdem bereits in den Jahren zuvor seit 2017 eine Tendenz zu einer behutsamen Beschränkung der Vorsatzanfechtung erkennbar war. Die damit angestoßene Richtungsänderung hat der BGH nun gleich mit einem Bündel neuer Urteile verfestigt und konkretisiert. Gleich drei Urteile, eines vom 10. Februar 2022 (IX ZR 148/19) und zwei vom 3. März 2022 (IX ZR 78/20 und IX ZR 53/19), nehmen ausdrücklich Bezug auf die Entscheidung vom 6. Mai 2021. Sie enthalten Hinweise auf den zukünftigen Weg des BGH.

Urteil vom 6. Mai 2021 als Ausgangspunkt der Richtungsänderung

In dem Urteil vom 6. Mai 2021 hatte der BGH in erster Linie die Voraussetzungen für einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz auf Seiten des Schuldners erhöht, wodurch sich automatisch auch die Anforderungen für die Annahme einer Kenntnis des Anfechtungsgegners von einem solchen Vorsatz veränderten.

Schloss man zuvor von der Kenntnis einer bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit automatisch auf den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners, soll diese Kenntnis zukünftig nur noch ein Indiz für den Vorsatz begründen. Die Stärke bzw. Aussagekraft dieses Indizes hängt davon ab, wie tiefe eine Zahlungsunfähigkeit ist und wie lange sie bereits besteht. Zugleich müsse in den Blick genommen werden, ob der Schuldner möglicherweise in der Lage sei, die Zahlungsunfähigkeit zukünftig zu überwinden. Nur wenn der Schuldner aufgrund des Ausmaßes der finanziellen Krise erwarten müsse, dass er seine Gläubiger auch in Zukunft nicht vollständig befriedigen kann und daher eine Insolvenz ausweichlich erscheint, würde ein Gläubigerbenachteiligungsvorsatz vorliegen.

Außerdem schränkte der BGH die Wirkungen einer nur drohenden Zahlungsunfähigkeit ein. Diese allein sei kein ausreichendes Indiz für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz. Es bedürfe weiterer Indizien, damit Leistungen bei erkannter drohender Zahlungsunfähigkeit über § 133 InsO angefochten werden können (z.B. die gezielte Befriedigung einzelner [und ggf. sogar nahestehender] Altgläubiger außerhalb des ordnungsgemäßen Geschäftsganges oder die Gewähr inkongruenter Deckungen, also solcher, die der Empfänger nicht, nicht zu der Zeit oder nicht in der gewährten Art zu beanspruchen hatte). Flankiert wurde dies durch erhöhte Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Insolvenzverwalters, der neben der Zahlungsunfähigkeit zukünftig auch nachweisen müsse, warum keine begründeten Aussichten auf Beseitigung einer Zahlungsunfähigkeit bestünden. 

Konkretisierung der Richtungsänderung durch das Urteil vom 10. Februar 2022: Darlegungs- und Beweislast im Rahmen einer Vorsatzanfechtung zulasten des Insolvenzverwalters erhöht

In dem ersten hier näher beleuchteten Urteil vom 10. Februar 2022 (IX ZR 148/19) spricht der BGH zunächst von einer durch das Urteil vom 6. Mai 2021 geänderten Rechtsprechung und bestätigt damit die in zahlreichen Kommentaren beschworene Zeitenwende. Außerdem bekräftigt er, dass zur Kenntnis einer bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit für die Annahme eines Benachteiligungsvorsatzes hinzukommen müsse, dass dieser Zustand auch zu einem späteren Zeitpunkt fortbesteht. Zudem nahm der BGH die Vermutungswirkung einer Zahlungseinstellung in den Blick. Diese Vermutung folgt aus § 17 Abs. 2 S. 2 InsO: Stellt der Schuldner seine Zahlungen ein, wird das Vorliegen einer Zahlungsunfähigkeit vermutet. 

Speziell diese Vermutungswirkung trieb Anfechtungsgegnern regelmäßig die Zornesröte in das Gesicht, denn für die Annahme einer Zahlungseinstellung reichte es aus, wenn sich diese allein aus dem Zahlungsverhalten des Schuldners gegenüber dem späteren Anfechtungsgegner ergab. Wollte sich der Anfechtungsgegner damit verteidigen, dass der Schuldner seine Zahlungen wieder aufgenommen und damit die Zahlungseinstellung beseitigt hatte, musste er darlegen, dass der Anfechtungsgegner die Wiederaufnahme „im Allgemeinen“ belegen konnte. Dafür war wiederum erforderlich, dass der Schuldner zumindest den wesentlichen Teil seiner Verbindlichkeiten auch gegenüber den übrigen Gläubigern beglich. Dem Anfechtungsgegner wurde dadurch etwas faktisch nahezu Unmögliches auferlegt, was der BGH nun auch einräumt. 

Deshalb hat der BGH die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast zulasten des Insolvenzverwalters erhöht. Den Insolvenzverwalter trifft nun eine sekundäre Darlegungslast, zum Zahlungsverhalten des Schuldners gegenüber den übrigen Gläubigern vorzutragen, sofern der Anfechtungsgegner Umstände beweisen kann, die eine Wiederaufnahme der Zahlungen als möglich erscheinen lassen. Hierfür reicht es aus, wenn die Verbindlichkeit, mit der der Insolvenzverwalter zuvor die Zahlungseinstellung begründet hatte, nicht mehr herangezogen werden kann, weil diese Verbindlichkeit vollständig getilgt oder gestundet wurde. Die Begründung des BGH leuchtet ein: Dem Anfechtungsgegner fehlen regelmäßig Kenntnisse über die wirtschaftliche Lage des Schuldners, weil er nur das Zahlungsverhalten ihm selbst gegenüber kennt. Folglich ist diese Ergänzung der Darlegungslast des Insolvenzverwalters vollumfänglich zu begrüßen. 

Das Urteil ist aber über die allgemeingültigen Aussagen hinaus interessant aufgrund der Würdigung des konkreten Sachverhalts. Gegenstand des Rechtsstreits waren zahlreiche Einzelzahlungen über einen Zeitraum von rund 1,5 Jahren. Die Zahlungen waren regelmäßig verspätet, also mit Verzug, beim Anfechtungsgegner eingegangen, der deshalb regelmäßig Mahnungen versandt hatte. Das Zahlungsverhalten war somit „konstant schleppend“, änderte sich aber nicht in auffälliger Weise bis zur Insolvenz. Die regelmäßigen Rückstände stiegen auch nicht an, sondern blieben mehr oder weniger konstant. Daraus leitete der BGH ab, dass ein solches gleichbleibendes Zahlungsverhalten mit zunehmender Dauer seine Bedeutung für die Annahme einer Zahlungseinstellung verliert. Die regelmäßigen Mahnungen würden daran nichts ändern und könnten keine Kenntnis des Anfechtungsgegners von einer Zahlungseinstellung begründen. Ein solches zwar säumiges, aber konstant schleppendes Zahlungsverhalten findet sich in der Praxis recht häufig. Daher können sich Anfechtungsgegner bei einem vergleichbaren Zahlungsverhalten in Zukunft mit Aussicht auf Erfolg auf dieses Urteil des BGH berufen. Entscheidend ist aber weiterhin der Einzelfall. Eine Würdigung des Zahlungsverhaltens und aller Begleitumstände ist deshalb weiterhin notwendig.

Weitere Konkretisierung durch die beiden Urteile vom 3. März 2022: BGH zur Aussagekraft einer insolvenzrechtlichen Überschuldung

Die beiden Urteile vom 3. März 2022 (IX ZR 78/20 und IX ZR 53/19) enthalten weitere wichtige Aussagen, die zukünftig im Bereich der Vorsatzanfechtung zu berücksichtigen sind. Eine umfassende Würdigung beider Entscheidungen sprengt den Rahmen dieses Blogs. Die wesentlichen Aussagen sollen aber in der gebotenen Kürze dargestellt werden.

Auch eine insolvenzrechtliche Überschuldung stellt ein eigenständiges Beweisanzeichen dar, aus dem sich ein Gläubigerbenachteiligungsvorsatz und die Kenntnis des Anfechtungsgegners ergeben können. Dies aber nur in Grenzen. Die Aussagekraft entspricht grundsätzlich der einer drohenden Zahlungsunfähigkeit. Dabei spielt es eine Rolle, mit welchem Wahrscheinlichkeitsgrad eine Zahlungsunfähigkeit in der Zukunft tatsächlich auch eintreten wird. Je wahrscheinlicher die Zahlungsunfähigkeit, desto stärker ist das Beweisanzeichen. Es müssen aber weitere Beweisanzeichen hinzutreten, die sich z.B. aus der Art der angefochtenen Rechtshandlung ergeben können. Im konkreten Fall ergab sich aus zwei Steuerbilanzen eine bilanzielle Überschuldung, die zudem innerhalb eines Jahres spürbar angestiegen war. Dies reichte aber nicht aus für die Annahme einer Kenntnis von einem Benachteiligungsvorsatz, weil der Anfechtungsgegner aus der Bilanz allein keine Rückschlüsse auf das Bestehen oder Fehlen einer positiven Fortführungsprognose ziehen kann. Daher obliegt es dem Insolvenzverwalter, das Fehlen einer positiven Fortführungsprognose und die Kenntnis des Anfechtungsgegners davon nachzuweisen, wenn er die Anfechtungsvoraussetzungen aus einer Bilanz ableiten möchte. Auch insoweit betont der BGH somit die grundsätzlich volle Darlegungs- und Beweislast auf Seiten des Insolvenzverwalters und stärkt damit die Position der Anfechtungsgegner.

Das zweite Urteil vom 3. März 2022 (IX ZR 78/20) mit dem stattlichen Umfang von 49 Seiten verdient eine eigene Besprechung. Es enthält zahlreiche Aussagen zur Vorsatzanfechtung von Leistungen während eines Sanierungsversuchs. Hier wiedergegeben wird eine wesentliche Kernaussage zu der Frage, ob sich aus der Insolvenzantragspflicht eine Begrenzung des Zeitraums ergibt, den der bereits zahlungsunfähige Schuldner für die zukünftige Befriedigung seiner Gläubiger in Betracht ziehen darf. Mit anderen Worten: Gibt es eine begründete Hoffnung für den Schuldner, dass er seine Gläubiger in Zukunft vollständig befriedigen kann, hängt der Prognosezeitraum von den Umständen des Einzelfalls ab und ist nicht von vornherein wegen der gesetzlichen Antragspflicht auf einen kurzen Zeitraum von maximal drei Wochen beschränkt. Der BGH fasst diesen Gedanken dergestalt zusammen, dass ein Benachteiligungsvorsatz nicht allein deshalb angenommen werden kann, weil der Schuldner die Insolvenzantragspflicht aus § 15a InsO und das Zahlungsverbot aus § 15b InsO verletzt. Das mit der Insolvenzantragspflicht verbundene Handlungsgebot für Geschäftsleiter verfolge ein anderes Ziel als die Vorschriften der Insolvenzanfechtung. Erstere richten sich an die Geschäftsleiter und sollen diese zur Beachtung ihrer Pflichten zum Schutz der Gläubiger anhalten. Die Anfechtung führe dagegen zu Eingriffen in Vermögenspositionen durch Rückforderungen vo­­m Empfänger einer Leistung. Dabei muss auch der Verkehrsschutz berücksichtigt werden. Die Zielrichtung sei folglich unterschiedlich.  

Alles gut? Nein, aber dank der neuen Rechtsprechung des BGH zur Vorsatzanfechtung um einiges besser!    

Die herkömmliche Rechtsprechung des BGH speziell im Bereich der Vorsatzanfechtung und bis zur Gesetzesänderung im April 2017 ging zu weit und erhöhte die Anfechtungsrisiken für alle Marktteilnehmer in einer Weise, die auch verständigen Beteiligten kaum noch vermittelt werden konnte. Bereits kleinste Leistungsstörungen konnten ausreichen, um einen Benachteiligungsvorsatz und die Kenntnis davon vor Gericht zu belegen. 

Die Gesetzesänderung von 2017 und die jüngste Rechtsprechung des BGH haben nicht zu einer fundamentalen Veränderung, aber doch zu spürbaren Erleichterungen für potentielle Anfechtungsgegner geführt. Der BGH hat dabei zu Recht die grundsätzliche Beweislastverteilung wieder stärker betont, wonach der Insolvenzverwalter dem Grunde nach die Tatbestandsvoraussetzungen darlegen und im Streitfall beweisen muss. Bei den übrigen Änderungen muss abgewartet werden, wie sie von den Gerichten der ersten und zweiten Instanz angenommen und im Einzelfall bewertet werden. Nach den praktischen Erfahrungen des Autors kann die Berufung auf die vom BGH postulierte Neuausrichtung durchaus dazu führen, dass ein Gericht im Zweifelsfall der Anfechtung den Erfolg versagt, während bis 2017 das Pendel regelmäßig in die Richtung des Insolvenzverwalters ausschlug. Eine Neuausrichtung – zumindest in Grenzen – war auch notwendig. Allerdings bleiben streitige Fragen. Weiterhin ungeklärt ist, wie mit den fortlaufenden Gegenleistungen bei weiterer Belieferung eines insolvenzbedrohten Schuldners umzugehen ist. Der BGH vertritt derzeit noch ein strenges Verrechnungsverbot und erlaubt keine Saldierung von Leistungen und Gegenleistungen. Somit bleibt als Fazit, dass sich die Verteidigungsmöglichkeiten von Anfechtungsgegnern verbessert haben, aber Geschäfte mit kriselnden Unternehmen weiterhin mit größeren Anfechtungsrisiken verbunden bleiben, die sorgfältig geprüft werden sollten.  

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